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Arktis und Südchinesisches Meer | Meere und Ozeane | bpb.de

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Arktis und Südchinesisches Meer Ressourcen, Seewege und Ordnungskonflikte

Michael Paul

/ 15 Minuten zu lesen

Sowohl in der Arktis als auch im Südchinesischen Meer gibt es eine Konstellation, die Konflikte zwischen den Großmächten USA mit Russland beziehungsweise China begünstigt. Während in der Arktis Kooperation bislang gelingt, ist die Lage in Asien deutlich brisanter.

Anders als im schwer zugänglichen Nordpolarmeer fand im Südchinesischen Meer schon in der Antike ein reger Handelsverkehr statt. In Ostasien hat es ähnliche Bedeutung wie das Mittelmeer für Europa. Daher überrascht es nicht, dass die aufstrebende Großmacht China das sino-amerikanische Verhältnis schon vor der Amtseinführung des gerade gewählten US-Präsidenten Donald Trump im Dezember 2016 einer ersten Belastungsprobe in diesem pazifischen Randmeer unterzog. Der designierte US-Außenminister Rex Tillerson versprach daraufhin "klare Signale", was chinesische Machtansprüche betreffe; der Bau künstlicher Inseln im Südchinesischen Meer müsse gestoppt werden.

Der Ausbau chinesischer Außenposten war in der Tat beispiellos. Anrainerstaaten wie Vietnam haben in der Vergangenheit zahlreiche Stützpunkte im Südchinesischen Meer errichtet und erweitert, allerdings geschah dies über viele Jahre hinweg und in vergleichsweise geringem Umfang. Im chinesischen Fall wurden in wenigen Monaten mehr als zehn Millionen Kubikmeter Zement auf Riffen im Gebiet der Spratly-Inseln verbaut. Die chinesische Führung ließ Sand und Gestein vom Meeresboden saugen und auf Korallenriffs oder hinter künstlich errichteten Stützmauern aufschütten. Bis März 2015 wurde eine Gesamtfläche von über zwölf Quadratkilometern geschaffen, die der Kommandeur der US-Pazifikflotte als "Große Sandmauer" bezeichnete. Darin spiegelt sich ein gewisses Verständnis für die maritime Sicherheitslage Chinas wider, aber auch die Besorgnis nach der russischen Krim-Annexion, dass Peking in Zukunft eine ähnlich aggressive Politik betreiben könnte.

In der Arktis dagegen herrscht bislang eine friedliche Zusammenarbeit der Anrainerstaaten, und im Vergleich zum Westpazifik wächst die Bedeutung arktischer Ressourcen und Seewege erst langsam. Russlands Gebietsansprüche in der Arktis sind jedoch ähnlich brisant wie die expansiven Ambitionen der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer. Im Kern handelt es sich um latente, "eingefrorene" Konflikte. Aber wie in Ostasien der Inselkonflikt krisenhafte Elemente entwickelt, weil die von den USA geprägte Weltordnung an Bindungs- und Durchsetzungskraft verliert, so wecken schmelzende Polkappen gleichermaßen Begehrlichkeiten und Besorgnisse. Die Konfliktpotenziale sind vielfältig, denn so wie das Südchinesische Meer verfügt auch die Arktis über reiche Ressourcen, beide bieten wichtige Seewege für weltweite Handelsverkehre und sind mit Ordnungskonflikten verbunden, die eng mit der Großmachtrivalität zwischen den USA, China und Russland verknüpft sind.

Worin sind also maßgebliche Ursachen für diese potenziellen Konflikte begründet, wie ist die gegenwärtige Lage einzuschätzen, und welche Perspektiven sind damit verbunden?

USA, China, Russland: Gemeinsame und konkurrierende Interessen

Das wachsende Interesse am Nordpolarmeer und am Südchinesischen Meer findet zu einer Zeit statt, in der Großmächte wieder intensiver um Macht und Einfluss konkurrieren. Während die USA bemüht sind, die Position als größte Wirtschafts- und Militärmacht aufrechtzuerhalten, haben China und Russland in den vergangenen Jahren militärisch aufgerüstet, um territoriale Ansprüche in der Peripherie ihrer Länder im Konfliktfall verteidigen zu können und über die eigene Region hinaus Machtprojektion entfalten zu können. Die Ausbeutung der russischen Arktisregion ist für Moskau zudem wichtig, um die nationale Wirtschaft zu stärken. Allerdings erschweren langfristige Trends auf den Energiemärkten sowie der Ukraine-Konflikt (inklusive der Sanktionen infolge der Krim-Annexion) die dafür notwendige finanzielle und technologische Unterstützung westlicher Firmen. Asien bietet sich als alternative Quelle potenzieller Investoren und als Absatzmarkt an. Dadurch wird eine sino-russische Zusammenarbeit zunehmend attraktiv.

