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Eine neue Ordnung im Nahen Osten - Chance oder Chimäre? | Irak | bpb.de

Irak Editorial Eine neue Ordnung im Nahen Osten - Chance oder Chimäre? Deutschland, Europa und der Irakkonflikt Unilateral oder multilateral? Motive der amerikanischen Irakpolitik Medien und öffentliche Meinung im Irakkrieg Die Rolle der UNO und des Sicherheitsrates im Irakkonflikt Die politischen Kräfte im Irak nach dem Regimewechsel Neubeginn oder "neue Katastrophe"? Auswirkungen des Irakkrieges auf die arabischen Nachbarstaaten

Eine neue Ordnung im Nahen Osten - Chance oder Chimäre?

Udo Steinbach

/ 13 Minuten zu lesen

In seinem Essay stellt der Autor die These auf, dass die Neuordnung des Nahen Ostens nur gelingen könne, wenn die israelisch-palästinensische Konflikt einer Lösung zugeführt werde.

Einleitung

Vielleicht werden Historiker eines Tages die Frage stellen, an welchem Punkt Amerika den Nahen Osten verloren hat. Die Antwort könnte dann auf jene Stunde fallen, da nach der Eroberung Bagdads amerikanische Panzer zum Schutz des Ölministeriums auffuhren, zugleich die ersten Plünderer in das irakische Nationalmuseum eindrangen und die Nationalbibliothek und das Ministerium für religiöse Angelegenheiten mit seiner unschätzbaren Sammlung von Koranen in Flammen aufgingen. Die Siegermacht richtete ihre Wahrnehmung auf ihr wichtigstes Interesse am Irak: die Wiederbelebung der Ölproduktion. Der Schutz der Kunstschätze, Grundlage und Kristallisationspunkt des kollektiven Gedächtnisses der Iraker - jenseits konfessioneller und ethnischer Gegensätze - und der kulturellen Identität eben jenes Bürgertums, das die neue Demokratie würde zu tragen haben, trat demgegenüber erst spät, zu spät in das Blickfeld.


Das hier zutage tretende Dilemma der Supermacht, das die Vorbereitungen zum Krieg bereits überschattet hatte, seit die amerikanische Regierung spätestens nach dem Terrorakt des 11. September 2001 die Ablösung des Regimes in Bagdad zu einem essentiellen Schritt im Kampf gegen den Terrorismus gemacht hatte, wurde hier auf den Punkt gebracht. Der Aufmarsch vollzog sich unaufhaltsam. Die internationale Gemeinschaft wurde zu Statisten in einem in Washington geschriebenen Stück. Das gilt auch für Großbritannien sowie jene anderen europäischen (und nichteuropäischen) Staaten, die sich auf die Seite der USA schlugen. Als es dem britischen Premierminister bei seiner Reise nach Washington am 7. September 2002 gelang, den amerikanischen Präsidenten davon zu überzeugen, der Ablösung des Regimes eine Rechtfertigung im Sinne eines durch die Vereinten Nationen erklärten Scheiterns des Abrüstungsprozesses zu geben, konnte dies kaum jemanden darüber hinwegtäuschen, dass auch dieser Umweg Bush nicht sein Ziel würde aus den Augen verlieren lassen. Damit wurde nicht nur die UNO vorgeführt; wie geradezu zynisch Washington sich über divergierende Einstellungen und Argumente weitester Teile der Weltöffentlichkeit und der Regierungen in der Welt hinwegzusetzen entschlossen war, zeigte der Auftritt von Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat: Die dargelegten "Beweise" für die Massenvernichtungswaffen des Irak sollten als possenhaftes Zwischenspiel im Ablauf des Dramas verstanden werden.

