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Neid oder soziale Gerechtigkeit? Die gesellschaftliche Umkämpftheit der Erbschaftssteuer | Steuerpolitik | bpb.de

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Neid oder soziale Gerechtigkeit? Die gesellschaftliche Umkämpftheit der Erbschaftssteuer

Jens Beckert

/ 17 Minuten zu lesen

Jedes Jahr wird in Deutschland Vermögen im Wert von über 200 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Da bei einer Erbschaft Vermögen übertragen wird, folgt die Erbschaftsverteilung der Vermögensverteilung: Die untere Hälfte der deutschen Haushalte verfügt nach Abzug der Schulden über quasi kein Vermögen und vererbt daher auch nicht. 75 Prozent aller Erbschaften liegen bei unter Hunderttausend Euro. Über 60 Prozent des Vermögens konzentrieren sich bei den reichsten zehn Prozent der Haushalte. Das obere eine Prozent verfügt über 32 Prozent des insgesamt in der Gesellschaft vorhandenen Privatvermögens. Wirklich bedeutende Erbschaften werden ausschließlich von einer kleinen Vermögenselite angetreten. Nur eine von etwa 70 Erbschaften umfasst ein Vermögen von einer halben Million Euro oder mehr, zugleich erhalten diese 1,5 Prozent der Erben ein Drittel des insgesamt vererbten Vermögens. Simulationsrechnungen zeigen, dass im Jahr lediglich 1200 Erbschaften eine Erbsumme von fünf Millionen Euro überschreiten. Diese 0,08 Prozent aller Erben stehen jedoch für 14 Prozent des insgesamt geerbten Vermögens.

Besteuert wird dieser Vermögenszugewinn der Erben fast nicht. Die jährlichen Einnahmen aus der Erbschaftssteuer betragen um die fünf Milliarden Euro. Im Durchschnitt werden Erbschaften also mit rund 2,5 Prozent besteuert. Aufgrund der hohen Freibeträge ist kaum ein Erbe erbschaftssteuerpflichtig. Vermögen bis zwei Millionen Euro kann in einer gewöhnlichen Familiensituation erbschaftssteuerfrei vererbt werden. Doch auch die privilegiertesten Erben zahlen kaum Erbschaftssteuern. Denn die größten Vermögen bestehen überwiegend aus Unternehmensvermögen, das von der Erbschaftssteuer quasi befreit ist. So wurden im Zeitraum zwischen 2011 und 2014 Erwerbe ab 20 Millionen Euro im Durchschnitt zu 93 Prozent von der Erbschaftssteuer befreit.

Heißes Eisen

In einer Gesellschaft, die sich am Leistungsprinzip orientiert, bereitet dies eigentlich den Stoff für ein heißes Wahlkampfthema, so könnte man meinen: Eine effektive Erbschaftsbesteuerung findet gegenwärtig in Deutschland nicht statt, und die soziale Ungleichheit der Vermögensverteilung wird von Generation zu Generation fortgetragen. Doch spielt die Erbschaftssteuer im Bundestagswahlkampf 2017 kaum eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil von Ende 2014 die Regierung zu Reformen bei der Erbschaftsbesteuerung von Unternehmensvermögen gezwungen hat und die Große Koalition sich erst nach zähen Verhandlungen im Herbst 2016 auf einen Kompromiss einigen konnte, ist man offenbar erleichtert, das Thema vom Tisch zu haben. Das entspricht einem Muster: Sämtliche Erbschaftssteuerreformen der vergangenen Jahrzehnte waren Reaktionen auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts, mit denen der Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert wurde.

Die Erbschaftssteuer scheint politisch ein heißes Eisen zu sein, das niemand anfassen möchte. Und obwohl in Anbetracht der Verteilung der Erbschaften in der Gesellschaft kaum Wählerinnen und Wähler je von einer höheren Erbschaftssteuer betroffen wären, scheinen die Parteien in der Tat gut beraten zu sein, nicht mit entsprechenden Forderungen Wahlkampf zu machen: Meinungsumfragen zeigen regelmäßig, dass die Erbschaftssteuer eine besonders unbeliebte Steuer ist. Eine repräsentative Befragung kam 2013 zu dem Ergebnis, dass zwar eine Mehrheit der Bevölkerung einer Erhöhung der Einkommens- und der Erhebung der Vermögenssteuer zustimmen würde. Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer lehnten jedoch zwei Drittel der Befragten ab. Dieser Befund bestätigt sich immer wieder, nicht nur in Deutschland.

