Die alte Nomenklatura konnte in den ehemals kommunistischen Ländern Südosteuropas ihren Einfluss erneut in ökonomische Vorherrschaft und politische Macht ummünzen. Es drohen Klientelismus und Korruption.
Die ehemals kommunistisch beherrschten Staaten Südosteuropas haben seit 1989 einen tief greifenden Wandel erfahren. Demokratischer Aufbruch, marktwirtschaftliche Transformationsprozesse, rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche Entwicklungen, kulturelle Pluralisierung und die Annäherung an die Europäische Union (EU) sind einige Stichworte, die diese Veränderungen umschreiben.[1] In der Grundtendenz handelt es sich um einen komplexen Modernisierungsvorgang, durch den eine tiefe und folgenreiche Entwicklungskrise überwunden werden soll. Diese Krise wurde hauptsächlich durch die jahrzehntelange kommunistische Herrschaft und eine ungleichförmige, Unfreiheit, Retardierungen und Spannungen erzeugende "partielle Modernisierung" unter sozialistischen Vorzeichen herbeigeführt. Sie ist aber auch das Ergebnis einer langfristigen, in die vorsozialistische Zeit zurückreichenden sozialen und wirtschaftlichen Rückständigkeit sowie kultureller Ambivalenzen und nicht zuletzt überkommener Demokratiedefizite.[2]
Der "Systemwechsel", der nach 1989 in nahezu allen südosteuropäischen Gesellschaften einsetzte, hat gewiss nicht überall und sofort die Hoffnungen erfüllt. Weit reichende Wohlstandserwartungen wurden zunächst vielfach enttäuscht.[3] Die Demokratisierungsprozesse verliefen zum Teil spannungsreich und waren von Rückschlägen gekennzeichnet. Interethnische Konflikte und natio-nalistische Bestrebungen führten im ehemaligen Jugoslawien zum staatlichen Zerfall, zu militärischen Auseinandersetzungen, Verbrechen an der Zivilbevölkerung, Flucht und Vertreibungen.[4] Aber auch in Bulgarien, Rumänien oder Albanien kam es in den neunziger Jahren zu kritischen Situationen und zeitweilig bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen. In nahezu allen südosteuropäischen Staaten waren und sind - gleichsam als Hypothek der sozialistischen Fehlentwicklungen, aber auch aus anderen Gründen - erhebliche wirtschaftliche Übergangs- und Anpassungsschwierigkeiten, massive soziale Probleme sowie sozialstrukturelle Verwerfungen zu konstatieren.[5]
Erst seit kurzer Zeit - nicht zuletzt seit der demokratischen Wende in Serbien - kann man nahezu überall von einem konsolidierten Modernisierungsprozess sprechen. Mit den gesamteuropäischen Entwicklungen und der in die Wege geleiteten EU-Osterweiterung zeichnen sich zudem gute Chancen der Verstetigung und Beschleunigung dieser Modernisierungsvorgänge ab, wenngleich die Schwierigkeiten einer weiteren europäischen Integration nicht übersehen werden sollten.[6]
Bei all diesen Vorgängen kam und kommt den Eliten eine Schlüsselrolle zu.[7] Wer aber sind die Eliten? Was ist mit dem Elitenbegriff gemeint?
