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Verfestigte Sprache Parteien-Sprech zwischen Jargon der Anmaßung und angemessenem Sprachgebrauch

Ekkehard Felder

/ 14 Minuten zu lesen

Eine Erklärung für Politikverdrossenheit bezieht sich auf die politische Sprache: Diese sei künstlich, phrasen- und floskelhaft, technokratisch und nicht vermittelbar. Welche Faktoren beeinflussen den politischen Sprachgebrauch? Welche Spielräume haben Parteipolitiker beim Formulieren?

Für Parteien- und Politikverdrossenheit werden vielfältige Erklärungen angeführt. Ein Argument konzentriert sich auf den Gebrauch einer bestimmten politischen Sprache. Diese Sprache sei immer gleich und daher künstlich, phrasen- und floskelhaft, fernab vom Bürger, technokratisch und nicht vermittelbar – so eine unvollständige Liste an negativen Attributen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden diskutiert, welche gegensätzlichen Faktoren den politischen Sprachgebrauch beeinflussen und welche Varianzspielräume Parteipolitikern beim sprachlichen Formulieren zur Verfügung stehen.

Erwartungshaltungen und Mustersätze

Ein fundamentales Problem der politischen Kommunikation besteht in den Erwartungshaltungen der Staatsbürger gegenüber dem, was Kommunikation im politischen Aushandlungsprozess und in der politischen Praxis überhaupt leisten kann. Vor übertriebenen Erwartungen ist genauso zu warnen wie vor zu bescheidenen Ansprüchen – semiotischer Realismus ist angesagt. Dabei gilt es, zwischen der politischen Wirklichkeit und dem Reden über diese zu unterscheiden, obgleich politisches Handeln auch durch politisches Sprechen vollzogen wird. Sprache ist das Medium der Politik, ohne Sprache hätte Politik kein Mitteilungs- und Aushandlungsinstrument. In der Bevölkerung werden mitunter Politiker als Repräsentanten und Verantwortliche der politischen Wirklichkeit für ihren Sprachgebrauch gescholten, wo im Kern die gesellschaftspolitischen Umstände selbst oder Politikinhalte kritisiert werden. Kurzum: Gerade weil politisches Handeln auch politisches Sprechen ist, setzt sich die politische Kommunikation einem hohen Erwartungsdruck aus und wird häufig Gegenstand heftiger Kritik.

Bei Beschwerden über Politik sind also zwei Dinge zu unterscheiden: die Politikinhalte selbst und der Sprachgebrauch über die Politik. Die beiden Sphären sind nicht immer leicht zu trennen, denn (neue) politische Ideen werden in Sprache entwickelt – die Linie zwischen politischen Inhalten und ihrer sprachlichen Verpackung ist fließend. Es ist für politische Sprache charakteristisch, dass sie aufs Engste mit politischem Handeln verbunden ist.

Die Differenzierung zwischen der Sprache der Politik und den Inhalten der Politik interessiert uns aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Es geht um kommunikative Erwartungshaltungen im politischen Bereich. Im Zentrum steht dabei das schwierige und manchmal umstrittene Verhältnis zwischen der Wortwahl, dem damit verbundenen (inter-/subjektiven) Begriffsinhalt und dem gesellschaftspolitischen Sachverhalt, auf den politische Akteure mithilfe der Wörter verweisen – so etwa bei der Frage, ob "Flüchtlinge" oder "Geflüchtete" die angemessene Bezeichnung für den Sachverhalt ist. Von zentraler Bedeutung ist der sprachliche und außersprachliche Situationszusammenhang, in dem eine Äußerung vorgenommen wird, in der vermutete oder explizierte Sprecherabsichten mit unterstellten oder klar artikulierten Hörererwartungen konfligieren.

Fokussieren wir die angedeutete Divergenz zwischen Sprecherintentionen und Hörererwartungen in der politischen Kommunikation etwas genauer. Politische Akteure wecken Erwartungen, beispielsweise Bundeskanzler Helmut Kohl mit seinem Versprechen der "blühenden Landschaften" in Ostdeutschland. Bürger erinnern Politiker mahnend an ihre Worte und beschweren sich darüber, dass ihrer Ansicht nach die in Aussicht gestellte politische Wirklichkeit ausbleibe. Als Beweis des behaupteten Fehlverhaltens der Politiker wird immer wieder auf die einschlägigen Worte und Sätze verwiesen, die im stetigen Erinnern stellvertretend für den tatsächlich oder vermeintlich erreichten oder nicht erreichten politischen Zustand stehen.