Hinzu kommt, dass die Erbschaftssteuer nicht nur einfach abgelehnt wird, sondern in außergewöhnlichem Maß Emotionen hervorruft. Sofort ist von "Neidsteuern", von der Schädigung des wirtschaftlichen Standorts durch drohende Kapitalabwanderung, von der Gefährdung des Mittelstands und von Doppelbesteuerung die Rede. Aber auch seitens der Befürworter der Steuer findet eine bemerkenswerte normative Aufladung der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Erbschaftsbesteuerung statt: Höhere Erbschaftssteuern werden mit Verweis auf soziale Gerechtigkeit, drohende Vermögenskonzentration, ungerechtfertigte Privilegierung der Erben oder dem Ziel der Chancengleichheit eingefordert. Einmal in der öffentlichen Diskussion, sorgt die Steuer für heftige Reaktionen, die zeigen, dass der Eingriff des Staates in die Vermögensübertragung zwischen den Generationen hochgradig umstritten ist und sich hier unversöhnliche Positionen gegenüberstehen.

Aber worin genau bestehen diese Kontroversen? Warum ist die Erbschaftssteuer so umstritten, dass sie aus dem politischen Diskurs herausgehalten wird? Wieso findet eine Steuer, von der nur eine verschwindend kleine Zahl an ohnehin privilegierten Personen betroffen ist, so wenig Rückhalt bei der breiten Masse der Wählerschaft? Eindeutige und einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Vielmehr müssen ganz unterschiedliche Facetten einbezogen werden.

Leidenschaften Zwischen Fakten, Interessen und Imaginationen

Ein erster Aspekt ist das Wissen der Wählerinnen und Wähler. Wissen sie überhaupt, dass sie von der Erbschaftssteuer selbst im Falle ihrer Erhöhung gar nicht persönlich betroffen wären? Für Deutschland gibt es hierzu keine Erhebungen. Der Politikwissenschaftler Larry Bartels hat solche Befragungen vor einigen Jahren für die Vereinigten Staaten durchgeführt und kam dabei zu dem erstaunlichen Ergebnis, wie unwissend die Amerikanerinnen und Amerikaner im Hinblick auf die 2001 vom US-Kongress verabschiedeten Steuerreformen waren. Auch in den USA spiegeln Meinungsumfragen die überwiegend ablehnende Haltung gegenüber der dort erhobenen Nachlasssteuer (Federal Estate Tax) wider. Gleichzeitig wusste die Mehrheit der Befragten nicht, dass sie angesichts ihrer eigenen Vermögensverhältnisse die Steuer nie würden zahlen müssen. Dass die Erbschaftssteuer keine breitere Unterstützung erfährt, hat auch in Deutschland, so lässt sich vermuten, mit fehlendem Wissen über einfache Fakten zu der Steuer zu tun.

Ein zweiter Aspekt berührt die Machtverteilung in der Gesellschaft. Stellt man sich vor, Erbschaften würden tatsächlich substanziell – etwa in der Höhe von Einkommen – besteuert, dann wären zwar die meisten Erben aufgrund der hohen Freibeträge nicht betroffen, doch für die kleine Gruppe der Superreichen wäre die Steuer ein herber Einschnitt in ihr Vermögen. Es ist also nicht verwunderlich, dass diese Personengruppe die Erbschaftssteuer zahnlos machen will. Auch dies ist systematisch nur für die USA untersucht worden. Der Unternehmer Bill Gates und der Ökonom Chuck Collins haben in einer Studie den Lobbyaufwand der Superreichen aufgezeigt, mit dem die Nachlasssteuer seit den 1970er Jahren torpediert wurde. Dazu zählen öffentlichkeitswirksame Kampagnen, in denen die Nachlasssteuer als "death-tax" diffamiert und immer wieder davor gewarnt wurde, dass die Steuer Familienbetriebe ruiniere. Dafür konnten zwar keine empirischen Belege angeführt werden, doch verfingen die Argumente im öffentlichen Diskurs und unterminierten die Legitimität der Steuer. Auch in Deutschland sind in den Auseinandersetzungen um die Erbschaftssteuer, insbesondere bei der strittigen Frage der Besteuerung von Unternehmensvermögen, die Lobbyverbände der Familienunternehmen in der Politik und in der Öffentlichkeit aktiv. Der 2016 gefundene Kompromiss, der Unternehmensvermögen weiterhin weitgehend von der Erbschaftssteuer befreit, folgte im Wesentlichen den Forderungen der Familienunternehmen. Die erfolgreiche Interessenpolitik der potenziell von der Steuer Betroffenen ist somit ein weiterer Aspekt der Erklärung des fast völligen Verzichts auf die Besteuerung von Erbschaften und dem geringen Interesse der Politik an entsprechenden Maßnahmen.