Wiewohl heute viel - auch und gerade bezogen auf Südosteuropa[8] - von Eliten gesprochen wird, ist der Begriff alles andere als einfach zu fassen. Es handelt sich um eine wertbesetzte und ideologisch vielfach umstrittene Definition. So sei daran erinnert, dass der Elitenbegriff in der kommunistischen Ideologie eigentlich gemieden wurde und tabuisiert war, obwohl sich die kommunistischen Parteien selbst als "Avantgarde der Arbeiterklasse" verstanden, von einem ausgeprägten elitären Bewusstsein und Habitus mancher Kommunisten ganz zu schweigen. Aber auch in den Sozialwissenschaften wird der Elitenbegriff keineswegs einheitlich aufgefasst.[9] In einer ersten Annäherung kann man sagen: Eliten sind Menschen mit weit reichendem gesellschaftlichen Einfluss, Inhaber gesellschaftlicher Spitzen- und Schlüsselpositionen. Ihr Einfluss liegt insbesondere in ihrer längerfristigen Entscheidungs- und Bewirkungsmacht sowie - und dies wird gelegentlich übersehen - in der sozialen Definitionsmacht.[10]
Unter Entscheidungs- und Bewirkungsmacht ist zu verstehen, dass Eliten im Rahmen wichtiger gesellschaftlicher Institutionen Entscheidungen von großer sozialer Relevanz und nicht selten auch kollektiver Verbindlichkeit treffen. Bewirkungsmacht bedeutet aber auch, dass Eliten über die Bildung bzw. Umbildung einzelner Institutionen oder über institutionelle Arrangements Entscheidungen herbeiführen können. Eine wesentliche Bedeutung der Eliten liegt demnach in ihrer Rolle als "Konstrukteure" und "Durchsetzer" neuer institutioneller Ordnungen, wobei diese Funktion auch beim gegenwärtigen "Systemwechsel" in Südosteuropa ganz entscheidend scheint.[11]
Der maßgebliche gesellschaftliche Einfluss der Eliten kommt aber auch in ihrer sozialen Definitionsmacht zum Ausdruck. Zu den Eliten sind daher ebenso jene Menschen zu rechnen, deren Deutungen der Wirklichkeit, kulturelle Leitideen oder Zielvorstellungen einen nachhaltigen Einfluss auf das Realitätsverständnis und die Meinungsbildung größerer Bevölkerungsgruppen haben. Insbesondere in demokratischen Gesellschaften, aber keineswegs nur in diesen, hängt die Entscheidungs- und Bewirkungsmacht der Eliten auf das Engste mit bestimmten Realitätsdeutungen und Sinnvermittlungen zusammen, zumal diese erst die soziale und kulturelle Akzeptanz ihrer Entscheidungen absichern.
Es wäre daher falsch, zu den Eliten nur Personen mit weit reichender Entscheidungsmacht im Bereich der Politik, der Wirtschaft, der Großorganisationen oder Verbände zu zählen. Ebenso gehören Menschen mit maßgeblicher sozialer und kultureller Deutungsmacht dazu, unabhängig davon, ob sie institutionelle oder gesellschaftliche Spitzenpositionen innehaben oder nicht; auch bekannte Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle, hervorragende Wissenschaftler und Experten können demnach zu den Eliten gehören.
Es wäre also zu kurz gegriffen oder gar irreführend, in modernen Gesellschaften von einer einheitlichen Elite zu sprechen. Vielmehr ist von verschiedenen "Elitenkonfigurationen" auszugehen. Mit diesem Konzept werden nicht nur verschiedene Elitengruppen identifiziert und voneinander abgegrenzt, sondern auch die Beziehungen zwischen Eliten- und Nichtelitengruppen erfasst.
"Elitenkonfigurationen" meint zum einen die verschiedenartigen Herrschafts-, Macht-, Autoritäts- oder Stellvertretungsbeziehungen zwischen den einzelnen Gruppen.[12] Der Begriff beschreibt zudem die Grundlagen dieser Beziehungen, zu denen gemeinsam geteilte Wertüberzeugungen und Weltanschauungen oder ähnliche Ziele und Interessen zählen und die entsprechende Bindungen sowie Loyalitäts- und Verpflichtungsverhältnisse schaffen. Zum anderen umfassen "Elitenkonfigurationen" die vielfältigen Beziehungen, die zwischen einzelnen Teileliten einer Gesellschaft bestehen, sowie das Gegen- und Miteinander verschiedener Elitengruppen. Dies betrifft nicht zuletzt die funktionale Differenzierung, also die Aufgaben- und Machtteilung zwischen einzelnen Elitengruppen und die Abgrenzung entsprechender Einfluss- und Kompetenzbereiche.
