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Ein Haus auf schwankendem Boden: Überlegungen zur Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit | Nachhaltigkeit | bpb.de

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Ein Haus auf schwankendem Boden: Überlegungen zur Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit

Frank Uekötter

/ 16 Minuten zu lesen

Wohl jeder, der sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, kennt jenen Moment der Verzweiflung, in dem man das Wort am liebsten in den Orkus wünschen würde. Was das Goethe-Zitat für den Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts war, das ist die Nachhaltigkeit für den umweltbewussten Deutschen von heute: ein wohlklingender Referenzpunkt ohne tiefere Bedeutung. Selbst die Luftfahrt postuliert bei passender Gelegenheit "nachhaltiges Fliegen". Und wenn man vom Architekten Bjarke Ingels und seinem "Manifest für hedonistische Nachhaltigkeit" liest, möchte man das Kapitel am liebsten schließen. Zur Nachhaltigkeit ist, so scheint es, alles Sinnvolle gesagt und auch ein guter Teil des Sinnlosen.

Der Rekurs auf die Geschichte wirkt vor einem solchen Hintergrund wie der Wunsch nach einem terminologischen Defibrillator. Vielleicht kommt man ja wieder auf sicheren Grund, wenn man sich in die Begriffsgeschichte vertieft? Gibt es eine zentrale Aussage, die durch inflationären Gebrauch verblasst ist und nur darauf wartet, von historisch versierter Warte in ihrem Wesenskern wieder freigelegt zu werden? Nichts wäre schließlich kurzsichtiger, als einen Begriff nur deshalb abzulehnen, weil er in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen ist. Popularität führt bei politischen Begriffen nahezu zwangsläufig zu Unschärfen und Trivialisierungen, und Nachhaltigkeit ist gewiss nicht das einzige Wort in unserer politisch-sozialen Sprache, das bisweilen wie eine ausgelutschte Begriffshülse wirkt; man denke nur an die soziale Marktwirtschaft. Und wäre tatsächlich etwas gewonnen, wenn man sich stattdessen einen neuen Leitbegriff zurechtschneidert? Man kann die aktuelle Debatte über das "Anthropozän" auch als einen Praxistest betrachten, ob man mit neuem Vokabular tatsächlich weiterkommt.

Eine begriffsgeschichtliche Spurensuche beginnt in Deutschland üblicherweise mit den "Geschichtlichen Grundbegriffen", einem historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. In den sieben Bänden des Großprojekts taucht "Nachhaltigkeit" allerdings noch nicht einmal im Register auf. Das liegt wohl vor allem daran, dass die Wurzeln des Projekts bis in die 1960er Jahre zurückreichen, denn auch Ökologie kam erst im letzten, 1992 erschienenen Band im Artikel "Wirtschaft" vor. Im Vorwort zu diesem Band konzedierte Reinhart Koselleck – der letzte verbliebene der ursprünglich drei Herausgeber – ausdrücklich Lücken "im Hinblick auf die zu schreibende ökologische Geschichte". Offenbar fiel es zu diesem Zeitpunkt noch schwer, einen Leitbegriff für einschlägige Themen zu definieren, und das hat sich auch zwischenzeitlich nicht wirklich geändert. "Nachhaltigkeit" steht in terminologischer Konkurrenz zu "Umwelt" und "Ökologie", zudem gibt es ältere Begriffe wie "Landschaft" und "Heimat".

