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Deutsche Verwicklungen in den transatlantischen Sklavenhandel

Heike Raphael-Hernandez

/ 15 Minuten zu lesen

Lange Zeit wurde der transatlantische Sklavenhandel in Deutschland als historisches Phänomen gesehen, mit dem ausschließlich andere Länder zu tun hatten. Tatsächlich gab es vielfache Verwicklungen – ökonomisch wie intellektuell.

Lange Zeit wurden der transatlantische Sklavenhandel und die damit verbundene Sklaverei in Deutschland als geschichtliche Phänomene gesehen, mit denen ausschließlich andere europäische Länder zu tun hatten. Während durchaus bekannt ist, dass Portugal, Spanien, England, Frankreich, die Niederlande oder Dänemark sowohl durch den Sklavenhandel selbst als auch durch den Besitz riesiger Überseeplantagen unmittelbar verwickelt waren, schien Deutschland keinerlei direkte Bezüge aufzuweisen. Dass inzwischen auch über eine deutsche Beteiligung an dieser Geschichte des Black Atlantic geforscht und publiziert wird, ist unter anderem einer an Bedeutung gewinnenden Bewegung zu verdanken, der daran gelegen ist, den historisch gewachsenen und in großen Teilen der deutschen Gesellschaft noch immer stark vorhandenen latenten Rassismus aufzudecken.

Die Annahme, dass Deutschland nicht in Sklaverei involviert gewesen sei, fußt zum einen auf dem Argument, dass es Deutschland zur maßgeblichen Zeit als Staat noch gar nicht gab (Reichsgründung 1871). Zum anderen trat tatsächlich nur eine kleine Gruppe deutschstämmiger Personen als Sklavenhändler oder Plantagenbesitzer in Erscheinung. Die Erforschung deutscher Beteiligung ist dennoch aus verschiedenen Gründen wichtig und richtig. Ein Punkt ist, dass deutsche Einzelpersonen, Handelsgesellschaften und ganze Produktionszweige von finanziellen Gewinnen aus Sklaverei profitierten und so – teilweise zwar nicht unmittelbar, aber im makroökonomischen Kontext – zum wirtschaftlichen Erstarken ganzer Landstriche in Deutschland beitrugen. Hierauf werde ich im ersten Teil eingehen.

Ein weiterer wichtiger Punkt – und das Thema des zweiten Teils – ist die intellektuelle Verstrickung, der heute eine weitaus größere Bedeutung zugemessen wird, als es früher der Fall war. Deutsche Autoren wurden zum Teil stark von Reisenden beeinflusst oder waren selbst Reisende, die als Abenteurer, Wissenschaftler, Missionare, Seeleute, Ärzte oder Geschäftsleute unterwegs waren. Ihre Berichte haben das Bild von Sklaverei und Afrikanern im Land der Dichter und Denker entscheidend mitgeprägt, was sich bis heute in bestimmten Geisteshaltungen widerspiegelt. Für die "Aufarbeitung" dieser Geschichte ist es daher notwendig zu untersuchen, inwiefern deutschstämmige Personen als intellektuelle Befürworter, aber auch als vehemente Gegner der Sklaverei auftraten.

Wirtschaftliche Verwicklungen

Für eine Darstellung der deutschen Verwicklungen in die Ökonomie des transatlantischen Sklavenhandels bietet es sich an, einige ausgewählte Akteursgruppen näher zu betrachten. Im Folgenden werde ich Handelskompanien, Kaufleute und Finanziers in den Blick nehmen, außerdem die Rolle einzelner Wirtschaftszweige.

Handelskompanien:


Für den transatlantischen Sklavenhandel wird auch der Begriff "Dreieckshandel" verwendet, da Waren wie Gold, Gewürze, Elfenbein, Zucker, Tabak, Baumwolle, Waffen, Alkohol und versklavte Menschen, die auch als Handelsware angesehen wurden, zwischen Europa, Afrika und Amerika transportiert wurden. Es bildeten sich große Handelskompanien, in England etwa die Royal African Company und in den Niederlanden die Ostindien- und Westindien-Kompanien.

