Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Folter und Völkerrecht | Folter und Rechtsstaat | bpb.de

Folter und Rechtsstaat Editorial Zur Unvereinbarkeit von Folter und Rechtsstaatlichkeit Einschränkung des absoluten Folterverbots bei Rettungsfolter? Folter und Völkerrecht Das System Guantánamo Das Rendition-Programm der USA und die Rolle Europas

Folter und Völkerrecht

Thomas Bruha Christian J. Tams Christian J. Thomas Bruha / Tams

/ 17 Minuten zu lesen

Folter schien im modernen Rechtsstaat lange Zeit abgeschafft. Das US-Internierungslager auf Kuba zeigt, dass sie kein Tabu mehr darstellt. Das Völkerrecht verbietet Folter ausnahmslos.

Einleitung

Rückkehr der Folter" lautet der Titel eines kürzlich erschienenen Buches, der nachdenklich stimmt: Folter ist in weiten Teilen der Welt eine grausame Realität. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international leisten seit langem Aufklärungsarbeit und prangern Folterpraktiken an. So betrachtet, kehrt Folter nicht zurück: Folter ist da, brutal und anscheinend unauslöschlich. Was also ist gemeint, wenn von der Rückkehr der Folter gesprochen wird? Offensichtlich zweierlei: zum einen die in Deutschland durch den Fall Daschner wieder entflammte Debatte über die Billigung oder gar Legalisierung von Folter zur Rettung von Leben; zum anderen die mit Erschütterung wahrgenommenen Bilder gefolterter und entwürdigter Gefangener in den Internierungscamps von Guantánamo und Abu Ghraib. Das entsetzt. Folter scheint auch in der westlichen Welt, in der sie für abgeschafft gehalten wurde, kein Tabu mehr zu sein.

Diesem erschreckenden Befund steht ein mit Absolutheitsrang ausgestattetes Verbot der Folter im Völkerrecht entgegen. Bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 bestimmt in ihrem Art. 5: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." Grundlegende menschenrechtliche Verträge wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) von 1966 und die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) von 1950 greifen dieses Verbot auf und erklären es für "notstandsfest", d.h. unabdingbar.

Dasselbe gilt für später entstandene Spezialkonventionen wie das im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitete Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-Folter-Übereinkommen, CAT) von 1984 und die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (ECPT) von 1987. Diese sowie eine Reihe weiterer Abkommen konkretisieren das Folterverbot und sehen spezielle "Ausschüsse" und Verfahren zu seiner Überwachung vor. Auch im Völkerstrafrecht hat das Folterverbot mittlerweile seinen festen Platz. Die Statute der beiden vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Ad-hoc-Strafrechtstribunale und des Internationalen Strafgerichtshofs enthalten den Straftatbestand der Folter. Ob dieser auch gewohnheitsrechtlich gilt, ist umstritten, im Unterschied zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Folterverbots. Dieses wird sogar dem Bereich des ius cogens zugerechnet, also dem "zwingenden Völkerrecht", von dem vertraglich nicht abgewichen werden darf.

Begriff der Folter

Von der Verankerung eines absoluten Folterverbots im Völkerrecht ist die Frage zu unterscheiden, was eine Handlung zu Folter im Sinne des Völkerrechts macht. Nicht jede erniedrigende und unmenschliche Behandlung stellt bereits Folter dar. Dies ergibt sich schon aus dem Titel des Anti-Folter-Übereinkommens. Die Frage ist von großer aktueller Bedeutung. So wird versucht, die Vorkommnisse in Guantánamo und Abu Ghraib als legitime Verhörtechniken zu rechtfertigen und von Folter zu unterscheiden - unbeschadet etwaiger strafrechtlich zu ahndender sadistischer Verfehlungen einzelner Personen.

Was Folter ist, definieren die verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen. Im Vergleich zum nationalen Recht, das die Folter nicht eigenständig für strafbar erklärt, zeichnen sich diese auf den ersten Blick durch große Klarheit aus. So beschreibt Art. 1 CAT Folter als "jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind."

