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Nachhaltigkeit: Politik mit gesellschaftlicher Perspektive | Die Diskussion um Nachhaltigkeit | bpb.de

Die Diskussion um Nachhaltigkeit Editorial Konstruktives braucht Zeit. Über die langsame Entdeckung der Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit: Politik mit gesellschaftlicher Perspektive Lokale Agenda 21 in Deutschland - eine Bilanz 10 Jahre nach Rio - Wie nachhaltig ist die Agrarpolitik? "Ecopreneure": Nach der Dekade des Umweltmanagements das Jahrzehnt des nachhaltigen Unternehmertums?

Nachhaltigkeit: Politik mit gesellschaftlicher Perspektive

Günther Bachmann

/ 23 Minuten zu lesen

Der Begriff Nachhaltigkeit spricht den angestrebten Interessenausgleich von Industriegesellschaft und Entwicklungsländern zu einer zukünftig tragfähigen Entwicklung an. Gleichfalls macht er auf die neuen Herausforderungen einer globalen Umwelterhaltung aufmerksam.

I. "Nachhaltigkeit" - ein politisches Streitobjekt

Die Bezeichnung "Nachhaltigkeit" bringt zusammen, was eigentlich politische Fliehkraft hat. Nachhaltigkeit ist ein politisches Streitthema der Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Es geht um Milliarden Euro, die als Investitionen in die Industrie- und Konsumoptionen Deutschlands und damit in seine Zukunftsfähigkeit anstehen. Mitunter sind diese Streithorizonte verdeckt und nicht recht sichtbar, weil "Nachhaltigkeit" oft als eine bloß modische Politformel aufgegriffen oder abgetan wird. Tatsächlich aber liegen unter dieser Oberfläche politische Inhalte mit Tiefgang.

Den Begriff sustainable development (nachhaltige Entwicklung) hat die Brundtland-Kommission 1987 in den politischen Sprachgebrauch eingeführt. Sie signalisierte mit ihm den angestrebten Interessenausgleich von Nord und Süd sowie von Industriegesellschaft und Entwicklungsländern und machte auf die neuen Herausforderungen einer globalen Umwelterhaltung und gerechten Ressourcenbewirtschaftung aufmerksam. Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 in Rio de Janeiro beschloss nicht nur die internationalen Regelwerke zum Klimaschutz (als Kyoto-Regime in Gang gesetzt), zur Wüstenbekämpfung und zur Erhaltung der Biodiversität, sondern verabschiedete auch ein Handlungsprogramm für das 21. Jahrhundert, die Agenda 21. Die angestrebte Entwicklung soll den Bedürfnissen der heute lebenden Menschen Rechnung tragen, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken. Die Staaten verpflichteten sich, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, die neben den ökologischen auch die sozialen und ökonomischen Politikfelder einbeziehen. Umweltziele sollen in stärkerer Kooperation mit den verschiedenen Akteuren außerhalb der engeren Umweltpolitik umgesetzt und partizipative Verfahren eingeführt werden, weil das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung nicht einfach von der staatlichen Ordnungspolitik im Wege des "command and control" verordnet werden kann. Neue Handlungsmuster des bürgerschaftlichen Engagements und der Übernahme von Verantwortung müssen entwickelt werden, um die Verständigung auf Leitbilder, Projekte, auf gemeinsame Strategien und neue politische Formen einer Politik der Selbst-Verpflichtung zu realisieren. In Deutschland wurde dies in den vergangenen Jahren vor allem durch die vielfältigen lokalen Agenda-Initiativen in ersten Ansätzen realisiert. Sie haben das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung im regionalen oder örtlichen Rahmen an Hand von wertvollen Beispielen verdeutlicht. Die überwiegende Mehrheit der Projekte ist allerdings vorwiegend auf die Umwelt bezogen. Die gebotene Verknüpfung von Wirtschaft und Sozialem mit dem Ökologischen ist noch nicht eingelöst. Folgerichtig bezeichnet die Bundestags-Enquete-Kommission "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" die "nachhaltige Entwicklung" einschränkend als Leitbegriff nur der Umweltpolitik.

Indessen umfasst Nachhaltigkeit aber mehr. Vor allem ist sie längst auch ein Trend der Unternehmenspolitik. Sustainability Ratings bewerten mit ökologischen und sozialen Prüfkriterien die Unternehmensführung und ihren Umgang mit den Stakeholdern. Vor allem global agierende Unternehmen nehmen wahr, dass sie künftig noch stärkere Verantwortung für soziale und ökologische Aufgaben übernehmen müssen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat unter dem Titel "Global Compact" eine neue Initiative zur verantwortungsbewussten Unternehmensführung gestartet. Bisher haben jedoch erst wenige deutsche Firmen reagiert, überwiegend wird Nachhaltigkeit in der Wirtschaft noch defensiv verstanden. Im Vordergrund steht die Maxime don't damage, also das Bemühen, in der Geschäftspolitik oder bei neuen Ansiedlungen und Entwicklungsprojekten bloß nichts falsch zu machen oder jedenfalls dabei nicht aufzufallen. Die Möglichkeiten zur politischen Gestaltung der Nachhaltigkeit als eine soziale und wirtschaftliche Kompetenz und als Diskursfähigkeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen werden noch kaum genutzt.

Nachhaltigkeit erschöpft sich nicht in der Effizienzsteigerung und darin, neue Windenergiesysteme aufzubauen, Energie aus Biomasse zu gewinnen, Kohlendioxid einzusparen, gesunde Nahrungsmittel herzustellen, umweltgerechte Mobilitätsangebote zu entwickeln und das genetische Potenzial der Natur zu erhalten. So wichtig das alles ist - und so ungelöst viele dieser Aufgaben noch sind -, so klar ist auch, dass bisher alle Umweltentlastung mittels technischer Effizienzgewinne von der mengenmäßigen Steigerung von Produktion und Konsum überkompensiert worden sind. Das Beispiel der Kohlendioxid-Emission des Automobilverkehrs steht für viele. Zu fragen ist also nach tiefer liegenden Triebkräften und Entwicklungschancen unseres Umgangs mit den natürlichen Lebensgrundlagen und den Zukunftsoptionen künftiger Generationen.