Folgt man Field und Higley, lassen sich mehrere Typen von Elitenkonfigurationen unterscheiden: "Konsensus-Eliten", "unvollständig vereinte Eliten", "ideologisch geeinte Eliten" und "entzweite Eliten", wobei sich diese Konfiguration bis zum Typus "tödlich verfeindete Eliten" steigern kann.[13]
Nach der kommunistischen Machteroberung und bis Ende der achtziger Jahre entsprachen die Elitenkonfigurationen in den südosteuropäischen Gesellschaften weitgehend dem Typus der "ideologisch geeinten Eliten". Das heißt im Wesentlichen: Es fehlten konkurrierende Elitengruppen. Der Aufstieg in gesellschaftliche Spitzen- und Schlüsselpositionen war von ideologischer Konformität und - vielleicht mehr noch - von persönlicher Loyalität abhängig.[14] Zudem waren die Elitenkonfigurationen stark vom politischen Zentrum beherrscht, und das Denken der Eliten war weitgehend ideologisch kontrolliert und gleichgeschaltet. Die Beziehungen zwischen verschiedenen Teileliten stellten sich als ein hierarchisches, durch die kommunistische Führung dominiertes Fügungs- und Abhängigkeitsverhältnis dar.[15] In den einzelnen Ländern gab es aber durchaus Besonderheiten und vor allem Veränderungstendenzen der Elitenkonfigurationen im Zeitverlauf, die auch eine wesentliche Ursache des demokratischen Systemwechsels sind.
1. Entstehung der "ideologisch geeinten Eliten"
Mit der kommunistischen Machtübernahme nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte in allen betroffenen Staaten Südosteuropas ein umfangreicher Elitenwechsel und -wandel, der zu einer mehr oder weniger weitgehenden Verdrängung wichtiger Teile der bisherigen Eliten führte; dies schloss Flucht, Inhaftierungen, Deportationen und physische Vernichtung ein.[16] Die neuen "kommunistischen" Eliten rekrutierten sich vornehmlich aus bestimmten Gruppen der marginalisierten Intelligenz wie auch - und überwiegend - aus unteren bäuerlichen und städtischen Bevölkerungsgruppen, die der kommunistischen Bewegung nahe standen oder sich dieser rasch anschlossen. Der "revolutionäre" Elitenwechsel und -wandel in Südosteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die frühen fünfziger Jahre verlief im Einzelfall allerdings weitaus komplizierter als gemeinhin angenommen.[17]
Erstens hat es nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der zahlenmäßig ohnehin zumeist recht kleinen kommunistischen Parteien nahezu in allen Ländern interne Auseinandersetzungen, persönliche Rivalitäten und Richtungskämpfe gegeben; diese führten nicht zuletzt zu stalinistischen Schauprozessen sowie zur Entmachtung und sogar Vernichtung einzelner, gerade erst in Herrschaftspositionen aufgestiegener kommunistischer Eliten. Zweitens waren deutliche Unterschiede hinsichtlich der sozialstrukturellen Rekrutierungsbasis der neuen Eliten feststellbar. In manchen Ländern wie Albanien und Bulgarien existierte - anders als etwa in Ungarn - keine nennenswerte Industriearbeiterschaft. In Rumänien wiederum waren Angehörige ethnischer Minderheiten in der kommunistischen Herrschaftselite zunächst stark repräsentiert. Drittens war das Ausmaß der Repressionen gegenüber den alten Eliten oder Teilen von ihnen in den einzelnen südosteuropäischen Gesellschaften unterschiedlich. Dies betrifft insbesondere die Verfolgung von Angehörigen und Eliten ethnischer Minderheiten. Viertens waren in den einzelnen Ländern auch Unterschiede hinsichtlich der Übernahme von Angehörigen der alten Eliten in das neue Elitengefüge zu konstatieren; die teilweise Kontinuität dieser Eliten entsprang entweder deren fachlicher Unverzichtbarkeit oder aber deren Konversion zur herrschenden kommunistischen Ideologie. So waren Spezialisten aus der Ärzteschaft, hervorragende Wissenschaftler und Wirtschaftsfachleute, im Falle Rumäniens sogar eine Reihe hoher Offiziere, teilweise in Elitepositionen belassen worden. Vielfach hatten sich bekannte Schriftsteller und Künstler, aber auch Geistes- und Kulturwissenschaftler rasch der neuen Ideologie angepasst und dem Herrschaftssystem gefügig gemacht.[18] Fünftens gab es bemerkenswerte Unterschiede bezüglich des sowjetischen Einflusses auf die Auswahl der neuen kommunistischen Eliten in den einzelnen südosteuropäischen Gesellschaften. So war dieser in Jugoslawien nie sehr stark und währte eigentlich nur bis zum Bruch zwischen Josef Stalin und Josip Tito Ende der vierziger Jahre. Rumänien ging seit Mitte der fünfziger Jahre - dem Rückzug sowjetischer Truppen und Berater aus dem Land - immer deutlicher eigene Wege, wobei die Entmachtung und Auswechslung der an Moskau orientierten kommunistischen Eliten bereits früher begann. Albanien brach Anfang der sechziger Jahre weitgehend mit der sowjetischen Führung, während Bulgarien - auch was die Elitenbildung betrifft - nahezu bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft stark unter deren Einfluss blieb.