Während in der Arktis militärische Fähigkeiten eine untergeordnete Rolle spielen, ist im Südchinesischen Meer eine Militarisierung des Territorialkonflikts eingetreten. Dies spiegelt sich in der Ausstattung der chinesischen Außenposten ebenso wider wie in den "Freedom of Navigation"-Einsätzen der US-Marine innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone der neu geschaffenen chinesischen Stützpunkte. Das zivil-militärische Spektrum dieser Einsätze reicht von der diplomatischen Note zur Klarstellung oder Rücknahme geltend gemachter Ansprüche bis hin zum Einsatz von Küstenwache und Marine. Damit reagieren die USA auf "exzessive" maritime Ansprüche Chinas. Allerdings fordern sie mit dem Einsatz ihrer Marine die Einhaltung von Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) ein, ohne dieses bislang selbst ratifiziert zu haben.

Eröffnen sich mit dem schmelzenden Polareis in Zukunft nicht nur neue Zugänge zu wertvollen Ressourcen und Seewegen, sondern ähnlich wie in Südostasien auch neue Konfliktrisiken? Wie können einvernehmliche Regelungen für gegensätzliche Interessen der Anrainerstaaten gefunden und Vertragsregime errichtet oder gestärkt werden?

Arktis

Die Arktis ist geografisch durch den nördlichen Polarkreis begrenzt und umfasst ein Gebiet von 21,2 Millionen Quadratkilometern; als Klima- und Landschaftszone beträgt ihre Größe 26 Millionen Quadratkilometer, davon acht Millionen Land und 18 Millionen Meer. Das Nordpolarmeer wird von fünf Polarstaaten eingerahmt: Kanada, Dänemark (Grönland), USA (Alaska), Russische Föderation (Sibirien) und Norwegen (Spitzbergen).

Der Klimawandel ist in der Arktis deutlich bemerkbar und macht diesen Raum auch zum Indikator für den geopolitischen Wandel. Das schmelzende Polareis ermöglicht dort mehr Aktivitäten, und das Meer ist zunehmend schiffbar. Die Nordwestpassage vor Kanada vom Pazifik bis zum Atlantik und die Nordostpassage vor der Küste Sibiriens waren im August 2008 erstmals gleichzeitig eisfrei. Allerdings bieten diese Passagen nicht generell kürzere und günstigere Wege: So ist zwar der Seeweg von London nach Yokohama durch die Nordostpassage rund 7.500 Kilometer kürzer als durch den Suezkanal, aber der Seeweg von Rotterdam nach Singapur ist durch die Nordwestpassage etwa 4.000 Kilometer länger als durch den Suezkanal. Eine konkurrenzfähige Alternative zu den Südrouten sind arktische Seewege also nicht unbedingt.

Aufgrund der zurückgehenden Eisbedeckung des Nordpolarmeers werden Lagerstätten an Öl, Gas und Mineralien mittelfristig nutzbar. Dadurch erhalten Territorialfragen größere Bedeutung. Große Teile des arktischen Meeresbodens und des Meeresuntergrunds liegen jenseits nationaler Hoheitsbefugnisse und haben gemäß der Seerechtskonvention als "gemeinsames Erbe der Menschheit" einen besonderen Status. Die Festlandsockelgrenzkommission (FSGK) ist das zentrale Gremium für die Bestimmung der Grenzen der Anrainerstaaten, innerhalb derer sie die natürlichen Ressourcen des Meeresbodens und des Meeresuntergrunds exklusiv erforschen und nutzen können. Die seit 1997 existierende Kommission gibt Empfehlungen ab, aufgrund derer ein Küstenstaat seinen Festlandsockel über die im SRÜ als Regelfall vorgesehene Maximalgrenze von 200 Seemeilen ausdehnen kann. Das Interesse der Arktisstaaten liegt naturgemäß darin, die Kontrolle über ihre Territorien zu festigen und den Festlandsockel zu erweitern. Statt zu konkurrieren, arbeiten sie aber auf Grundlage des internationalen Rechts zusammen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Daher gibt es derzeit zwar Anlässe, aber keinen besonderen Grund zur Sorge, dass ein Territorialkonflikt eskalieren könnte.