Die den innenpolitischen Diskurs aktuell beherrschenden Themen - Bildungspolitik, Arbeitsmarkt, Sozialreform - messen der Nachhaltigkeit bestenfalls den Stellenwert einer Randnotiz im diskursiven Background zu. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber falsch. Verständlich ist es, wenn die "Kernkompetenz" der Nachhaltigkeit nur in umweltbezogenen Fragestellungen gesehen wird. Falsch ist es, wenn übersehen wird, dass hier längst zivilgesellschaftliche Denk-, Streit- und Legitimationsprozesse laufen, die über die "Kernkompetenz Umwelt" hinausgehen und Beiträge zur Familien-, Sozial-, Städtebau- und Bildungspolitik formulieren sowie die Verbindungen zur Globalisierungsdebatte und zur Innovations- und Wissenspolitik aufgreifen.

Diese Beiträge zur Nachhaltigkeit sind kein allgemeines Modernisierungsprogramm, weil "Modernisierung" üblicherweise technokratisch und zeitgeistig verkürzt wird. Diese Beiträge streben dagegen an, neue Bindungen zwischen technischen und sozialen Innovationen zu fördern und nach den strukturbildenden politischen Grundlagen zu fragen. Hierbei gerät zunehmend die Globalisierung in den Fokus der Nachhaltigkeitspolitik. Bezeichnenderweise hat der Begriff Globalisierung seinen Siegeszug zum gleichen Zeitpunkt angetreten, da der Weltgipfel in Rio 1992 die Nachhaltigkeit als Leitbegriff für die ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung propagierte. Mit dem Aufkommen von Internet, e-commerce, dem globalen Wettbewerb um die größte Absenkung der Unternehmensbesteuerung sowie der Beschleunigung und Zunahme von ubiquitären Finanztransfers fällt die Leistungsbilanz der Globalisierung allerdings wesentlich machtvoller aus als diejenige der Nachhaltigkeit mit ihren ersten Gehversuchen in internationalen Umweltkonventionen.

II. Episode oder Epoche

Den Impetus der UN-Weltkonferenz über Umwelt und Entwicklung von 1992 hat die deutsche Politik zunächst mit einer Konzeptdiskussion aufgenommen. In der aktuellen Legislaturperiode hat die Bundesregierung die konzeptionellen Grundlagen aufgegriffen und, basierend auf einem überparteilich getragenen Beschluss des Deutschen Bundestages, mit der Berufung eines Rats für Nachhaltige Entwicklung das Signal zum Einstieg in eine konkrete Nachhaltigkeitspolitik gegeben. Unter Federführung des Staatsministers im Bundeskanzleramt Hans Martin Bury wurde ein interministerielles Koordinierungsgremium auf Staatssekretärsebene geschaffen (das so genannte Green Cabinet). Die administrative Konstruktion signalisiert, dass Nachhaltigkeit als übergeordnete politische Gestaltungsaufgabe angegangen wird.

Im April hat das Bundeskabinett die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit ihren 21 quantifizierten Zielvorgaben beschlossen, der Bundeskanzler gab am 16. Mai eine Regierungserklärung hierzu ab. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist von zweierlei Bedeutung: Sie kommt erstens der internationalen Verpflichtung Deutschlands nach, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zum Ende August 2002 in Johannesburg stattfindenden UN-World Summit on Sustainable Development vorzulegen. Sie stellt zweitens einen binnenpolitisch wirkenden Input dar, der sich als von grundlegender Bedeutung erweisen kann - sofern mit der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ein Anfang, kein Ende der Debatte um Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit gesetzt ist.

Die Nachhaltigkeitsstrategie hebt die politische Integrationsleistung gegenüber der heutigen Fach- und Ressortpolitik hervor. Während diese oft fragmentierte Ziele verfolgen, fordert Nachhaltigkeitspolitik den Blick auf den Zusammenhang von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielstellungen. Dieser Blick kann allerdings Zielkonflikte nicht vermeiden; eher noch trägt er dazu bei, dass mehr kurzfristige Zielkonflikte zwischen den Fachpolitiken "entdeckt" werden. Jedoch öffnet und vergrößert er das politische Bezugsfeld um langfristige Entwicklungstendenzen und Ziele und schafft so die Basis für integrative Betrachtungen. Nachhaltigkeitspolitik ermutigt auch dort zur politischen Gestaltung, wo im kurzfristigen politischen Reflex üblicherweise auf urwüchsiges oder neoliberal interpretiertes Wirken des Marktes oder der Gesellschaftsentwicklung gesetzt wird. Allerdings bedeuten Langfristigkeit der politischen Konzeption und das Zielmanagement keineswegs einen Rückgriff auf planwirtschaftliche Elemente. Ein solcher Vorwurf ist eher eine Zweckbehauptung als eine grundsätzliche politische Kritik, um ein Unbehagen an bestimmten Zielvorstellungen zu kaschieren. Ebenso wenig soll ein buchhalterisches Verständnis von Nachhaltigkeit propagiert und nahe gelegt werden: Ein politics by commitment lässt sich nicht abschließend als eine einfache Summe von numerischen Parametern definieren und zielgenau ansteuern.

Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie stellt die Nachhaltigkeitspolitik auf einen neuen Stand. Die Strategie integriert Perspektiven zur Ökologie mit denen zur Haushalts-, Bildungs- und Familienpolitik, um nur Beispiele zu nennen. Die Strategie lässt keinen Zweifel daran, dass unsere Produktions- und Lebensweise in Deutschland noch lange nicht umweltgerecht und zukunftsfähig ist. Für die Jahre 2010 und 2020 zeigt die Strategie an 21 Indikatoren die Richtung, in die es gehen soll, auf. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat seine Erwartung deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Strategie in einem Regierungsprogramm umsetzt. Beispielhaft wird die Stoßrichtung der Strategie deutlich am Ziel, den Zuwachs an Siedlungsflächen von jetzt 130 auf 30 ha/Tag im Jahr 2020 zu begrenzen. Erneuerbare Energien sollen bis 2050 rund 50 Prozent des Energieverbrauches in Deutschland decken. Die Ganztagsbetreuungsquote in den alten Ländern soll von jetzt im einstelligen Bereich auf 30 Prozent gesteigert werden. Die Energieproduktivität soll bis 2020 verdoppelt werden. Der Anteil von Forschungsausgaben am Bruttosozialprodukt soll von jetzt 2,46 auf drei Prozent im Jahr 2010 gesteigert werden. Die Quote der 25-Jährigen ohne Berufsabschluss bzw. ohne Hochschulreife soll bis 2010 auf vier Prozent gesenkt, die Studienanfängerquote soll von jetzt 30 auf 40 Prozent in 2010 gesteigert werden. Die herausgegriffenen Beispiele verdeutlichen, dass die Strategie kein alleiniges Umweltprogramm ist. Tatsächlich liegt keines der vertieft behandelten Themen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministeriums. Aber auch die Ziele zur sozialen Lebensqualität und Bildung haben eine hohe Affinität zu Umwelt- und Zukunftsfragen. Dies betrifft insbesondere die auch aus Umweltsicht anzustrebende Veränderung der Lebens- und Konsumstile der Menschen.