Aus dem deutschsprachigen Raum beteiligten sich schon sehr früh die beiden größten Augsburger Handels- und Geldhäuser, die Welser und die Fugger, sowie das Haus Ehinger aus Konstanz. Während die Fugger Geldgeber für den portugiesischen Sklavenhandel in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden, waren die Welser sowohl am direkten transatlantischen Sklavenhandel als auch an Plantagen in Venezuela beteiligt. Im Februar 1528 schlossen sie mit dem spanischen Königshof einen Vertrag, der ihnen gestattete, innerhalb von vier Jahren 4000 "Negersklaven" in die spanischen Kolonien nach Südamerika zu liefern. In den folgenden Jahren bis 1536 wurden die Welser daher durch ihre Handels- und Expeditionsschiffe Teil des frühen Dreieckhandels; in dieser Zeit unternahmen sie 45 Sklaventransporte. Von etwa 1530 bis 1556 versuchten sie in Venezuela, selbst in der Plantagenwirtschaft tätig zu sein.

Es brauchte danach noch rund 150 Jahre, bis eine deutsche Handelskompanie gegründet wurde. Im März 1682 wurde auf Wunsch des "Großen Kurfürsten" Friedrich Wilhelm (1620–1688) die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (BAC) in Berlin gegründet. Zunächst sollte der preußische Adlige Otto Friedrich von der Groeben im Auftrag des Kurfürsten an der westafrikanischen Küste einen geeigneten Stützpunkt als Ausgangspunkt für den Sklavenhandel finden, was ihm auch gelang. Die Festung Groß Friedrichsburg, an der heutigen Küste Ghanas gelegen, diente der BAC von 1683 bis 1717 als Sklavenumschlagplatz. Für den zweiten Stützpunkt, der in der Karibik liegen musste, war es dem Kurfürsten 1685 möglich, auf der Insel St. Thomas, die unter dänischer Herrschaft stand, Land für eine Niederlassung anzumieten. Es gibt Schätzungen, dass um die 17000 Afrikaner durch die preußische Handelscompagnie als Sklaven in die Karibik verschleppt wurden.

Kaufleute:

Die Historikerin Margrit Schulte Beerbühl hat durch aufwändige Recherchen herausgefunden, dass es im London des 18. und 19. Jahrhunderts rund 500 deutschstämmige Kaufleute gab, von denen nicht wenige auf ganz unterschiedliche Weise in den transatlantischen Handel involviert waren. Nur einige waren direkte Sklavenhändler, die meisten waren eher in den Warenaustausch involviert. Schulte Beerbühl weist aber auch darauf hin, dass die Annahme, dass es über einzelne Kaufleute eine deutsche Beteiligung direkt aus den großen Handelsstädten Hamburg, Bremen und Köln gegeben haben könnte, durchaus plausibel ist.

Die wohl bekannteste deutsche Person, die im Zusammenhang mit Sklaverei ein Vermögen verdient hat, war Heinrich Karl von Schimmelmann. 1724 als Sohn eines Kaufmanns in Demmin (heute Mecklenburg-Vorpommern) geboren, kam er über berufliche Zwischenstationen nach Hamburg. Eine Zeit lang galt Schimmelmann als der reichste Mann Europas; diesen Reichtum hatte er sowohl durch den Sklavenhandel als auch den Besitz großer Zuckerrohrplantagen mit über 1000 Sklaven auf den dänischen Jungferninseln in der Karibik erworben. Seine Geschäftsmethoden zeigen, wie der atlantische Dreieckshandel für einen privaten Kaufmann funktionierte: Aus Manufakturen in Ahrensburg und Wandsbek transportierte er das Baumwollgewebe Kattun, Waffen und Alkohol nach Westafrika, wo er diese Waren gegen gefangene Afrikaner tauschte; diese wurden in seinen Schiffen in die Karibik und nach Nordamerika verbracht, wo sie als Sklaven verkauft wurden. Mit dem Profit kaufte er durch Sklavenarbeit erzeugte karibische Produkte wie Zuckerrohr, Baumwolle und Tabak, die er wiederum nach Hamburg verschiffte. Das Gedenken an Schimmelmann führte vor einigen Jahren zu einer erinnerungspolitischen Kontroverse in Hamburg: Nachdem die Hansestadt 2006 eine Büste zu Ehren Schimmelmanns aufgestellt hatte, musste diese nach Protesten verschiedenster Gruppen schon zwei Jahre später wieder entfernt werden.