Doch sind Unwissenheit und Lobbyismus allenfalls teilweise Erklärungen. Hinzu kommt, dass es eine tief sitzende Abwehr gegen die Besteuerung von Erbschaften in Teilen der Bevölkerung zu geben scheint, die eher etwas mit Imaginationen als mit Fakten zu tun hat. Erbschaften werden auch in Familien der Mittelschicht als imaginäres Verbindungsglied zwischen den Generationen und Vehikel der sozialen Mobilität wahrgenommen. Bei der Vermögensvererbung handelt es sich nicht um die Übertragung irgendwelchen Eigentums. In Erbschaften symbolisieren sich vielmehr biografische Erwartungen: Die Erben sehen den Vermögenstransfer nicht einfach als Einkommen, sondern als Ausdruck familiärer Kontinuität. Der Erblasser assoziiert mit der Vermögensübertragung ein symbolisches Fortleben in der Kette folgender Generationen. Das Eigentum wird gewissermaßen durch den Tod "infiziert" und der Sphäre des Profanen entrissen. Bei Erbschaften geht es um Dinge, die "von anderen unterschieden und auf besondere Weise behandelt werden". Der staatliche Eingriff in den Vermögenstransfer mortis causa trifft ein Vermögen, das in hohem Maße konstitutiv für die familiäre Identität der Erblasser und der Erben ist. Dies begründet eine emotional beladene Situation, die zu jenen Leidenschaften beiträgt, die sich in Erbschaftssteuerdiskussionen äußern.

Doch auch gesellschaftliche Entwicklungen tragen offenbar zu der Anklammerung an das Erbe bei. Die starke Ablehnung der Besteuerung von Erbschaften galt historisch durchaus nicht immer. Zu den Hochzeiten der sozialen Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts und bis in die 1970er Jahre erfuhren Erbschaftssteuern eine breite gesellschaftliche Unterstützung als Instrument der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit. Dies ist zugleich die Phase politischer Entwicklung, in der Individuen vor den Gefährdungen durch Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Unfällen durch ein sozialstaatliches System gesellschaftlicher Solidarität geschützt wurden. Schon im frühen 20. Jahrhundert argumentierten Politiker, eine Erbschaftssteuer sei gerechtfertigt, weil das Erbe aufgrund des abnehmenden Gewichts der Familie und des Bedeutungszuwachses des Staates an Wichtigkeit für die Familie verliere, zugleich der Staat jedoch mehr Ressourcen für die Bewältigung der ihm übertragenen Aufgaben brauche.

Heute wird die Situation anders wahrgenommen. Die Ausweitung von Marktprinzipien während der vergangenen 30 Jahre, mit der die Einzelnen viel stärker aufgefordert sind, grundlegende Lebensrisiken zumindest teilweise selbst zu tragen, hat zu einem Prozess der sozialen Schließung beigetragen, in dem familiäre Solidarität gewissermaßen als Substitut für den zurückgehenden staatlichen Schutz wieder einen viel höheren Stellenwert erlangt. Zumindest in der Imagination wird das eigene Vermögen und dessen mögliche Übertragung an die Kinder (sei es als Schenkung oder als Erbschaft) als Versicherung innerhalb der Familie gegen Lebensrisiken betrachtet, für deren Bewältigung man sich nicht mehr auf die gesellschaftliche Solidarität verlassen zu können meint. Die Erbschaftssteuer wird dann als Bedrohung des verbliebenen und als essenziell betrachteten Schutzes durch die Familie vor sozialer Instabilität wahrgenommen – selbst wenn dies angesichts der tatsächlichen Vermögensverhältnisse für die meisten Menschen weitgehend eine Fiktion ist.