Von übergreifender politischer Bedeutung dürfte sein, dass die Nachhaltigkeitspolitik nunmehr mit messbaren Größen etabliert und überprüfbar ist. Die eingeführte Berichterstattungspflicht spricht neben der statistischen Fortschreibung der Indikatoren richtigerweise auch die politische Justierung ("Sind wir auf dem richtigen Weg?") an. Das Monitoring ist also sowohl als detailreiche Beschreibung des state-of-the-art als auch als politische Standortbestimmung mit dem Ziel der Fokussierung auf neue Schwerpunkte und politische Ansätze angelegt. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung könnte dies zu einer strukturierten Netzwerkbildung der Nachhaltigkeitspolitik auf allen gesellschaftlichen Ebenen, nicht nur in der Politik der Bundesregierung, sondern auch mit Blick auf die vielfältigen Aktivitäten der Bundesländer und der Kommunen erwartet werden, beitragen.

Der Nachhaltigkeitsrat bewertet die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie als einen positiven und weiterführenden Schritt. Er hatte im Vorfeld dafür plädiert, die Strategie mit quantifizierten Zielen und Indikatoren zu konkretisieren und so zu einem modernen Politikmanagement zu kommen. Ferner hatte er angeraten, die Verantwortung Deutschlands für die globale Entwicklung zu betonen und mit der Nachhaltigkeitsstrategie einen Politikprozess in Gang zu setzen, ein Monitoring einzuführen und auf Bundesebene politische Schwerpunkte zu setzen. Der Nachhaltigkeitsrat hat sich allerdings nicht mit allen seinen Vorschlägen zu den Indikatoren und Schwerpunktthemen durchgesetzt, insbesondere erscheint ihm die industrie- und innovationspolitische Perspektive zu wenig ausgeprägt, und die Ziele und Anreize zum Ressourcenschutz knüpften nicht an die nach Ansicht der Rates erforderlichen Perspektiven an.

III. Was ist Zukunftsfähigkeit und was nicht?

Eine negative Antwort erscheint leichter als eine positive. Was als nicht zukunftsfähig gilt, stellt im Vorfeld der UN-Weltkonferenz in Johannesburg eine lange Bilanzliste dar: Der weltweite Verlust an Tier- und Pflanzenarten schreitet fort, Bodenzerstörung und Wüstenbildung nehmen zu, die Emission klimaschädlicher Gase steigt, Infektionskrankheiten breiten sich im Weltmaßstab aus. Die wirtschaftliche Kluft zwischen industriell geprägten Ländern und den Entwicklungsländern hat sich noch vertieft. Der Energiekonsum ist extrem ungleich verteilt, die Welternährungslage ist kritisch. Für rund 800 Millionen Menschen ist es heute noch ein unerreichbarer Luxus, sich satt zu essen. Die reichen Industrienationen sind weit von dem Ziel entfernt, mit 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts Entwicklungspolitik zu machen. Bewaffnete Konflikte um Land, Rohstoffe, Wasser und Nahrung nehmen zu. 15 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 56 Prozent des gesamten Weltkonsums, während die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung sich zehn Prozent der Konsummenge teilen.

Gemessen am weltweiten Ausmaß von Armut und Umweltproblemen ist die Welt noch weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt. Die ungleiche Verteilung des Ressourcen-Konsums kann schlechterdings nicht als zukunftsfähig gelten. Armut und Ungerechtigkeit sind eine Ursache von Krieg und Umweltzerstörung. Allerdings würde - um einem Missverständnis vorzubeugen - eine Gleichverteilung des Ressourcenkonsums unter Umweltgesichtspunkten die gleichen Fragen aufwerfen nach dem Erhalt der Biodiversität, nach dem Überleben von Fischbeständen, nach dem Klimawandel und nach dem Erhalt natürlicher Ressourcen für eine ökologisch tragfähige Welternährung. Der Emission von Treibhausgasen kommt eine Schlüsselfunktion für den Naturverbrauch zu. Die wissenschaftliche Beurteilung des Klimawandels schließt auf die Notwendigkeit einer Halbierung der derzeitigen Kohlendioxidemissionen (des Naturverbrauches). Allerdings wird eine nachhaltige Entwicklung der Welt nur zu gewährleisten sein, wenn gleichzeitig der Wohlstand der Welt an materiellen Gütern, Nahrungsmitteln, Wissens- und Bildungsressourcen mindestens verdoppelt wird und seine Verteilung (und Schaffung, notabene) nach anderen als den heutigen Mustern erfolgt. Die Spanne zwischen diesem Ziel einerseits und den Ansatzpunkten und dem Steuerungspotenzial der aktuellen Politik der OECD-Länder andererseits ist offensichtlich, ebenso allerdings, wie die ihnen zugemessene Leitfunktion für die Suche nach Lösungsmöglichkeiten auf der Hand liegt. Wo stehen wir heute?