Erforderlich sind also zunächst einmal "große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden", die sich zudem nicht aus "gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind". Was die zuletzt genannte Einschränkung betrifft, so kann diese offensichtlich nicht so verstanden werden, dass sie den innerstaatlichen Gesetzgeber zur Legalisierung von Folterhandlungen ermächtigt. Nur was völkerrechtlich erlaubt ist, darf durch den innerstaatlichen Gesetzgeber auch als "zulässige Sanktion" (insbesondere im Strafvollzug) vorgesehen werden. Was aber sind "große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden"? Erst erhebliche Verletzungen oder auch schon die Verabreichung von Elektroschocks, Scheinertränkungen, vorgetäuschte Hinrichtungen, tagelanges Aufrechtstehen mit verbundenen Augen, usw.? Die internationale Spruchpraxis - sowohl der Vertragsorgane der oben genannten Konventionen als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) - sehen derartige Handlungen als vom Folterbegriff erfasst an. "Torture light", welche der Sache nach vom Leiter des Office of Legal Affairs des US-amerikanischen Justizministeriums für legal erklärt wurde, lässt das Völkerrecht nicht zu.

Von erheblicher praktischer Bedeutung ist ferner die Frage, ob auch schon die Androhung von Folterhandlungen als Folter oder zumindest "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" anzusehen ist. Die Frage stellt sich mit Blick auf den eingangs erwähnten Daschner-Fall. Grundsätzlich wird man die Frage bejahen müssen, jedenfalls dann, wenn beim Opfer der Eindruck erzeugt wird, die Missachtung der Drohung ziehe unmittelbar die Folterung nach sich. Eine andere Meinung stellt darauf ab, ob der durch die Folterandrohung bewirkte "seelische Schmerz" und die damit verbundene Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit ebenso stark sind wie bei der Durchführung der Folter selbst. Die entsprechenden Feststellungen sind offensichtlich nicht leicht zu treffen. Auch dafür steht der Fall Daschner.

Schließlich muss, um von Folter im Sinne der völkerrechtlichen Verbotsnorm sprechen zu können, die Folterhandlung staatlichen Stellen zugerechnet werden können. Dieser Zusammenhang kommt insbesondere in Art. 1 CAT in mehrfacher Weise zum Ausdruck. So muss die Handlung "von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden" und ein bestimmtes Ziel verfolgen, zum Beispiel, um vom Folteropfer oder einem Dritten "eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen". Das deckt sich mit der sozialwissenschaftlichen Beschreibung der Folter als eines "Gehorsamsdelikts" (crime of obedience). Im Unterschied zu Tätern gewöhnlicher Verbrechen handelt der Folterer nicht gegen den Willen und die Anweisungen staatlicher Stellen, sondern im Einklang mit ihnen, sei es aufgrund ausdrücklicher Anordnung der Folterhandlungen oder zumindest der Billigung oder Duldung der Folter durch die zuständigen staatlichen Stellen. Wieder können die erforderlichen Feststellungen große Schwierigkeiten bereiten. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Folterhandlungen durch Private vorgenommen werden. Richtigerweise wird man auch die systematische Duldung von "privat" vorgenommener Folter durch staatliche Stellen als Verletzung des völkerrechtlichen Folterverbots ansehen können. Der völkerrechtliche Straftatbestand der Folter mag hier enger sein.

Umsetzung des Folterverbots

Das grundsätzliche Verbot der Folter bedarf, soll es nicht zahnlos bleiben, der Durch- und Umsetzung. Ihr dienen eine Reihe völkerrechtlicher Sekundärnormen, die das Folterverbot ausgestalten und die so unterschiedliche Bereiche wie das Straf- und Strafanwendungsrecht, das Ausländerrecht oder das Prozessrecht betreffen.

