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Der Cyber-Gipfel | Medien und Politik | bpb.de

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Der Cyber-Gipfel Eine Chance zur Ausweitung der Informationsgesellschaft

Shashi Tharoor

/ 4 Minuten zu lesen

Ziel des ersten Weltgipfels zur Informationsgesellschaft ist es, mit der Informationsrevolution Schritt zu halten. Auch die ärmeren Länder sollen die revolutionären Umwälzungen und die sie begründenden Technologien nutzen können.

Einleitung

Aufs Neue erregt eine Konferenz der Vereinten Nationen Besorgnisse bezüglich der Pressefreiheit. Es handelt sich um den ersten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society/WSIS), der in wenigen Tagen in Genf stattfinden wird. Zahlreiche Medienbeobachter argwöhnen, dass einige Länder den so genannten Cyber-Gipfel, wie er griffig genannt wird, benutzen werden, um den Zugang zum Internet und den anderen neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu beschneiden. Andere wiederum befürchten ein Wiederaufleben der ideologisch aufgeladenen Debatten der siebziger und achtziger Jahre über eine neue Weltinformationsordnung.

Das Gipfeltreffen wird von einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, der International Telecommunication Union (ITU), organisiert. Es hat eine ehrgeizige Tagesordnung: Ziel ist es, mit den tief greifenden Änderungen, die durch die Informationsrevolution und deren Auswirkungen auf alle Bereiche menschlicher Aktivitäten hervorgerufen werden, Schritt zu halten. Darüber hinaus will man nach Wegen suchen, auch den ärmeren Ländern die Nutzung dieser revolutionären Umwälzungen und der sie begründenden Technologien zu ermöglichen.

Es ist das erste Mal, dass Themenbereiche wie die Rolle von Kommunikation im Rahmen der Entwicklungsförderung oder Herausforderungen wie Netzsicherheit, Spam, E-Government und Meinungsfreiheit im Informationszeitalter global diskutiert und auf höchster Regierungsebene behandelt werden, und zwar unter Einbeziehung aller betroffenen gesellschaftlichen Akteure. Die Pressefreiheit und ihre Bedeutung für die neuen Technologien werden dabei im Mittelpunkt stehen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat keinen Zweifel daran gelassen, dass das Gipfeltreffen die Universalität der Pressefreiheit für alle Medien bestätigen wird, so, wie sie in Artikel 19 der universellen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist.

Einige Regierungen werfen jedoch die Frage auf, inwieweit die Pressefreiheit einen Freibrief zur Förderung jeglicher Ideen, eines jeden Produktes oder Anliegens darstellt. In allen Demokratien wird mit Gesetzen die Pressefreiheit begrenzt, etwa, um das Recht auf Privatsphäre zu schützen oder einen Missbrauch des weltweiten Netzes durch das organisierte Verbrechen oder durch terroristische Vereinigungen zu verhindern. Ist es da nicht geradezu nahe liegend, diese Grenzen, welche für traditionelle Medien bereits existieren, auch auf das Internet anzuwenden?

Einige Staaten haben bereits Maßnahmen ergriffen, um den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, welche Kinderpornographie, Antisemitismus, Islamophobie oder rassistischen Hass verbreiten und fördern. Derlei Maßnahmen fallen unter die jeweiligen nationalen Strafgesetze und werden nicht als Bedrohung der Rede- und Meinungsfreiheit betrachtet.

Gleichzeitig lauern jedoch stets Gefahren in der Ausweitung derartiger Sanktionen. Die nationale Sicherheit oder die Verbrechensbekämpfung könnten von repressiven Regierungen allzu leicht als Vorwand benutzt werden, um die Pressefreiheit zu beschneiden.

Es ist letztlich jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass der freie Austausch von Informationen im Interesse aller Länder liegt. Einschränkungen auf diesem Gebiet können zu einer direkten Verminderung des ökonomischen Wohlstands führen. Globale gegenseitige Abhängigkeit bedeutet auch, dass diejenigen, welche Informationen frei erhalten und verbreiten können, einen Vorteil gegenüber jenen besitzen, die das nicht tun. Die Fähigkeit, Informationen durch elektronische Medien auszutauschen, ist zu einem entscheidenden Faktor für den Aufbau von Wohlstand geworden - für die Volkswirtschaften und die Zivilgesellschaften gleichermaßen.