Im internationalen Umweltranking belegt Deutschland nur den 54. Platz, eine Platzierung, die mit der vorherrschenden Binnenwahrnehmung von Deutschland als internationalem Vorreiter im Umweltschutz kaum in Übereinstimmung zu bringen ist. Auch bei berechtigten Einwänden gegen vergleichende Länderstatistiken muss dieses Ergebnis als Tendenzaussage sehr ernst genommen werden. Deutschland ist international weder in der Innovations- und Wissenspolitik noch im Umweltschutz die Nummer eins oder zumindest ein Trendsetter. Die Politik hat zwar erfolgreich Innovationsanreize insbesondere bei den erneuerbaren Energien gesetzt, aber insgesamt stellen sich doch eine Reihe von Fragen nach den industrie- innovations- und gesellschaftspolitischen Grundzügen einer nachhaltigen Entwicklung in und für Deutschland. So weist zum Beispiel Roland Berger darauf hin, dass noch immer Industrien ohne Zukunftsperspektive subventioniert werden und der deutsche Weltmarktanteil an Hochtechnologien gering ist. In der Arbeits- und Sozialpolitik markiere der Anstieg der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft ein alarmierendes Zeichen für Fehlentwicklungen. Zwar deutlich mehr als in der Vergangenheit, aber immer noch zu gering seien die Investitionen in die Humanressourcen und in ein modernes Wissensmanagement. Modernes Wissensmanagement und der gezielte Aufbau von "sozialem Kapital" wird von einigen Unternehmen aufgegriffen, ist aber keineswegs als gesamtgesellschaftliche Perspektive verankert.

Auch die Entwicklung der technischen und sozialen Infrastruktur wirft eine Reihe von Zukunftsfragen auf. Zum Beispiel weisen Technologietrends deutlich auf die Zukunft der Brennstoffzellen-Technik hin: Welche öffentliche und privatwirtschaftliche Infrastrukturpolitik aber brauchen wir für das virtuelle Kraftwerk aus stationären, dezentralen Brennstoffzellen? Der Einsatz von Brennstoffzellen im Verkehrsbereich wird zunächst vorwiegend auf fossilen Energieträgern gegründet sein. Für den perspektivischen Einsatz von erneuerbaren Energien der Wasserstoffwirtschaft sind ein langer Vorlauf und die Schaffung von Infrastrukturen erforderlich. Gesetzliche Anforderungen an den Schadstoffausstoß können die Entwicklung von Technologie und Infrastruktur fördern. Soll die Schaffung eines Tankstellennetzes für die Brennstoffzelle dem Markt überlassen werden? Hat der Markt die richtigen Signale?

Energiepolitiker bilanzieren für das Jahr 2010 ein Defizit von rund 40 000 Megawatt Energie aus dem Wegfall veralteter fossiler Kraftwerke. Welche Art von Kraftwerken werden wir in Zukunft bauen? Liegt die Lösung überhaupt im Neubau von Kraftwerken oder eher in der Einsparung von Energie durch verstärkte Einführung noch effizienterer Nutzungsformen? Welchen Stellenwert hat eine saubere und hoch effiziente Kohle-Technologie für die Weltenergieversorgung, die auf absehbare Zeit weiterhin überwiegend auf Kohle aufbaut und sich den unabweisbaren Anforderungen der CO2-Minimierung stellen muss? Wie schaffen wir es, hoch effiziente, moderne Technologien in den Welt-Kohlendioxidmarkt zu exportieren?

Wie kann eine aktive Nachhaltigkeitspolitik auf der Ebene der Kommunalpolitik sichergestellt werden, und wie können neue Finanzierungselemente zum Beispiel des privatwirtschaftlichen community financing gemeinsam mit neuen partizipativen Strukturen in die Zukunft einer nachhaltigen Gemeindepolitik eingehen?

Das Beispiel der Verkehrspolitik macht exemplarisch den Trend der Immunisierung gegen die politische Einflussnahme deutlich. Die verkehrspolitischen Partei- und Regierungsprogramme der letzten Jahrzehnte unterscheiden sich nicht wesentlich in den Zielen, absehbare Infarktsituationen des Straßenverkehrs zu vermeiden, die Güterverkehrsleistung der Bahn zu erhöhen, den öffentlichen Verkehr zu entwickeln etc. Eingeräumt wird angesichts der Verkehrsprognosen aber auch regelmäßig, dass man diesen Zielen nicht wesentlich näher gekommen ist. Eine ähnliche Immunität gibt es auch in anderen Bereichen. So ist trotz vielfältiger guter Vorsätze der Trend ungebrochen, zunehmend mehr Siedlungsfläche in Anspruch zu nehmen - auf Kosten der landwirtschaftlich genutzten Flächen. In der Landwirtschaft ist ihrerseits entgegen milliardenschwerer agrarsozialer Förderung der Trend ungebrochen, dass Landwirte keinen Hofnachfolger finden und ihren Hof aufgeben. All dies sind Beispiele für Entwicklungen, die mindestens unerwünscht sind und gegen den mehr oder weniger ausgeprägten politischen Willen stattfinden - vielleicht, weil die eigentlich treibenden Kräfte dieser Entwicklungen sich einer nach Legislaturperioden organisierten Politik entziehen und in der nach Administrationen und Disziplinen fragmentierten Politik eine Fokussierung auf lange Wellen und säkulare Trends kaum Chancen hat? Solche Trends kämen erst in Sicht, wenn zum Beispiel Lebensstile zwischen Individualisierung, persönlicher Entfaltung, lebenslangem Lernen und neuen Erwartungen an Orientierungen oder - andere Beispiele - die soziale Lebensqualität der Menschen, die Perspektiven europäischer Integration, die Infrastrukturdynamik in den Blick genommen würden.

Nachhaltigkeit ist eine Integrationspolitik, weil es um die Orientierung der Ressortpolitik an übergeordneten politischen Zielen geht. Integrationspolitiken begegnen in der politischen Umsetzung oft abwehrenden Vorbehalten und einem Ideologieverdacht. Es erscheint aus Sicht der Fachpolitik - sei es der Verkehrs-, Agrar- oder Sozial- und Wirtschaftspolitik mit ihren vermeintlichen Sachargumenten - so als würden sich die Nachhaltigkeit mit einer von außen gesetzten Ideologie und Definitionsmacht aufdrängen. Integrationspolitik wird oft als "kopflastig und aufgesetzt" angesehen und ein Verlust an Einfluss, Diskursmacht und politischer Präsenz befürchtet. Dabei kann sie durchaus auch Gegenteiliges bedeuten, nämlich eine Steigerung von politischer Aufmerksamkeit. Im Trend der Medialisierung ist Aufmerksamkeit eine Währung, die in politisches Kapital umgewandelt werden kann.