Selten ist ein Ereignis von weltpolitischer Bedeutung derart arrogant unter dem ohnmächtigen Zuschauen weitester Teile der Weltöffentlichkeit in Szene gesetzt worden. Die Zerstörung der Kulturschätze des Irak beim Einmarsch der Sieger lässt schärfer als alle bis zum Ausbruch des Krieges zum Ausdruck gebrachten Einwände und Proteste die Banalität erkennen, mit welcher am Beginn des 21. Jahrhunderts in Washington Machtpolitik betrieben wird. Die nachhaltigen Auswirkungen der Entwicklungen auf das internationale System sind weitläufig diskutiert worden. Ein Aspekt, der hier noch einmal Beachtung verdient, ist die Frage nach den Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Unübersehbar bekam der "Zusammenprall der Kulturen", der gegen Ende der neunziger Jahre erst einmal ad acta gelegt zu sein schien, eine neue Aktualität. Islamistisch motivierte Gewalttätigkeit schien vor dem 11. September im Abnehmen begriffen. Beobachter prognostizierten sogar ein Ende des gewalttätigen Islamismus und verwiesen auf einen Paradigmenwechsel bei einem Teil der islamistischen Organisationen: Danach verabschiedete man sich von dem Ziel, ggf. auch mit militanten Strategien die Errichtung einer "islamischen Ordnung" als Voraussetzung politischer Legitimität durchzusetzen; vielmehr zeigte man eine Bereitschaft, in demokratischen Prozessen die bestehenden Ordnungen unter Anerkennung politischer und gesellschaftlicher Pluralität von innen heraus zu wandeln und islamischen Prinzipien anzunähern.

Im Zuge des Kampfes gegen den Terror in der Folge der Gewaltakte von New York und Washington hat terroristische Gewalttätigkeit dramatisch zugenommen. Die spektakulären Anschläge auf eine Synagoge in Djerba, das amerikanische Konsulat in Karachi, eine Touristenanlage auf Bali und ein Hotel in Mombasa verdecken die zahllosen kleineren Anschläge auf Ziele, die von Objekten (Supermärkte, Tanker) über Einzelpersönlichkeiten (Diplomaten, Ärzte, Ingenieure) bis zu Gruppen (Touristen) reichten. Geographisch waren sie im Raum zwischen Südostasien, dem Mittleren Osten und Nordafrika zu verorten. So diffus die Zuordnung der Ziele auch gewesen sein mag - gemeinsam waren ihre Herkunft aus oder Affiliation mit "dem Westen" sowie eine aus einem radikalen Islamverständnis abgeleitete Rechtfertigung der terroristischen Verbrechen.

Vor diesem Hintergrund war wenig überraschend, dass das Paradigma vom "Clash of Civilisations" weithin fröhliche Urständ feiern konnte. Die angedeuteten Zusammenhänge aber lassen erkennen, dass islamistisch verortete Gewalt keineswegs - und wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie - allein aus dem Islam heraus begründet werden kann; dass sie vielmehr zugleich als Gegengewalt verstanden werden muss. Sie wurzelt in einem diffusen Zorn; dieser wiederum speist sich aus dem Gefühl der Hilflosigkeit angesichts einer Agenda, die, nach außen als Kampf gegen den Terror plakatiert, nach innen aber von der Mehrheit der Menschen in der islamischen Welt, die der zentrale Schauplatz dieses Kampfes ist, nicht nachvollzogen werden kann. Irritation und Zurückweisung der amerikanischen Agenda machten sich an zahlreichen Punkten fest: vor allem an den Vorgängen in Palästina und dem amerikanischen Umgang mit Nordkorea.

Gewiss war Saddam Hussein sowohl unter den Regierenden als auch den Regierten in der arabischen Welt verhasst. Die Vorgänge in Palästina aber gingen ihnen näher als die potentielle Bedrohung durch den irakischen Diktator. Palästinensische Terrorakte und brutale israelische Unterdrückungsmaßnahmen schienen in ihrer Wahrnehmung in abnehmend nachvollziehbarem Verhältnis zueinander zu stehen. Während es wiederholt wochenlang zu keinem Terrorakt kam, gingen präventive Tötungen mit zahlreichen Opfern unter Unbeteiligten, Häuserzerstörungen und andere Schikanen von Seiten Israels gegen die Palästinenser weiter. Warum fiel die internationale Gemeinschaft der israelischen Armee nicht in den Arm? Warum kann Israel permanent Beschlüsse der UNO ignorieren und sich weigern, Resolutionen zu implementieren, in denen die israelische Kampfführung kritisiert und die israelische Regierung zur Mäßigung aufgefordert wird?