Ein zwiespältiges Beispiel bietet Russland, das nach dem Beitritt zur Seerechtskonvention 2001 bei der FSGK die Anerkennung eines Festlandsockels beantragt hat, der sich weit über 200 Seemeilen hinaus erstreckt. Im August 2007 folgte eine spektakuläre Polarmission, die zur Sammlung von Beweisen führen sollte, dass der Sibirien vorgelagerte Lomonossow-Rücken (ein auch von Dänemark und Kanada partiell beanspruchtes Unterseegebirge) die natürliche Fortsetzung des russischen Festlandes sei. Dabei wurde in über 4.000 Metern Tiefe von einem U-Boot aus eine russische Flagge auf den nordpolnahen Meeresboden gesetzt. Die Krim-Annexion sieben Jahre später hat die Ansprüche Moskaus politisch noch brisanter gemacht und verdeutlicht, dass auch aus der Arktis ein Ort werden könnte, an dem Kooperation durch Konkurrenz verdrängt wird.

Im Kalten Krieg war der Nordpol in den Ost-West-Konflikt einbezogen, und noch heute überqueren die Flugbahnen amerikanischer und russischer Interkontinentalraketen die Arktis, strategische Unterseeboote manövrieren unter der Eisdecke, und Frühwarnsysteme beobachten den Raum. Alaska bildet einen Schwerpunkt der US-Raketenabwehr, und russische Unterseeboote nutzen das Eis als Schutz, um die nukleare Zweitschlagsfähigkeit zu bewahren. Entgegen den 2007 geweckten Befürchtungen haben die Arktisstaaten in den vergangenen Jahren aber ihre Zusammenarbeit verstärkt.

Der im Oktober 1996 gegründete Arktische Rat besteht aus den fünf Polarstaaten und Island sowie Schweden und Finnland. Hinzu kommen sechs indigene Gruppen als permanente Teilnehmer sowie zahlreiche Beobachter, darunter Deutschland seit 1998 und China seit 2013. In einem ersten verbindlichen Abkommen regelten die acht Arktisstaaten im Mai 2012 die Zuständigkeit bei der Seenotrettung (Arctic Search and Rescue Agreement), ohne damit einer Regelung der konfligierenden territorialen Ansprüche vorgreifen zu wollen, wie im Vertrag explizit erklärt wird. Damit gibt es zwar Anzeichen wachsender militärischer Aktivitäten in der Arktis, sie dienen aber meist als Ausgleich für mangelnde zivile Fähigkeiten und belegen keinen "neuen Kalten Krieg". Die Arktisstaaten bleiben vielmehr um friedlichen Interessensausgleich bemüht.

Südchinesisches Meer

Das Südchinesische Meer ist mit 3,5 Millionen Quadratkilometern etwas größer als das Mittelmeer und das Schwarze Meer zusammen. Als pazifisches Randmeer wurde es in ähnlicher Weise zum gemeinsamen Dreh- und Angelpunkt einer Region, die sich durch große politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Vielfalt auszeichnet. Im 21. Jahrhundert bildet es den Hauptverkehrsweg für die prosperierenden ostasiatischen Ökonomien. Wer dieses Meer beherrscht, kontrolliert einen entscheidenden Teil der Weltwirtschaft.

Mehr als 60.000 Schiffe mit Handelsware im Wert von über 5,3 Billionen US-Dollar (davon 1,2 Billionen aus dem US-Handel sowie etwa 900 Milliarden aus dem europäischen Außenhandel) passieren es jährlich. Das entspricht fast einem Drittel des Welthandelsvolumens. Es gewährleistet die Versorgung nord- und südostasiatischer Staaten mit Energieträgern und Rohstoffen, denn der arktische Seeweg ist nur zeitweise nutzbar. Durch die Straße von Malakka als indo-pazifische Transitroute werden mehr als ein Drittel des global verfügbaren Rohöls und über die Hälfte des verflüssigten Erdgases zu den Staaten der ostasiatischen Wachstumsregion transportiert.