Mit Blick auf die "Geschichtlichen Grundbegriffe" hat "Nachhaltigkeit" den Vorzug, dass das Wort – anders als die jüngeren Begriffe "Umwelt" und "Ökologie" – in jener Sattelzeit der politisch-sozialen Sprache in Deutschland geprägt wurde, die Koselleck in der Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verortete. Nach Koselleck gewannen seither zahlreiche Schlüsselbegriffe neue Sinngehalte, während alte Lesarten überlagert wurden oder ganz verschwanden. Am Ende stand ein politisches Vokabular, das gesellschaftliche Debatten in Deutschland bis heute prägt. Allerdings besaß "Nachhaltigkeit" im 18. und 19. Jahrhundert nie jene Strahlkraft, die Begriffen wie "Demokratie" oder "Bürgertum" eigen war, die in den "Geschichtlichen Grundbegriffen" ausführlich analysiert wurden. "Nachhaltigkeit" war zunächst lediglich ein Fachterminus der Forstwirtschaft, der für andere gesellschaftliche Kreise, ja selbst für andere Umweltfragen keine Relevanz besaß. Das änderte sich erst in jüngster Zeit – eine kuriose Volte in einer an Paradoxien keineswegs armen Begriffsgeschichte.

Am Anfang war der Wald

Der Beginn der forstwirtschaftlichen Begriffskarriere ist nach den Jubiläumsveranstaltungen 2013 wohl hinlänglich bekannt. Es war der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, der in seinem 1713 erschienenen Buch "Sylvicultura oeconomica" zum ersten Mal eine "nachhaltende Nutzung" der Wälder forderte. Ob Carlowitz hier tatsächlich einen Begriff prägen wollte, ist sehr zu bezweifeln, zumal die Verwendung als Adjektiv, noch dazu in Ergänzung zu "continuierlich" und "beständig", fast schon etwas Beiläufiges besaß. Carlowitz "rutscht der Begriff gleichsam nur so heraus", schreibt Joachim Hamberger in seiner verdienstvollen Neuedition des Werks. Erst durch retrospektive Konstruktion wurde aus der Formulierung die Geburtsstunde eines Fachbegriffs.

Wichtiger als seine Formulierungskunst war die Position, von der aus Carlowitz argumentierte. Als Oberberghauptmann war er für das sächsische Montanwesen verantwortlich und besaß damit eine zentrale Position im frühneuzeitlichen Staatsapparat. In heutigen Begriffen könnte man von einer Schlüsselindustrie reden: Metallbergwerke und Salinen besaßen eine kaum zu überschätzende Bedeutung für den Staatshaushalt. Zugleich hingen diese Betriebe jedoch von einer geregelten Holzversorgung ab, und da sich Holz unter vormodernen Bedingungen nur entlang triftfähiger Flüsse über längere Distanzen transportieren ließ, richtete sich zumeist der Blick auf die Wälder der Umgebung. Deren Verfügbarkeit wurde nun systematisch vermessen und verplant, als Manifestation der Autorität des frühneuzeitlichen Territorialstaats. Es war der Beginn einer bemerkenswerten terminologischen Konstante: Von Anfang an kam die Nachhaltigkeit von oben.

Genauer gesagt: Von oben kam die Nachhaltigkeit der Forstbeamten. Es gab um 1800 nämlich noch ein anderes Begriffsverständnis. Joachim Heinrich Campes "Wörterbuch der deutschen Sprache" definierte "Nachhalt" 1809 als einen Halt, "woran man sich hält, wenn alles Andere nicht mehr hält". Ein solcher Nachhalt war etwas anderes als die Carlowitz’sche Nachhaltigkeit. Hier ging es um Reserven für den Notfall. Die Wälder Mitteleuropas waren nämlich für die Menschen der Frühen Neuzeit eine Art Lebensversicherung. Hier gab es Pilze und Beeren für hungrige Menschen und Bucheckern für hungrige Schweine, die selbst wiederum als eine Art Sparbüchse dienten. Und wenn eine Feuersbrunst Häuser zerstörte, besorgte man sich dort das Rohmaterial für den Wiederaufbau. Anders als der Holzbedarf von Salinen und Bergwerken rief diese Ressourcennutzung nicht zwangsläufig nach langfristiger Planung, ja in gewisser Weise war es gerade das Fehlen eines festen Plans, das den Kern dieses Nachhalts ausmachte. Der Wald war da, wenn man ihn brauchte.