Zweifellos bedingen Information und Freiheit einander. Die Informationsrevolution ist ohne politische Demokratie unvorstellbar. Inzwischen gilt die Verbreitung von Informationen bereits als Bewertungskriterium bezüglich der Transparenz und Zuverlässigkeit von Regierungen und somit auch bezüglich ihrer Effektivität.

Infolgedessen sind die Staaten dazu verpflichtet, sich der Außenwelt zu öffnen, die Massenmedien zu liberalisieren und der staatlichen Aufsicht und Zensur zu entziehen. Die wohlhabenden Länder könnten dabei eine zusätzliche, unterstützende Rolle spielen, indem sie für einen freieren und fairen Zugang zu Informationen eintreten und den sich entwickelnden Ländern helfen, ihre Infrastruktur zu verbessern, und den Zugang zu technologischem Fortschritt gewährleisten.

Obwohl einige während der Vorbereitungen auf das Gipfeltreffen bereits die Alarmglocken geläutet haben, gibt es auch positive Vorzeichen. Als Hauptakteure des Treffens gelten zwar die Regierungen, allerdings waren zivilgesellschaftliche Akteure, der private Sektor und die Nachrichtenmedien bereits während der Vorbereitungsphase stark einbezogen. So wurden beispielsweise Berichte über die wichtigsten Themen im Rahmen der Vorbereitungsdebatten auf der Webseite des Gipfeltreffens veröffentlicht. Damit konnte die Transparenz der Verhandlungen erhöht und Diskussionsstoff durch nichtstaatliche Organisationen bereitgestellt werden.

Internationale Medienorganisationen und Journalistenverbände beäugen das Gipfeltreffen kritisch und verlangen von der Abschlusserklärung der Konferenz ein glaubwürdiges Bekenntnis zur Pressefreiheit. Deutlich ist, dass künftig weitere Anstrengungen erforderlich sind, um Nachrichtenmedien und ihre Organisationen in die Vorbereitung eines solchen Gipfels einzubeziehen.

Eine Gelegenheit, dies zu tun, bietet sich im Rahmen einer Parallelveranstaltung des Gipfels, welche von den Vereinten Nationen gemeinsam mit der European Broadcasting Union und der Schweiz organisiert wird: Das World Electronic Media Forum soll Führungskräfte aus den Medien entwickelter und weniger entwickelter Länder mit politischen Entscheidungsträgern zusammenbringen, um die Rolle der elektronischen Medien für die Informationsgesellschaft zu diskutieren. Die Veranstaltung wird den Verteidigern der Pressefreiheit eine weitere Plattform bieten, auf der sie ihre Anliegen laut und deutlich äußern können.

Die Welt bewegt sich unaufhaltsam in Richtung einer globalen Informationsgesellschaft. Alle Regierungen sollten dabei weniger auf die Gefahren als vielmehr auf die Chancen des blinkenden Cursors auf dem Bildschirm sehen. Das Gipfeltreffen bietet eine große Gelegenheit, um sicherzustellen, dass die Informationsrevolution nicht einen Teil der Bürgerinnen und Bürger der Welt ausgrenzt und zurücklässt.

Eine englische Fassung dieses Textes erschien am 17. Oktober 2003 in The International Herald Tribune. Deutsche Übersetzung von Lars Haneberg, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., Berlin

Ph.D., B.A., geb. 1956; Untergeneralsekretär und Leiter der Informationsabteilung der Vereinten Nationen, New York; Journalist und Schriftsteller.
Anschrift: Department of Public Information, United Nations, New York, NY 10017, USA.
E-Mail: E-Mail Link: enquiries@un.org

Veröffentlichungen u.a.: Indien. Zwischen Mythos und Moderne, Frankfurt/M. 2000; Riot (Roman), Bombay 2001.