Aber auch das Meer selbst enthält viele Ressourcen. Neben reichen Fischgründen (zehn Prozent des weltweiten Fangs von Speisefisch) vermutet der staatliche chinesische Ölkonzern China National Offshore Oil Corporation unter dem Meeresboden ein Vorkommen von 125 Milliarden Barrel Öl. Wegen der wachsenden Nachfrage wurde schon in den 1980er Jahren mit Hinweis auf diese fossilen Energieträger das Risiko eines Ressourcenkonflikts betont.

Die herausragende Bedeutung als Seeweg und Ressourcenspeicher macht das Südchinesische Meer und seine zwei größten Inselgruppen – Paracel im Norden und Spratly im Süden – zum Streitobjekt sich überschneidender Gebietsansprüche von China und Taiwan, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Vietnam sowie Indonesien, das selbst keinen Anspruch erhebt. In einigen Fällen hat es deswegen bereits nationalistische Ausschreitungen und militärische Auseinandersetzungen gegeben. Außer Brunei haben alle Staaten, die Gebietsansprüche erheben, auf Korallenriffen und Sandbänken diverse Gebäude errichtet und zum Teil militärisch gesichert.

Die im Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN) organisierten Staaten und China haben im November 2002 eine gemeinsame Erklärung zu Verhaltensregeln im Südchinesischen Meer unterzeichnet (Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, DoC). Unter dem Vorsitz Indonesiens waren 2011 Richtlinien für ihre Umsetzung erarbeitet worden, es konnte aber keine Einigung über einen verbindlichen Verhaltenskodex erzielt werden. Die DoC blieb seither die Ausnahme von der Regel, dass China strittige Fragen eher bilateral zu klären versucht. Aus chinesischer Sicht ist der Bilateralismus ein sinnvolles Verhandlungsprinzip: Es ermöglicht China, seinen Status als Großmacht einzubringen und die auf Peking ausgerichteten Zentrum-Peripherie-Beziehungen in Ostasien zu stärken. Allerdings stößt das ruppige Verhalten gegenüber ASEAN-Staaten selbst im eigenen Land auf Kritik, da es unnötig viele Nachbarstaaten verärgert habe und den USA einen Grund biete, sich unter anderem durch "Freedom of Navigation"-Einsätze stärker in diesem Raum zu engagieren.

Akteure: Ähnlichkeiten und Unterschiede

Die unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Interessen und Ziele, die von den USA, China und Russland verfolgt werden, können im Folgenden nur grob dargelegt werden. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass China bislang kein Dokument zur arktischen Politik vorgelegt hat.

Vereinigte Staaten von Amerika

Alaska ist mit 1718 qkm die flächenmäßig größte Exklave der Welt und macht die USA zu einem arktischen Anrainerstaat. Im Osten grenzt Alaska an Kanada, im Westen an das Beringmeer, im Norden an das Nordpolarmeer und im Süden an den Golf von Alaska. Asien und Nordamerika sind sich in der Beringstraße am nächsten, und beide Kontinente sind an ihrer engsten Stelle nur 85 Kilometer voneinander entfernt.

Trotz der geografischen Nähe zu Russland nehmen arktische Sicherheitsfragen in der US-Verteidigungspolitik bislang nur eine untergeordnete Rolle ein – militärische Sicherheit wurde in einem Bericht über nationale Strategieziele für die Arktis 2015 gar nicht erwähnt. US-Streitkräfte in Alaska gehören zum Pazifikkommando (USPACOM), dessen Hauptquartier auf Hawaii liegt. Die US-Marine legt mittelfristig (2020–2030) den operativen Schwerpunkt auf Seenotrettung und Einsätze bei Unglücksfällen. Aber wie im Südchinesischen Meer werden auch hier "Freedom of Navigation"-Einsätze für möglich erachtet, etwa aufgrund der von Kanada und Russland beanspruchten Seewege.

Nach wie vor ist die Arktis wichtig für die US-Luft- und Raketenabwehr. Dazu gehören zwei große Luftwaffenbasen (Air Force Base, AFB) in Alaska, nämlich Eielson AFB und Elmendorf AFB, sowie Fort Greely. Erstere soll ab 2020 neue F35A-Kampfflugzeuge aufnehmen, dabei dient aber nicht die Arktis, sondern der Pazifik und damit China als Bezug. Nur wenige Flugzeuge der US-Küstenwache überwachen die Beringstraße und die Arktis, in der allerdings eine gewisse Präsenz wiederhergestellt werden soll. Anders als die russische Flotte von 40 Eisbrechern verfügen die USA auch nur über einen einzigen schweren Eisbrecher.

