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Staatlichkeit im Wandel am Beispiel der Kriminalprävention | Kriminalitätsprävention | bpb.de

Kriminalitätsprävention Editorial Auf dem Weg in die Präventionsgesellschaft? Verknüpfung von Repression und Prävention in Oberhausen Staatlichkeit im Wandel am Beispiel der Kriminalprävention Ist Vorbeugen besser als Heilen? Kriminalpräventive Maßnahmen bei jungen Aussiedlern

Staatlichkeit im Wandel am Beispiel der Kriminalprävention

Peter Kolbe

/ 18 Minuten zu lesen

Gesellschaftlicher Wandel macht vor dem Bereich der inneren Sicherheit nicht halt. Es werden kooperative Modelle erprobt und implementiert, mit deren Hilfe die Kriminalität gesenkt und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöht werden soll.

Einleitung

"Der Leviathan, der furchtlos-furchterregende, ist alt geworden. Er wird sich mit seiner Rolle als nützliches Haustier abfinden müssen." Diese zugegebenermaßen etwas verkürzende Feststellung zum Wandel des Staatsverständnisses über die letzten vier Jahrhunderte trifft dennoch den Kern der stetigen Veränderung des Staates. Nicht nur im Hinblick auf die neuen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus stellt sich die Frage, inwieweit sich auch im Politikfeld der inneren Sicherheit Aspekte des Wandels identifizieren lassen. Ist staatliches Handeln in diesem Bereich durch das Bild des Leviathans gekennzeichnet oder sind die relevanten staatlichen Institutionen, allen voran die Polizei, bereits zum "Haustier" mutiert? Die Bewahrung der inneren Sicherheit und Ordnung durch den Staat galt lange Zeit als unumstößlich. Inwieweit fordern nun die gesellschaftlichen Veränderungen dazu heraus, dies zu hinterfragen?

Bei Thomas Hobbes (1588 - 1679) wird der Staat noch durch den Leviathan versinnbildlicht. Danach sucht ein absoluter Souverän den durch Bürgerkrieg gekennzeichneten Naturzustand der Menschen zu überwinden. Nur durch einen mit einem Gewaltmonopol ausgestatteten Souverän ließen sich die Menschen im Zaum halten und deren Handlungen auf das Gemeinwohl ausrichten. Der von Hobbes so beschriebene Leviathan soll die Untertanen vor fremden, aber auch vor gegenseitigen Übergriffen schützen. Das Verhältnis zwischen Souverän und Untertanen ist dabei ein streng hierarchisches: Ersterer besitzt das Machtmonopol; letztere sind zu Gehorsam verpflichtet, solange der Staat ihre Sicherheit gewährleistet.

Der Rückgriff auf die Staatsphilosophie von Hobbes hat zwei Funktionen. Zum einen lässt sich die Zuweisung von Funktionen an den Staat zeigen; zum anderen lässt sich darstellen, wie die Beziehung zwischen den Institutionen des Staates und den "Untertanen", also den Bürgerinnen und Bürgern, charakterisiert ist.

Es ist insbesondere in dem als hoheitlich eingestuften Bereich der inneren Sicherheit zu hinterfragen, ob nicht aktuelle Prozesse des gesellschaftlichen Wandels eine derart strikte Zuweisung in Frage stellen. Dabei sind zwei in der Politikwissenschaft identifizierte Trends für die Beantwortung der Frage relevant:

Enthoheitlichung: Hiermit wird eine Veränderung des Modus der Interaktion zwischen dem Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern beschrieben. Staatliche Funktionen werden nicht mehr nur hoheitlich, das heißt auf der Basis von Anweisungen und Befehlen, wahrgenommen. Vielmehr treten (ergänzend oder substituierend) Elemente hinzu, die zum Beispiel durch kooperative Absprachen und Verträge gekennzeichnet sind.

Entgrenzung: Die Entgrenzung verdeutlicht eine Veränderung auf der Ebene der Akteure bei der Wahrnehmung von Staatsfunktionen. Vormals waren staatliche Aufgaben klar staatlichen Institutionen zugewiesen. Diese Eindeutigkeit ging und geht mehr und mehr verloren, da auch private Akteure verstärkt in die Erfüllung öffentlicher Funktionen eingebunden sind.