Pflicht des Heimatstaates zur Ahndung der Folter

Folter kann nur effektiv bekämpft werden, wenn die Staaten gegen sie vorgehen. Diese Bekämpfung ist vor allem eine Aufgabe des direkt betroffenen Staates - d.h. des Staates, auf dessen Gebiet bzw. durch dessen Staatsangehörige die Folterhandlungen vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das Anti-Folter-Übereinkommen Staaten zur Ahndung der Folter verpflichtet. In erster Linie verlangt es, dass jeder Staat nach seinem nationalen Recht Folterhandlungen unter Strafe zu stellen und die Wiedergutmachung von Schäden vorzusehen hat. Derartige gesetzliche Regelungen bedürfen natürlich der Umsetzung. Um diese sicherzustellen, sind alle Staaten verpflichtet, gegen Folter strafrechtlich vorzugehen, die sich auf ihrem Staatsgebiet zuträgt oder - im Ausland - durch ihre Staatsangehörigen verübt wird. Im Ergebnis verpflichtet das Anti-Folter-Übereinkommen den direkt betroffenen Staat somit zur Bestrafung von Folterern. In dieselbe Richtung weist die aus allgemeinen Menschenrechtsverträgen abgeleitete Pflicht zur Ahndung schwerer Menschenrechtsverstöße, die zumindest Fälle systematischer Folter erfasst.

Sanktionsrechte anderer Staaten

Würden die direkt betroffenen Staaten Folter wirksam ahnden, wäre viel erreicht. Oft jedoch sind sie dazu entweder nicht bereit oder nicht in der Lage. Daher ist es wichtig zu betonen, dass das Völkerrecht auch andere Staaten zur Sanktionierung von Folterhandlungen ermächtigt.

Verfahren vor Gerichten fremder Staaten: Besondere Bedeutung haben Verfahren vor Gerichten fremder Staaten, d.h. Staaten, die weder einen örtlichen noch personellen Bezug zu den begangenen Folterhandlungen aufweisen. In jüngerer Zeit sind derartige Verfahren - etwa gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet oder den früheren Präsidenten des Tschad Hissène Habré - als (öffentlichkeits-)wirksames Mittel der Durchsetzung des Völkerrechts erkannt worden. Erfolg versprechen sie allerdings nur unter zwei Voraussetzungen:

Die Gerichte des betreffenden Staates müssen zunächst für Klagen wegen im Ausland begangener Folterhandlungen überhaupt zuständig sein. Ob dies der Fall ist, hängt vom jeweiligen nationalen Recht ab. Das Völkerrecht steht einer solchen Jurisdiktionsausübung über Fälle der so genannten "Auslandsfolter" aber jedenfalls nicht entgegen. Vielmehr betont das Anti-Folter-Übereinkommen (wenn auch nicht mit der wünschbaren Klarheit), dass alle Staaten Anklage gegen Personen erheben dürfen, die der Folter verdächtig sind und sich auf ihrem Staatsgebiet aufhalten. Sofern direkt betroffene Staaten den Verdächtigen nicht selbst anklagen, ist eine Anklage vor fremden Gerichten zulässig. Das hierin zum Ausdruck kommende Weltrechtsprinzip gilt nicht nur nach dem Anti-Folter-Übereinkommen, sondern erfasst auch alle Formen von Verstößen gegen ius cogens-Normen.

Das Recht fremder Staaten zur gerichtlichen Verfolgung ausländischer Folterhandlungen ist allerdings durch die Regeln über die völkerrechtliche Immunität beschränkt. Diese beruhen auf dem Grundsatz, dass ein Staat nicht über das Verhalten eines anderen Staates bzw. seiner Organe zu Gericht sitzen darf - par in parem non habet imperium. Aber nicht jedes staatliche Verhalten genießt den Schutz der Immunität; spätestens seit In-Kraft-Treten des Anti-Folter-Übereinkommens werden Immunitätsausnahmen diskutiert. Viele Fragen sind dabei bis heute nicht abschließend geklärt. Jedoch lassen sich die folgenden Kernaussagen treffen:

- Amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister genießen sehr weitgehende, so genannte "persönliche Immunität". Selbst wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen wie etwa Folter dürfen sie daher nicht vor Gerichten ausländischer Staaten belangt werden.