Finanziers:

Die bereits erwähnten großen Handelshäuser der Fugger und Welser aus Augsburg waren nicht nur in den Handel selbst involviert, sondern traten im 16. Jahrhundert auch als Geldgeber in Erscheinung. Die großen Beteiligungen kamen allerdings erst ab dem späten 17. Jahrhundert. Sie liefen oftmals über die eher anonymen Aktiengesellschaften. Große Finanziers waren etwa die Brüder Baring aus Bremen, die an der Company of Merchants Trading to Africa beteiligt waren. Herzog Johann Friedrich von Württemberg und der Augsburger Unternehmer und Bankier Konrad von Rehlingen wiederum erwarben große Anteile an der niederländischen Westindien-Kompanie. Der aus Elberfeld stammende Textilhändler Johann Abraham Korten beteiligte sich an der South Sea Company.

Mehrere deutschstämmige Unternehmer wurden erst durch ihren Umzug nach London finanziell aktiv, wie der aus Hamburg stammende Peter Meyer oder die Hamburger Kaufmanns- und Senatorenfamilie Rücker. Die Hamburger Handelsfirma Schröder wurde in London zur erfolgreichen Bank Henry Schröder & Co. Andere Unternehmer, zum Beispiel die Bremer Dravemanns, der Hamburger Overmann und Friedrich Romberg aus Iserlohn, waren in Bordeaux, einem der wichtigsten französischen Häfen für den Dreieckshandel, als Finanziers und teilweise auch als Reeder in den Sklavenhandel eingebunden.

Wirtschaftszweige:


Forschungen des Historikers Klaus Weber zeigen, dass viele Wirtschaftszweige zwar nicht unmittelbar am Sklavenhandel oder an Überseeplantagen beteiligt waren, dass man aber trotzdem von einer indirekten deutschen Beteiligung reden kann, da bestimmte Waren für den Handel in Afrika oder für den täglichen Gebrauch der Plantagen benötigt wurden. Andere Produkte wurden als Rohstoffe geliefert und dort weiterverarbeitet. Diese makroökonomische Beteiligung ermöglichte eine proto-industrielle Entwicklung ganzer Regionen. Als Beispiele nennt Weber die Textilregionen in Westfalen, im Bergischen Land, in Sachsen, Schwaben und Schlesien. Aber auch Eisenwaren aus dem Bergischen Land, Kupfer aus dem Harz, Glaswaren aus Böhmen und Gewehre aus Thüringen gehörten zu diesem makroökonomischen Markt. Diese stabile Warenproduktion erlaubte es den unteren und mittleren Schichten, Kaufkraft für Kolonialwaren zu entwickeln. Produktion und Konsum, "vermittelt durch den Plantagenkomplex", hatten eine Breitenwirkung, die oft nicht als unmittelbar im Zusammenhang mit der Sklaverei in Amerika gesehen wird, aber in größeren globalen Zusammenhängen doch als solche erkannt werden sollten.

Reisende

Reisende wurden nicht zwangsläufig in die politischen Gegebenheiten der besuchten Gebiete verwickelt. Allein der Aufenthalt in Regionen, in denen transatlantische Sklaverei eine Rolle spielte, machte sie nicht zu Komplizen. Allerdings verdient die Gruppe der Reisenden doch besondere Erwähnung, da viele von ihnen in Tagebüchern und Berichten ausführlich über ihre Erlebnisse geschrieben und dabei oft sehr detailliert ihre Gedanken zur Institution Sklaverei mitgeteilt haben. Diese Überlegungen, aber genauso auch die fehlende Kritik bei manch einem, haben die Vorstellungen ihrer Leserschaft – die sich im 18. und 19. Jahrhundert in der Regel kein eigenes Bild vor Ort machen konnte – durchaus beeinflusst. Daher ist es möglich, auch hier von einer Verwicklung zu sprechen. Die hier vorgestellten Reisenden dienen als Beispiel für diese Verwicklungstheorie.