Widersprüchliche Argumentationsmuster

Ein weiteres Moment tritt hinzu. Wie keine andere Steuer berührt die Erbschaftssteuer in der Wahrnehmung Vieler ganz grundsätzliche Funktionen der Gesellschaft. Die Besteuerung von Erbschaften wird vor dem Hintergrund ihrer Folgen für die familiäre Solidarität, den wirtschaftlichen Wohlstand und das demokratische Gemeinwesen sowie unter direktem Bezug auf Werte der Freiheit, sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit diskutiert. Zu dieser wahrgenommenen Vielschichtigkeit des Erbes und seiner Besteuerung hinzu kommt die Widersprüchlichkeit jeglicher institutionellen Regelung der Erbschaftssteuer im Hinblick auf die hervorgehobenen funktionalen Folgen und die angeführten grundsätzlichen Werte. Mit Verweis auf die gleichen Ziele und Werte lassen sich ganz unterschiedliche Regelungen der Erbschaftsbesteuerung verfechten. Diese Gemengelage schließt Konsens aus und trägt folgenschwer zu den grundsätzlichen Konflikten um die Steuer bei.

Familie

Diese Grundsätzlichkeit bei gleichzeitiger Widersprüchlichkeit beginnt bereits bei den angeführten Folgen für die Familie. Erbschaften und Schenkungen leisten einen wichtigen Beitrag zur familiären Solidarität und stärken insoweit Familienstrukturen. Dies gilt nicht nur im Imaginären, sondern zeigt sich auch ganz konkret, wenn Transfers zwischen den Generationen als Gabe eingesetzt und durch Gegengaben, insbesondere emotionale Zuwendung, ausgeglichen werden. Dies geschieht vornehmlich durch Schenkungen und lässt sich in Familien sehr konkret beobachten: Die Zuwendungen der Großeltern an die Enkel, die diese durch Kontaktbewahrung erwidern, oder auch die erbrachten Pflegeleistungen für die Eltern, die unausgesprochen mit der Erwartung der Erbschaft verbunden sein können. Mit den Transfers und den Transfererwartungen werden solidarische Unterstützungsleistungen in der Familie gestärkt und damit der Familienzusammenhang selbst.

Höhere Erbschaftssteuern würden die "Kosten" für intrafamiliäre Transfers erhöhen, was potenzielle Erblasser dazu veranlassen könnte, ihr Vermögen stärker für Konsumzwecke zu verwenden oder aber erbschaftssteuerfrei an gemeinnützige Stiftungen zu übertragen. Soweit solche Effekte eintreten würden, wäre die Besteuerung von Erbschaften für die familiäre Solidarität dysfunktional.

Wenngleich dies letztlich eine empirische Frage ist, ist hier jedoch zumindest Vorsicht angebracht. Denn gegen das "Verprassen" bestehenden Vermögens am Lebensende und die Vererbung außerhalb der Familie bestehen enge normative Schranken. Auch bedeutet eine höhere Besteuerung großer Erbschaften nicht deren Konfiskation. Trotz der höheren Steuerabgaben könnten insbesondere die Besitzer großer Vermögen, die von der Steuer betroffen wären, weiterhin familiäre Unterstützung gewährleisten.

Außerdem sind die positiven Auswirkungen der Vermögensvererbung auf die Familie gar nicht so eindeutig. Denn Erbschaften befördern nicht nur Solidarität, sondern sind auch Anlass für die größten Konflikte innerhalb von Familien. Wie jeder mit der Materie beschäftigte Anwalt bestätigt, zerstreiten sich Familien über Erbschaften mehr als über irgendein anderes Familienereignis. Das gilt für geringfügige Erbschaften, bei denen der symbolische Gehalt der Erbschaft im Vordergrund steht, ebenso wie für Großerbschaften, bei denen Milliarden im Spiel sind. Erbschaften mobilisieren Familiendynamiken in häufig sehr destruktiver Form.

Wirtschaft

In der politischen Diskussion viel stärker im Vordergrund stehen die ökonomischen Folgen der Erbschaftssteuer. In den jüngsten Auseinandersetzungen um die Reform nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2014 standen wirtschaftliche Fragen klar im Vordergrund. Doch welche wirtschaftlichen Konsequenzen die Erbschaftsbesteuerung hat, ist durchaus umstritten. Ein klassisch wirtschaftsliberales Argument, das bereits von Adam Smith angeführt wurde, ist der Verweis auf den Entzug von Unternehmenskapital. In der jüngsten Reformdebatte wurde gerade mit diesem Argument von den Eigentümern (großer) Familienunternehmen gegen eine stärkere Besteuerung von Unternehmensvermögen argumentiert. Die Erbschaftssteuer sei für die Unternehmen eine Substanzsteuer und würde ihre Wettbewerbsfähigkeit infrage stellen und damit Arbeitsplätze gefährden.