Aufgrund seines Territoriums, der Anmeldung von Gebietsansprüchen und dem Ausbau der arktischen Infrastruktur hat Moskau einen so großen Vorsprung, dass Russland schon als "arktischer Hegemon" bezeichnet wurde. Dies muss Washington aber langfristig nicht stören. Es werden noch viele Jahre vergehen, bis regelmäßige Handelsrouten eingerichtet werden können, und weder Technik noch Klima erlauben derzeit eine kostengünstige Nutzung der reichen Lagerstätten. Washington erschwert sich die Lösung anstehender Probleme und die Durchsetzung eigener Interessen allerdings dadurch, dass es die Seerechtskonvention nicht ratifiziert hat. Damit kann auch nicht versucht werden, die Grenzen des erweiterten Festlandsockels im nationalen Interesse festzulegen, so wie dies Norwegen und Russland beantragt haben.

Volksrepublik China

China ist von Rohstoffen ähnlich abhängig wie von Seewegen. Peking verfolgt in der Arktis dazu bislang eine vorsichtige und zurückhaltende Politik. Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich die aufwachsende Großmacht künftig stärker engagieren will: Die erste Fahrt eines Containerschiffs durch die Nordostpassage im August 2013, die Errichtung permanenter Forschungsstationen und die regelmäßige Präsenz des Forschungsschiffs "Polar Dragon" weisen darauf hin. Im Juli 2017 wurde erklärt, eine "arktische Seidenstraße" ("Ice Silk Road") errichten zu wollen.

Strittig ist die Lage im Südchinesischen Meer: Das Schiedsgericht in Den Haag hat am 12. Juli 2016 im Fall "Philippines vs. China" festgestellt, dass die historischen Ansprüche der Volksrepublik nicht, wie behauptet, mit dem SRÜ übereinstimmen und daher rechtlich unwirksam seien. Schon davor war aber klar, dass das (See-)Recht allein die Streitigkeiten nicht lösen kann. Hinzu kommt der Konflikt mit den Vereinigten Staaten, seit die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton im Juli 2010 die freie Schifffahrt im Südchinesischen Meer zum nationalen Interesse erklärt und betont hatte, dass das Völkerrecht respektiert werden müsse. Dabei bleibt strittig, ob militärische Aktivitäten von Drittstaaten wie im Küstenmeer (im Rahmen "friedlicher Durchfahrt" gemäß Artikel 17 SRÜ) auch in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der Staaten verboten sind. China fordert von den USA, solche Operationen in ihrer AWZ einzustellen, und es kam wiederholt zu Zwischenfällen im Luftraum und auf See – zuletzt im Oktober 2017, als die US-Marine ein "Freedom of Navigation"-Manöver nahe chinesischer Außenposten abhielt.

Politisch hat China mit seinen Maßnahmen zur Landgewinnung gegen die DoC-Verhaltensregeln von 2002 verstoßen. Auf dem ASEAN-Gipfel im April 2015 in Kuala Lumpur wurde China daher erstmals in der Geschichte der Organisation von seinen südostasiatischen Nachbarstaaten kritisiert: Die Landgewinnung habe Vertrauen ausgehöhlt und könne Frieden, Sicherheit und Stabilität im Südchinesischen Meer gefährden. Es stellt sich daher die Frage, ob sich langfristig das Völkerrecht oder das Recht des Stärkeren durchsetzen wird – das ideale Ergebnis wäre indes eine einvernehmliche Lösung im Sinne aller Anrainerstaaten.

Die maritimen Territorialstreitigkeiten bilden einen latenten Konflikt, der die Hoffnungen auf ein von wachsendem Wohlstand geprägtes asiatisch-pazifisches Jahrhundert rasch beenden könnte. Sie sind außerdem ein Testfall für die Frage, ob Chinas außenpolitische Ambitionen militärische Gewalt auslösen. Wie Peking seine wachsende Macht nutzt und welche Reaktion es auf sein Handeln erfährt, schafft Präzedenzfälle und Verhaltensmuster, die das künftige Zusammenwirken der Akteure im indo-pazifischen Raum, aber darüber hinaus auch in den polaren Regionen bestimmen.