Ungeachtet dieser Unterschiede stellen die Elitengebilde in den südosteuropäischen Gesellschaften der späten vierziger und fünfziger Jahre aber ohne Zweifel allesamt "ideologisch geeinte" oder "zwangsvereinte" sowie weitgehend entdifferenzierte Elitenkonfigurationen dar.
2. Veränderungen der Elitenkonfigurationen
seit den sechziger Jahren
Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre zeichnen sich indes gewisse Veränderungen in den Elitenkonfigurationen der meisten südosteuropäischen Länder ab, obwohl sich am Typus "ideologisch geeinter Eliten" zunächst nicht allzu viel änderte.
Im Zuge der in den sechziger Jahren nahezu überall forcierten Industrialisierung, der raschen Urbanisierung und insbesondere der Bildungsexpansion gewannen Bildungsabschlüsse und vor allem das Hochschulwesen eine immer größere Bedeutung - auch und nicht zuletzt für die Elitenselektion und -rekrutierung. Die kommunistischen Eliten - und zwar nicht nur die vorwiegend durch fachliche Qualifikationen ausgezeichneten Funktionseliten, sondern auch die politischen Machteliten, also die kommunistischen Eliten im engeren Sinne - begannen sich zunehmend auf dem Bildungsweg zu ergänzen und zu reproduzieren.
Dies heißt allerdings nicht, dass das meritokratisch-funktionale Prinzip[19] der Elitenrekrutierung - also das vorwiegend an persönlichen Leistungen und fachlichen Qualifikationen im Hinblick auf die Ausübung wesentlicher gesellschaftlicher Aufgaben und Funktionen orientierte Prinzip - unverzüglich bestimmend geworden wäre. Denn schon der Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen und bestimmten Studiengängen wurde unter der kommunistischen Herrschaft vielfach selektiv, nach Kriterien der ideologischen Konformität und der sozialen Herkunft, gesteuert. Auch im weitgehend politisch kontrollierten Beschäftigungs- und Institutionensystem waren die Zugangs- und Aufstiegschancen insbesondere in Führungs- und Elitepositionen keineswegs nur leistungsabhängig, sondern maßgeblich von Parteizugehörigkeit, ideologischer Zuverlässigkeit und persönlicher Loyalität bestimmt. Dies hat bis heute strukturelle Nachwirkungen.