Es ist völlig unbestreitbar, dass die Erbschaftsbesteuerung nicht dazu führen darf, dass Unternehmen in ihrer Existenz bedroht werden. Doch dafür gibt es auch keinerlei empirische Belege, weder in Deutschland noch in den USA, wo dieser Argumentationsstrang eine mindestens ebenso große Bedeutung hat. Für die Unternehmensnachfolge scheinen innerhalb des Erbrechts die nicht abdingbaren Pflichtteilsrechte bedeutender zu sein als die Erbschaftssteuer und ansonsten Probleme, die mit dem Finden geeigneter Nachfolger zusammenhängen. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat 2012 in seinem Gutachten zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftssteuer festgestellt, dass es nur wenige Hinweise darauf gibt, "dass eine Verschonung von Betriebsvermögen geboten ist, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden".

Zur Begleichung der Steuer können Unternehmen am Kapitalmarkt Kredite aufnehmen, sie können im Vorfeld der Vererbung eine Erbschaftssteuerversicherung abschließen, Steuerschulden können gestundet werden, und auch ist aufgrund der hierfür erforderlichen vielen nichtsteuerlichen Maßnahmen nicht mit einer großen Anzahl internationaler Ausweichreaktionen zu rechnen. Probleme der Fortführung von Unternehmen könnten auch durch die Ausweitung des Marktes für Unternehmenskontrolle insbesondere bei Personengesellschaften vermieden werden. Es wäre für Erben dann leichter, das geerbte Unternehmen zu verkaufen, wobei die Steuer aus dem Verkaufserlös beglichen werden könnte und das Unternehmen durch neue Eigentümer fortgeführt würde. Diese Marktlogik kollidiert jedoch zweifelsohne mit einem verbreiteten familiären Kontinuitätsverständnis, das die Fortführung des geerbten Unternehmens in Familienhand verlangt.

Die faktische Befreiung von Unternehmensvermögen von der Erbschaftssteuer ist eine Privilegierung der reichsten Bevölkerungsgruppe und wird vom Fiskus teuer bezahlt. Mit dem Marktwert berechnet, machen Unternehmen rund ein Drittel des Werts aller Erbschaften und Schenkungen aus. Allein zwischen 2011 und 2014 sind dem Staat durch die Steuerbefreiung von Unternehmen Einnahmen in Höhe von 40 Milliarden Euro entgangen. Und dabei ist aus ökonomischer Perspektive unklar, ob diese Subvention nicht sogar schädlich ist. Denn durch die Steuerbefreiung kommt es möglicherweise zu Verzerrungseffekten bei Investitionen. Hinzu kommen die makroökonomischen Kosten gesteigerter sozialer Ungleichheit, auf die Wirtschaftswissenschaftler hinweisen. In Gesellschaften mit höherer sozialer Ungleichheit wird laut OECD weniger in Bildung investiert, was zur Schwächung der Humankapitalbildung und zu negativen Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum führt. Steigende soziale Ungleichheit führt darüber hinaus zu geringerem privaten Konsum und damit zu einem niedrigeren Lebensstandard.

Ebenso vieldeutig sind die Folgen der Erbschaftsbesteuerung auf mikroökonomischer Ebene. Hier wird das Argument angeführt, in der Möglichkeit der Vermögensvererbung bestehe ein erhebliches Motiv zum Erwerbsstreben. Gäbe es eine hohe Besteuerung von Erbschaften, würden Menschen wirtschaftlich inaktiv oder sie würden ihre Ersparnisse bis zum Lebensende verbrauchen. Dies wäre in einer Wettbewerbsökonomie verheerend, da die Erwerbsneigung der Wirtschaftssubjekte, ihre disziplinierte Anstrengung zum Erreichen wirtschaftlicher Ziele, eine bedeutende Grundlage wirtschaftlicher Wohlstandsentwicklung ist.