Bestimmte Äußerungen werden zu "salienten Sätzen" – immer wieder zitierte "Sätze für das kollektive Gedächtnis", die je nach Situation verschiedene "rhetorische Funktionen" haben können. Als exemplarisch für saliente politische Sätze gelten berühmte Aussprüche wie "Ich bin ein Berliner" von US-Präsident John F. Kennedy am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in West-Berlin oder "Wir wollen mehr Demokratie wagen" von Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bundestag in Bonn. "Saliente politische Sätze sind Sätze, in die sich die Geschichte eines Diskurses in verdichteter Form einschreibt. Sie werden geäußert, damit sich die Diskursakteurinnen und -akteure an die Denk- und Handlungsweise erinnern, die mit den Sätzen einhergeht." Selbstredend speisen häufig zitierte Sätze ein Stereotyp und erzeugen einen Kontextprototypen: Sie sind sozusagen ein Beispiel par excellence für ein immer wieder in der gleichen Form auftretendes Muster – ein Aspekt, der bei der Verwendung des Wortes "Parteien-Sprech" von fundamentaler Bedeutung ist.

In den folgenden Ausführungen geht es ebenfalls um Wiederholungen und verfestigte Wortverbindungen, also um Musterhaftes im politischen Sprachgebrauch. Dabei werden wortgleich wiederholte größere Formulierungseinheiten als Sprachmuster sowie ihre Wirkung diskutiert und in Bezug gesetzt zur Verwendung des Schlagwortes "Sprech" im politischen Kommunikationskontext. Welche Ausstrahlungskraft entfalten Muster im Sprachgebrauch auf die Zuhörenden? Dieses Unterfangen ist deshalb so aufschlussreich, weil sich in der Vokabel "Sprech" eine politische Denkhaltung und mitunter eine staatssystemskeptische Fundamentalkritik verdichten und kristallisieren.

Die Vokabel "Sprech"

In der Online-Version des Duden-Wörterbuches ist gegenwärtig noch kein eigener Eintrag zum Wort "Sprech" zu finden. Dies deutet darauf hin, dass die Etablierung des Wortes in den Sprachkonventionen noch nicht sehr weit vorangeschritten ist. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ist die grafische Darstellung zum Wortgebrauch von "Sprech" in den vergangenen 70 Jahren sehr aufschlussreich, der Höhepunkt der Verwendungshäufigkeit liegt in den 1970er Jahren. In diesem Zusammenhang ist auf George Orwells "Newspeak" in seinem Roman "1984" als politische (Staats-)Propaganda – also als staatlich verordnete und offiziell zu verwendende Sprachregelung – zu verweisen, eine Vokabel, die ins Deutsche mit der Lehnübersetzung "Neusprech" Eingang gefunden hat. Dem Wort "Sprech" haftet also die Teilbedeutung der Fremdsteuerung an.

Für die überwiegend pejorative Verwendung von "Sprech" als Wortbaustein oder Simplex seien (in beliebiger Reihenfolge) die folgenden Belege aus dem Deutschen Referenzkorpus erwähnt: Grün-Sprech, SPD-Sprech, CDU-Sprech, AfD-Sprech, FDP-Sprech, NPD-Sprech, Nazi-Sprech, Merkel-Sprech, Korrekt-Sprech, Nerd-Sprech, Plastik-Politik-Sprech, Politik(er)-Sprech, Partei(en)-Sprech.

"Sprech" könnte man zunächst ganz allgemein als Jargon einer identifizierbaren Person oder Gruppe in unserer Gesellschaft übersetzen. Eine Ausnahme von der rein pejorativen Gebrauchsweise und eine Besonderheit sind Verwendungsweisen wie in "Marketing-Sprech". Hier wird "Sprech" als Synonym für "Fachsprache" gebraucht und vereint sowohl positive Aspekte – schließlich setzt die Fachsprachenkommunikation Fachkompetenz bei den Fachleuten voraus – als auch negative Gesichtspunkte – denn für Außenstehende sind Fachsprachen schwer verstehbar. Gleiches gilt für die Wortschöpfungen "Juristen-Sprech" und "Bullshit-Sprech".