Russische Föderation

Die offizielle russische Arktispolitik legt ihren Schwerpunkt auf nichtmilitärische Herausforderungen und spricht der Zusammenarbeit der Arktisstaaten hohe Bedeutung zu. Die im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges maßvolle maritime Aufrüstung kann dem Schutz nicht nur einer extrem langen Außengrenze, sondern auch der überwiegend in der Arktis stationierten strategischen Unterseeboote der russischen Nordflotte und ihrer Einsatzräume im Konfliktfall zugeordnet werden. Russland hat seit 2014 viele der nach 1990 geschlossenen Stützpunkte reaktiviert und ist nach wie vor der Anrainer mit den meisten und am besten für die Arktis geeigneten Einsatzmitteln. Dennoch ist davon auszugehen, dass dies kein Merkmal für ein geplantes expansives Vorgehen ist, sondern dem Schutz weitläufiger Außengrenzen und darin befindlicher Ressourcen dient.

Aufgrund der umfangreichen Lagerstätten an wertvollen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas, Gold, Diamanten, Nickel, Kupfer und Platin verfügt die russische Arktis über großes wirtschaftliches Potenzial. Schon heute werden fast 60 Prozent der exportierten Rohstoffe im Norden des Landes gefördert. Annähernd alle arktischen Erdgaslagerstätten befinden sich vor den russischen Küsten, größtenteils in einer Tiefe von über 500 Metern. In der Arktis lagern 91 Prozent des russischen Erdgases und 80 Prozent der nachgewiesenen industriell abbaubaren Gasmengen. Der arktische Raum ist für Russland damit von existenzieller Bedeutung, da der Energiesektor die tragende Säule der wirtschaftlichen Entwicklung ist; Rohstoffe dominieren den russischen Export, und ein Großteil des Staatshaushaltes stammt aus den Einnahmen aus dem Erdölexport. Neue Exportkapazitätengewinnt Russland durch den Bau der Pipeline "Sila Sibiri" ("Kraft Sibiriens"), die Gas nach China transportieren soll.

Auch sicherheitspolitisch nimmt die Zusammenarbeit mit China deutlichere Form an, wie gemeinsame Flottenmanöver ("Joint Sea") im Südchinesischen Meer zeigen. Moskau verfolgt in diesem Territorialkonflikt zwar eine Politik der Neutralität, auch um südostasiatische Käufer russischer Rüstungsgüter nicht zu verärgern, will aber wie Peking gegenüber Washington das Recht auf eine eigene Einflusssphäre deutlich machen.

Perspektiven

Die Arktis wird weiterhin ein unwirtlicher Ort bleiben, schwer zugänglich und weit entfernt von den geoökonomischen Zentren der Welt. Aufkommende Konflikte in der Arktis können vermutlich mit friedlichen Mitteln beigelegt werden, sodass Arktis und Antarktis wahrscheinlich die einzigen Orte auf der Erde bleiben, die keine kriegerische Geschichte kennen. Anders als im Südchinesischen Meer befestigt dort bislang kein Staat neue Außenposten, sucht in der Ausschließlichen Wirtschaftszone anderer Länder nach Öl oder raubt deren Fischbestände. Die Aussicht auf eine diplomatische Lösung arktischer Territorialkonflikte ist daher gut.

Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die angespannten Beziehungen zwischen den NATO-Staaten und Russland auch in der Arktis zu Konflikten führen, aber die Lage im Nordpolarmeer ist völlig anders als in der Ostsee oder im Schwarzen Meer. Allein schon die klimatischen Bedingungen machen eine militärische Auseinandersetzung in der Arktis zu einem hypothetischen Fall. Noch sind sowohl der Zugang als auch der Abtransport von Öl, Gas und Mineralien zu aufwändig, als dass sich dafür ein Streit lohnt. Andererseits bietet das Eis auch Schutz und hat bislang eine Militarisierung der Arktis verhindert.

Der Sicherheitsaspekt wird im Vergleich zum Südchinesischen Meer deutlich, dessen Großteil von China nicht nur aufgrund dortiger Ressourcen und Seewege, sondern insbesondere aus Gründen der nationalen Sicherheit beansprucht wird. Dadurch hat China einen Ordnungskonflikt ausgelöst, dessen Beilegung auch im Interesse der Anrainer aufgrund bestehender Regime möglich wäre. Die Seerechtskonvention ist nicht nur zur Regelung arktischer Streitfragen nützlich, sondern sollte auch in Asien zur Streitbeilegung genutzt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. China hatte am 15. Dezember 2016 nahe dem Scarborough-Riff eine Unterwasserdrohne der USNS Bowditch beschlagnahmt, die der Erfassung ozeanografischer Daten dient.