Das lief nicht nur auf eine andere Art der Waldwirtschaft hinaus, sondern auch auf einen anderen Wald. Dieser war vielseitiger als der Wald der akademischen Forstwirtschaftslehre, in dem vor allem jene Waldressourcen zählten, die sich durch Montanwirtschaft veredeln ließen oder die auf dem Markt gewinnbringend zu verkaufen waren. Und während Carlowitz seine Nachhaltigkeit nicht nur in Buchform dokumentierte, sondern auch in Verwaltungsakten und staatlichen Verordnungen, war der Nachhalt der gemeinen Bevölkerung eine Sache des alltäglichen Verhaltens. Über mehrere Generationen tobte ein regelrechter Kleinkrieg über den Zugriff auf den Wald, der sich in zahllosen Verwaltungsakten über "Forstfrevel" dokumentierte. Am Ende gewann der Staat. Dass wir heute Brennholz im Supermarkt oder an der Tankstelle kaufen und nicht etwa aus dem nächsten Gebüsch holen, ist das Resultat eines säkularen Disziplinierungsprozesses. Der Mensch der Moderne hat keine stillen Reserven mehr. Er hat den Markt.

Holznöte

Zu den schärfsten Instrumenten des Begriffshistorikers gehört die Frage nach dem Gegenbegriff. Als solcher kristallisierte sich um 1800 die "Holznot" heraus. Damit verband sich die Vision einer katastrophalen Verknappung der Holzressourcen, die nur durch staatliche Politik und den Rückgriff auf die Einsichten der akademischen Forstwirtschaftslehre verhindert werden konnte. In zahllosen Dekreten wurde das Gespenst der Holznot beschworen, und eine Fülle von Aufklärungsschriften diskutierte effizientere Holzöfen und andere Sparvorschläge. In einer Gesellschaft, die vom Hausbau bis zum Brennmaterial noch umfassend von Waldressourcen abhängig war, präsentierte sich die Holznot als eine regelrechte Horrorvision.

Inwiefern dieses Szenario realistisch war, ist Gegenstand einer seit Jahrzehnten anhaltenden Forschungskontroverse. Klar ist wohl inzwischen, dass die Vorstellung einer generellen Knappheitssituation um 1800 schon aufgrund der regionalen Begrenzung der Holzmärkte unrealistisch war. Zudem ist deutlich geworden, dass der Holznotalarm spezifischen Interessen diente. Da war zunächst das Interesse der akademischen Forstwirtschaftslehre, die die Holznot zu ihrem Gründungsmythos erhob, zudem das fiskalische Interesse des Staates sowie das Interesse all jener, die vom Übergang vom tradierten Gemeinnutzen zum marktwirtschaftlichen Holzverkauf profitieren konnten. Klar ist zudem, dass die nachhaltige Forstwirtschaft ihr selbstgestecktes Ziel verfehlte. Es gelang nicht, den Holzbedarf Deutschlands aus eigener Kraft zu sichern, und das, obwohl die Steinkohle für Entlastung auf dem Wärmemarkt sorgte. Seit den 1860er Jahren ist Deutschland Nettoimporteur von Holz, vor allem aus Nord- und Osteuropa.

Mit der Holznot verband sich nicht zuletzt eine geografische Entgrenzung der Forstdebatte. Zu Zeiten von Carlowitz lag der Schwerpunkt in spezifischen Regionen, in denen es einen besonderen Holzbedarf gab: zur Förderung und Verhüttung von Metallerzen in Sachsen, im Siegerland und im Harz, für die Salinen von Bad Reichenhall und Lüneburg oder auch für Venedig, das Holz für seine Flotte und die Fundamente der Stadt brauchte. Um 1800 drohte die Holznot jedoch überall, und zwar notabene bevor mit dem Eisenbahnbau tatsächlich ein nationaler Markt für Waldressourcen entstand. Was bei Carlowitz noch eine regionale Sonderlösung war, avancierte nun zu einem allgemeinen Gebot rationalen Wirtschaftens.