Beide Entwicklungen charakterisieren einen Wandel des Staatsverständnisses: Die Bedeutung hierarchischer Handlungsformen des Staates hat abgenommen, da der Staat gezwungen (aber auch bereit) ist, mit anderen gesellschaftlichen Akteuren auf gleicher Augenhöhe zu interagieren. Der Begriff "governance" spiegelt diesen Bedeutungswandel am deutlichsten wider und zeigt auf, dass neben staatlichen Akteuren ("government") weitere Akteure in Politikprozessen mitwirken. Zur hierarchischen Gesellschaftssteuerung treten Elemente gesellschaftlicher Interaktion und Selbstregulierung hinzu. Dabei stellt sich die Frage, ob alle Bereiche staatlichen Handelns diesen Veränderungen unterliegen. Inwieweit ist insbesondere die Funktion der Wahrung der inneren Sicherheit, die bei Hobbes dem Staat zugewiesen ist, von diesen Veränderungen erfasst? Inwieweit eignet sich der Bereich der inneren Sicherheit für eine Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Akteuren und für kooperative Interaktionen zwischen Bevölkerung und Staat?

Innere Sicherheit im Wandel?

Wenn man sich aktuelle Argumentationsmuster in der Öffentlichkeit vergegenwärtigt, so scheinen sie sich mehr oder weniger eng an die Konzeption von Hobbes anzulehnen, auch wenn dessen Erwägungen schon über 350 Jahre zurückliegen. Aufmerksamkeit erregende Kriminalfälle und terrorismusbezogene Bedrohungsszenarien führen dazu, verstärkt auf ein Argumentationsmuster zurückzugreifen, bei dem repressive Maßnahmen zentral sind (zum Beispiel härtere Strafen). Hiermit wird jedoch nicht notwendigerweise das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöht, da eine solche Vorgehensweise nicht an den Ursachen ansetzt. Dies wird deutlich, wenn man das Spannungsfeld zwischen objektiver und subjektiver Sicherheit betrachtet. Während die objektive Sicherheit ein reales Phänomen (Kriminalität) ist, beschreibt die subjektive Sicherheit die Furcht vor einer Gefährdung. So misst beispielsweise die Polizeiliche Kriminalstatistik das tatsächliche Ausmaß der Kriminalität anhand der von den Polizeien erfassten Straftaten. Im diesjährigen Bericht ist angeführt, dass die Anzahl der Straftaten nahezu gleich geblieben ist und die Aufklärungsquote mit 54,2 Prozent einen neuen Höchststand erreicht hat.

Das subjektive Sicherheitsgefühl ist ein Konstrukt, das von sehr vielen Elementen abhängt und nicht nur mit selbst erlebter Kriminalität verbunden ist. So zeigen verschiedene Studien, dass Kriminalität das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger nur teilweise beeinflusst. Ein wesentlicher Teil des Sicherheitsgefühls ergibt sich aus Elementen, die nicht zwangsläufig strafrechtlich relevant sind. Dazu zählen Unordnung sowie unhöfliches oder unanständiges Verhalten, etwa in Form von Vandalismus, Verschmutzung oder Belästigungen. Insofern kann eine an der Erfassung der Straftaten ausgerichtete Statistik zwar einen Überblick über das fassbare Ausmaß der Kriminalität liefern. Sie lässt aber nur begrenzt Aussagen über das spezifische Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu.

Vor dem Hintergrund eines wachsenden Bewusstseins für die subjektiven Elemente der Sicherheit wird die Frage diskutiert, ob bisherige Strukturen und Verfahren den aktuellen Herausforderungen gerecht werden. Insbesondere auf der kommunalen Ebene zeigen sich deutlich die Grenzen eines Vorgehens, das auf Kriminalität als Problem und auf Intervention und Repression als (vermeintlicher) Lösung basiert. Damit würden die Symptome (also die Kriminalität) zum Ziel der Intervention des Staates, wohingegen durch eine verstärkte Prävention das Problem der Kriminalität schon vor dem Entstehen einer Lösung zugeführt werden soll. So ist zu erklären, warum umfassendere Ansätze, wie sie unter dem Schlagwort Community Policing anzutreffen sind, in der Praxis an Bedeutung gewinnen.

Community Policing und kommunale Kriminalprävention

Das aus den USA stammende Konzept des Community Policing kann charakterisiert werden als "gemeinsame Anstrengung zwischen der Polizei und der Gemeinde, um Probleme der Kriminalität und Unordnung zu identifizieren, wobei alle Akteure der Gemeinde Lösungen für Probleme suchen. Es basiert auf engen, von gegenseitigem Nutzen geprägten Beziehungen zwischen der Polizei und Mitgliedern der Gemeinde." Der Bedeutungsgewinn, den Community Policing als polizeiliches Konzept zur Bekämpfung und Vorbeugung von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht in den letzten zwei Jahrzehnten erfahren hat, kann auf eine Vielzahl von Faktoren zurückgeführt werden. So war in den USA eine Gemengelage vorhanden, die dem Konzept enormen Auftrieb verlieh. Diese bestand vor allem aus den folgenden Elementen: Problemdruck, wissenschaftlichen Erkenntnissen und den notwendigen Ressourcen zur Umsetzung.