"Sprech" ist also eine überwiegend negativ konnotierte Vokabel für spezifische Sprachgebrauchsformen, die sich durch leicht an der Sprachoberfläche erkennbare Muster auszeichnen und die Menschen bestimmter Funktionsgruppen in Ausübung ihrer sozialen Rolle seriell verwenden. Da Sprachmuster wie "Wir Politiker müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen" bei der Bewältigung von Aufgabenroutinen immer wieder benutzt werden, erscheinen sie mitunter für die Zuhörerschaft bei Wiedererkennung floskelhaft und somit sinnentleert. "Parteien-Sprech" bezieht sich also auf einen Sprachgebrauch, der aufgrund stereotyper Merkmale zur Identifikation bestimmter Gruppen geeignet ist. Sprachmuster verfestigen sich in Diskursen durch den wiederholten Vollzug von kommunikativen Handlungen, zum Beispiel beim Erklären von Zusammenhängen und Sichtweisen in politischen Reden, Talkshows oder Interviews. Sie prägen daher die kommunikative Praxis in der Politik. Wenn sie als floskelhaft wahrgenommen und als Merkmal einer politischen Gruppensprache charakterisiert werden, geht mit der artikulierten Wirkung der Sprachmuster eine negative oder zumindest distanzierende Konnotation einher.

Fluch und Segen von Musterhaftem in der Sprache

Dabei sind aus linguistischer Sicht zwei Seiten einer Medaille zu berücksichtigen: Wiederkehrende Aufgaben können nicht immer in neue Worte gekleidet werden. Zum einen eröffnet uns das Sprachsystem nur einen gewissen Variationsspielraum, den die adressierten Zielgruppen stilistisch (noch) als angemessen empfinden. Zum anderen sind solche Variationen für den Sprecher beim Ausüben seiner Funktion aufwendig und für die Zuhörerschaft nicht so leicht erkennbar wie die Verwendung etablierter Sprachgebrauchsformen. Darüber hinaus müssten originelle Neuformulierungen, die ein Politiker für die eigene (bekannte) Position verwenden möchte, von den Bürgern erst einmal als individuelles "Markenzeichen" erkannt werden. Ein bestimmter Sprachgebrauch steht schließlich für die Kontinuität der vertretenen Politikinhalte und die Zuverlässigkeit der Politiker. Neue Formulierungen müssen sich im sprachlichen Wettkampf durchsetzen. Festzuhalten ist: Wiederholungen sind unvermeidbar, Sprachmuster haben auch einen Nutzen.

Wie viele Phänomene können auch Sprachmuster positiv oder negativ wirken. Sie haben einerseits Nachteile wie den, dass durch die penetrant wirkende Wiederholung der geäußerte Sachverhalt in seiner Bedeutung abgewertet werden kann oder die Überzeugungskraft des Sprechers dadurch leidet. Aufgrund dessen lohnt es, bestimmte Formen von Sprachmustern zu vermeiden. Auf der anderen Seite können wir aber in Anbetracht eines begrenzten Inventars an lexikalischen und grammatischen Mitteln überhaupt nicht vermeiden, dass wir bestimmte Wörter oder Mehrwortverbindungen immer wieder verwenden. Auch kann in umgekehrter Weise wiederholtes Sprechen die Bedeutung aufwerten und den Bekanntheitsgrad steigern. Das ist redetechnisch ganz praktisch und gilt für den einfachen Staatsbürger wie für Politiker. Aber wann schlägt musterhaftes Sprechen negativ auf Sprecher zurück?

Stereotype Verwendung beziehungsweise der musterhafte Gebrauch von Schlüsselwörtern wie "Pflegenotstand", von Mehrwortverbindungen wie "Sicherung der Altersvorsorge" oder von Sätzen wie "Die Politik muss die Zuwanderung regeln" weist leicht erkennbar auf politische Probleme und entsprechenden Handlungsbedarf hin und erhöht den Wiedererkennungswert politischer Orientierungen: Als Schlüsselwörter gelten inhaltsverdichtende, positionscharakterisierende und auf öffentliche Wirkung zielende Ausdrücke, denen im politischen Diskurs ein besonderer Stellenwert zugeschrieben wird und die entsprechend oft gebraucht werden.