Die Frage ist jedoch, inwiefern ein solcher Zusammenhang zwischen Erwerbsstreben und Vermögensvererbung tatsächlich besteht. Empirische Forschungen zur Erwerbsmotivation weisen darauf hin, dass die Möglichkeit der Vermögensvererbung allenfalls eine beschränkte Rolle spielt. Erfolgsorientierung wird wesentlich durch soziales Status- und Machtstreben, Sicherheitsbedürfnisse oder auch einer aus der Tätigkeit selbst entstehenden intrinsischen Motivation erzeugt. Dies schließt den Zusammenhang zwischen Erwerbsmotivation und Erbschaftsbesteuerung nicht aus, doch ist dieser aufgrund der Pluralität von Erwerbsmotiven sehr viel schwächer zu veranschlagen, als von Gegnern der Erbschaftsbesteuerung behauptet.

Kurioserweise stößt die mögliche Minderung der Erwerbsmotivation durch die Besteuerung von Erbschaften außerdem auf einen gegenteiligen Effekt, wonach Vermögensvererbung gerade zur Entmutigung ökonomischer Initiative führt – nicht bei den Erblassern, sondern bei den Erben. Erben großer Vermögen werden in eine materielle Situation gebracht, in der sie ein Leben in Wohlstand allein aus den Zinserträgen ihres Vermögens bestreiten können. In Amerika werden Personen, die ihr Leben lang Zuwendungen aus einer Familienstiftung (Trust) erhalten, als Trust-Babies bezeichnet. Weshalb sollen sich diese dauerhaft versorgten Erben selbst noch anstrengen? Die Erbschaftssteuerstatistik zeigt, dass zwischen 2011 und 2014 in Deutschland 90 Kindern im Alter unter 14 Jahren ein Vermögen von fast 30 Milliarden Euro übertragen wurde. Im Durchschnitt waren dies 327 Millionen Euro pro Kind. Die Paradoxie ist, dass der zu vererbende Reichtum möglicherweise genau die Werte in den eigenen Kindern zerstört, die die Erwirtschaftung dieses Reichtums durch die Eltern begünstigt haben.

Demokratisches Gemeinwesen

Kontrovers ist die Erbschaftssteuer darüber hinaus aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Vermögensvererbung. Seit geraumer Zeit werden die bereits angesprochenen Folgen starker Vermögenskonzentration und der damit einhergehenden sozialen Ungleichheit als mögliche Gefahr für die demokratische Ordnung diskutiert. Erbschaften sind eine zentrale Quelle der Perpetuierung von Vermögenskonzentration über die Generationen. Verschiedene Zusammenhänge lassen sich erkennen: zum einen die Gefahr der Umwandlung ökonomischer Macht in politische Macht. Man muss nur in die Vereinigten Staaten sehen, wo Milliardäre sich mit Spenden in Millionenhöhe an Präsidentschaftskandidaten politischen Einfluss geradezu kaufen. Hierfür gibt es in den USA spezielle rechtliche Grundlagen, doch lässt sich die politische Einflussnahme der Reichen selbstverständlich auch in Deutschland erkennen. Ein Zurückschneiden der größten Vermögen im Erbgang könnte die Pluralität im demokratischen Willensbildungsprozess stärken.

Zum anderen birgt prononcierte Ungleichheit die Gefahr, dass Lebenswelten so weit auseinanderfallen, dass die gemeinschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft unterminiert werden. Wenn grundlegende Erfahrungen und Risiken immer weniger zwischen den Menschen geteilt werden, dann schwindet der soziale Zusammenhalt als Grundlage der Demokratie. Die hohe Wahlabstinenz der unteren sozialen Schichten ist ein Indikator für die bereits eingetretenen Folgen der mittlerweile erreichten sozialen Entfernung zwischen den sozialen Schichten. Die Gefahr, zu einer sozial rigiden Gesellschaft zu mutieren, wächst mit der Zunahme sozialer Ungleichheit und unterminiert die Voraussetzungen der staatsbürgerlichen Gleichheit. Hier könnte eine effektive Erbschaftssteuer gegensteuern.

Gesellschaftliche Werte

Schließlich erstreckt sich die Widersprüchlichkeit der Erbschaftssteuer auf zentrale in der Gesellschaft legitimierte Werte. Auch dies trägt zur Kontroversität der Steuer bei. Die Erbschaftsbesteuerung ist zu befürworten oder abzulehnen, nicht weil sie bestimmte funktionale Folgen hat, sondern weil damit gesellschaftliche Wertvorstellungen berührt werden.