Forschungsreisende:


Alexander von Humboldt (1769–1859), der zu seiner Zeit wohl bekannteste Naturforscher, unternahm mehrere Forschungsreisen nach Latein- und Nordamerika. Durch seine Eindrücke sowohl in den USA als auch auf Kuba und den Jungferninseln wurde er zu einem entschiedenen Gegner der Sklaverei. Sein Satz über die besondere Grausamkeit der Sklaverei auf Kubas Plantagen erlangte schon zu seiner Zeit Berühmtheit: "Zweifelsohne ist die Sklaverei das größte aller Übel, welches jemals die Menschheit betroffen …" Seine Gedanken und Beobachtungen zu diesem Thema veröffentlichte er 1826 in der Schrift "Essai politique sur l’isle de Cuba". Diese wurde 1856 für den US-amerikanischen Markt ins Englische übersetzt; dabei ist vor allem interessant, dass der Übersetzer und Herausgeber J.S. Thrasher das 7. Kapitel, in dem Humboldt mit besonderer Schärfe die Institution der Sklaverei verurteilte, einfach wegließ.

Abenteurer und Schriftsteller:


Durch Reiseerzählungen und Belletristik kamen viele Menschen im 19. Jahrhundert in den Genuss, an fernen Reisen, die ihnen in der Realität nicht möglich waren, teilhaben zu können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Erzählungen auch Einstellungen gegenüber Afrikanern ganz erheblich beeinflusst haben. Balduin Möllhausen (1825–1905), Friedrich Gerstäcker (1816–1872) und Mathilde Anneke (1817–1884) seien hierfür als Beispiele genannt.

Möllhausen und Gerstäcker gehörten im 19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Autoren des sogenannten deutschen ethnologischen Abenteuerromans. Ihre Eindrücke über die USA sammelten sie auf ausgedehnten Reisen, die sie nicht nur in Romanen, sondern auch in populären Berichten für eine breite Leserschaft verarbeiteten. Anneke dagegen war keine Reisende im engeren Sinn – sie emigrierte 1849 in die USA. Schon zu ihren Lebzeiten war sie bekannt als Frauenrechtlerin und engagierte Gegnerin der Sklaverei, die mit journalistischen Texten, Romanen und Kurzgeschichten gegen die Ausbeutung Stellung bezog. Ihre Texte wurden sowohl von deutschen Immigranten in den USA als auch in Europa viel gelesen. Annekes literarisches Wirken ist in seiner Bedeutung für den Kampf gegen die Sklaverei unbedingt gebührend zu würdigen, da sie durch ihre Schilderungen tatsächlich zu einer abolitionistischen Geisteshaltung beitrug.

Gleichzeitig ist es wichtig, zwischen dem Engagement gegen die Institution Sklaverei und einer respektvollen Haltung gegenüber den versklavten Menschen zu unterscheiden. Viele Texte dieser Zeit spiegeln die vorherrschende color hierarchy wider, die die Schwarzen intellektuell und sittlich auf eine niedrigere Stufe als die Weißen stellte. In seinem "Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee" (1858) berichtet Möllhausen zum Beispiel von einer Fahrt auf einem Mississippi-Dampfer und sinniert dabei über die Schönheit der Landschaft und die ökonomischen Möglichkeiten, die diese einem Geschäftsmann biete. Dabei erwähnt er das bereits etablierte Sklavereigeschäft in Mississippi mit keiner Silbe, obwohl ihm die Existenz dieser Institution sehr wohl bewusst ist. Denn versklavte Menschen kommen bei ihm vor – allerdings nur im Zusammenhang mit (zum Beispiel) einem guten Dinner auf dem Dampfer, zu dem ein "Neger" mit "grinsender Freude" musiziert. Anneke wiederum, die so kraftvoll gegen Sklaverei anschrieb, benutzte ihre Texte auch, um immer wieder die Deutschen als heldenhafte Kämpfer und Beschützer der vermeintlich hilflosen, passiven und intellektuell nicht gerade auf der Höhe befindlichen Schwarzen darzustellen.

Missionare:


Missionare unterschiedlichster Denominationen waren zum einen schon sehr früh in eine ideologische Verfestigung der Sklaverei durch bestimmte theologische Grundsätze verwickelt. Zum anderen waren sie aber auch mit unter den ersten, die vehement gegen die grausamen Zustände auf den Plantagen und sogar gegen das System an sich protestierten und diesen Protest in ihren Missionsberichten, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen formulierten. Für den deutschen Raum sind die Herrnhuter, im Englischen auch als Moravians bekannt, die wichtigste Gruppe, die zum einen zur theologischen Rechtfertigung der Sklaverei, zum anderen aber durch massive Kritik auch zu abolitionistischen Bemühungen beigetragen hat.