Schlüsselwörter wie "Gerechtigkeit", "Wettbewerb", "individuelle Freiheit", "staatliche Fürsorgepflicht" oder "sichere Außengrenzen" können von allen politischen Funktionären gebraucht werden, aber in einer je spezifischen Kontextualisierung. Insofern stehen musterhafte Lexemverwendungen für das Selbstverständnis einer Gruppe oder Partei. In der je parteispezifischen Kontextualisierung solcher Schlüsselwörter manifestiert sich das Profil der politischen Richtung. Derartiger stereotyper Gebrauch erscheint aufmerksam Zuhörenden oft musterhaft – mit dem vorteilhaften Nutzen der schnellen Wiedererkennung der politischen Position und mit dem Nachteil des mitunter monoton anmutenden Wiederholungshabitus.

Musterhafter Sprachgebrauch wird dann zum Problem, wenn die Zuhörerschaft die Authentizität der Sprecher in Zweifel zieht, weil die äußere Form der sprachlichen Präsentation, also der Sprachstil, den sachlichen Kern des Mitgeteilten, also den Inhalt, überlagert. In der Textstilistik unterscheidet man zwischen dem Was und dem Wie einer Sprachäußerung. Der Stil als das Wie ist genauso entscheidend für den Inhalt wie das Was, also der Sinngehalt der Äußerung. Die Vorhersage, wie mein Sprachstil wirken könnte, verlangt von dem Sprecher die Antizipation der Voreinstellungen der Zuhörer. Wie komplex dies in der politischen Kommunikation angesichts der heterogenen Adressatenkreise ist, erklärt sich von selbst.

Musterhaftes Sprechen wird dann gefährlich, wenn es als Äußerungspraxis unvereinbar mit demokratischen Kommunikationsgepflogenheiten ist. Diese Strategie öffentlich politischen Kommunizierens habe ich als "Jargon der Anmaßung" bezeichnet.

Anmaßungsäußerungen in der politischen Kommunikation

Unter Anmaßung in der politisch öffentlichen Kommunikation fasse ich die unberechtigte Inanspruchnahme von Gültigkeitsbedingungen etwa unter Berufung auf "das gesunde Volksempfinden" und das Überschreiten von Befugnissen – so zum Beispiel US-Präsident Donald Trumps Etikettierung eines Bundesrichters als "so-called judge", welche die soziale Rolle des Richters und damit seine legale Funktion in der Gewaltenteilung infrage stellt.

Dem liegt der folgende Gedanke zugrunde: Es gibt positiv besetzte Hochwertwörter auf der einen und Anmaßungsäußerungen auf der anderen Seite. Hochwertwörter in der Politik sind relativ unstrittige Konsensvokabeln einer Kultur – so sind die Ausdrücke "Generationengerechtigkeit" oder "Rechtsgleichheit" solche normativ-ethischen Wörter, die einen wünschenswerten gesellschaftlichen Soll-Zustand bezeichnen – unabhängig davon, wie unterschiedlich über den gesellschaftspolitischen Ist-Zustand beider Begriffe gestritten wird. Im Unterschied dazu sind Anmaßungsstrategien wie das Berufen auf "den Volkswillen" oder "das wahre Volk" darauf aus, eine Aura der Unhintergehbarkeit zu suggerieren. Solche Verweise auf angeblich nicht hinterfragbare Instanzen sollen als Letztbegründungsmomente fungieren: Es gibt nach einem derartigen Hinweis anscheinend nichts mehr zu diskutieren, weil unter Berufung auf eine solche ursprüngliche, unhintergehbare oder originäre Instanz scheinbar alles gesagt sei. Ein solches Berufen auf unfehlbare, nicht personalisierte Instanzen wie "Volkes Stimme" oder "den gesunden Menschenverstand" geht einher mit der rhetorischen Praxis, im Diskurs die Vielfalt von Sichtweisen, Interessen oder Zielkonflikten zu homogenisieren. Die sprachlich realisierte Anmaßung postuliert ein Wirklichkeitsbild mit antipluralistischem Alleinvertretungsanspruch. Die vertretene Position soll durch Berufung auf eine unfehlbare Instanz als nicht mehr weiter begründbar dargestellt werden – und zwar so, als ob es sich um die Letztbegründung handele. Dies widerspricht demokratischen Aushandlungskonventionen.