Auf der einen Seite werden individuelle Freiheitsrechte der Verfügung über Privateigentum angeführt, was den Eingriff des Staates in die Dispositionen des Erblassers problematisch erscheinen lässt. Privates Eigentum umfasst demnach nicht nur das Recht, über dieses zu Lebzeiten frei zu verfügen, sondern auch zu bestimmen, an wen es nach dem eigenen Ableben übertragen werden soll. Jeder steuerliche Eingriff in dieses Recht ist abzulehnen. Andererseits werden Werte der sozialen Gerechtigkeit im Sinne der solidarischen Unterstützung wirtschaftlich schwächerer Gesellschaftsmitglieder angeführt, sowie Werte der Chancengleichheit, verbunden mit der Orientierung am Leistungsprinzip. Diese im Hinblick auf die Institutionalisierung von Erbschaftssteuern widersprüchlichen Wertorientierungen erfahren in liberal verfassten Gemeinwesen zugleich gesellschaftliche Legitimation.

Im Unterschied zum Bezug auf individuelle Eigentumsrechte verweisen die Bezüge auf soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit auf die Legitimität der Besteuerung von Erbschaften. Soziale Gerechtigkeit meint die Korrektur ungleicher materieller Lebensbedingungen durch Instrumente staatlicher Umverteilung. Die Erbschaftssteuer war seit dem 19. Jahrhundert immer auch als ein Instrument gedacht, mit dem in den Prozess der Vermögenskonzentration korrigierend eingegriffen werden kann. In dem Minderheitenvotum zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsbesteuerung von Unternehmen vom Dezember 2014 wurde der Sozialstaatsgedanke der Erbschaftssteuer ebenfalls aufgegriffen. Die Erbschaftssteuer, so die drei Verfassungsrichter, diene nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern sei auch ein Instrument des Sozialstaates. Die Steuer solle verhindern, "dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst".

Der Bezug auf das Prinzip der Chancengleichheit legitimiert ebenfalls die Besteuerung von Erbschaften, da die Vermögensvererbung zu offensichtlich ungleichen Startchancen der Gesellschaftsmitglieder führt, was der Rechtfertigung sozialer Ungleichheit aus den unterschiedlichen Leistungsbeiträgen widerspricht. Erbschaften führen zu einem Rennen um Anteile am wirtschaftlichen Wohlstand, bei dem die Teilnehmer nicht von derselben Startlinie aus loslaufen.

Schluss

Natürlich ist die Erbschaftssteuer nur eine institutionelle Form, mit der die Weiterentwicklung ungleicher Vermögensverteilung begrenzt werden kann. Eine höhere Kapitalertragssteuer, eine höhere Steuerprogression bei der Einkommenssteuer, die Erhebung der Vermögenssteuer und in der Breite wirkende Lohnsteigerungen hätten diesen Effekt ebenfalls. Doch gilt im Kontext unserer sich als Leistungsgesellschaft verstehenden Gesellschaft, dass die Besteuerung von Erbschaften normativ ein besonders probates Instrument ist, sind Erbschaften doch leistungsfrei erlangte Vermögen.

Dennoch ist diese Position nicht einhellig. Tatsächlich ist die Erbschaftssteuer ein politisches Minenfeld aus materiellen Interessen, emotionalen Erwartungen, unklaren funktionalen Folgen und widersprüchlichen Werten. Um zu verstehen, weshalb dieses heiße Eisen in der Politik möglichst umgangen wird, so muss man sich dieser Vielschichtigkeit bewusst werden. Es ist politisch opportuner, Steuermehreinnahmen nicht bei der Erbschaftssteuer zu suchen. Mit einer Anhebung der Umsatzsteuer könnte der Finanzminister viel umfangreichere Steuermehreinnahmen erzielen und hätte mit weit geringerem politischen Widerstand zu rechnen. Doch jenseits solcher opportunistischer politischer Kalkulation bleibt ein Stachel. Der Verzicht auf eine effektive Erbschaftssteuer trägt zur Perpetuierung von Vermögensungleichheit über die Generationen bei und unterminiert damit zentrale Versprechen der Moderne: die Idee der Chancengleichheit und das Leistungsprinzip.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Stefan Bach/Andreas Thiemann, Hohe Erbschaftswelle, niedriges Erbschaftssteueraufkommen, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Wochenbericht 3/2016, S. 63–72, hier S. 64.