  2. Vgl. Michael Forsythe, Rex Tillerson’s South China Sea Remarks Foreshadow Possible Foreign Policy Crisis, in: New York Times, 12.1.2017.

  3. Vgl. Michael Paul, Eine "Große Sandmauer" im Südchinesischen Meer? Politische, seerechtliche und militärische Aspekte des Inselstreits, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 9/2016.

  4. Vgl. Camilla T. N. Sørensen/Ekaterina Klimenko, Emerging Chinese-Russian Cooperation in the Arctic, Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI Policy Paper 46/2017.

  5. Eingefordert werden insbesondere das Recht der friedlichen Durchfahrt (Artikel 17), das Recht der Transitdurchfahrt (Artikel 38), die Freiheiten der Schifffahrt und des Überflugs in einer Ausschließlichen Wirtschaftszone (Artikel 58) sowie die "Freiheit der Hohen See" (Artikel 87).

  6. Vgl. Rob Huebert et al., Climate Change & International Security: The Arctic as a Bellwether, Center for Climate and Energy Solutions, Arlington Mai 2012.

  7. Vgl. Willy Østreng et al., Shipping in Arctic Waters. A Comparison of the Northeast, Northwest and Trans Polar Passages, Berlin–Heidelberg 2013, S. 50, S. 52.

  8. Einen Überblick bieten der Themenschwerpunkt "Die Arktis: regionale Kooperation oder Konflikt?", in: Sicherheit und Frieden 3/2015 und der Sammelband von Linda Jakobson/Neil Melvin (Hrsg.), The New Arctic Governance, Oxford 2016.

  9. Vgl. Siemon T. Wezeman, Military Capabilities in the Arctic: A New Cold War in the High North?, SIPRI Background Paper, Stockholm 2016.

  10. Vgl. Michael Paul, Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität, Baden-Baden 2017, S. 200ff.

  11. Eckpunkte eines verbindlichen Verhaltenskodex (Code of Conduct, CoC) wurden erstmals 1992 vereinbart. Die Probleme liegen unter anderem darin, dass die rechtliche Lage unterschiedlich ausgelegt wird.

  12. Vgl. U.S. Navy, Arctic Roadmap 2014–2030, Washington DC 2014, S. 18; Wezeman (Anm. 9), S. 17.

  13. Vgl. Wezeman (Anm. 9), S. 18.

  14. James Kraska, The New Arctic Geography and U.S. Strategy, in: ders. (Hrsg.), Arctic Security in an Age of Climate Change, Cambridge u.a. 2011, S. 247.

  15. Vgl. Ronald O’Rourke, Changes in the Arctic: Background and Issues for Congress, Washington, DC 2017, S. 14ff.

  16. Vgl. Sanna Kopra, China’s Arctic Interests, in: Lassi Heininen (Hrsg.), Arctic Yearbook 2013, Akureyri 2013, S. 107–124; China’s Ice Breaker Returns After First Arctic Rim Circumnavigation, 10.10.2017, Externer Link: http://www.globaltimes.cn/content/1069635.shtml.

  17. Vgl. Wezeman (Anm. 9), S. 13–15.

  18. Vgl. Deutsch-Russische Außenhandelskammer et al., Russland in Zahlen, Sommer 2017, Externer Link: http://my.page2flip.de/3687734/11560794/11827861/html5.html#/1; Valerij Piljawskij, Die Arktis im Fokus der geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen Russlands, Moskau 2011, S. 1.

  19. Vgl. Helga Haftendorn, NATO and the Arctic: Is the Atlantic Alliance a Cold War Relic in a Peaceful Region Now Faced With Non-Military Challenges?, in: European Security 3/2011, S. 337–361; Mike Safton, Why the Next NATO-Russia Crisis Could Go Down in the Arctic, in: The National Interest, 28.9.2016; Wezeman (Anm. 9), S. 23.

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ist promovierter Politikwissenschaftler und Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Kriegsgefahr im Pazifik? Die maritime Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität" (2017). E-Mail Link: michael.paul@swp-berlin.org