- Ehemalige Würdenträger wie auch sonstige Staatsorgane genießen eine eingeschränkte Form der so genannten "funktionellen Immunität". Deren Reichweite ist umstritten, jedoch wird man extreme Menschenrechtsverletzungen (wie etwa Folter) mittlerweile von ihr ausnehmen müssen. Für den Fall strafrechtlicher Anklagen wegen Folter folgt die Einschränkung bereits aus dem Anti-Folter-Übereinkommen. Denn dessen Regelungen über die Ahndung der Folter gingen weitgehend ins Leere, könnte sich jedes Staatsorgan auf Immunität berufen. Diese besondere Begründung greift jedoch nur bei strafrechtlichen Anklagen ein, erfasst dagegen wohl nicht zivilrechtliche Schadensersatzklagen gegen fremde Staatsorgane oder ehemalige Würdenträger. Im Übrigen ist festzuhalten, dass das Völkerrecht es den Staaten jedenfalls nicht verwehrt, die Immunität fremder Staatsorgane bei schweren Menschenrechtsverletzungen einzuschränken. Auch wenn keine völkerrechtliche Pflicht existiert, den Immunitätsschutz zu verweigern, haben Staaten somit zumindest einen erheblichen Handlungsspielraum.

- Schließlich genießen auch Staaten selbst vor ausländischen Gerichten Immunität. Die Reichweite dieser Staatenimmunität entspricht im Ergebnis weitgehend der soeben erwähnten funktionellen Immunität. Jedoch ist zu bedenken, dass gegen Staaten selbst keine strafrechtlichen Anklagen erhoben werden können. Daher folgt aus dem Anti-Folter-Übereinkommen kein eindeutiges Argument für einen Ausschluss der Immunität.

Insgesamt verhindert das Immunitätsrecht daher weiterhin eine umfassende Ahndung der Folter durch ausländische Gerichte. Man mag dies bedauern, darf dabei aber nicht übersehen, dass die Grundsätze der Immunität selbst der Sicherung der Kooperation zwischen den Staaten dienen. Die Erkenntnis, dass Staaten und Staatsorgane, die für Folter verantwortlich sind, unter Umständen ihr Recht auf Kooperation verwirken, muss in der Staatenwelt noch wachsen. Schon jetzt lässt jedoch das Völkerrecht Einschränkungen der Immunität aber immerhin zu.

Sonstige Sanktionen: Staaten können Fälle der "Auslandsfolter" nicht nur durch Verfahren vor ihren eigenen Gerichten ahnden. Daneben existieren verschiedene andere Formen der Sanktion.

Möglich ist etwa zum einen die Einleitung offizieller zwischenstaatlicher Klage- oder Beschwerdeverfahren. Erwähnung verdient hier das Staatenbeschwerde-Verfahren gegen den Folterstaat nach Art. 21 des Anti-Folter-Übereinkommens; denkbar ist daneben auch eine Klage vor internationalen Gerichten wie etwa dem Internationalen Gerichtshof in DenHaag. Beide Mechanismen sind relativ stumpf, da sie nur gegenüber Staaten in Betracht kommen, welche die Zuständigkeit der jeweiligen Gremien anerkannt haben. Dies ist zwar häufiger der Fall, als gemeinhin angenommen wird; jedoch scheuen Staaten typischerweise die offene Konfrontation eines zwischenstaatlichen Verfahrens.

Wirksamer scheinen demgegenüber politische oder Wirtschaftssanktionen gegenüber einem Folterstaat. In der völkerrechtlichen Terminologie handelt es sich um Repressalien bzw. Gegenmaßnahmen. Diese sind zur Durchsetzung der Menschenrechte durchaus zulässig. Ihre Zulässigkeit folgt nicht aus speziellen Regelungen über das Folterverbot, sondern aus dem allgemeinen Völkerrecht. Zumindest bei Verstößen gegen hochrangige Gemeinschaftsgüter - zu denen das Folterverbot zählt - lässt dieses Repressalien anderer Staaten im Interesse der internationalen Gemeinschaft zu.