1728 kamen die ersten beiden Herrnhuter Missionare auf die Karibikinsel St. Thomas und waren von Anfang an als Störenfriede bekannt, da sie durch ihre radikale Umsetzung des neutestamentlichen Gebots der Gleichheit aller Brüder und Schwestern eine echte Provokation für die weißen Plantagenbesitzer und Aufseher darstellten. Sie besuchten die Sklaven in ihren Hütten, teilten mit diesen ihr Essen, hielten gemeinsame Gottesdienste ab, und lehrten sie Lesen und Schreiben. Gerade der Gedanke der Alphabetisierung war brisant genug, da sowohl die Sklaven als auch die weiße Pflanzergesellschaft um die Macht der Lese- und Schreibfähigkeit wussten. So sind Fälle bekannt, dass Sklaven sich selbst Pässe schrieben, um dann mit diesen auf andere Inseln überzusetzen und sich dort als Freie anzusiedeln. Dieser aktiv gelebte Widerstand wurde von den geistlichen Oberhäuptern allerdings nicht gerne gesehen. So schrieb Bischof Spangenberg 1745 in einem Brief an einen der Missionare auf St. Thomas:

"Br. Michler gedenket unter andren Dingen der Klagen der Neger über die Härte ihrer Herrn. Dabei ist grosse Behutsamkeit nöthig, u. Paulus sagt zur Antwort: ihr Knechte seyd gehorsam eurem Herrn, nicht allein den gütigen (…), sondern auch den wunderlichen."

Hier kommt zum Ausdruck, was die geforderte und letztlich später oft angewandte Praxis wurde: Man wusste zwar um das Leid der Sklaven, aber um die Mission nicht zu gefährden, wollte man sich auf keinen Fall einmischen oder an Protesten beteiligen. Bei vielen späteren Missionaren kam noch ein stark ausgeprägter Rassismus dazu, und nicht wenige teilten ihr Brot nicht mehr mit den Sklaven in deren Hütten, sondern aßen am Tisch der Plantagenbesitzer.

Koloniale Wegbereiter:


Eine Kategorie von "Reisenden" ist unbedingt zu erwähnen, obwohl ihre Repräsentanten selbst nie in die amerikanischen Sklaverei-Gebiete gereist sind. Aber durch ihre Gedanken zur dortigen Sklaverei haben sie entscheidend auf die später folgenden Kolonialbemühungen des deutschen Kaiserreichs eingewirkt. Stellvertretend für diese Gruppe steht hier Carl Peters (1856–1918), ein deutscher Politiker, Publizist und selbsternannter Afrikaforscher. Zwar fiel er später beim deutschen Kaiser in Ungnade, aber dennoch gilt er als einer der wichtigsten ideologischen und politischen Wegbereiter für die Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika.

Auf seinen Erkundungsreisen durch Afrika wollte Peters Gebiete ausfindig machen, die sich dem deutschen Reich als potenzielle koloniale Möglichkeiten anbieten würden. Der Auszug aus einem seiner Reiseberichte zeigt hier zunächst eine Geisteshaltung, die in Deutschland weitverbreitet war: Sklaverei sei unsittlich, und deutsche Ethik würde sich auf so ein schlechtes System nicht einlassen; das moralisch und ethisch bessere Deutschland würde ein Lohnsystem für seine Arbeiter anbieten. Für dieses vermeintlich bessere System der Lohnarbeit schlägt Peters vor, zunächst einen relativ hohen Lohn zu zahlen, und gleichzeitig auf den Märkten Waren aus Deutschland anzubieten, die materielle Bedürfnisse bei den afrikanischen Lohnarbeitern wecken würden, die sie sich mit den hohen Löhnen zunächst ohne Probleme leisten könnten. Wenn diese Wünsche gefestigt wären, könnten die Löhne gesenkt werden, weil die Arbeiter trotz niedriger Löhne trotzdem arbeiten würden, um ihre materiellen Bedürfnisse weiterhin befriedigen zu können.