IV. Kommunikation und Aufmerksamkeit

Zu Recht gehört die Kommunikation der Ziele und Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung zu den wichtigsten Aufgaben der Nachhaltigkeitspolitik. Denn wie sollen in einer demokratischen Gesellschaft sonst kollektiv bindende Auffassungen und Entscheidungen über Langfristthemen zustande kommen, zusätzlich zu den bewährten Formen der politischen Meinungsbildung und diese ergänzend? Zu kommunizieren ist vor allem zweierlei: Zum einen die primäre Problemeinsicht in das "So wie es geht, geht es nicht (mehr lange)" hinsichtlich der globalen Ungleichgewichtigkeit von Zukunftschancen und der Nutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, meist sogar zunächst: von Überlebenschancen der Menschen. Zum anderen stellt auch die Vermittlung neuer Politikformen hohe Anforderungen. Nachhaltigkeitspolitik rückt die gemeinsamen Handlungschancen in den Vordergrund, soll Freiwilligkeit und selbstständige Übernahme von Verantwortung anregen und mit der Anerkennung individuellen Bemühens als einer gesellschaftlichen und nicht vorrangig monetären Größe arbeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Kommunikation des Anliegens der nachhaltigen Entwicklung nicht als werblich-gekaufte Kommunikationsmaßnahme denkbar, weil sie sich in der Endlosigkeit der kommerziellen Werbewelt verlöre. Vielmehr muss sie als eine politische Kommunikation um Inhalte, Handlungschancen und Verantwortung aufgefasst werden.

Die Einstellung vieler Menschen gegenüber der Nachhaltigkeit ähnelt der, die sie dem Staat gegenüber haben und die sich mit einem Schlagwort beleuchten lässt: Von ihr/ihm wird alles erwartet, aber nicht viel gehalten. Gegenüber "Nachhaltigkeit" als politischem Begriff wird Skepsis angemeldet. Zuviel werde versprochen, zu wenig erkennbar getan. Der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeits- und Staatsverständnis ist nicht zufällig, da das vorherrschende Verständnis beim Thema Nachhaltigkeit immer noch überwiegend auf die Handlungskompetenz des Staates abstellt und noch kaum die zivilgesellschaftliche Dimension sieht. Hier liegt ein großer Gestaltungsspielraum für bürgerschaftliches Engagement. Skepsis gegenüber dem Begriff Nachhaltigkeit signalisieren auch wissenschaftliche Beiträge, die den Begriff Nachhaltigkeit mit kritischem Unterton diskutieren.

Nachhaltigkeitskommunikation trifft auf ein höchst uneinheitliches Publikum, das nicht in einer gemeinsamen Weise mit einer Idee, einem Begriffsinhalt angesprochen werden kann. Die Vielfalt der special interest-Magazine am Medienmarkt signalisiert, dass sich die Publikumsansprache zunehmend auf diese Spezial-"Welten" bezieht und dass eine landesweit durchgängige Agenda nur bei wenigen und kurzfristig aktuellen Themen wie Lebensmittelskandalen, Kriegen und personalisierten Themen greift. Globale Meinungsumfragen helfen heute letztlich nur noch bei Wahlkämpfen, und auch darüber kann man sicher streiten. Kommunikationsdefizite werden auch bei anderen, nicht minder zentralen Gesellschaftsthemen festgestellt, wie zum Beispiel dem bürgerschaftlichen Engagement, der Bürgergesellschaft und Demokratie, allerdings ohne dass hier die Leitbegriffe in Frage gestellt würden. Der Leitbegriff Nachhaltigkeit ist zwar sperrig, aber echt - denn er ist authentisches Ergebnis der Fortentwicklung von Umwelt- und Entwicklungspolitik; er ist zwar eine schlechte Übersetzung, aber international anschlussfähig - denn man versteht sich in der Welt, wenn man von sustainability spricht; er ist zwar unsinnlich, aber zutreffend - denn er beschreibt den Kern des Anliegens, Armut zu bekämpfen, die Umwelt zu bewahren, dem Umweltraubbau entgegenzuwirken und die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu erhalten. Partizipative Diskussionsformen in Nachhaltigkeitsprozessen erscheinen sicherlich zunächst als etwas Widerständiges und Umständliches, das seinen Zweck erst langfristig zu erreichen vermag. Ihre Anwendung setzt auch ein gewisses Verständnis und eine Einübung voraus.

Ein kurzfristiges Umschwenken auf partizipative Verfahren, etwa weil dies bei leeren öffentlichen Kassen momentan opportun erscheint, ist kaum Erfolg versprechend; sie sind nicht als Mittel zum Zweck einzusetzen, ansonsten sind unveränderte Politikinhalte "besser" durchzusetzen. Beispiele aus Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien zeigen, dass die Partizipation eine Veränderung der Rollen zwischen den Beteiligten mit sich bringt und erst dann tragfähig wird, wenn sich die Beteiligten aus Willen zum Ergebnis und zum Prozess darauf einlassen. Nachhaltige Entwicklung strebt das Konsensprinzip an, aber die erforderliche Partizipation wird nicht mit Konsens-Suche gleichgesetzt. Die Erfahrung aus lokalen Agenda-Prozessen wie auch aus den Stakeholder-Dialogen multinationaler Unternehmen ist, dass Partizipation und diskursive Beteiligung durch die Festlegung auf nur im vollständigen Konsens erzielbare Ergebnisse blockiert werden und im Übrigen auch die breitenwirksame Kommunikation erschweren.

Für eines der Kommunikationsprojekte des Nachhaltigkeitsrates wurden, ausgehend von einem Beteiligungswettbewerb und der Durchführung von Schreibwerkstätten, mehrere hundert Schülerinnen und Schüler im Alter von ca. 15 bis 18 Jahren eingeladen, ihre Vorstellungen, Wünsche und Anregungen zur nachhaltigen Entwicklung in literarischer Form zu präsentieren. Es zeigte, dass Motivation und Engagement sich erst in einem authentischen Umfeld entfalten, das mit den Schreibwerkstätten geschaffen wurde. Jede Gruppe gestaltete hier ein eigenes Umfeld oder suchte es in markanten Landschaften wie z. B. Braunkohleabbaugebieten. Die Kommunikation von Nachhaltigkeit setzte hier am Authentischen, Wahrhaftigen und Sinnlichen an, um Begeisterung für Nachhaltigkeit zu erzeugen und den Anstoß für einen sozialen Lern- und Kreativvorgang zu geben. Diese Erfahrungen weisen auf die aktuelle Debatte um Bildung und Bildungsinhalte hin: Wenn Jugendliche den überwiegenden, mindestens aber einen großen Teil ihrer Lern- und Lebenserfahrung außerhalb der Schule machen, dann sollte das Bemühen um verstehendes Lernen, lernendes Verständnis und das Erkennen sozialer Verantwortung auch im Bereich der informellen Bildung ansetzen. So verstanden, stellen die PISA-Ergebnisse auch Fragen an die Familien-, Jugend- und die Kulturpolitik.