Problemdruck: Insbesondere in den urbanen Zentren der USA nahm die Kriminalität zu, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verschlechterte sich, worauf die Behörden reagieren mussten. Die bisherigen Bemühungen um Veränderung zeichneten sich vor allem durch einen polizeiinternen Fokus aus. Es ging vornehmlich darum, Interventionszeiten zu verkürzen und die Einsätze effizienter zu organisieren.

Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse: Zwei Studien aus den USA können als wesentliche Hintergrundtheorien des Community Policing angesehen werden.

  • Herman Goldstein beschrieb 1979 in einem Aufsatz das oben genannte Problem der Beschäftigung der Polizei mit sich selbst. Er kam zu dem Schluss, die Polizei müsse sich wieder verstärkt auf ihre eigentlichen Ziele ausrichten. Sie solle sich, im Sinne einer problemorientierten Arbeit, an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, für die sie tätig ist.

  • James Wilson und George Kelling befassten sich drei Jahre nach Goldstein mit der Frage nach den Auswirkungen der Unsicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Sie stellten fest, dass neben Kriminalität auch das Unsicherheitsgefühl einen wesentlichen Einfluss auf das Sicherheitsempfinden der Menschen hat. Dabei spielen Faktoren wie Unordnung oder Verwahrlosung eine große Rolle, da hierdurch ein Signal zunehmender Gefährdung ausgestrahlt wird. In der Folge kann eine Kettenreaktion eintreten, bei der die Bürgerinnen und Bürger unsichere Gebiete meiden und zusätzlich Kriminelle angezogen werden.

    Ressourcen: Einen besonderen Schub erhielt Community Policing in den USA durch ein 1994 erlassenes Gesetz - den Community Policing Act -, das beträchtliche finanzielle Mittel für die Förderung des Community Policing auf der lokalen Ebene zur Verfügung stellte.

    Die genannten Faktoren führten dazu, dass bereits bestehende Elemente einer lokal bezogenen Polizeiarbeit noch verstärkt wurden. Die Polizei wurde sichtbarer. Eine verstärkte Präsenz und Kommunikation zwischen den Beteiligten vor Ort trug dazu bei, das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger sowie die Zufriedenheit mit der Polizeiarbeit zu erhöhen.

    Daher lässt sich Community Policing durch die folgenden Zusammenhänge charakterisieren:

    Erstens: Im Rahmen des Community Policing wird Kriminalprävention in einer grundsätzlichen Form in Angriff genommen. Nicht nur das Begehen von Straftaten soll verhindert und verfolgt werden. Vielmehr geht es auch darum, soziale Zustände zu verhindern, aus denen Gefahren für die kommunale Sicherheit erwachsen können. Es sind vor allem Probleme, wie sie in sozialen Brennpunkten auftreten. Sie bilden den zentralen Ansatzpunkt für die Arbeit im Rahmen des Community Policing und werden idealerweise gelöst, bevor Kriminalität entsteht.

    Zweitens: Wesentlich für das Erkennen und die Bearbeitung derartiger Tatbestände ist die Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Nicht mehr die Polizei allein ist der handelnde Akteur bei der Lösung sicherheitsrelevanter Probleme. Vielmehr sind diverse Akteure (zum Beispiel Stadtverwaltungen, Wirtschaftsvereine oder spezifische Interessengruppen) eingebunden, welche Informationen liefern oder an der Beseitigung von Missständen mitwirken. Dabei handelt es sich - im Idealfall - um eine durch gegenseitigen Nutzen geprägte Zusammenarbeit.

    Drittens: Die Lösung von Problemen der Kriminalität und Kriminalitätsfurcht weist einen engen Bezug zum jeweiligen örtlichen Umfeld auf. Insbesondere in den städtischen Räumen ist die Beziehung zwischen Kriminalität und räumlicher Struktur evident. So gibt es in Großstädten nicht selten bestimmte Stadtteile oder Straßenzüge, die von der übrigen Stadtbevölkerung gemieden werden ("no-go areas").