Diesen Aspekt betont unter anderen Gesichtspunkten auch der Politikwissenschaftler Jan Werner Müller mit seinen Ausführungen zum Anti-Pluralismus als einem Wesensmerkmal des Populismus. Dabei ist zu beachten: Natürlich treten so gut wie alle politischen Diskursakteure mit dem Anspruch auf, dass ihre Aussage die richtige sei. Es gibt aber einen signifikanten Unterschied: Im hypertrophen Sprachgebrauch, in der sprachlich realisierten Anmaßung, wird ein Konsens der Unhintergehbarkeit insinuiert beziehungsweise eingeflüstert.

Solche Anmaßungsstrategien werden mitunter auch von Politikern benutzt, die im öffentlichen Diskurs nicht als klassische Vertreter des Populismus gelten. So fällt etwa die britische Premierministerin Theresa May mit Blick auf den EU-Austritt Großbritanniens mit der Formulierung auf, das Parlament müsse tun, was "das britische Volk will". In dieser Formulierung werden mithilfe der Verwendung des Lexems "Volk" im Singular und dem Anschluss mit dem Vollverb "wollen" die verschiedenen Bürgerinteressen monolithisch in der Struktur "das Volk will" homogenisiert und Divergenzen – man denke an den knappen Ausgang des Brexit-Votums – sprachlich kaschiert. Andere Formulierungen sind problemlos denkbar: "Das Parlament muss tun, wofür sich die Mehrheit des britischen Volkes im Referendum entschieden hat", würde diejenigen Wähler, die anders gestimmt haben, zumindest nicht verschwinden lassen. Und auch ein mot mal der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, "There is no alternative", hat seine Übernahme durch Bundeskanzlerin Angela Merkel gefunden, wenn sie eine bestimmte politische Entscheidung als "alternativlos" bezeichnet.

Dabei sind demokratische Kommunikationsstrukturen dem Geiste nach auf Aushandlung und Dialog angelegt. Auch per se monologische Kommunikationsformen wie die, wenn Parteipolitiker zur Bevölkerung sprechen, gewinnen einen dialogischen Charakter, wenn sie im Duktus struktureller Dialogizität geführt werden – eine Denkfigur, die in der langen Geschichte der politischen Rhetorik aus der Antike kommt. Heute findet sie in Vertretern wie Jürgen Habermas und Josef Kopperschmidt ihre Zuspitzung: Sie beharren auf die "Symmetrie von Berechtigungen und Verpflichtungen" im Diskurs. Angemessener Sprachgebrauch in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung einer Demokratie meidet demnach Totalitätsansprüche im Duktus des Nicht-Hinterfragbaren und suggeriert weder eine Eigentlichkeit noch einen "Ur-Sachverhalt". Angemessenes öffentliches Sprechen in der Politik ist transparent, profiliert, mitunter scharf konturierend und eben auf Dialog und Aushandlung angelegt.

Bei sprachlicher Angemessenheit geht es unter anderem um kommunikative Flexibilität, um Anpassung und immer wieder erneutes Angleichen der Parameter, die für eine gelingende Kommunikation relevant sind, wie etwa Erwartungshaltung der Sprecher und Hörer, Fachlichkeit und Vermittelbarkeit des Inhalts, Situation und Medium. In der Rhetorik ist dieses Phänomen als Aptum bekannt: "Angemessenheit (Aptum) ist das oberste pragmatische Regulativ rhetorischer Textproduktion und -performanz. Damit verbunden ist die Tatsache, dass sich das Angemessenheitskalkül immer nur auf den konkreten Einzelfall mit seinen Settingsbedingungen bezieht (…) [und es] keine immer gültigen Organisations-, Struktur-, Verfahrensregeln oder gar Tricks [gibt]."

Muster ist nicht gleich Muster

Es gibt in der politischen Kommunikation Muster, die förderlich sind oder eher hemmend wirken. Ausgangspunkt war das Schlüsselwort "Sprech" als spezifische Sprachgebrauchsform mit leicht erkennbaren Mustern an der Sprachoberfläche. Diese verfestigten Sprachformen erleichtern die effiziente Bewältigung von wiederkehrenden Aufgabenroutinen. Die Muster können mitunter bei Wiedererkennung als floskelhaft wahrgenommen werden. Die Beispiele belegten die überwiegend pejorative Gebrauchsweise. Die Definition von "Sprech" betont den Aspekt der Redewirkungen und signalisiert in der Regel die Ablehnung der politischen Inhalte über den Umweg der kritischen Ablehnung eines bestimmten Sprachgebrauchs.