Inwieweit es zweifelhaft ist, dass dieses System ethisch und moralisch dem System der Sklaverei überlegen war, und wie sehr hier eine rassistische Grundhaltung zum Ausdruck kommt, wird wohl aus dem folgenden Auszug aus Peters’ Bericht deutlich:

"Das Geheimnis für die Lösung der Arbeiterfrage im Sinne des Kontraktverhältnisses liegt im Anwachsen der Bedürfnisse der schwarzen Bevölkerung (…). Die Begehrlichkeit der Schwarzen richtet sich vornehmlich auf Toilette = Gegenstände und Geräthschaften verschiedener Art (…). Da der Schwarze ohne Baarzahlung auf diesem Markt nichts erhält, so bequemt er sich eben dazu, in ein Lohnverhältnis zur Gesellschaft zu treten. (…) Wenn wir die Arbeitskräfte zu so billigen Preisen erhalten können, so läßt sich bei der allgemeinen Fruchtbarkeit des Gebiets berechnen, daß dasselbe auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist."

Ehemalige Sklaven als "Reisende" in deutsche Gebiete:


Es war eine weitverbreitete und beliebte Gewohnheit der adligen Höfe im gesamten Europa des 18. Jahrhunderts, sich mit "Kammermohren" zu schmücken, da dieser "Besitz" zum Prestige eines Hofes beitrug. Oft wurden diese Menschen von Kaufleuten von deren Reisen in die amerikanischen Gebiete als ein "Geschenk" zurückgebracht. In vielen Fällen waren es sehr junge Kinder, die die Kaufleute auf den Sklavenmärkten als Ware kauften. In den deutschen Gebieten war Sklaverei keine legale Institution, allerdings war die Leibeigenschaft als legale Form menschlicher Unfreiheit noch etabliert. Daher wurde die Praxis des Verschenkens dieser Menschen ethisch nicht angezweifelt.

Der Essener "Kammermohr" Ignatius Fortuna steht hier stellvertretend für diese menschlichen Geschenke. 1735 brachte der Kaufmann Franz Adam Schiffer den Jungen, der fünf bis sieben Jahre alt zu sein schien, von einer seiner Reisen nach Südamerika mit und schenkte ihn der Fürstäbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, der Vorsteherin des Reichsstifts Essen. Wie nicht wenige dieser "Kammermohren" wuchs auch Fortuna in eine Position hinein, die ihm als Erwachsenem materielle Privilegien zugestand, die viele der zur Dienerschaft gehörenden Personen nicht hatten. Allerdings wissen wir aus den Schriften unterschiedlicher Personen, dass diese Privilegien die Erfahrung des exotischen "Andersseins", unter dem diese Menschen ein Leben lang zu leiden hatten, nicht aufwiegen konnten.

Eine ganz besondere Gruppe ehemaliger Sklaven als "Reisende" gab es durch die schon erwähnte Herrnhuter Mission in der Karibik. Die Herrnhuter Beispiele lassen erkennen, dass die Menschen mit afrikanischer Herkunft oft willkürlich irgendwelchen Wünschen Weißer ausgesetzt waren, was für ihre Lebensplanung bedeutete, dass sie auf keine verlässlichen legalen und ethischen Regelwerke bauen konnten. Da die Glaubensgemeinschaft der Herrnhuter die Weltmission als ihre oberste Priorität und Daseinsberechtigung sah, war es ihrem Oberhaupt Graf Zinzendorf wichtig, den Daheimgebliebenen in Herrnhut "erste Früchte" dieser Missionsbemühungen zu präsentieren. Von seiner Reise in die Karibik brachte er mehrere ehemalige Sklaven mit, die nun Herrnhuter Geschwister waren. Tatsächlich brachten es viele der ehemaligen Sklaven in höchste Ämter. Aber genau die Menschen, die innerhalb der Gemeinschaft gleichen Respekt für alle predigten, lebten in der säkularen Alltagswelt eine Geisteshaltung aus, die ihren Schwarzen Brüdern und Schwestern gerade nicht diesen Respekt und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zugestand.