    Zur Lösung von Sicherheitsproblemen kommen also proaktive, interaktive Maßnahmen lokal vernetzter Akteure zum Einsatz. Hierin spiegeln sich die Entgrenzung und Enthoheitlichung des Staates wider. Sinnbildlich gesprochen ist es nicht mehr der Leviathan, der als Monopolist für die Wahrung von Sicherheit und Gemeinwohl auftritt. Ursachen hierfür sind in der zunehmenden Komplexität der zu lösenden Probleme im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der gegenseitigen Abhängigkeiten der Akteure zu sehen. Community Policing trägt dieser Entwicklung Rechnung. Sicherheit und Sicherheitsempfinden werden somit zu einer Aufgabe, die zwischen verschiedenen Akteuren angesiedelt ist und dementsprechend neue Handlungsformen und -strategien verlangt. Dies zeigt sich auch in den Zielen, die generell mit Community Policing erreicht werden sollen:

    • Reduktion von Kriminalität und Unsicherheitsgefühlen (objektive und subjektive Sicherheit),

    • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Bürgerschaft und der Polizei und

    • Erhöhung der Lebensqualität.

      Mit den genannten Zielen sind Community Policing und kommunale Kriminalprävention in bestimmter Hinsicht deckungsgleich. Kriminalprävention bedeutet vorrangig die Vorbeugung und Verhinderung von Straftaten und ist dabei nicht nur auf staatliche Akteure beschränkt. Nach einer längeren Anlaufzeit wurden mit Beginn der neunziger Jahre in Deutschland auf allen drei Staatsebenen die ersten kriminalpräventiven Initiativen und Gremien ins Leben gerufen. Bemerkenswert daran ist die zunehmende Bedeutung eines verstärkten präventiven Vorgehens. Besondere Popularität kommt der Verankerung derPräventionsarbeit auf der kommunalen Ebene zu. Kommunale Kriminalprävention, sofern sie lediglich auf Kriminalität und strafrechtlich relevante Handlungen fokussiert ist, stellt im Vergleich zum Community Policing ein engeres Konzept dar. Letztgenanntes zeichnet sich gerade dadurch aus, auch Handlungen und Zustände zu thematisieren, die das Sicherheitsempfinden betreffen, selbst wenn sie nicht durch das Strafrecht erfasst werden.

      Um auf diese lokalen Bedürfnisse und Herausforderungen reagieren zu können, ist eine Dezentralisierung innerhalb der Polizei und anderer Behörden notwendig, damit vor Ort zweckmäßig reagiert werden kann. Beispielsweise können in einzelnen Stadtteilen Büros eingerichtet und Ansprechpartner definiert werden, die in der Lage sind, Bedürfnisse vor Ort aufzuspüren, aufzunehmen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Eine solche Charakterisierung impliziert zugleich, dass es sich nicht um eine Einzelmaßnahme handelt. Vielmehr verkörpert es eine Philosophie, aus der sich die Konsequenzen für das Handeln der Polizei insgesamt ableiten lassen. Daher ist es unumgänglich, dieses Konzept der präventiven, lokal vernetzten Polizeiarbeit herunterzubrechen. Nur eine differenzierte, den lokalen Problemen und Bedürfnissen angepasste Polizeiarbeit wird helfen können, gemeinsame Lösungen zu erkennen und umzusetzen. Damit werden veränderte Anforderungen an die Polizei gestellt, die ihnen nur dann entsprechen kann, wenn sich ihre bisherige Struktur und Kultur wandelt.

      Deutlich wird dies, wenn die beiden Konzepte und die damit verbundenen Veränderungen idealtypisch miteinander verglichen werden (Siehe Abbildung der PDF-Version):

      Die Gegenüberstellung zeigt, dass mit der Implementierung von Community Policing ein umfassender Wandel der Polizeiarbeit einhergeht. Ebenfalls wird deutlich, dass beide Formen polizeilicher Arbeit oft konträr zueinander stehen. Auf der Ebene der Konzepte mag dies insofern sinnvoll sein, als der Charakter des Community Policing geschärft und die Bedeutung für einen Wandel herausgestrichen wird. Die traditionelle Polizeiarbeit war auf die Bekämpfung der Kriminalität ausgerichtet. Demgegenüber ist der Ansatz des Community Policing maßgeblich durch präventive Elemente gekennzeichnet, die ebenfalls das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung adressieren. Daher korrespondieren die gewachsene Bedeutung des Sicherheitsempfindens der Bürgerinnen und Bürger und ein verstärktes kriminalpräventives Tätigwerden der Polizei miteinander.