Bildungspolitische Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung sollten auch die demographische Entwicklung reflektieren. Zu erwarten sind Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Entwicklung der Lebensstile der Menschen, auf die soziale Infrastruktur, auf ihre Anforderungen an das soziale Lernen und an die Beschäftigung im Dritten Lebensabschnitt, auf Lebensgewohnheiten in der städtischen Umwelt, auf die sozialen Leistungen und die - wenn man so will - Sozialkultur der Gesellschaft. Die Menschen werden Bildung in die eigenen Hände nehmen müssen, so erforderlich, wichtig und gut auch die Anstrengungen der Lehrer, Bildungspolitiker und der freien Einrichtungen mit ihren Programmen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung sind.

Nachhaltigkeit spricht neben technischen und naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit sozialwissenschaftlichen Fragestellungen vor allem Normen und Spielregeln der Gesellschaft an, die ethische Bindungen herausbilden, erhalten und fortentwickeln. Diese stehen im Mittelpunkt des bildungspolitischen Bemühens um die Lerninhalte für eine nachhaltige Entwicklung. Eine Gesellschaft mit einem Mangel an solchen Bindungen bedroht sich langfristig selbst; Rechts- und Unrechtsbewusstsein schwinden, Korruption, Unmenschlichkeit und Naturzerstörung breiten sich aus. Der alte Fortschrittsglaube in seinem nahezu ausschließlich auf ein Wachstum "an sich" reduzierten Verständnis von Entwicklung passt als Antwort auf die Frage nach der Zukunftsfähigkeit nicht mehr.

V. Von den Grenzen des Wachstums zur Nachhaltigkeit

In der Vergangenheit wurde "Entwicklung" in Europa vorwiegend verstanden als eine fortwährende, eigenständig vorantreibende Entwicklung. Die Entwicklung wurde als etwas verstanden, dessen "Ob" gleichsam außerhalb der gesellschaftlichen Einflussnahme war und dessen "Wie" es im Sinne von Verteilungskämpfen sowie von Auseinandersetzungen um Rechte und politische Mitsprache zu gestalten galt. Nach Zukunftsfähigkeit im heutigen Verständnis des Wortes wurde nicht gefragt. Dem Entwicklungs-Fortschritt wurde zugetraut, die Probleme, die er mit der Industrie, Technik und Wissenschaft schafft, im jeweils nächsten Schritt auch gleich selbst zu lösen. Der erste Bruch dieses Verständnisses kam 1972 mit dem Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums und mit der ersten globalen Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm.

Sie brachten die Frage nach den natürlichen Ressourcen, ihrer dauerhaften Nutzbarkeit und den Umwelteffekten ihrer Nutzung ins Blickfeld und gaben den Anstoß für vielfältige weitere empirische Untersuchungen und Debatten. Es war ein Erfolg der Wachstumskritik, dass sie einen Denkprozess angestoßen hat, in dessen Ergebnis sie in Teilen widerlegt worden ist. Der Raumschiffschock (die ersten Bilder der Erde als Raumschiff prägten die Zeit) führte zu Unheilsprophetien und Beschwichtigungen, vor allem aber zu neuen empirischen Erkenntnissen über Stoffströme, Naturphänomene und die Nutzbarkeit natürlicher Ressourcen und damit zur erheblichen Ausweitung und Aufwertung des naturwissenschaftlichen Verständnisses der globalen Ökologie. Auf internationaler Ebene waren wesentliche nachfolgende Etappen durch den Brundtland-Report 1987 und seine Anregung, einen Weltgipfel zu Umwelt und Entwicklung durchzuführen und damit den Einstieg in die globale Politik zu finden, gekennzeichnet. Dies legte den Grundstein für die Einsicht, dass die globale Umwelt- und Entwicklungspolitik auf ihrem Weg zu einer Nachhaltigkeitspolitik politische und institutionelle Erneuerungen anstreben muss.

Einen Motor für solche Innovationsstrategien stellen die nationalen Nachhaltigkeitsstrategien dar, sofern sie, wie die jüngsten Beispiele aus Großbritannien und Frankreich, einen Trend in Richtung der thematischen Breite, der Einführung von quantifizierten Selbstverpflichtungen der Regierungen und schließlich hinsichtlich der partizipativen Verfahren setzen. Großbritannien ist eines der ersten europäischen Länder, das eine Nachhaltigkeitsstrategie vorlegte; es ist der Trendsetter im Hinblick auf die regelmäßige Berichterstattung. Großbritannien hat die Nachhaltigkeit zur "Chefsache" gemacht; es verfolgt einen breiten Ansatz, der konkrete quantifizierte Ziele für Umweltfragen und z. B. Kriminalität, Ausbildungsniveau und Wirtschaftsdaten umfasst. Die britische Regierung hat kürzlich den zweiten Jahresbericht zur nachhaltigen Entwicklung veröffentlicht, der die 15 Indikatoren und die Prinzipien der 1999 beschlossenen Nachhaltigkeitsstrategie bilanziert. Jeder Indikator ist mit einer Zielvereinbarung der öffentlichen Verwaltung (einem public service agreement target) verbunden.