Als floskelhaft wahrgenommene Muster werden in der politisch öffentlichen Sprache und Auseinandersetzung zum Problem, wenn das Sprachmuster zum Indiz für mangelnde Authentizität oder Glaubwürdigkeit mutiert. Dies ist vorwiegend dann der Fall, wenn einzelne Repräsentanten Einbußen ihrer Reputation hinnehmen müssen, die nicht nur auf einem zu eintönigen Sprachgebrauch gründen, sondern auch auf vielen anderen Rahmenfaktoren des jeweiligen Akteurs – man denke etwa an die medialen Lobpreisungen der rhetorischen Fähigkeiten Karl-Theodor zu Guttenbergs 2010 und den anschließenden "Fall" wegen des Plagiierens. Das ist keine Gefahr für die Demokratie, solange das Phänomen nicht flächendeckend vorkommt, sondern in erster Linie ein Problem der betroffenen Politiker und der jeweiligen Partei.

Grundsätzlich problematischer und daher aus demokratietheoretischen und -praktischen Gründen abzulehnen ist das rhetorische Muster des Jargons der Anmaßung, dessen Argumentationsstrategie sich durch eine suggerierte Unhintergehbarkeit der dargelegten Sachverhalte unter Berufung auf eine anscheinend unfehlbare Instanz charakterisieren lässt.

Musterhaftes in der politisch öffentlichen Sprache ist hingegen völlig unproblematisch, wenn es um die ressourceneffiziente kommunikative Bewältigung wiederkehrender Aufgaben geht. Schnelles Wiedererkennen politischer Richtungen in verschiedenen politischen Textsorten erleichtert den Staatsbürgern in der Vielfalt der Kommunikationsbedingungen die Orientierung – man denke an die variierenden Kontexte in Talk-Shows, Bundestagsreden, Expertenanhörungen und -befragungen, Bürger-Abgeordneten-Wahlkreisgespräche, kommunalpolitische Gesprächsformate wie Bürgerdialoge, öffentliche Anhörungen und Befragungen. Kommunikationssensible Bürger bilden sich zügig eine Meinung darüber, ob Politiker zwischen Expertenwissen (der Fachsprache) und der Verstehbarkeit der politischen Inhalte (adressatengerechte Vermittlungssprache) angemessen changieren können.

Die Zuhörerschaft öffentlicher Kommunikation sollte stets folgende Aspekte politischer Redekontexte hinterfragen: Wer spricht in welcher Funktion mit welchem Interesse für welche Personen? Mit welchem Hintergrund in welchen Kontextkonstellationen und von welchen Situationsfaktoren beeinflusst wird gesprochen? Strikt zu unterscheiden ist dabei zwischen der Kritik an politischen Zuständen und am Reden über eben diese Zustände.

Parteien werden durch ihre Politiker repräsentiert. Abgesehen von rhetorischen Naturtalenten wie die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama oder Bill Clinton hängen Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der repräsentativen Demokratie von der Sprachkompetenz ihrer Repräsentanten ab. Das ist allgemein bekannt. Was meiner Meinung nach weniger oft Eingang in die öffentliche Diskussion findet, ist der Umstand, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen der politischen Kommunikation existieren: Es ist eben nicht möglich, zu Sachverhalten wie Rente, Pflege und anderen politischen Problemen immer neue Formulierungen für eine gleichbleibende Position zu finden – die Varianz ist begrenzt. Damit möchte ich weder die Parteipolitiker noch ihre Sprache von jeder Kritik freisprechen – an beiden sollten wir Bürger uns kräftig reiben. Je mehr wir semantisch kämpfen und über den Sprachgebrauch streiten, desto lebendiger ist Demokratie.

Schwierig wird es dort, wo unlösbare Interessengegensätze dazu führen, Parteien und repräsentative Demokratie und ihre kommunikativen Interaktionsformen per se infrage zu stellen, etwa durch Stigmawörter wie "Parteienstaat" oder "Systemparteien". Ist dies der Fall, müssten die entsprechenden Protagonisten die Frage beantworten, welches andere System denn ein besseres sein soll – notabene welches andere System und nicht welch anderer Politikinhalt. "Falsche" Politik, die es sicherlich gibt, ist strikt vom "falschen" System zu trennen, genauso wie zwischen der politischen Wirklichkeit selbst und dem Reden über sie unterschieden werden muss – erinnert sei an die Dimensionen polity (Form), politics (Prozess) und policy (Inhalt).