      Die Forderung nach mehr Polizei scheiterte und scheitert oft an den leeren Kassen der öffentlichen Hand. Darüber hinaus garantieren quantitativ mehr Polizei und ein repressiveres Vorgehen nicht immer eine bessere Problemlösung. Vor diesem Hintergrund gewinnen präventive Elemente an Bedeutung: Der Vorbeugung von Straftaten und sie begünstigender Faktoren kommt eine gewachsene Bedeutung zu, der jedoch der Staat nicht mehr allein gerecht werden kann. Die Aktivierung nicht-staatlicher Akteure stellt ein Wesensmerkmal des Community Policing dar und ist zugleich ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

      Community Policing: Das Beispiel Düsseldorf



      Eine Vielzahl von Berichten belegt, dass eine gemeindebezogene Zusammenarbeit ein zentraler Bestandteil dessen ist, was in der praktischen Arbeit als Community Policing bezeichnet wird. Es sollen daher im Folgenden am Beispiel der Stadt Düsseldorf Elemente des Community Policing beschrieben werden.

      In der Landeshauptstadt Düsseldorf versehen 2 038 Polizistinnen und Polizisten ihren Dienst, wovon 82 Beamte als so genannte Bezirksbeamte ("Community-Policing-Beamte") ortsteilbezogen eingesetzt werden. Ihre Aufgabe ist es, Präsenz zu zeigen und zugleich als Ansprechpartner sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für andere Institutionen (Kindergärten, Schulen, Verbände oder Vereine) zu dienen. Der Vorteil ist, dass in einem abgegrenzten geographischen Raum ein oder mehrere Ansprechpartner konstant verfügbar und dementsprechend bekannt sind. Darüber hinaus verfügen die Bezirksbeamten über Kenntnisse, wie sich ihr Revier hinsichtlich relevanter Problemfelder verändert. Sie haben die Möglichkeit, Kontakte zur Bevölkerung zu pflegen und zeitnah Informationen über Probleme zu erhalten. Während möglicherweise vorher vornehmlich Straftaten gemeldet worden sind, werden nun auch Situationen identifiziert, aus denen sich potenzielle Gefahren ergeben. Damit wird zugleich eine Schwelle überwunden, die bürokratischen Organisationen oft nachgesagt wird. Wissen die Bürgerinnen und Bürger, an wen sie sich mit Fragen oder Problemen wenden können oder wird eine Verwaltung als anonyme und ferne Institution wahrgenommen? Letzteres ist für die Informationsflüsse zwischen Verwaltung und Bevölkerung von Nachteil. Die Polizei, die in der Wahrnehmung der Bevölkerung, von ihrem Selbstverständnis und von ihrem gesetzlichen Auftrag her die zentrale Stelle für sicherheitsrelevante Anliegen der Bevölkerung ist, muss daher einen Weg finden, Anliegen schnell und unbürokratisch aufzunehmen und zu bearbeiten. Polizistinnen und Polizisten, die in diesem Sinne eingesetzt werden, bilden den Kern gemeindebezogener Polizeiarbeit.

      Des Weiteren wurde 1998 durch die Stadtverwaltung Düsseldorf eine spezifische Organisation ins Leben gerufen, die von kommunaler Seite als Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger fungiert: der Ordnungs- und Servicedienst (OSD) des Ordnungsamtes. Dieser nimmt darüber hinaus Funktionen wahr, die das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung positiv beeinflusst haben (zum Beispiel Streifendienst). Weiterhin berät der Dienst die Einwohnerinnen und Einwohner in den einzelnen Stadtteilen vor Ort zu Fragen der Sicherheit und Ordnung - eine Aufgabe, die übrigens auch von der Polizei mit ihrem Kommissariat "Vorbeugung" wahrgenommen wird. Ein wesentliches Merkmal des OSD ist die verstärkte Präsenz von Ordnungskräften auf der Straße. Täglich sind 120 der 138 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Stand August 2005) in Uniform auf den Straßen der Landeshauptstadt unterwegs, um gegen störenden Alkoholgenuss, aggressives Betteln, Verunreinigungen und Störungen der Nachtruhe vorzugehen.