Demgegenüber wurde die Befolgung der Sicherheitsratsresolutionen gegen Saddam Hussein zu einer Frage auf Leben und Tod. Der Umgang mit der nuklearen Herausforderung durch Nordkorea verschärfte den Vorwurf der doppelten Standards amerikanischer Politik in einer breiten arabischen Öffentlichkeit. Der Diktator in Pjöngjang gab nicht nur zu, über Atomwaffen zu verfügen; er drohte den USA sogar mit ihrem Einsatz. Anders aber als im Falle des Irak ließ Washington die Bereitschaft erkennen, die Krise politisch zu lösen.

Die Folge einer den Menschen in der Region widersprüchlich und willkürlich erscheinenden Politik war nicht nur der Vorwurf, dass es den USA vorrangig um die Kontrolle der Erdölressourcen der Region gehe. Mit Blick auf die Zukunft folgenreicher war und blieb die Perspektive einer rasch fortschreitenden Kulturalisierung des Kampfes gegen den Terror, in dessen Mittelpunkt die amerikanische Regierung die Ablösung des Regimes stellte. Zahllose Äußerungen des amerikanischen Präsidenten ließen eine geradezu heilsmäßige Verbrämung des Vorgehens gegen den irakischen Diktator erkennen: Bush kämpfte für das Gute und Gerechte; er wusste und weiß Gott auf seiner Seite. Dem stand das Böse in Person Saddam Husseins gegenüber: Ungerechtigkeit und Tyrannei.

Diese Wellenlänge amerikanischer Kommunikation in Sachen des Irak und der weltpolitischen Rolle der USA insgesamt ist in der islamischen Welt weithin vermerkt worden. Noch immer erinnerte man sich des Begriffs "Kreuzzug", den Präsident Bush unmittelbar nach dem 11. September 2001 zum Programm der amerikanischen Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus (das Wort ist danach freilich nicht mehr gefallen) gebrauchte: Die Scharfmacher unter den Islamisten instrumentalisieren diesen Lapsus, um dem aggressiven "Kreuzzug" gegenüber die Reaktion des "Islams" zu verorten: nämlich in den Koordinaten des Dschihad, d.h. des religiös legitimierten Abwehrkampfes gegen einen Angriff auf die islamische umma, die Gemeinde der Muslime. Und wann wäre - nach den Regeln der islamischen Rechtsgelehrten - der Dschihad wohl gerechtfertigter gewesen wenn nicht als Abwehr einer Bedrohung der Gemeinde Allahs? So droht das Geschehen die Beteiligten in die Falle des Usama Bin Laden tappen zu lassen. Wenn es dessen Absicht gewesen sein sollte, die Kluft zwischen der islamischen Welt und dem Westen, namentlich seiner Vormacht, den USA, so weit wie möglich zu vertiefen, um die Konfrontation aufs äußerste zu radikalisieren, so ist man tatsächlich diesem Ziel näher gekommen. Am Ende steht ein perverses Aufrechnen der Opfer: Die im Kampf gegen die Taliban und später gegen das irakische Regime getöteten unbeteiligten Afghanen und Iraker sind "collateral damages", Randschäden in einem Kampf um eine gerechte Sache. Freilich - im Kampf auch der anderen Seite um die aus ihrer Sicht "gerechte Sache" sind die Toten von Djerba, Bali, Karachi oder Mombasa eben auch nur " collateral damages".