Abschiebungsverbot bei drohender Folter

Das völkerrechtliche Regime wäre unvollständig, würde es nur Regeln gegen bereits durchgeführte Folterhandlungen enthalten. Die bisher beschriebenen Regelungen werden ergänzt durch ein Verbot der Abschiebung bei drohender Folter. Dieses Verbot greift in das nationale Ausländerrecht ein, dem die Regelungen über die Abschiebung typischerweise zugeordnet sind. Systematisch betrachtet, dient es der präventiven Absicherung der Regelungen gegen die Folter. Es dehnt die Reichweite des Verbots in zeitlicher Hinsicht aus und erstreckt es auf Staaten, die selbst keine Folterhandlungen vornehmen. Seine Grundlage findet das Abschiebungsverbot im internationalen Menschen- und Flüchtlingsrecht. Sehr klar ist es etwa in Art. 3 des Anti-Folter-Übereinkommens formuliert, der bestimmt: "Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden."

Umstritten ist dagegen die Reichweite des Abschiebungsverbotes. Für die Europäische Menschenrechtskonvention hat der EGMR entschieden, dass die Abschiebung nicht nur in Staaten, die selber Folter praktizieren, unterbleiben müsse. Vielmehr verbiete die EMRK die Abschiebung auch dann, wenn die Behörden des Zielstaates keinen ausreichenden Schutz gegen Folterhandlungen nicht-staatlicher Stellen böten. Diese Rechtsprechung führt weg von der restriktiven Fassung des - traditionell nur staatliches Verhalten erfassenden - Folterverbots und orientiert sich zu Recht an der tatsächlichen Bedrohung des potenziellen Opfers. Sie verdeutlicht zugleich die eigenständige Bedeutung des Abschiebungsverbots, das die Abschiebung auch bei anderen drohenden Menschenrechtsverletzungen verbietet.

Verbot der Verwertung von Folteraussagen

Schließlich erlangt eine letzte Dimension des völkerrechtlichen Anti-Folter-Regimes zunehmend Bedeutung: das Verbot der gerichtlichen Verwertung von Aussagen, die durch Folter erlangt wurden. Diese Regelung ist von einem Bemühen um Schadensbegrenzung inspiriert; sie soll verhindern, dass ein Staat sich die Ergebnisse von Folterhandlungen im Rahmen späterer Gerichtsverfahren nutzbar macht. Die Notwendigkeit eines solchen Verwertungsverbots wird kaum ernsthaft bestritten - in der Tat wäre es mit fundamentalen Rechtstaatspostulaten unvereinbar, "erfolterte" Geständnisse zur Grundlage gerichtlicher Verurteilungen des Folteropfers zu machen. Ausdrücklich ausgeschlossen wird eine solche Verwertung denn auch durch Art. 15 CAT, der Staaten verpflichtet, dafür Sorge zutragen, dass "Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde". Bei aller Einigkeit im Grundsatz ist jedoch die Reichweite des Verwertungsverbots sehr umstritten. Dieser Streit betrifft Art und Ort der Verfahren, in denen Folteraussagen verwertet werden sollen. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:

Unumstritten ist zunächst, dass Folteraussagen nicht in Verfahren gegen das Folteropfer selbst verwendet werden dürfen, da eine solche Verwertung gegen das fundamentale Verbot der Selbstbelastung - den so genannten nemo tenetur-Grundsatz - verstieße. Dieses Verbot gilt für Verfahren sowohl vor Gerichten des Folterstaates als auch vor Gerichten anderer Staaten, denn Art. 15 spricht bewusst von "durch Folter herbeigeführt(en)" Aussagen, ohne die Identität des Folterers zu spezifizieren. Um es an einem Beispiel zu illustrieren: Deutsche Gerichte dürften einen ausländischen Angeklagten nicht auf der Basis eines Geständnisses verurteilen, das dieser unter Folter gegenüber ausländischen Geheimagenten abgegeben hat.