Zudem blieben nahezu alle gesellschaftlichen Teilsysteme - zum Beispiel die Wirtschaftsunternehmen, die Kultur- und Bildungseinrichtungen, die Wissenschaftsinstitutionen und Massenmedien - weitgehend ideologisch bestimmt und politisch kontrolliert. Dies bedeutete mithin, dass die hier agierenden Funktionseliten in ihrer Kompetenz und Handlungsautonomie deutlich eingeschränkt waren. Die Behinderung der "Eigenrationalität" und Leistungsfähigkeit dieser Teilsysteme war die wesentliche Ursache der suboptimalen Ergebnisse in Wirtschaft, Wissenschaft oder Forschung und des zunehmenden Modernisierungsrückstands gegenüber dem Westen.[20] Daraus ergab sich ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen den zumeist dogmatisch denkenden und stets auf ihre Vormachtstellung bedachten politischen Macht- und den immer häufiger wissenschaftlich ausgebildeten Funktionseliten. Die daraus resultierende Veränderungsdynamik bildete letztlich auch - wie unten noch ausgeführt wird - eine wesentliche Antriebskraft zur Überwindung des kommunistischen Herrschaftssystems.
Seit den sechziger Jahren lassen sich also in den meisten südosteuropäischen Gesellschaften gewisse Autonomiebestrebungen der Funktionseliten und eine Differenzierung der Elitenkonfigurationen erkennen, ohne dass der Typus der "ideologisch geeinten Eliten" grundsätzlich überwunden worden wäre. Er blieb während der gesamten Zeit der kommunistischen Herrschaft nicht zuletzt dadurch erhalten, dass die Entstehung von Gegeneliten, die alternative Wertüberzeugungen und andere politische Zielvorstellungen und Interessen hätten vertreten können, schon in Ansätzen unterbunden wurde.
Das Verhältnis von Eliten und Nichteliten stellte sich bis Ende der achtziger Jahre ebenfalls als weitgehend auf Machtmittel und Repression gestützte autoritär-patriarchalische Herrschaftsbeziehung dar. Insofern war die Legitimität der kommunistischen Regime in allen südosteuropäischen Gesellschaften stets relativ prekär, so dass zur Stabilisierung entweder wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen und gewisse "Liberalisierungen" - wie im Falle Ungarns und Jugoslawiens - oder nationalistische Mobilisierungsprozesse - wie im Falle Rumäniens, Bulgariens und Albaniens - eingesetzt wurden.[21] In Jugoslawien hat sich Milos
3. Schlüsselrolle der Eliten beim Systemwechsel
Das Ende der kommunistischen Herrschaft stellt sich nicht zuletzt als das Ergebnis interner Auseinandersetzungen zwischen den oft überalterten Inhabern von politischen Spitzenpositionen und jüngeren, in die Elitepositionen drängenden Funktionären und Technokraten der höheren und mittleren Ebene dar.[22] Ihr Aufstieg war durch die zunehmende Immobilität des Systems weitgehend blockiert, und ihre Privilegien und Wohlstandschancen schrumpften rapide mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Krise des sozialistischen Systems. Die Veränderungsbestrebungen dieser an ihrem Aufstieg gehinderten Gruppen innerhalb bzw. im Vorfeld der Eliten traf mit einer weit verbreiteten und sich angesichts der sozialistischen Wirtschaftskrise zuspitzenden Massenunzufriedenheit zusammen. Dies ermöglichte - unter den Bedingungen einer historisch einmaligen internationalen Situation Ende der achtziger Jahre, die u.a. durch den weitgehenden Verzicht der Sowjetunion auf ihren Hegemonialanspruch gekennzeichnet war[23] - folgenreiche Mobilisierungsprozesse einer ansonsten eher passiven und politikfernen Bevölkerung.
Für den Niedergang der kommunistischen Herrschaft erscheinen - neben dem zunehmenden Dissens zwischen den ideologisch geprägten Macht- und den technokratisch orientierten Funktionseliten sowie den auf ihren Einfluss bedachten Kultureliten - Unterschiede in den Wissenshorizonten, kulturellen Orientierungen, Lebensstilen und Handlungspräferenzen verschiedener Elitengruppen relevant; diese sind nicht zuletzt auf unterschiedliche Generationenlagen, auf sozialisatorische Prägungen und anders geartete historische Erfahrungen zurückzuführen.[24] In diesem Sinne fällt in allen südosteuropäischen Ländern ein deutlicher Unterschied zwischen den "stalinistisch" geprägten Funktionären und Machteliten der fünfziger Jahre und den "nachrückenden", in den sechziger und siebziger Jahren herangewachsenen und zumeist akademisch gebildeten Elitengruppen oder Anwärtern auf Führungspositionen auf. In den neunziger Jahren, im Zuge des Systemwechsels, werden auch Differenzen zwischen den in den sechziger und frühen siebziger Jahren sozialisierten Eliten und den - jüngeren Alterskohorten angehörenden - Eliten relevant, die häufig im westlichen Ausland studiert oder sich dort beruflich qualifiziert bzw. fortgebildet haben.