Die hohe Emotionalisierung der Auseinandersetzung hat in den Tagen des Krieges gegen den Irak im April 2003 eine weitere Steigerung erfahren. Triebkraft dazu waren die neuartigen Möglichkeiten eigenständiger Übertragung des Geschehens vor allem durch arabische Fernsehsender. Diese - neben dem militärischen Geschehen - "zweite Front" verbindet sich mit dem Namen "Al-Djazira", dem in Qatar ansässigen Fernsehsender. Waren es noch im Zweiten Golfkrieg (1991) westliche Sender, die mit dem Monopol ihrer Bilder auch den Bewusstseinsstand bestimmten, so senden die professionell gemachten arabischen Stationen Bilder von der Qualität, die der arabischen (und darüber hinaus der islamischen) Welt das Geschehen deuten. Die Zerstörungen durch die Luftangriffe, die getöteten Iraker (Zivilisten), das Leid der auf vielfältige Weise in Not geratenen Menschen vermitteln dem Zuschauer die Gewissheit, dies schon einmal irgendwie erlebt zu haben. Seit zwei Jahrhunderten - so die Wahrnehmung - ist der Westen auf diese Weise aufgetreten: Mit Gewalt spätestens seit 1798 (Napoleonische Expedition) wurde Nordafrika, der Nahe und der Mittlere Osten ein Kernstück westlicher imperialer und kolonialer sowie später rohstoffwirtschaftlicher Interessen und Planungen. Mit der brutalen Wirklichkeit kontrastierend klang die rechtfertigende Begleitmusik des westlichen Daherkommens auch damals ähnlich: Stichworte waren die Errungenschaften der Französischen Revolution wie Konstitutionalismus, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte und - in neuerer Zeit - Entwicklung und vieles mehr. Wie sollen die Menschen angesichts dieser kollektiven historischen Erinnerung glauben, dass zwischen der Sirenenmusik von heute und der politischen Wirklichkeit eine harmonischere Beziehung bestehe als in der Vergangenheit?

Es hätte nicht des amerikanischen Präsidenten bedurft, um die Menschen im Nahen Osten daran zu erinnern, dass es bessere Formen der Regierung gibt als die an der Macht befindlichen Despoten. Nahezu in allen Ländern der Region ist das Verlangen nach Demokratie zumindest unter Teilen der Eliten ausgeprägt. Ende der achtziger Jahre machte das "Szenario Bukarest" die Runde: den Diktator aus seinem Palast holen, ihn an die Wand stellen und dann eine demokratische Regierungsform einrichten. Und es wäre reizvoll, auszumalen, was aus dem Irak geworden wäre, hätte man dem Diktator 1991 nicht die Waffen belassen, den Aufstand der Massen brutal niederzuschlagen. Oder welche Form der Regierung die Palästinenser gewählt hätten, hätte man ihnen nach 1993 in einem kurzen, von den Prinzipien des Rechts und der Gerechtigkeit geleiteten Friedensprozess einen eigenen Staat gegeben.

Besonders beeindruckende Anstrengungen, einen eigenen islamischen Weg zur Demokratie zu finden, werden im Iran Mohammad Khatamis unternommen - der Name steht für eine breite Strömung von Reformern, Laien wie Geistlichen. Wird es möglich sein, aus der Sackgasse des Khomeinismus herauszukommen, die in eine Theokratie geführt hat, welche den Iran lange international isolierte? Kann in einem gewählten Parlament, das die pluralistische Zusammensetzung der Gesellschaft reflektiert, ein demokratisches Leben entstehen, wenn ihm nichtdemokratische religiöse Institutionen über- und nebengeordnet sind? Angesichts solcher Spannungen wäre behutsame Hilfestellung von außen willkommen - dies auch von Seiten der USA, haben doch Umfragen ergeben, dass eine breite Mehrheit der Iraner eine Normalisierung des Verhältnisses zu den USA sucht. Viele Iraner hatten gehofft, den "11. September" nutzen zu können, um den Graben zu Washington zu schließen. Wie ein Schock hat es vor diesem Hintergrund gewirkt, dass der Iran von Präsident Bush in seiner Rede vom 29. Januar 2002 auf die "Achse des Bösen" gesetzt wurde. Und schon sieht sich Teheran als Ziel neuer Drohungen aus Washington. Es geht um die nukleare Zukunft des Landes. Washington wirft Teheran vor, nach nuklearen Vernichtungswaffen zu streben. Dies wird spätestens ein Thema, wenn der große, bei Bushir gebaute Reaktor 2004/5 fertiggestellt sein wird. Von ihm hört man aus Jerusalem, er werde "niemals ans Netz gehen".

