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Editorial | Politik als Inszenierung | bpb.de

Politik als Inszenierung Editorial Ernst ist das Leben, heiter die Politik Die Theatralität der Politik in der Mediendemokratie Von Feinden und Helden Die medienorientierte Inszenierung von Protest

Editorial

Katharina Belwe

/ 2 Minuten zu lesen

Politik und Medien sind heute nahezu untrennbar miteinander verwoben: politische Realität ist Medienrealität. Ohne Beachtung der Gesetze der Medien lässt sich kaum mehr Politik machen. Demokratie wird so zur Mediendemokratie.

Jede Epoche hat ihre eigene Form, mit Problemen umzugehen. In einer Zeit, in der Politik und Medien nahezu untrennbar miteinander verwoben sind, in der politische Realität Medienrealität ist, lässt sich ohne Beachtung der Gesetze der Medien kaum mehr Politik gestalten. Demokratie wird zur Mediendemokratie; letztlich gelten die Regeln der medialen Darstellung auch für das politische Geschehen selbst. Die Mediendemokratie verändert nicht nur die Politik, sie verändert auch die agierenden Politikerinnen und Politiker - und sie verändert die Medien. Denn der permanente Zwang zur Inszenierung geht auf beiden Seiten mit einem Substanzverlust einher.

Politik wird in der Mediengesellschaft zunehmend über die Person des Spitzenpolitikers vermittelt; dieser muss in der Lage sein, die entsprechende Rolle gut zu spielen. Wer dies nicht kann, wird nicht gewählt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Politik und Medien: Politik ist unendlich viel langsamer als die Medien, die täglich eine neue Schlagzeile, ein neues Bild brauchen. Hier liegen die Fallen für Politikerinnen und Politiker.

Bekanntheitsgrad und Popularität von politisch Handelnden hängen in der Mediengesellschaft nicht nur von messbaren Leistungen ab. Wem es gelingt, sich medienwirksam in Szene zu setzen, der kann hier profitieren und seine politische Karriere vorantreiben. Wer um jeden Preis auffallen will, geht - so Marcus Hoinle - allerdings das Risiko ein, sich zum Politclown zu machen. Der Grat ist schmal.

Dass Politik inszeniert wird und Politikerinnen und Politiker versuchen, ihre Absichten und Leistungen für ein Publikum ins rechte Licht zu rücken, ist nach Thomas Meyer nichts Neues. Die qualitativ neue Situation besteht darin, unabhängig von Erfolgen bei einem Massenpublikum die Illusion der Wahrhaftigkeit zu erzeugen. Das geschieht auf dem Wege der medienvermittelten Kommunikation. Demokratische Politik ist nach Auffassung des Autors heute existenziell auf Kommunikationserfolge in der öffentlichen Arena angewiesen, die Parteiendemokratie klassischen Zuschnitts mutiert zur Mediendemokratie. Es handelt sich Meyer zufolge dabei um einen wahrhaft dialektischen Vorgang: Die Politik unterwerfe sich den Regeln der Medien, um auf diese Weise die Herrschaft über die Öffentlichkeit zu gewinnen.

Dies geschieht heute weit subtiler als etwa in den untergegangenen sozialistischen Systemen. Als zentrales Element der monologischen Kommunikation von oben fungierten in der DDR propagandistische Routinen und Rituale: Die Herrschenden - so Silke Satjukow und Rainer Gries - kommunizierten mit den Beherrschten durch Rituale, die nicht nur Politik repräsentierten, sondern selbst Politik waren. Die Rituale des Sozialismus sollten nach Satjukow und Gries ein DDR-eigenes Wir-Verständnis und Wir-Gefühl sowohl öffentlich vorführen als auch tatsächlich aufbauen - vor allem in Abgrenzung zum Westen.

Medienwirksame Inszenierungen erfolgen heute nicht nur "von oben", sondern auch "von unten". So wird etwa kollektiver Protest in westlichen Gesellschaften im Vorfeld - hinter den Kulissen - detailliert geplant. Dabei geht es um die Wirkung des Protestereignisses auf das Medienpublikum. Die Inszenierung soll zugleich Wirkung bei den Protestteilnehmern selbst erzielen. Wie die nach zwei Seiten gerichtete Inszenierung von Protesten erfolgt, zeigt Dieter Rucht am Beispiel der Demonstrationen zum 1.Mai 2002.