Nach dem Ende des Kommunismus stellt sich für alle südosteuropäischen Gesellschaften die Frage, in welchem Umfang ein Elitenwechsel und in welcher Hinsicht ein Elitenwandel erfolgte und welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die weiteren Modernisierungsprozesse hatten. Aus meiner Sicht ist die analytische Unterscheidung zwischen Elitenwechsel und Elitenwandel für die Klärung der Kontinuitätsfrage sehr wichtig. Elitenwechsel meint dabei lediglich den Austausch, die Zirkulation der Eliten im Hinblick auf gegebene Führungspositionen. Dagegen bedeutet Elitenwandel die Veränderung der Elitenkonfigurationen selbst, also der grundlegenden Beziehungen zwischen Eliten und Nichteliten sowie zwischen verschiedenen Elitengruppen, und darüber hinaus die veränderte strukturelle und institutionelle Verankerung des Elitengefüges.
1. Zur Frage des Elitenwechsels
Zunächst lässt sich konstatieren, dass es zwar in ganz Südosteuropa einen beachtlichen Elitenwechsel in verschiedenen institutionellen Bereichen gegeben hat. Nur selten sind dabei aber alternative "Gegeneliten" aufgestiegen. In die durch den Abgang der alten Eliten freigewordenen oder im Zuge des institutionellen Wandels neu entstandenen Elitenpositionen rückten vor allem Funktionäre, Technokraten und Angehörige der Intelligenz auf, die der höheren und mittleren Hierarchieebene im alten System angehört hatten. Der Elitenwechsel vollzog sich zugleich und vor allem als ein Generationswechsel der Eliten. Alte und neue Eliten weisen insofern viele Gemeinsamkeiten auf, als sie häufig über ähnliche Bildungs- und Karrierewege aufgestiegen sind und überwiegend denselben Herkunftsgruppen angehören.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass selbst in Ungarn[25] - einem Land mit einer vergleichsweise hohen Elitenbewegung und -verjüngung im Zuge des Systemwechsels - von den Angehörigen der Nomenklatura des Jahres 1988 im Jahr 1993 immer noch 20 Prozent in Elitenpositionen und 31,5 Prozent in nichtelitären Stellungen mit Untergebenen zu finden waren; lediglich knapp 33 Prozent wechselten in den Rentenstand und nur 16 Prozent in nichtelitäre Positionen ohne Untergebene. Umgekehrt entstammten die "neuen Eliten" Ungarns im Jahre 1993 zu 33 Prozent der alten Nomenklatura und zu 47 Prozent der höheren Beamtenschaft; nur zu knapp 20 Prozent kamen sie aus anderen Nichtelitengruppen.[26] Bezogen auf das Beispiel Rumänien ist die Frage, ob die alten kommunistischen Eliten Nutznießer des Systemwandels waren, mit "ja" beantwortet worden. "Empirische Forschungen haben nachgewiesen, daß es Teilen der vormaligen Machteliten nach 1989 gelungen ist, das formal freie Spiel der Kräfte von Markt und Meinung dank ihres Herrschaftswissens und der von ihnen ausgeübten Kontrolle über nationale Ressourcen sozusagen legal zu ihren Gunsten zu nutzen und es in ökonomische Vorherrschaft und politische Macht umzumünzen."