Holznot und forstliche Nachhaltigkeit entstammten einer Zeit dramatischen Wandels. Es war die Zeit der Industriellen Revolution, der Französischen Revolution und der preußischen Reformen – kurz: eines Umbruchs aller politischen und gesellschaftlichen Parameter. Umso mehr verwundert, dass diese Instabilität in der forstlichen Nachhaltigkeit nur sehr beschränkt ihren Niederschlag fand. Während Forstwissenschaftler vom Schlage eines Georg Ludwig Hartig emsig Umtriebszeiten (die erwarteten Zeiträume von der Saat bis zur Rodung) auf Jahrhunderte hinaus planten, entstanden in Wirtschaft und Gesellschaft ständig neue Bedürfnisse und Märkte, während zugleich alte Nutzungsformen verschwanden. Die forstliche Nachhaltigkeit atmete noch den Geist des Kameralismus und war vom Wachstumsdenken der Moderne noch unbeleckt – was allerdings nicht verhinderte, dass die deutsche Forstwirtschaftslehre im 19. und 20. Jahrhundert zu einem akademischen Exportprodukt erster Güte wurde.

Auch die Holznot machte international Karriere und wurde zur gegenteiligen Ergänzung der forstlichen Nachhaltigkeit: keine Forstreform ohne Holznotalarm. Selbst in Ländern wie Finnland, denen es objektiv mehr an Ackerland denn an Wäldern mangelte, warnten Förster vor einer drohenden Entwaldung. So verband sich mit der Nachhaltigkeit ein binäres Denken. Es gab auf der einen Seite die nahende Katastrophe – und auf der anderen Seite die wissenschaftliche Expertise als Garant der Stabilität. Und wenn es unerwartete Ereignisse gab, die die ersehnte Stabilität gefährdeten, dann lag das eben daran, dass die Expertise noch nicht stark genug war.

Tatsächlich blieb das Versprechen der Stabilität illusionär. Die Geschichte der Forstwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert ist eine Geschichte des Krisenmanagements: Schadinsekten, Emissionen, Sturmschäden, Schneisen für Straßen und Stromleitungen, dazu der Kahlschlag in Kriegs- und Krisenzeiten – an forstlichen Problemen gab es in der Moderne fürwahr keinen Mangel. Das lag nicht nur an neuen Wünschen an den Wald, sondern auch daran, dass die nachhaltigen Forste anders aussahen als die tradierten Wälder. Es ging schließlich um nichts Geringeres als die systematische Neuerschaffung von Wäldern nach Effizienzgesichtspunkten. Zur Nachhaltigkeit gehörte auch der Anspruch, Natur am Reißbrett gestalten zu können.

Viele der neu gestalteten Wälder waren auf eine einzelne Baumart ausgerichtet, häufig unter Nutzung neuer Arten wie der Douglasie, und solche Monokulturen erwiesen sich als ökologisch besonders prekär. Das macht es leicht, die forstliche Nachhaltigkeit als Ausfluss wissenschaftlicher und staatlicher Hybris zu geißeln: als high modernism, wie es etwa der Politikwissenschaftler Jim Scott in seinem vielzitierten Buch "Seeing Like a State" getan hat. Das klingt allerdings nur plausibel, solange man nicht über Alternativen nachdenkt: Der Staat hätte seine Wälder ja auch einfach abholzen können. Mit der forstlichen Nachhaltigkeit übernahm der Staat Verantwortung auf Generationen hinaus, die im welthistorischen Vergleich durchaus ungewöhnlich war: Macht bewies sich zumeist eher durch den Zugriff auf Wälder als durch ihren Erhalt. Die forstliche Nachhaltigkeit war ein mutiges Versprechen, zu dem vielleicht nur ein Staat in der Lage war, dessen Autorität über Jahrhunderte hinweg gewachsen war. Dieses Versprechen wog umso schwerer, als es im Umweltbereich zunächst ziemlich isoliert dastand.