      Die skizzierte Sicherheitslandschaft Düsseldorfs mag bisher noch einen recht traditionellen Eindruck erwecken. Entscheidend ist jedoch, wie die Handlungsfelder der einzelnen Akteure verknüpft sind. Bereits seit dem Jahr 1999 arbeiten das Polizeipräsidium und das private Sicherheitsgewerbe zusammen. Hinzu getreten ist eine Ordnungspartnerschaft, bei der Polizei und kommunale Ordnungsbehörden zusammenarbeiten. Durch die diversen partnerschaftlichen Arrangements soll in erster Linie der Informationsaustausch verbessert werden. Ergänzend finden regelmäßig gemeinsame Besprechungen und Ausbildungen statt, wodurch zusätzlich Transparenz und Vertrauen gebildet werden sollen. Darüber hinaus wurde eine Reihe institutioneller Arrangements geschaffen, die den Gedanken der Vernetzung mit Akteuren noch deutlicher werden lassen.

      An erster Stelle ist der Arbeitskreis Vorbeugung und Sicherheit (AKVS) zu nennen, der das zentrale kriminalpräventive Gremium darstellt. In diesem haben sich Polizei, Kommunalverwaltung, andere öffentliche Institutionen und gesellschaftliche Gruppen zusammengefunden, um die Ordnung zu sichern und die Kriminalität zu verringern. Die nebenstehende Grafik verdeutlicht die gesamtgesellschaftliche Vernetzung und Verankerung des kriminalpräventiven Rates.

      Damit wird zugleich deutlich, was unter der oben angesprochenen Entgrenzung als Element des Wandels von Staatlichkeit zu verstehen ist. Unterschiedlichste gesellschaftliche Akteure interagieren und sorgen auf diese Weise für mehr Sicherheit. Staatliche Akteure können die notwendige Zusammenarbeit jedoch nicht hierarchisch erzwingen. Sie sollten vielmehr versuchen, mit nicht-hierarchischen Mitteln derartige Sicherheitskoalitionen zu schmieden. Daher sind zum Beispiel gegenseitige Informationen und Anreize wichtige Elemente zur Schaffung einer Atmosphäre der Kooperation in kriminalpräventiven Gremien.

      Die Verankerung des Gremiums auf der Ebene der Bezirke durch die Einrichtung kriminalpräventiver Räte verdeutlicht einmal mehr, dass sich das Gremium als lokal verankerte und vernetzte Initiative begreifen lässt, die dem Gedanken des Community Policing entspricht. Die Bedeutung der Schaffung lokal überschaubarer Zuständigkeiten ist ein wesentlicher Schritt, mit dem auf die Bürgerinnen und Bürger besser eingegangen wird. Insbesondere in Großstädten mit ihren soziokulturell und sozioökonomisch unterschiedlich geprägten Wohnquartieren ist es notwendig, kriminalpräventive Arbeit an spezifische Bedürfnisse in einzelnen Bezirken oder Stadtteilen anzupassen. Nur so kann der Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit gewährleistet werden.

      Eine Aktivierung der Bevölkerung kann aber auch durch andere Instrumente erreicht werden. So führen Informationsveranstaltungen (etwa zur Sicherung von Wohneigentum), Befragungen oder Anhörungen zu einer verstärkten Kommunikation, wodurch beide Seiten schneller eine bessere Informationsgrundlage erhalten. Dass man sich dabei nicht nur auf den Austausch von Informationen beschränken sollte, zeigt das Beispiel Düsseldorf ebenfalls. Um das Entstehen von Orten zu verhindern, die das Sicherheitsempfinden negativ beeinflussen (so genannte "Angsträume"), werden bereits im Bauplanungsverfahren Bürgerinnen und Bürger mit ihren Kenntnissen über die lokalen Besonderheiten und ihre spezifischen Bedürfnisse einbezogen. Sobald die Maßnahmen realisiert werden, ist zu erwarten, dass zum einen die subjektive Sicherheit und zum anderen die Bereitschaft zu einem kontinuierlichen Engagement erhöht werden können. Insofern profitieren beide Seiten davon: Die Polizei kann besser an Informationen gelangen, wenn sie Kontakte zu den Bürgerinnen und Bürgern sucht und pflegt; die Betroffenen sind zufrieden, da sie sehen, wie ihre Probleme und Anliegen zu Anliegen der Polizei werden, auch wenn sie nicht Opfer von Kriminalität geworden sind. Insgesamt ließe sich durch solche Maßnahmen der Kommunikation und Kooperation das Sozialkapital erhöhen. In Anlehnung an Putnam wird unter Sozialkapital die Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit in einer Gesellschaft verstanden. Der Aufbau von Strukturen, die das gegenseitige Verantwortungsgefühl stärken, kann zu mehr Engagement der Bevölkerung und zu verstärkten Kooperationen untereinander führen.