Frankreich hat im März 2002 seine Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt. Die vom Umwelt- und Raumordnungsminister erstellte Strategie bezieht sich vorwiegend auf die Umwelt- und Entwicklungspolitik und setzt einen Schwerpunkt bei Umweltrisiken durch Schadstoffe in Produktion und Konsumtion sowie Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung, wenn wirtschaftliche Signale nicht rechtzeitig und umfassend in Betriebsabläufe internalisiert werden. Beiden Risikobereichen soll mit einer Strategie der Vorsorge und der Partizipation begegnet werden. Als vordringliche Maßnahme zur nachhaltigen Entwicklung setzt sich Frankreich für die Umsetzung der Verpflichtung ein, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Frankreich kommt dieser Verpflichtung derzeit ebenso wenig wie Deutschland nach. Die Strategie befürwortet neue Finanzierungsmechanismen, um die Globalisierung für die Nachhaltigkeit nutzbar zu machen. Genannt werden u. a. eine internationale Besteuerung von Spekulationsgewinnen, von Waffenverkäufen und auf CO2-Emissionen. Besonderes Gewicht legt die Strategie auf eine internationale Wasserpolitik, die sich in einer internationalen Wasser-Charta mit neuen Prinzipien zur Nord-Süd-Solidarität und zur Nutzung des Wassers als öffentliches Gut ausdrückt. Energiepolitisch setzt sich Frankreich das Ziel, bis 2010 einen Anteil erneuerbarer Energien von 21 Prozent zu erreichen. Die Abfallmenge soll um zehn Prozent reduziert werden. Die Agrarpolitik der EU soll in 2005 einen Anteil von fünf Prozent Ökolandbau erreichen.

Beide Länder-Beispiele zeigen modernes Regierungshandeln für eine nachhaltige Entwicklung auf, das allerdings nur so lange modern bleibt, wie es seine eigene Dynamik und Fortsetzung vorantreibt und Betroffene zu Akteuren macht. Dies gilt auch für die deutsche Nachhaltigkeitspolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag reflektiert den Stand der Nachhaltigkeitspolitik teils mit einem Fokus auf die Beratungen des nationalen Nachhaltigkeitsrates, ohne jedoch mit dem Rat formell abgestimmt zu sein.

  2. Vgl. Schillernder Begriff der Nachhaltigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 6. 2002; Woche der Nachhaltigkeit, in: Süddeutsche Zeitung vom 18. 5. 2002; Wunschliste ohne praktischen Wert, in: Berliner Zeitung vom 16. 5. 2002.

  3. Vgl. Volker Hauff (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987.

  4. Vgl. Umweltbundesamt (Hrsg.), Lokale Agenda 21 im europäischen Vergleich. Bericht des ICLEI und des DIFU, Berlin 1999.

  5. Vgl. Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" des Deutschen Bundestages, Bericht Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Opladen 2002, S. 188 (identisch mit Bt-Drs. 14/8900 vom 3. 6. 2002).

  6. Vgl. G. Schönborn/A. Steinert, Sustainability Agenda. Nachhaltigkeitskommunikation für Unternehmen und Institutionen, Neuwied-Kriftel 2001, S. 90; vgl. auch die Nachhaltigkeitsberichte z. B. der Metro AG, Deutschen Bank AG, Wilkhahn GmbH, Weleda AG, Otto Versand GmbH, Gundlach Firmengruppe, Dresdner Bank; vgl. auch imug/iöw (Hrsg.), Der Nachhaltigkeitsbericht. Ein Leitfaden zur Praxis glaubwürdiger Kommunikation für zukunftsf6#228;hige Unternehmen, Berlin 2001. Der Stand der Nachhaltigkeitspolitik der Wirtschaft erforderte eine detailliertere Darstellung, als sie hier möglich ist.

  7. Vgl. E. Müller, Der Stellenwert sozialer Themen in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, in: BMFSFJ (Hrsg.), Zivilgesellschaft und soziale Nachhaltigkeit, Berlin 2002; dies., Nachhaltige Entwicklung als Projekt der internationalen Politik. Vortrag vor einem Expertenkreis des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin 2002; M. Platzeck, Nachhaltige Raumentwicklung - mehr als eine Worthülse? Rede zur Eröffnung der wissenschaftlichen Plenarsitzung 2002 der Akademie für Raumordnung und Landesplanung, Potsdam 2002; A. Zahrnt, Erwartungen an die Forschung aus der Sicht praktischer Nachhaltigkeitspolitik. Vortrag zur Auftaktkonferenz "Zukunft gewinnen - der Beitrag der sozial-ökologischen Forschung", BMBF, Berlin 2002 (alle Vorträge unter: www.nachhaltigkeitsrat.de).

  8. Vgl. K. Töpfer, Nachhaltige Entwicklung vor dem Hintergrund der Globalisierung. Rede zur Auftaktveranstaltung des Nachhaltigkeitsrates, Berlin 2002; V. Hauff, Nachhaltigkeit und Globalisierung. Rede zur Nationalen Vorkonferenz des BMU, BMZ und Forum Umwelt &Entwicklung zum Johannesburg-Gipfel 2002, Berlin 2002; ders., Globalisierung, Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland, in: Deutschland-Magazin, (2002) 1; ders., Deutsche Nachhaltigkeitspolitik 10 Jahre nach Rio und 100 Tage vor Johannesburg. Die Globalisierung zwingt zu neuen Nachhaltigkeitskonzepten, in: pö_forum "Der nächste Schritt". Beilage zur Zeitschrift Politische Ökologie, (April 2002) 76 (alle Vorträge unter: www.nachhaltigkeitsrat.de).

  9. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Umweltpolitik. Agenda 21 - Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente, Bonn 1997.

  10. Vgl. BUND/Misereor (Hrsg.), Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland, München 2002; dies. (Hrsg.), "Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Basel - Boston - Berlin 1996; Deutscher Bundestag (Hrsg.), Konzept Nachhaltigkeit - vom Leitbild zur Umsetzung. Abschlussbericht der Enquete-Kommission des 13. Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt", Bonn 1998; Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 12. deutschen Bundestages (Hrsg.), Die Industriegesellschaft gestalten - Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen, Bonn 1996.

  11. Der Bundeskanzler hat Persönlichkeiten aus gesellschaftlichen Einrichtungen und Gruppen ad personam in den Nationalen Nachhaltigkeitsrat berufen (Vorsitz: Volker Hauff, Mitglieder: Jochen Flasbarth; Wolfgang Franz; Rainer Grohe; Roland Heinisch; Claus Hipp; Eberhard Jochem; Margot Käßmann; Edda Müller; Matthias Platzeck; Heinz Putzhammer; Josef Sayer; Klaus Töpfer; Fritz Vahrenholt; Hubert Weinzierl; Angelika Zahrnt) (www.nachhaltigkeitsrat.de).