Umweltpolitik vor der Umweltpolitik

Der Wald war nicht der einzige Ort, an dem die Menschen die Ambivalenzen des modernen Ressourcenmanagements erfuhren. Längst widerlegt ist die langlebige Legende, frühere Generationen hätten jene Probleme, die wir heute als Umweltprobleme bezeichnen, mangels hinreichenden Bewusstseins nicht ernst genommen. Die einschlägigen Sorgen und Nöte der Menschen sind in den Archiven in großer Zahl dokumentiert. Nur sucht man in dieser Überlieferung zumeist vergeblich nach dem Wort "Nachhaltigkeit". Man brauchte einen solchen Begriff schlichtweg nicht.

Viel beklagt wurde zum Beispiel die Verschmutzung von Wasser und Luft durch Industriebetriebe. Das lief jedoch vor allem auf technische Lösungen wie Filter und höhere Schornsteine sowie schärfere Kontrollen hinaus. Auch für das Abwasser und andere Probleme der Großstadt brauchte man keinen Nachhaltigkeitsbegriff. Hier lag die Lösung in der Schaffung städtischer Körperschaften, die Kanalisationen bauten, Müll einsammelten und städtische Parks pflegten. "Munizipalsozialismus" hieß das im damaligen Sprachgebrauch, und die meisten Städter konnten sich mit dieser Art des Sozialismus bestens arrangieren.

Auch beim Schutz der Natur war lange Zeit nicht von "Nachhaltigkeit" die Rede. Im Mittelpunkt des Diskurses stand zunächst, welche Natur überhaupt des Schutzes bedurfte – ein Akt der kulturellen Konstruktion, der viel über gesellschaftliche Naturvorstellungen verriet. Zumeist lief das auf konservierendes Beschützen für alle Ewigkeit hinaus, und dass die Dynamik der Natur dieses Unterfangen auf längere Sicht unterlief, nahm man lange Zeit eher missmutig zur Kenntnis. Impulse aus Landschaftsgestaltung und Landespflege blieben weit hinter ihren Möglichkeiten. Der deutsche Natur- und Heimatschutz wollte lieber Bewahren als Gestalten.

Dabei gab es im internationalen Rahmen durchaus Alternativen. Als die USA um 1900 die nachhaltige Forstwirtschaft importierten, geschah dies im Rahmen einer breiten Conservation-Bewegung, die man in ihrem Streben nach effizienter Ressourcennutzung durchaus als Bewegung für Nachhaltigkeit avant la lettre bezeichnen kann. Dahinter stand die Abkehr vom unregulierten Wachstum der amerikanischen Großstädte und der Raubwirtschaft, die vor allem bei der Eroberung des amerikanischen Westens – vom Bison bis zum Goldrausch – katastrophale Folgen hervorgebracht hatte. Management unter staatlicher Ägide, angeleitet von wissenschaftlichen Experten, war die Devise der Conservation-Bewegung, und zwar nicht nur im Wald.

Was in den USA unter "Conservation" lief, versammelte sich in Deutschland unter ganz unterschiedlichen Leitvokabeln: "Hygiene", "lästige Anlagen", "Natur- und Heimatschutz", "Lebensreform". Zu den Gründen zählte paradoxerweise gerade die Stärke der deutschen Staatsverwaltung. Die Conservation-Bewegung war Teil einer umfassenden Reform des US-amerikanischen Staats, die im Zeichen des Gemeinwohls einen korrupten Klientelismus auszumerzen suchte (und ironischerweise langfristig einem neuen, expertokratischen Klientelismus Vorschub leistete). Eine vergleichbare Bewegung gab es in Deutschland nicht. Der deutsche Staat verhielt sich vielmehr so, als verkörpere er schon qua Definition die Wirklichkeit der sittlichen Idee. So stand es schließlich bei Hegel.