Problematischer ist die Verwertung von Folteraussagen in Verfahren nicht gegen das Folteropfer, sondern gegen Dritte. So mag ein Inhaftierter unter Folter den Namen eines Mittäters preisgegeben haben, der nun wegen der Tat angeklagt worden ist. Auch eine derartige Verwertung schließt das Völkerrecht jedoch aus. Art. 15 CAT ist auch insofern bewusst weit formuliert: Ausgeschlossen ist die Verwertung "in einem Verfahren", was nicht mit "einem Verfahren gegen den Betroffenen" gleichgesetzt werden darf. Zudem zeigt der letzte Halbsatz des Art. 15 CAT ("es sei denn ..."), dass das Verbot grundsätzlich auch in Verfahren gegen einen Folterer, also ein Nicht-Opfer, eingreift. Nach allgemeinen Menschenrechtsverträgen kommt man zum gleichen Ergebnis, da erfolterte Geständnisse unzuverlässige Beweismittel sind und Verdächtige unter Druck dazu neigen, andere fälschlich zu belasten. Wiederum gilt dieses Verbot unabhängig vom Ort des Verfahrens, also sowohl vor Gerichten des Folterstaats als auch vor Gerichten anderer Staaten.

Insgesamt verbietet das Völkerrecht damit die gerichtliche Verwertung erfolterter Aussagen in umfassender Weise. Dieses Verbot ergänzt die Regelungen über Ahndungspflichten, Sanktionsrechte und Abschiebungsverbote und verdeutlicht den Querschnittscharakter des völkerrechtlichen Anti-Folter-Regimes.

Aufweichung des Folterverbots im "Ausnahmefall"?

Eine gefährliche Aufweichung droht dem Folterverbot gegenwärtig unter Berufung auf die Erfordernisse "nationaler Sicherheit", insbesondere im Zuge des "war on terror". Guantánamo und Abu Ghraib, aber auch manche Verhörpraktiken des israelischen Geheimdienstes, stehen für diese äußerst gefährliche Entwicklung. Neben verschiedenen Rechtfertigungsmustern einer "torture light" lassen sich insbesondere das Argument der "Verteidigungsfolter" sowie der Versuch der schlichten Unterlaufung des Folterverbots durch die "Verbringung" von Personen zum Zwecke "extraterritorialer" Folter nennen, in letzterem Zusammenhang auch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes.

Allen diesen Praktiken ist unter dem Völkerrecht eine Absage zu erteilen. Für die "torture light" ist das schon oben festgestellt worden. Aber auch eine "Verteidigungsfolter" sowie "torture via detention" haben vor dem Völkerrecht keinen Bestand. Die Rechtfertigung von Folter zum Zwecke der Verteidigung kollidiert nicht nur mit dem ius cogens-Charakter und dem Absolutheitsanspruch des Folterverbots. Die Legitimierung von Folter zum Zwecke der Prävention terroristischer Anschläge hat in ihrer rechtsauflösenden Logik auch einiges mit der gleichermaßen völkerrechtswidrigen Bush-Doktrin prä-emptiver Kriegsführung gemein. Erst recht völkerrechtswidrig ist die "Verbringung" von Gefangenen in Gefängnisse und Internierungscamps außerhalb des Staatsgebiets, um sie dort unter dem Versuch der Umgehung der rechtsstaatlichen Bindungen und Verfahrensgarantien des nationalen Rechts foltermäßigen oder sonstigen unmenschlichen und erniedrigenden Verhörmethoden zu unterziehen. Wenn schon die Abschiebung von Personen in Staaten, in denen ihnen die Folter droht, völkerrechtswidrig ist, dann ist es erst recht die ziel- und zweckgerichtete "Verbringung" von Personen an "extraterritoriale" Folterplätze. Nicht der Ort der Folterhandlung, sondern deren Zurechnung zu einem Staat begründet die Erfüllung des Foltertatbestandes. Erfreulicherweise hat mittlerweile auch der U.S. Supreme Court zunächst aus Gründen des innerstaatlichen Rechts, dann aber auch des Völkerrechts Gegenkurs zur Regierung aufgenommen und gerichtlichen Rechtsschutz für die Gefangenen von Guantánamo eingefordert. Zur Problematik der Internierungen und Verhörmethoden selbst hat der Supreme Court sich aber bedauerlicherweise noch nicht äußern können. Sie verstoßen bereits gegen das einschlägige Kriegsvölkerrecht.