So passierte es, dass ein Samuel Johannes, der als Sechsjähriger in Ceylon gekauft und an Dorothea von Zinzendorf gegeben worden war, sich als erwachsener Mann im März 1754 heimlich davonschlich. Zinzendorf ließ ihn suchen, damit er ihr zurückgebracht würde, und begründete diese Entscheidung mit einem Schreiben an einen lokalen Richter folgendermaßen:

"Ich habe sothan wilden Sklaven nun in seinem 8ten oder 9ten Jahrem ordentlich angenommen, ihn in der christlichen Religion behörig erziehen und unterweisen, auch neben herrschaftlicher Bedienung das Schneider Handwerk erlernen lassen, in gleichem ihn zur heili. Tauffe befördert und überhaupt alles dasjenige 13 Jahre hindurch sowohl allhier als anderwärts an ihm gethan und erweisen lassen, was man nur irgend von Herrschaften, Eltern und Vormündern bey einem Leibeigenen und Pflegebefohlenem erwarten kann. (…) Aus diesem angeführten wenigen ergiebet sich von selbsten, dass ich nebst Gott ohnstreitig das alleinige Recht zu dem Besitz und Gebrauch dieses Menschen habe (…)."

Nicht zuletzt dieses Beispiel zeigt die Herrnhuter als eine geschichtlich außergewöhnliche Gruppe, deren Mitglieder bereits im 18. Jahrhundert die verbreiteten Einstellungen gegenüber Schwarzen Menschen positiv wie negativ beeinflusst haben.

Fazit

Die Begriffe "Erinnerungskultur" und "Erinnerungsort" sind in den vergangenen Jahren in Deutschland zu wichtigen Bestandteilen der Geschichtsaufarbeitung verschiedenster deutscher Beteiligungen an historischen Ereignissen und Prozessen geworden. Hinsichtlich dieser Aufarbeitung zeigen die in diesem Artikel vorgestellten Beispiele der wichtigsten wirtschaftlichen Akteure und Reisenden, dass es notwendig geworden ist, auch aufzuzeigen, dass deutsche Territorien, Wirtschaftszweige und einzelne Personen direkt oder indirekt an der transatlantischen Sklaverei beteiligt waren. Die erwähnte Kontroverse über das Gedenken an Heinrich Karl von Schimmelmann ist dabei nur eines von vielen Beispielen dafür, wie revisionsbedürftig viele "Erinnerungsorte" unseres nationalen kollektiven Gedächtnisses noch sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Margrit Schulte Beerbühl, Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1660–1818), München 2007.

  2. Vgl. Klaus Weber, Deutschland, der atlantische Sklavenhandel und die Plantagenwirtschaft der Neuen Welt, in: Journal of Modern European History, 7 (2009) 1, S. 37–67.

  3. Vgl. ders., "Krauts" und "true born Osnabrughs": Ländliche Leinenweberei, früher Welthandel und Kaufmannsmigration im atlantischen Raum vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, in: IMIS-Beiträge, 29 (2006), S. 37–69.

  4. K. Weber (Anm. 2), S. 54.

  5. Balduin Möllhausen, Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee, Leipzig 1858, S. 1.

  6. Vgl. Hilary McD. Beckles, Persistent Rebels: Women and Anti-Slavery Activity, in: Verene A. Shepherd/ders. (Hrsg.), Caribbean Slavery in the Atlantic World, Kingston 2000, S. 1001–1016, hier: S. 1011.

  7. Universitätsarchiv Bethlehem, PA: MissWI 129.22.

  8. Carl Peters, Die deutsch-ostafrikanische Kolonie in ihrer Entstehungsgeschichte und wirtschaftlichen Eigenart, Berlin 1889, S. 39f.

  9. Vgl. Paul Peucker, Aus allen Nationen: Nichteuropäer in den deutschen Brüdergemeinen des 18. Jahrhunderts, in: Unitas Fratrum, (2007) 59–60, S. 1–35.

  10. Unitäts-Archiv Herrnhut: UA R. 6. A.a. No. 74.4.

Lizenz

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Dr. phil.; Professorin für American Cultural Studies an der Universität Würzburg, Neuphilologisches Institut, Am Hubland, 97074 Würzburg E-Mail Link: heike.raphael-hernandez@uni-wuerzburg.de