  2. Vgl. ebd., S. 66.

  3. Vgl. Stefan Bach/Thomas Mertz, Vor der Erbschaftssteuerreform: Nutzung der Firmenprivilegien hat Minderjährige zu Multimillionären gemacht, in: DIW Wochenbericht 36/2016, S. 812–820, hier S. 814.

  4. Siehe BVerfGE (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) 21/12 (Privilegierung des Betriebsvermögens im Erbschaftssteuerrecht), 17. 12. 2014, Externer Link: http://www.bverfg.de/e/ls20141217_1bvl002112.html.

  5. Vgl. Infratest dimap, ARD-Deutschlandtrend, Mai 2013, S. 3 f., Externer Link: http://www.infratest-dimap.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/dt1305_bericht_01.pdf.

  6. Vgl. Jens Beckert/Lukas R. Arndt, Unverdientes Vermögen oder illegitimer Eingriff in das Eigentumsrecht? Der öffentliche Diskurs um die Erbschaftssteuer in Deutschland und Österreich, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Discussion Paper 8/2016.

  7. Schon Karl Marx machte um die Erbschaftssteuer lieber einen Bogen, weil er die heftigen Reaktionen der Bourgeoisie fürchtete. Die Enteignung der Produktionsmittel würde nach der Revolution das Problem von selbst lösen. Vgl. Jens Beckert, Unverdientes Vermögen. Soziologie des Erbrechts, Frankfurt/M. 2004, S. 254.

  8. Vgl. Larry M. Bartels, Unenlightened Self-Interest: The Strange Appeal of Estate Tax Repeal, in: The American Prospect Magazine 6/2004, S. A17 ff.

  9. Vgl. William H. Gates Jr./Chuck Collins, Wealth and Our Commonwealth: Why America Should Tax Accumulated Fortunes, Boston 2003.

  10. Ulrike Langbein, Erbstücke. Zur individuellen Aneignung materieller Kultur, in: Frank Lettke (Hrsg.), Erben und Vererben. Gestaltung und Regulation von Generationenbeziehungen, Konstanz 2003, S. 233–262, hier S. 234.

  11. Vgl. Beckert (Anm. 7).

  12. Vgl. Martin Kohli, Intergenerational Transfers and Inheritance: A Comparative View, in: Merril Silverstein (Hrsg.), Intergenerational Relations Across Time and Place, New York 2004, S. 266–289.

  13. Vgl. Karsten Schmidt, Pflichtteil und Unternehmensnachfolge: Rechtspolitische Überlegungen im Schnittfeld von Erbrecht und Unternehmensrecht, in: Anne Röthel (Hrsg.); Reformfragen des Pflichtteilrechts, Köln 2007 S. 37–56.

  14. Bundesministerium der Finanzen (BMF), Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftssteuer. Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Berlin 2012, S. 32.

  15. Vgl. ebd., S. 15.

  16. Vgl. Bach/Mertz (Anm. 3), S. 813.

  17. Vgl. OECD, In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Paris 2015.

  18. Vgl. Hanne Albig et al., Wie steigende Einkommensungleichheit das Wirtschaftswachstum in Deutschland beeinflusst, in: DIW Wochenbericht 10/2017, S. 159–168, hier S. 164.

  19. Vgl. David Haslett, Is Inheritance Justified?, in: Philosophy and Public Affairs 15/1986, S. 122–155, hier S. 147; Jim D. Wisman/Larry Sawers, Wealth Taxation for the United States, in: Journal of Economic Issues 7/1973, S. 417–436, hier S. 423.

  20. Vgl. Bach/Mertz (Anm. 3.), S. 814.

  21. Fast die Hälfte der bis zum Sommer 2015 von den Präsidentschaftskandidaten beziehungsweise den "Superpacs" vereinnahmten knapp 400 Millionen US-Dollar Wahlkampfspenden kamen von nicht mehr als 158 Familien. Vgl. Nicholas Confessore/Sarah Cohen/Karen Yourish, The Families Funding the 2016 Presidential Election, 10. 10. 2015, Externer Link: http://www.nytimes.com/interactive/2015/10/11/us/politics/2016-presidential-election-super-pac-donors.html.

  22. Vgl. Armin Schäfer, Der Verlust politischer Gleichheit. Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Frankfurt/M. 2015.

  23. BVerfGE (Anm. 1).

  24. Vgl. Haslett (Anm. 19), S. 144 ff.

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ist Professor für Soziologie und Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. E-Mail Link: beckert@mpifg.de