[27] In ähnlicher Weise heißt es zu Bulgarien: "Das alte politisch legitimierte Kapital hat sich prinzipiell in das neue ökonomische transformiert."[28] In Serbien - sicherlich ein besonders gelagerter Fall - gab es Anfang der neunziger Jahre kaum eine nennenswerte "Elitenzirkulation". Die Kontinuität der Eliten zwischen 1989 und 1995 liegt im Bereich der politischen Eliten bei knapp 86 Prozent, die der Spitzenbeamten bei 92 Prozent, der Wirtschaftseliten staatlicher Großbetriebe bei knapp 90 Prozent und der Wirtschaftseliten privater Betriebe bei knapp 84 Prozent.[29] Als Grund ist sicher der Fortbestand des Milos
In allen südosteuropäischen Gesellschaften hielt sich der Elitenwechsel in Grenzen. Diese Entwicklung hat zwei wesentliche Ursachen, die bereits angedeutet wurden. Zum einen haben die kommunistischen Machthaber die Herausbildung alternativer Elitengruppen jahrzehntelang nicht nur unmittelbar repressiv unterbunden, sondern auch mittelbar und nachhaltig auf entsprechende Prozesse der Elitenbildung Einfluss genommen. Zum anderen rekrutierten sich die Eliten spätestens seit den sechziger Jahren immer häufiger aus der ständig wachsenden und sich funktional wie statusmäßig ausdifferenzierenden sozialen Kategorie der Intelligenz. Letztlich ist daher schwer zu sagen, ob sich die "kommunistischen Eliten" zunehmend - vor allem in der Generationenfolge - in Angehörige der Intelligenz verwandelten oder ob es Angehörigen der Intelligenz mehr und mehr gelang, Elitepositionen des kommunistischen Herrschaftssystems bis in zentrale Kernbereiche der politischen Macht hinein zu besetzen und in ihrem Sinne umzuformen.
Die These vom unaufhaltsamen Herrschaftsaufstieg der Intelligenz und der Überwindung des kommunistischen Systems auf diesem Wege ist bekanntlich schon in den siebziger Jahren - unter anderem sehr nachdrücklich durch Konrád und Szelényi[30] - vertreten worden. Die weitgehende Kontinuität der Elitenreproduktion in den ehemals kommunistischen Gesellschaften Südosteuropas und insbesondere die nahezu unveränderte Rekrutierungsbasis und soziale Herkunft der "neuen Eliten" sind unbestreitbar. Dieser Sachverhalt kann nur angemessen verstanden werden, wenn man die Intelligenz als wichtigste soziale Trägergruppe der Elitenbildung in Südosteuropa begreift. Elitenbildung und -reproduktion unter maßgeblicher Beteiligung der Intelligenz haben in dieser Region eine lange Tradition, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht.[31]
2. Zentrale Aspekte des Elitenwandels
Im Gegensatz zum Elitenwechsel handelt es sich beim Elitenwandel nicht nur um einen Austausch der Eliten im Rahmen bestehender Institutionen oder "bürokratischer Organisationen". Hier geht es vielmehr um den Wandel der Elitenkonfigurationen, d.h. der Beziehungen zwischen verschiedenen Elitengruppen sowie zwischen Eliten und Nichteliten, bei grundlegenden Veränderungen der institutionellen Arrangements und des Gesellschaftsgefüges.