Die Botschaft aus dem Iran in Verbindung mit den Ereignissen im Irak ist klar: Die Demokratie in der Region hätte eine Chance. Ihre Verwirklichung ist eine Frage der richtigen Strategie. Diese hat zwei Komponenten: die Unterstützung von auf Demokratisierung gerichteten politischen und gesellschaftlichen Kräften in den Gesellschaften des Nahen Ostens selbst sowie glaubhafte Anstrengungen zur Lösung regionaler Konflikte, die in der Vergangenheit anhaltend zur Verfestigung undemokratischer Regime geführt haben. Erfolge bei den Bemühungen um die Errichtung eines demokratisch legitimierten Systems im Irak werden der Beweis für die Glaubhaftigkeit des amerikanischen Präsidenten in Sachen der Demokratisierung der gesamten Region sein. Möglichst bald gilt es, die Macht an die Iraker selbst zu übertragen, die die Antworten auf die weitreichenden Fragen an eine künftige demokratische Ordnung im Lande selbst zu geben haben werden. Diese richten sich auf die Neuverteilung der Macht im Lichte der tatsächlichen Zahlen- und Kräfteverhältnisse der religiösen und ethnischen Gruppen im Lande sowie auf den Einfluss der islamischen Religion im künftigen gesellschaftlichen und politischen System. Der Versuch eines "political engineering", der sich gegenwärtig abzeichnet und unter anderem darin liegen würde, amerikanische Marionetten in Bagdad an die Macht zu bringen, wird die Situation im Lande weiter polarisieren und bei den Nachbarn die Neigung eskalieren lassen, sich einzumischen. Mehr noch als die Frage, ob Massenvernichtungswaffen gefunden werden - die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen war der Kernpunkt der Rechtfertigung des Krieges -, werden Erfolg oder Misserfolg bei der Entstehung eines demokratischen Systems im Irak darüber entscheiden, ob überhaupt eine Rechtfertigung für den Krieg gefunden werden kann. Ausgehend von der Lösung der irakischen Herausforderung wird Washington dann den demokratisierenden Kräften in anderen Teilen der Region den Rücken stärken müssen. Das aber würde bedeuten, von der fast bedingungslosen Unterstützung der Herrschenden in der Vergangenheit Abstand zu nehmen. Eine Phase von Unsicherheit und Instabilität könnte der Preis sein, der für glaubhafte Demokratisierung zu zahlen wäre. Nach Jahrzehnten interessengeleiteter Politik der doppelten Standards und eines Glaubwürdigkeitsverlustes der USA in der Region aber wird Washington um einen politischen Preis für die Rückgewinnung von Glaubwürdigkeit nicht herumkommen.

Wenn dies schon eine nachhaltige Abkehr von eingefahrenen Gleisen amerikanischer Politik im Nahen Osten bedeutet, dann gilt dies nicht weniger für die Rolle bei der Vermittlung in regionalen Konflikten. Der Nachweis für amerikanische Glaubwürdigkeit liegt hierbei im israelisch-palästinensischen Konflikt. Mit Blick auf ein Nebeneinander zweier Staaten sind von Palästinensern und Israelis schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Die Palästinenser verzichten auf den Teil Palästinas, der seit 1948 israelisches Staatsgebiet ist; die Israelis geben das Land auf, das sie 1967 erobert und in nachfolgenden Jahrzehnten teilweise wider das Völkerrecht besiedelt haben. Eine auf diesen Grundsätzen beruhende Lösung kann nur durch erheblichen Druck von außen erreicht werden. Die Politik der Bush-Administration lässt zweifeln, ob sie das Ausmaß der Herausforderung an die amerikanische Politik erkannt hat. Monatelang hat man sich mit der Reform der palästinensischen Regierung auf einem Nebenschauplatz aufgehalten. Wer hätte erwarten können, dass angesichts der anhaltenden militärischen Härte der israelischen Besatzung palästinensische Extremisten einen Anreiz hätten haben können, den Terror und bewaffneten Kampf gegen Israel einzustellen? Der Masse der Palästinenser erscheint "Ministerpräsident" Abu Mazen als Marionette, die ausgewählt wurde, um die israelische Regierung von ernsthaften Schritten in Richtung auf einen wahren Frieden zu entlasten. Die Veröffentlichung der "road map" und ein nachhaltiges amerikanisches und internationales Engagement bei ihrer Umsetzung zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt hätten den Palästinensern demonstrieren können, dass die Neuordnung der Macht in Palästina mehr ist als nur ein taktisches Spiel auf dem Rücken der Palästinenser; nämlich ein Teil einer Strategie, die auf die Herstellung eines Friedens auf der Grundlage politischer Zugeständnisse auf beiden Seiten gerichtet ist.