Auch als die einschlägigen Themen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Beachtung fanden, blieb "Nachhaltigkeit" in Deutschland zunächst ein Begriff der Förster. Andere Vokabeln standen im Mittelpunkt: "Umwelt", "Ökologie" und – nicht zu vergessen – "Partizipation". Auch wenn die deutsche Umweltbewegung von staatlicher Seite viel Unterstützung erfuhr, so kam der ursprüngliche Impuls doch aus einer Öffentlichkeit, die Umweltbelastungen mit vormals unbekannter Vehemenz kritisierte. Die neuen Bürgerinitiativen wollten vor allem Lösungen, und zwar möglichst rasch. Die auf lange Zeiträume schielende "Nachhaltigkeit" war eher eine Reaktion auf diese neue Stimmung, und diese Reaktion kam – man beachte die Kontinuität – mal wieder von oben.

Im Zeitalter der Nachhaltigkeit

Die Nachhaltigkeit kam spät, aber sie kam gewaltig. Als die Grünen 1983 in den Deutschen Bundestag einzogen, konnte man noch problemlos über Umweltfragen reden, ohne das Wort in den Mund zu nehmen. Im Register der edierten Fraktionsprotokolle der Grünen von 1983 bis 1987 kommt "Nachhaltigkeit" nicht vor. Ein Jahrzehnt später war "Nachhaltigkeit" ein terminologisches Passepartout, kanonisiert durch den legendären Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992. Was war passiert?

Die 1970er und 1980er Jahre waren eine Zeit des ökologischen Aufbruchs. Überall entstanden neue Institutionen und Gremien, Gesetze wurden geschaffen oder grundlegend überarbeitet, neue Verbände und Parteien etablierten sich. Über Ausmaß und Ursachen des Umbruchs werden Umwelthistoriker noch einige Zeit streiten, aber als ein zentrales Merkmal lässt sich schon jetzt die Verbindung vormals getrennter Problemstellungen zu "dem" Umweltproblem benennen. Für die Vernetzung der diversen Themen brauchte man jedoch zunächst nicht das Wort "Nachhaltigkeit". Man hielt sich vielmehr an "Ökologie" und die Farbe grün.

Der Aufstieg der Nachhaltigkeit verband sich aufs Engste mit internationalen Gremien und deren Berichten: der World Conservation Strategy der International Union for the Conservation of Nature, der von Willy Brandt geleiteten Nord-Süd-Kommission der Weltbank sowie vor allem der Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen, die 1987 in ihrem Bericht "Unsere gemeinsame Zukunft" eine vielzitierte Definition der nachhaltigen Entwicklung vorlegte. Nachhaltig war demnach "eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generationen entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen". In seiner Kulturgeschichte der Nachhaltigkeit spricht Ulrich Grober von einem Dornröschen-Moment: Ein lange schlummernder Begriff sei von Brundtland wachgeküsst worden. Solche Metaphern sind bekanntlich Geschmackssache, aber der rasche Aufstieg des Begriffs hatte schon etwas Märchenhaftes.

Hinter dem Erfolg der Brundtland-Kommission steckte gewiss das Glück der Chronologie. 1987 war genau das richtige Jahr für einen dramatischen Umweltappell. Im Jahr zuvor hatten der Super-GAU von Tschernobyl und der Chemieunfall von Sandoz die Gefahren der Großtechnik dokumentiert. Mit dem Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht schien sich ein neues Zeitalter einer globalen Umweltpolitik anzubahnen. Der anthropogene Klimawandel wurde erstmals zum Gegenstand breiter Debatten. Auch die Dissidenten im Ostblock interessierten sich für Umweltprobleme. Eine Hochzeit grüner Debatten begann, die dann 1992 im Rio-Gipfel kulminierte. Und doch ging es um mehr als nur die Ausnutzung einer zeitlich günstigen Gelegenheit.