      Grenzen und Probleme desCommunity Policing



      Man darf bei der Bewertung des Community Policing nicht aus den Augen verlieren, dass es sich um eine Philosophie polizeilicher Aufgabenwahrnehmung handelt. Insofern erwächst daraus ein umfassender Anspruch an alle beteiligten Akteure und vor allem an die Polizei selbst, die trotz aller Vernetzung zentraler Akteur bleibt. Da auch hier limitierende Faktoren wirken, können jedoch nicht immer sämtliche Ansprüche erfüllt werden. An erster Stelle sind notwendige organisatorische Veränderungen zu nennen. Community Policing ohne eine veränderte polizeiliche Kultur und Struktur ist ein potemkinsches Dorf, das über kurz oder lang entzaubert wird. Darüber hinaus führen finanzielle Restriktionen eher zu Leistungsabbau und Zentralisierung und wirken dadurch Community Policing entgegen, wenn hierfür zusätzliche Ressourcen benötigt werden.

      Nicht minder wichtig ist die Rolle der anderen Akteure. Neben den Kommunalverwaltungen müssen auch gesellschaftliche Gruppen und die Bevölkerung Community Policing mittragen, wenn es die erhofften Wirkungen entfalten soll. Jedoch können in derartigen Prozessen nicht unendlich viele Akteure berücksichtigt werden, da ansonsten die Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird. Hieraus ergeben sich wiederum Einwände, wenn möglicherweise Minderheiten oder Randgruppen - wie zum Beispiel Obdachlose - von Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und nur die Interessen starker Akteure einbezogen werden. Des Weiteren kann ein präventives Vorgehen der Polizei an rechtliche Grenzen stoßen. Die Ausweitung polizeilicher Tätigkeiten auf präventive Maßnahmen stößt in einen schwer fassbaren Bereich vor, was eine Entgrenzung polizeilicher Arbeit nach sich ziehen könnte. Das repressive Handeln der Polizei war bisher weitgehend auf illegale Handlungen gerichtet und durch Normen legitimiert und zugleich begrenzt.

      Demgegenüber dehnt sich Prävention auf die Vermeidung von Handlungen und Zuständen aus, die nicht strafrechtlich relevant sind und unter Umständen eher einem Verstoß gegen die sozialen Normen einer Gemeinschaft entsprechen. Es ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Akteure, in erster Linie die Polizei, die potenziellen Gefahren durch "crime", "disorder" und "incivilities" abwägen und überlegen, wie man ihnen begegnen kann, ohne dabei gegen rechtsstaatliche Prinzipien (insbesondere dasjenige der Verhältnismäßigkeit) zu verstoßen. Insofern entsteht ein mögliches Spannungsfeld zwischen der Erhöhung der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls durch verstärkte Prävention auf der einen und den geschützten und weiterhin zu schützenden Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

      Schlussbemerkungen



      Bereits die eingangs referierten philosophischen Erwägungen von Thomas Hobbes haben die zentrale Rolle, die Sicherheit im Miteinander von Menschen spielt, deutlich gemacht. Dieser Kern hoheitlichen Handelns ist - wie auch andere Politikbereiche - Herausforderungen unterworfen, die veränderte Handlungsformen erfordern. Daher treten zu den klassischen repressiven Methoden ergänzend oder substituierend präventive Maßnahmen hinzu. Community Policing stellt dabei einen neuen Ansatz der Kriminalprävention dar, bei dem staatliche Stellen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren (Verwaltungen, Vereine, Einzelhandel, Bürgerschaft etc.) zusammenarbeiten, um die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl positiv zu beeinflussen. Dieser Ansatz wird verstärkt auf der kommunalen Ebene in Deutschland und im Ausland umgesetzt und führt oftmals zu positiven Wirkungen, was die objektive und subjektive Sicherheitslage angeht. Damit Community Policing wirksam ist, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere die Polizei muss eine Reihe von Anpassungen in ihrer Organisationsstruktur und -kultur vornehmen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Dabei werden repressive Elemente weiterhin das polizeiliche Handeln dominieren. Polizeiarbeit wird auch zukünftig in weiten Bereichen dem Bild des Leviathans entsprechen müssen. Im kriminalpräventiven Bereich jedoch wandelt sich die Polizei zum "nützlichen Haustier", das im Vergleich zum Leviathan andere Funktionen mit anderen Mitteln wahrnimmt. Hierin liegen große Chancen für eine nachhaltige Kriminalprävention, die es lohnen, die zu erwartenden Spannungen auszuhalten und zu überwinden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Erhard Denninger, Der gebändigte Leviathan, Baden-Baden 1990, S. 29.

  2. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, Stuttgart 1998.