Wenn es gelänge, im Irak die Grundlagen einer demokratischen Ordnung zu legen und im israelisch-palästinensischen Verhältnis ein auf Gerechtigkeit beruhendes Nebeneinander zu stiften, stünde der Nahe und Mittlere Osten tatsächlich vor einer tief greifenden Umgestaltung.

Doch noch einmal zurück zum bereits erwähnten Stichwort "internationales Engagement". Nach Lage der Dinge war es geboten, die Rolle der USA als Akteur mit Blick auf einen neuen Nahen Osten in den Vordergrund zu rücken. Die internationale Gemeinschaft wird eine Führungsrolle der USA bei der Lösung der großen Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts nur akzeptieren, wenn Washington zu einer kooperativen Politik im Rahmen des internationalen Systems zurückkehrt. Diese Herausforderungen liegen in der Gründung pluralistisch-demokratischer Ordnungen, die auf dem Respekt der Menschenrechte beruhen. Der Kampf gegen den Terror, der eher ein temporäres Phänomen und ein Symptom weltpolitischer Übergangsprozesse als eine langfristige strukturelle Herausforderung des internationalen Systems darstellt, darf nicht dazu genutzt werden, eine dauerhafte hegemoniale Machtstellung zu errichten und zu diesem Zweck im Nahen Osten ein auf amerikanischen Vorstellungen und Kriterien beruhendes Verständnis von Menschenrechten und Demokratie zu instrumentalisieren. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, die Globalisierung führe zu einem uniformen Erscheinungsbild politischer Systeme und ihnen zugrunde liegender Wertvorstellungen. Vielmehr ist kulturelle Pluralisierung allenthalben erkennbar. Vor diesem Hintergrund sind Menschenrechte und Demokratie als Angebote zu verstehen, die sich Menschen in nicht-westlichen Kulturen aus ihrem eigenen Erbe heraus aneignen müssen.

Mit Blick auf eine multilaterale Willensbildung kommt den Vereinten Nationen eine hohe Bedeutung zu. Die UNO wird wesentlich den Rahmen abgeben, innerhalb dessen die Verpflichtung auf universale Standards auf der einen und das Recht eines jeden Staates und einer jeden Gesellschaft auf eine eigenständige Entwicklung auf der anderen Seite zum Einklang gebracht werden können.

Washington hat im Vorfeld der Irak-Krise seine Geringschätzung der UNO unverhohlen zum Ausdruck gebracht. Dies lässt ebenso wenig Gutes erwarten wie der Widerstand der USA, sich an internationale Abkommen, die eine Abgabe nationaler Souveränitätsrechte zugunsten supranationaler Zuständigkeiten bedeuten würden, zu beteiligen. Die Frage nach der Neuordnung des Irak und des Nahen Ostens insgesamt wird ein Nachweis für die Bereitschaft Washingtons sein, der UNO eine Rolle innerhalb dieser sich zugleich pluralisierenden wie zu einer globalen Wertegemeinschaft zusammenwachsenden Welt des 21. Jahrhunderts zuzugestehen. Sollte sich Washington weigern, sind neue Konflikte programmiert.

Einem Europa schließlich, das sich hoffentlich bald zu einem wirkungsvollen Akteur in der internationalen Politik fortentwickelt, könnte mit Blick auf die Lösung der Krisen und auf die Wandlungsprozesse im Nahen Osten eine wichtige Rolle zukommen. Es vermag den Menschen in dieser Region, die ihm auf so vielfältige Weise nahe ist, die Perspektive einer Partnerschaft anzubieten, die jenseits wirtschaftlicher Interessen auf der gemeinsamen Anerkennung von Freiheit und Geltung der Menschenrechte sowie zugleich auf dem Respekt vor der Wahrung des kulturellen und religiösen Erbes beruht.

Dr. phil., geb. 1943; Studium der Islamkunde und Klassischen Philologie an den Universitäten Freiburg i.Br. und Basel; seit 1976 Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Hamburg.
Anschrift: Deutsches Orient-Institut, Neuer Jungfernstieg 21, 20354 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: doihh@uni-hamburg.de