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Editorial | Gesellschaft und Sucht | bpb.de

Gesellschaft und Sucht Editorial "Sehstörung" oder die Droge Politik Arbeitssucht: Massenphänomen oder Psychoexotik? Zur Entstehung und Verbreitung der "Kaufsucht" in Deutschland Magersucht und andere Essstörungen Konsum psychoaktiver Substanz im Jugendalter: Der Einfluss sozialer Ungleichheit

Editorial

Katharina Belwe

/ 3 Minuten zu lesen

Neben "stofflichen" Süchten, wie die der Nikotin-, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, gibt es "nichtstoffliche"Süchte wie Arbeits-, Kauf-, Mager-, Spiel- oder Sexsucht. Als "saubere" Süchte werden diese allerdings weniger wahrgenommen.

Statistiken belegen, dass ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands vom Problem der Sucht betroffen ist. Fast jede oder jeder kennt Menschen, die suchtkrank, also abhängig von Stoffen wie Nikotin, Alkohol oder Drogen sind. Neben legalen Drogen, die psychoaktive Substanzen wie Zigaretten und alkoholische Getränke enthalten, gibt es illegale Drogen, die nicht frei gehandelt und verkauft werden dürfen. Wer zu illegalen Drogen greift, hat meist zuvor legale Alltagsdrogen konsumiert.

Die charakteristischen Symptome der Abhängigkeit treten jedoch nicht nur bei stofflichen, sondern auch bei "nichtstofflichen" Süchten auf: etwa der Arbeits-, Kauf-, Mager-, Spiel- oder Sexsucht. Davon Betroffene gelten allerdings in der Regel nicht als suchtkrank, mehr noch - ihre Abhängigkeit scheint, wie bei der Arbeits- und Kaufsucht, sogar gesellschaftlich honoriert zu werden. Manche behaupten sogar, sie sei "gesellschaftlich gewollte Normalität".

Auch Politik kann zur Droge werden. Es ist bekannt, dass neben dem Motiv, sich aktiv für eine bessere Gesellschaftsordnung einzusetzen, Selbstbestätigung und Privilegien eine nicht unbedeutende Rolle für den Wunsch nach der Erlangung politischer Macht spielen. Jürgen Leinemann zeigt in seinem Essay, dass die Sehnsucht eines Menschen danach nicht selten zum Realitätsverlust mit negativen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft führt.

Arbeitssucht ist eine Krankheit mit verheerenden Folgen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Als "saubere" Sucht wird sie allerdings kaum wahrgenommen, ihre Existenz sogar bestritten - so Stefan Poppelreuter. Denn anders als Alkohol- oder Spielsüchtige gelten Arbeitssüchtige nicht als außengesteuert oder labil. Es sei jedoch erwiesen, dass jedes menschliche Verhalten in eine süchtige Entwicklung einmünden könne. Die Grundlagen der Arbeitssucht liegen nach den Forschungsergebnissen des Autors in Verstärkungen und Bekräftigungen spezifischer in der Kindheit erworbener Verhaltensmuster.

Wie die Arbeitssucht ist auch die Kaufsucht eine stoffungebundene Sucht, die anderen Süchten wie z.B. der Drogen- Alkohol- und Nikotinsucht in Entstehungsgeschichte und Beschreibungsmerkmalen stark ähnelt. Kaufsüchtige zeichnen sich nach Lucia A. Reisch, Michael Neuner und Gerhard Raab wie Alkohol- oder Drogensüchtige dadurch aus, dass sie sich abhängig fühlen bis zum Verlust der Selbstkontrolle, die Dosis allmählich steigern müssen und an Entzugserscheinungen leiden.

Essstörungen sind eine Krankheit, für die neben biologischen und psychosozialen auch soziokulturelle Faktoren ausschlaggebend sind. Monika Gerlinghoff und Herbert Backmund, denen zufolge es sich bei der Mager-, Ess-Brech- und Esssucht im medizinischen Sinne nicht um Süchte handelt, sehen dennoch Parallelen zu stofflichen Süchten wie der Alkohol- oder Nikotinsucht. Als wichtigsten soziokulturellen Faktor für die Entstehung von Essstörungen nennen sie das herrschende Schönheitsideal: Schlank ist schön.

Verhaltensmuster, auch solche, die zu süchtigem Verhalten führen, werden in Kindheit und Jugend erworben. Folglich liegen hier die Ansatzpunkte von Präventivmaßnahmen. Matthias Richter, Ullrich Bauer und Klaus Hurrelmann gehen den Folgen des Konsums stoffgebundener Substanzen - Tabak, Alkohol, Marihuana und Ecstasy - im Jugendalter nach und fragen nach den Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf späteres Suchtverhalten. Das interessante Ergebnis lautet, dass weniger der familiäre Wohlstand als der Schultyp ausschlaggebend für die Suchtentwicklung Jugendlicher ist.