  3. Heutzutage werden die Funktionen generalisierend als Wahrung der äußeren und inneren Sicherheit beschrieben und bilden mit der Bundeswehr und den Bundes- und Länderpolizeien einen zentralen Aufgabenbereich, ohne den der moderne Staat nicht denkbar ist.

  4. Vgl. Jon Pierre/Guy Peters, Governance, Politics and the State, New York 2000.

  5. Vgl. Bundesministerium des Innern, Polizeiliche Kriminalstatistik 2004, Berlin 2005.

  6. Vgl. Inge Karazman-Morawetz, Was macht Stadtbewohner unsicher?, in: Walter Hammerschick/Inge Karazman-Morawetz/Wolfgang Stangl (Hrsg.), Die sichere Stadt - Prävention und kommunale Sicherheitspolitik, Baden-Baden 1996.

  7. Übersetzt nach: Community Policing Consortium, About Community Policing, in: http://www. communitypolicing.org/about2.html (23.8. 2005).

  8. Vgl. Herman Goldstein, Improving Policing: A Problem-Oriented Approach, in: Crime & Delinquency, 25 (1979) 2, S. 236 - 258.

  9. Vgl. James Q. Wilson/George L. Kelling, Broken Windows. The police and neighborhood safety, in: The Atlantic Monthly, 249 (1982) 3, S. 29 - 38.

  10. Vgl. Thomas Feltes, New Philosophies in Policing, in: Police Studies, 17 (1994) 2, S. 29 - 48.

  11. Diese Aussage kann keine universelle Gültigkeit beanspruchen. In den USA sind Elemente des Community Policing integrale Bestandteile der Polizeiarbeit. In Deutschland ist dieser Prozess nicht so weit fortgeschritten.

  12. Vgl. Regine Sauter/Kuno Schedler/Werner Schäfer, Forschungsprojekt Urbane Sicherheit (Schlussbericht), in: Konferenz der Städtischen Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren KSPD (Hrsg.), Community Policing. Modelle für eine vernetzte Polizeiarbeit in der Schweiz, Zürich 2005.

  13. Sowohl die Forderung nach mehr Polizei als auch nach mehr repressiven Maßnahmen kann auch als Irrglaube bezeichnet werden. Vgl. Thomas Feltes, "Community Policing" - ein polizeipolitisches Modellfür Europa?, in: Janos Fehervary/Werner Stangl (Hrsg.), Regionalisierung und Internationalisierung der Sicherheitsexekutive, Wien 2001.

  14. Die Ausführungen basieren auf: Werner Leonhardt, Community Policing - Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der Landeshauptstadt Düsseldorf, in: Konferenz der Städtischen Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren KSPD (Hrsg.), Community Policing. Modelle für eine vernetzte Polizeiarbeit in der Schweiz, Zürich 2005.

  15. Vgl. Ordnungs- und Sicherheitsdienst, in: http://www.duesseldorf.de/ordnungsamt/osd/index.shtml (23.8. 2005).

  16. In Anlehnung an den Begriff Public-Private-Partnership wird diese spezifische Zusammenarbeit als Police-Private-Partnership bezeichnet. Vgl. Rolf Stober, Staatliches Gewaltmonopol und privates Sicherheitsgewerbe. Plädoyer für eine Police-Private-Partnership, in: Neue Juristische Wochenzeitschrift, 50 (1997) 14, S. 889 - 896.

  17. Der Arbeitskreis schuf mit dem so genannten Düsseldorfer Gutachten einen Meilenstein für die Kriminalprävention in Deutschland, da in diesem kriminalpräventive Maßnahmen auf ihre Wirkungen hin untersucht wurden. Vgl. Dieter Rössner u.a., Düsseldorfer Gutachten: Empirisch gesicherte Erkenntnisse über kriminalpräventive Wirkungen. Eine Sekundäranalyse der kriminalpräventiven Wirkungsforschung, Marburg 2002. Das Gutachten kann kostenlos unter http://www.duesseldorf.de/download/dg.pdf (23.8. 2005) heruntergeladen werden.

  18. Für einen Überblick und internationalen Vergleich zum Sozialkapital: vgl. Robert D. Putnam (Hrsg.), Gesellschaft und Gemeinsinn - Sozialkapital im internationalen Vergleich, Gütersloh 2001.

Dipl.-Verw. Wiss., geb. 1976; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität St. Gallen (IDT-HSG), Dufourstrasse 40a, CH-9000 St. Gallen (Schweiz).
E-Mail: E-Mail Link: peter.kolbe@unisg.ch