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Editorial | Wertewandel | bpb.de

Wertewandel Editorial Das Zeitalter des "eigenen Lebens" Brauchen wir eine Rückkehr zu traditionellen Werten? Zeitenwende Der Wertewandel 30 Jahre später Wertewandel im internationalen Vergleich Ein deutscher Sonderweg? Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement - Perspektiven für die politische Bildung

Editorial

Katharina Belwe

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Der Wertewandel in unserer Gesellschaft wird sehr unterschiedlich beurteilt. Während in den Medien eine eher negative Einschätzung dominiert, stehen sich in der Forschung verschiedene Ansätze gegenüber.

Einleitung

Der in den letzten Jahrzehnten erfolgte Wertewandel in unserer Gesellschaft wird sehr unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Während in den Medien eine eher negative Einschätzung dominiert, stehen sich in der Forschung verschiedene Ansätze gegenüber. Was die einen mit Begriffen wie Selbstentfaltung, Autonomie und Gleichberechtigung beschreiben, qualifizieren die anderen als Werteverfall oder -verlust. Nach deren Untersuchungsergebnissen erfolgt inzwischen eine Wiederbelebung "traditioneller" Werte wie "Moral", "Pflichtbewusstsein", "Recht und Ordnung" sowie "Fleiß". Einem "Rollback" - zurück zum bürgerlichen Wertesystem - widersprechen Vertreter der anderen Ansätze. Tatsächlich liegen die Ergebnisse aber gar nicht so weit auseinander.

Ulrich Beck sieht unser Zeitalter, das er in seinem Essay das "Zeitalter des eigenen Lebens" nennt, nicht durch Werteverfall und Ich-Sucht bedroht. Es sei vielmehr dadurch gefährdet, dass es nicht gelinge, die schöpferischen Impulse der Menschen in politisch-öffentliche Themen, Prioritäten und Formen zu übersetzen und dass sich die Suche nach den Grundlagen des "eigenen Lebens" in einem unendlichen Regress des Privaten verlaufe und verliere.

Helmut Klages beurteilt den Wertewandel in Deutschland optimistisch. In diesem Prozess sei ein nahezu optimaler Persönlichkeitstypus - der des so genannten "aktiven Realisten" - entstanden. Dieser Typus, der gleichermaßen "moderne" und "traditionelle" Werte in sich vereinige, nähere sich am ehesten dem "Sollprofil" menschlicher Handlungsfähigkeiten unter den Bedingungen moderner Gesellschaften. Klages weist angesichts dieser Entwicklung die Forderung nach einer Wiederbelebung "traditioneller" Werte zurück; ein "Rollback" der Werte sei weder wahrscheinlich noch nötig.

Nach einem drei Jahrzehnte währenden Wertewandel diagnostizieren Elisabeth Noelle-Neumann und Thomas Petersen eine Renaissance - kein "Rollback" - traditioneller Werte. Die Ansichten jüngerer Menschen unterschieden sich heute nicht mehr wesentlich von denen älterer, was als wichtiger Indikator für das Ende des Wertewandels gewertet wird. Noelle-Neumann und Petersen betonen, dass die Wiederbelebung trationeller Werte nicht mit einer Umkehrung des Wertewandels identisch sei, wie er sich in Deutschland seit den späten sechziger Jahren entwickelt habe.

In diesem Zusammenhang ist die Frage aufschlussreich, ob sich Deutschland hinsichtlich seines Wertewandels heute noch wesentlich von anderen Ländern unterscheidet. Jan W. van Deth kommt zu dem Ergebnis, dass dies nicht mehr der Fall ist. Ähnliche politische Problemlagen lösten offenbar ähnliche Reaktionen aus. Jan W. van Deth erklärt dies - eher unspektakulär - mit dem Generationenwechsel in Deutschland. Die politischen Orientierungen der Deutschen seien nun nicht mehr wie in den ersten beiden Jahrzehnten von der nationalsozialistischen Katastrophe geprägt.

Gerd F. Hepp stützt den Ansatz von Helmut Klages, der sich gegenüber anderen Ansätzen der empirischen Werteforschung durch die Betonung der Ambivalenz des Wertewandels auszeichne, der neben Risiken auch Chancen, neben Verlusten auch Gewinne beinhalte. Die hartnäckige Behauptung eines dauerhaften Negativtrends lasse sich empirisch nicht stützen. Positive Befunde stärkten vielmehr die Vermutung, dass der Wertewandel nicht Bremser, sondern Motor des bürgerschaftlichen Engagements sei. Hepp zieht aus den gewonnenen Erkenntnissen Schlussfolgerungen für die politische Bildung, die dieser eigentlich "Flügel machen" sollten.