Tatsächlich ist in allen südosteuropäischen Gesellschaften ein weitgehender und folgenreicher Elitenwandel zu erkennen, in dessen Folge der Typus der "ideologisch geeinten Elite" durch andere Konfigurationen abgelöst wurde. In Rumänien oder Bulgarien kann man gegenwärtig vom Typus "unvollständig vereinter Eliten" - also Eliten, die insbesondere auf Grund ausgeprägter nationalistischer oder ideologischer Grundpositionen teilweise nicht zu einem demokratischen Konsens fähig oder willens sind - sprechen. In den vergangenen Jahren trat allerdings auch der Typus "entzweiter Eliten" in Erscheinung, die im Falle Albaniens oder auch Bulgariens Mitte der neunziger Jahre auf nichtdemokratische, zum Teil auch gewaltsame Mittel der politischen Auseinandersetzung setzten. Im ehemaligen Jugoslawien und in einigen der Nachfolgestaaten war zeitweise sogar die Konfiguration "tödlich verfeindeter Eliten" gegeben, die mithin zu den bekannten gewalttätigen Auseinandersetzungen führte.[32] Gegenwärtig sind in dieser Region - eingebettet in gesamteuropäische Unterstützungs- und Annäherungsvorgänge - vorwiegend Entwicklungstendenzen zu beobachten, die auf eine Überwindung der Konstellation "verfeindeter" oder "entzweiter Eliten" hinauslaufen, ohne dass diese Entwicklungen allerdings schon zum Abschluss gekommen wären oder unumkehrbar erscheinen würden. Der Stabilitätspakt für Südosteuropa,[33] aber natürlich auch die realistischen Aussichten einzelner Staaten auf einen baldigen oder zumindest absehbaren Beitritt zu EU und Nato spielen in diesem Zusammenhang eine ganz wesentliche Rolle.
Die Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Elitenkonfigurationen in Südosteuropa stellt einen komplexen Gesamtvorgang dar, der in vielerlei Hinsicht noch voll im Gange ist und in seinem Ausgang durchaus offen erscheint. Drei Probleme zeichnen sich in einzelnen südosteuropäischen Gesellschaften weiterhin ab:
- die Neigung bestimmter, durchaus einflussreicher Elitengruppen zu nationalistischen Positionen und der Versuch, Nichteliten in diesem Sinne zu binden und zu mobilisieren; dies zeigt der Fall der extrem nationalistischen "Partei Großrumänien" (Partidul România Mare), die im Jahr 2000 rund ein Fünftel aller Stimmen bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer und zum Senat erhielt und deren Kandidat Corneliu Vadim Tudor bei den Präsidentschaftswahlen im gleichen Jahr sogar 33,2 Prozent der Stimmen erreichen konnte;[34]
- die - nicht zuletzt durch etatistische Traditionen belastete und durch Schwierigkeiten des Institutionenwandels[35] verzögerte - Herausbildung eigener Kompetenzen und autonomer Handlungsfelder der verschiedenen Teileliten; so sind zum Beispiel die Wirtschafts- und Wissenschaftseliten weiterhin vielfach mit erheblichen bürokratischen Hemmnissen oder der Abhängigkeit von staatlichen Ressourcenzuweisungen, aber auch mit politischer Einflussnahme und mit Eingriffen in ihre Tätigkeit konfrontiert;
- und schließlich der deutliche Hang wichtiger Teile der Eliten in Südosteuropa, ihre Eigeninteressen vor das Gemeinwohl zu stellen und dabei vor allem ihre privilegierten Alimentationschancen abzusichern. Der eigennützige Zugriff von Parteien und Amtsträgern auf staatliche Ressourcen und Verteilungsregelungen, aber auch Bestechung und Korruption, Klientelismus und Nepotismus sind Beispiele durchaus verbreiteter Erscheinungen.[36]
Auf der anderen Seite ist aber auch festzuhalten: Die hauptsächlich der Intelligenz entstammenden neuen Eliten bringen ohne Zweifel günstige Voraussetzungen, Qualifikationen und teilweise auch geeignete Handlungsdispositionen mit, um die Modernisierungsbestrebungen ihrer Gesellschaften voranzubringen. Insofern könnten sie tatsächlich die "beste Karte" sein, welche die Geschichte vorrätig hält.[37] Ob sich in den einzelnen südosteuropäischen Gesellschaften letztlich jene Elitengruppen durchsetzen werden, die sich als verantwortungsbewusste "Konstrukteure" demokratischer, marktwirtschaftlicher, rechtsstaatlicher Institutionen und entsprechend differenzierter "institutioneller Ordnungen" hervortun und in ihren Gesellschaften konsequent einen europaorientierten Modernisierungskonsens zwischen den Eliten und der Bevölkerung anstreben, hängt auch und vermutlich maßgeblich vom weiteren Fortgang des europäischen Integrationsprozesses und der Einbindung Südosteuropas ab.