Auch hier hilft die Frage nach dem Gegenbegriff weiter. Das terminologische Gegenstück zur "Nachhaltigkeit" war nichts weniger als der Untergang der menschlichen Zivilisation. "Das Überleben sichern", lautete der düstere Titel des Berichts der Brandt’schen Nord-Süd-Kommission. Es drohte das moderne Äquivalent zur Holznot um 1800, der totale Kollaps, global und unwiederbringlich, und in der Zeit des Kalten Kriegs, als jederzeit der "nukleare Holocaust" eintreten konnte, hatte das eine unmittelbare Plausibilität. Der amerikanische Umwelthistoriker Jacob Hamblin hat kürzlich darauf hingewiesen, dass sich die Rhetorik der Umweltkrise und der Horrorvisionen des Kalten Kriegs auffallend ähnelten.

Darin besteht zugleich das ambivalente Erbe einer so verstandenen Nachhaltigkeit. Eine Alternative von Überleben oder Untergang verführt zu einer Monomanie des Denkens, einem Panikmodus, bei dem jeder Schritt gerechtfertigt erscheint, solange er nur in die richtige Richtung geht. Die Menschen von heute wollen aber nicht nur ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch Partizipation, soziale Gerechtigkeit, kulturellen Respekt, Resilienz im Fall einer Krise. Wer dem Klimaschutz Vorrang vor allen anderen Interessen einräumen möchte, klingt verdächtig wie ein Förster, der alles Heil bei den Fichten sucht.

Die Brundtland-Kommission tagte zu einer Zeit, als ökologische Probleme häufig losgelöst von sozialen und ökonomischen Fragen diskutiert wurden. "Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch", schrieb der Soziologe Ulrich Beck in seiner "Risikogesellschaft", und die Grünen wollten anfangs "nicht rechts, nicht links, sondern vorn" sein. Inzwischen verblasst die Grenze zwischen ökologischen und anderen Herausforderungen, und bei Gruppen wie Attac ist sie längst aufgehoben. Im globalen Süden hat man das reine Grün der westlichen Umweltverbände ohnehin nie so recht verstanden.

Mittlerweile schauen wir auch skeptischer auf globale Proklamationen als in den 1980er Jahren. Die Neuauflage der Rio-Konferenz 2012 geriet zum Desaster, und das nicht nur, weil es sich um Gipfeldiplomatie ohne Substanz handelte. Es wird immer deutlicher, dass die Umweltszene ein Elitenproblem hat. Klimapolitik hat keine Chance, wenn sie als das Anliegen von wohlhabenden Menschen erscheint, deren größte Sorge im Aussterben der Eisbären besteht. Wenn sich derlei auch noch im Sprachduktus spiegelt, ist die Sache endgültig erledigt. Wer das Buch über den "Global Deal" des britischen Ökonomen Nicholas Stern gelesen hat, der weiß, was gemeint ist.

So haben wir in den vergangenen Jahrzehnten einen Lernprozess erlebt, der durchaus Parallelen zur Forstgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert hat. Nachhaltigkeit ist kein Zauberschlüssel, sondern eher ein grober Kompass, und nachhaltige Politik hat wie jede andere auch Risiken und Nebenwirkungen. Ein Denken in langen Zeiträumen verführt zur Unempfindlichkeit gegenüber dem Hier und Jetzt: Dass die Stromarmut just in einer Zeit entdeckt wurde, in der Politiker(innen) und Expert(inn)en im Zeichen der Energiewende mit Zielvorgaben für 2030 oder 2050 jonglierten, ist da nur der jüngste Beleg. Und haben die heutigen Nationalstaaten überhaupt noch die Kraft zu jener Globalsteuerung, die im Reden über Nachhaltigkeit immer wieder mitschwingt? Als Politikerin war Gro Harlem Brundtland Ministerpräsidentin des Ölstaats Norwegen. Heute ächzen die meisten Staaten bedenklich unter der Last der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen.