Wer den Sack schlägt, gemeint ist die Sprache, und in Wirklichkeit den Esel meint – hier sinnbildlich mit Verlaub ein Politiker –, der trifft nicht des Pudels Kern. Ist das politische Handwerkszeug, also das Medium Sprache, erst einmal nachhaltig infiziert und beschädigt, so geht der Politik das Vertrauen in ihr Aushandlungsmedium, in ihr Instrumentarium verloren. Damit gerät ihre Handlungsfähigkeit grundsätzlich in Gefahr. Das kann hoffentlich niemand wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Thomas Klug, 60 Jahre Merkel-Sprech, 14.7.2014, Externer Link: http://www.deutschlandfunkkultur.de/60-jahre-merkel-sprech-wenn-mutti-frueh-zur-arbeit-geht.976.de.html?dram:article_id=291754.

  2. Vgl. Ekkehard Felder/Andreas Gardt (Hrsg.), Wirklichkeit oder Konstruktion, Berlin–Boston 2018.

  3. Vgl. Ekkehard Felder, Wie viel politische Korrektheit braucht das Land?, 15.4.2017, Externer Link: https://scilogs.spektrum.de/semantische-wettkaempfe/wie-viel-politische-korrektheit-braucht-das-land.

  4. Vgl. Walther Dieckmann, Deutsch: politisch – politische Sprache im Gefüge des Deutschen, in: Jörg Kilian (Hrsg.), Sprache und Politik, Mannheim 2005, S. 11–30.

  5. Josef Klein, Sätze für das kollektive Gedächtnis, in: Gregor Kalidova/Gert Ueding (Hrsg.), Wege moderner Rhetorikforschung, Berlin–Boston 2014, S. 617–635.

  6. Katharina Jacob, Das diskurslinguistische Potential salienter politischer Sätze, in: Barbara Beßlich/Ekkehard Felder (Hrsg.), Geschichte(n) fiktional und faktual, Bern 2016, S. 331–353.

  7. Für die unmittelbaren Wortumgebungskontexte siehe Externer Link: http://www1.ids-mannheim.de/kl/projekte/korpora.html.

  8. Vgl. etwa Falk van Helsing, Juristensprech, München 2017; Peter Felixberger/Armin Nassehi (Hrsg.), Kursbuch 191 "Bullshit.Sprech", Hamburg 2017.

  9. Vgl. Georg Stötzel, Semantische Kämpfe im öffentlichen Sprachgebrauch, in: Gerhard Stickel (Hrsg.), Deutsche Gegenwartssprache, Berlin–New York 1990, S. 45–65; Ekkehard Felder (Hrsg.), Semantische Kämpfe, Berlin–New York 2006.

  10. Vgl. Ekkehard Felder, Anmaßungsvokabeln: Sprachliche Strategien der Hypertrophie oder der Jargon der Anmaßung, in: Martin Wengeler/Alexander Ziem (Hrsg.), Diskurs, Wissen, Sprache, Berlin–Boston 2018, S. 215–240.

  11. Ebd., S. 226.

  12. Für weitere Beispiele vgl. ebd.

  13. Vgl. Jan Werner Müller, Was ist Populismus?, Berlin 2016.

  14. Premierministerin Theresa May zur Bekräftigung ihrer Brexit-Politik, in: Süddeutsche Zeitung, 21.2.2017, S. 8.

  15. Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Niklas Luhmann et al. (Hrsg.), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt/M. 1971, S. 101–141, hier S. 138.

  16. Vgl. Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Frankfurt/M. 1964.

  17. Anton Friedrich Koch, Hermeneutischer Realismus, Tübingen 2016, S. 69.

  18. Vgl. Ekkehard Felder, Populistische Rhetorik versus strukturelle Dialogizität, 15.8.2018, Externer Link: https://scilogs.spektrum.de/semantische-wettkaempfe/populistische-rhetorik-versus-strukturelle-dialogizitaet-ein-linguistischer-zwischenruf.

  19. Joachim Knape, Politikrhetorik, in: Thomas Niehr/Jörg Kilian/Martin Wengler (Hrsg.), Handbuch Sprache und Politik, Bd. 1, Bremen 2017, S. 100–128, hier S. 119f.

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ist Professor für Germanistische Linguistik und einer der Direktoren des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. E-Mail Link: ekkehard.felder@gs.uni-heidelberg.de