  12. Vgl. Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland - Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Berlin 2002.

  13. Die politische Integration ist auch auf EU-Ebene eine der größten Herausforderungen. Dies zeigt sich an den "Integrationsversuchen der EU und dem bisherigen Ergebnis der EU-Nachhaltigkeitspolitik. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Nachhaltige Entwicklung in "Europa für eine bessere Welt: Strategie der Europäischen Union für eine nachhaltige Entwicklung. Vorschlag der Kommission für den Europäischen Rat in Göteborg, Brüssel 2001, KOM 264 (www.europa.eu.int/eur-lex/de/com/cnc/2001/com2001_0264de01.pdf) und Beschlüsse des Europäischen Rates in Göteborg, 2001.

  14. Vgl. im gleichen Sinn und sehr materialreich: Umweltbundesamt, Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Die Zukunft dauerhaft umweltgerecht gestalten, Berlin 2002.

  15. Vgl. Umweltbehörde Hamburg (Hrsg.), Kursbuch Umwelt. Ziele für ein zukunftsfähiges Hamburg, Hamburg 2001, S. 289; Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, Umweltplan, Stuttgart 2001.

  16. Vgl. Rat für Nachhaltige Entwicklung, Ziele zur "Nachhaltigen Entwicklung in Deutschland - Schwerpunktthemen. Dialogpapier des Nachhaltigkeitsrates, 2001 (www.nachhaltigkeitsrat.de/dialog); V. Hauff, Nachhaltige Beratung? Ein Jahr Rat für Nachhaltige Entwicklung, in: U.'E. Simonis (Hrsg.), Jahrbuch Ökologie 2003 (i. E.).

  17. Vgl. United Nations Environment Programm, GEO: Global Environment Outlook3. Past, present and future perspectives, Earthscan 2001 (http://www.unep.org/GEO/geo3/).

  18. Vgl. stellvertretend und zusammenfassend verschiedene Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates der Bundes"regierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (www.wbgu.de).

  19. Vgl. E. U. von Weizsäcker, Das Jahrhundert der Umwelt. Vision: Öko-effizient leben und arbeiten, Frankfurt/M. 2001.

  20. Der Environmental Sustainability Index (ESI) ist ein Index aus 21 Indikatoren mit 68 Variablen. Wissenschaftler der Yale- und der Columbia-Universität vergleichen damit 142'Länder. Bewertet wird der Zustand der Umwelt und die politische Kapazität zur Lösung von Umweltproblemen. Deutschland belegt den 54., die USA den 51. und Großbritannien den 99. Platz. Spitzenreiter sind Finnland, Norwegen und Schweden. Der ESI-Report wurde während des Weltwirtschaftsgipfels in New York im Februar 2002 veröffentlicht (www.ciesin.org/indicators/ESI/).

  21. Vgl. Zehn Schritte zum Wohlstand, in: Die Zeit, Nr. 21 vom 16. 5. 2002, S. 8.

  22. Vgl. Umweltbundesamt (Anm. 14); Enquete-Kommission "Nachhaltige Energieversorgung" des Deutschen Bundestages, Abschlussbericht, Berlin 2002 (www.bundestag.de/energie).

  23. Vgl. Umweltbundesamt (Hrsg.), Perspektiven für die Verankerung des Nachhaltigkeitsleitbildes in der Umweltkommunikation - Chancen, Barrieren und Potenziale der Sozialwissenschaften, UBA-Bericht 04/01, Berlin 2001.

  24. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Umweltgutachten 2002. Für eine neue Vorreiterrolle, Berlin 2002, S. 848; ders., Umweltgutachten 1994 - Für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung, Stuttgart 1994; Umweltbundesamt, ebd., S. 352; M. Jänicke / H. Jörgens (Hrsg.), Umweltplanung im internationalen Vergleich. Strategien der Nachhaltigkeit, Berlin 2001.

  25. Vgl. Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerlichen Engagements" (Anm. 5), S. 463 ff.

  26. Vgl. Rat für Nachhaltige Entwicklung, Jugend schreibt Zukunft (i. E.).

  27. Vgl. Bund-Länder-Kommission, Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, vgl. die Materialien auf (www.blk21.de/); Bundesregierung, Bericht zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, Bt-Drs. 14/7971 vom 3. 1. 2002.

  28. Vgl. I. Balzer/M. Wächter (Hrsg.), Sozial-ökologische Forschung. Ergebnisse der Sondierungsprojekte aus dem BMBF-Förderschwerpunkt, München 2002, S. 570.

  29. Vgl. U. E. Simonis/F. Biermann, Politikinnovation auf der globalen Ebene, in: Jahrbuch Ökologie 2000, München 2002, S. 26 - 37; OECD (Hrsg.), Governance for Sustainable Development in Germany: Institutions and Policy Making, by M. Jänicke/H. Jörgens/K. Jörgensen/R. Nordbeck, Paris 2001, abrufbar unter: (http://www.oecd.org/puma/strat/pubs/GermanySD.pdf); F. J. Radermacher. (Hrsg.), Informationsgesellschaft und Nachhaltige Entwicklung, Ulm 1998, S. 303.

  30. Die Strategie ist unter (www.environnement.gouv.fr) "erhältlich. Eine Übersetzung ins Englische ist in Arbeit. Vgl. im Übrigen das Netzwerk der European Environmental "Advisory Councils (www.eeac-network.org) der über 30 "Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte in den europäischen Staaten. Auf globaler Ebene hat die UN das Network of'National Councils for Sustainable Development ein"gerichtet (www.ncsdnetwork.org). Einen Informationspool zur Nachhaltigkeit stellt auch die OECD zur Verfügung (www.oecd.org).

Dr.-Ing., geb. 1955; Mitarbeiter des Umweltbundesamtes; zur Zeit Geschäftsführer des Nationalen Nachhaltigkeitsrates.

Anschrift: Rat für Nachhaltige Entwicklung, c/o Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin.
E-Mail: guenther.bachmann@nachhaltigkeitsrat.de

Veröffentlichungen u. a.: Mitherausgeber von Handbüchern zu technischen Fragen des Umwelt- und insbesondere Bodenschutzes.