Sollte man deshalb Abschied nehmen von dem Begriff? Letztlich würde das wohl eher auf eine talmudische Lösung hinauslaufen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte spricht mehr für das hartnäckige Nachfragen: Was genau ist mit "Nachhaltigkeit" gemeint, welche materiellen und immateriellen Ressourcen erfordert die jeweils postulierte Politik, welche anderen Interessen sind davon tangiert, und wie geht man damit um? Wenn dann nur die altbekannten Worthülsen kommen, weiß man immerhin Bescheid.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Pressemitteilung des Stuttgarter Flughafens, 20.9.2012.

  2. Vgl. Bjarke Ingels, Yes Is More. Ein Archicomic zur Evolution der Architektur, Köln 2010.

  3. Gemeint ist der Vorschlag, ein Erdzeitalter nach dem Menschen zu benennen, da dieser zu einem geologischen Faktor geworden sei.

  4. Vgl. Johannes Burkhardt, Wirtschaft, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 511ff., S. 550–594, S. 591.

  5. Reinhart Koselleck, Vorwort, in: ebd., S. V–VIII, hier: S. VII.

  6. Vgl. ders., Einleitung, in: ders./O. Brunner/W. Conze (Anm. 4), Bd. 1, Stuttgart 1972, S. XIII–XXVII, hier: S. XV.

  7. Hans Carl von Carlowitz/Joachim Hamberger (Hrsg.), Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, München 2013, S. 26.

  8. Joachim Heinrich Campe (Hrsg.), Wörterbuch der Deutschen Sprache. Dritter Theil L. bis R., Braunschweig 1809, S. 403.

  9. Vgl. Winfried Schenk, Holznöte im 18. Jahrhundert? Ein Forschungsbericht zur "Holznotdebatte" der 1990er Jahre, in: Schweizer Zeitschrift für Forstwesen, 157 (2006), S. 377–383.

  10. Vgl. Christian Lotz, Expanding the Space for Future Resource Management. Explorations of the Timber Frontier in Northern Europe and the Rescaling of Sustainability during the 19th Century; in: Environment and History (i.E.).

  11. James C. Scott, Seeing Like a State. How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed, New Haven 1998.

  12. Vgl. Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einführung, Göttingen 1989, S. 122.

  13. Vgl. Willi Oberkrome, "Deutsche Heimat". Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn u.a. 2004.

  14. Vgl. Richard N.L. Andrews, Managing the Environment, Managing Ourselves. A History of American Environmental Policy, New Haven 20062.

  15. Vgl. Josef Boyer/Helge Heidemeyer (Bearb.), Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle 1983–1987, Zweiter Halbband, Düsseldorf 2008, S. 1132.

  16. Vgl. Frank Uekötter, The Greenest Nation? A New History of German Environmentalism, Cambridge, MA 2014, S. 106.

  17. Volker Hauff (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987, S. XV.

  18. Vgl. Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, München 2010, S. 263.

  19. Vgl. Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer, Bericht der Nord-Süd-Kommission, Köln 1980.

  20. Vgl. Jacob Darwin Hamblin, Arming Mother Nature. The Birth of Catastrophic Environmentalism, Oxford 2013, S. 8.

  21. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. 1986, S. 48; Silke Mende, "Nicht rechts, nicht links, sondern vorn". Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011.

  22. Vgl. Nicholas Stern/Martin Richter, Der Global Deal. Wie wir dem Klimawandel begegnen und ein neues Zeitalter von Wachstum und Wohlstand schaffen, München 2009.

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Dr. phil., geb. 1970; Historiker, Dozent für geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der University of Birmingham, School of History and Cultures, Birmingham B15 2 TT, Vereinigtes Königreich. E-Mail Link: f.uekoetter@bham.ac.uk