Schlussbemerkungen

Die Ausführungen haben gezeigt, dass es sich beim Folterverbot um eine mit Absolutheitsanspruch ausgestattete völkerrechtliche Fundamentalnorm handelt, von der keine Abweichungen erlaubt sind. Sie machen ebenfalls deutlich, dass das Verbot der Folter durch Umsetzungsnormen ergänzt wird, die querschnittsmäßig in das nationale Recht eingreifen.

Das strenge Regime des völkerrechtlichen Folterverbots ist vor allem mit den besonderen Gefährdungen zu erklären, welche dem grundlegenden Menschenrecht auf Freiheit von Folter in weiten Teilen der Welt drohen. Die appellative Funktion eines absoluten Folterverbots ist gerade im Völkerrecht unverzichtbar; Folter darf "nicht vor Recht gehen". Dass sich dieses Postulat - trotz der existierenden Sanktionsmöglichkeiten - häufig nicht durchsetzen lässt, kann nicht als Einwand akzeptiert werden. Dass das Völkerrecht mit besonderen Effektivitätsproblemen konfrontiert ist, ist eine Binsenweisheit. Dieser Befund rechtfertigt es jedoch nicht, Normen, welche in hohem Maße für Missachtungen anfällig sind, die rechtliche Geltung abzusprechen. Zwischen der Verletzung einer völkerrechtlichen Norm und ihrer Leugnung oder normauflösenden Verwässerung besteht ein gewaltiger Unterschied. "Folter muss geächtet bleiben" - im innerstaatlichen Recht wie im Völkerrecht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. G. Beestermöller/H. Brunkhorst (Hrsg.), Rückkehr der Folter. Der Rechtsstaat im Zwielicht?, München 2006.

  2. Vgl. zur Debatte C. Breuer, Das Foltern von Menschen. Die Differenz zwischen dem Anspruch eines weltweiten Verbots und dessen praktischer Missachtung und die Frage nach der möglichen Zulassung der "Rettungsfolter", in: G. Beestermöller/H. Brunkhorst (Anm.1), S. 11.

  3. Vgl. T. Bruha, Wege aus dem Niemandsland, in: Vereinte Nationen, (2004), S. 73.

  4. In Europa setzt C. Breuer (Anm. 2, S. 15) den Zeitpunkt der Abschaffung der Folter auf die Mitte des 19. Jahrhunderts an. Näher zur Geschichte L. Richter, Die Geschichte der Folter und Hinrichtungen. Vom Altertum bis zur Jetztzeit, Wien 2001.

  5. Siehe hierzu T. Bruha/D. Steiger, Das Folterverbot im Völkerrecht, Beiträge zur Friedensethik Bd. 39, Stuttgart 2006.

  6. Art. 7 IPbpR und Art. 3 EMRK.

  7. Art. 4 Abs. 2 IPbpR und Art. 15 Abs. 2 EMRK.

  8. Vgl. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 12ff.

  9. Art. 5(f) des Statuts des Jugoslawien-Tribunals, Art. 3(f) des Statuts des Ruanda-Tribunals und Art. 7 (1)(f) des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).

  10. Bejahend T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 22.

  11. Vgl. Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge.

  12. "Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe".

  13. Vgl. A. Fischer-Lescano, Folter in Abu Ghraib. Strafanzeige gegen Donald Rumsfeld in der Bundesrepublik, in: G. Beestermöller/H. Brunckhorst (Anm. 1), S. 142, 146.

  14. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 33.

  15. "Torture must be equivalent in intensity to the pain accompanying serious physical injury, such as organ failure, impairment of bodily function, or even death." Memorandum aus dem Jahr 2002, Nachweise bei T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 42.

  16. Vgl. S. Schmahl/D. Steiger, Völkerrechtliche Implikationen des Falls Daschner, in: Archiv des Völkerrechts, (2005), S. 358.

  17. Vgl. zum Ganzen T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 31f.

  18. Vgl. ausführlicher dazu ebd., S. 25f., 28ff.

  19. H. C. Kelman, The policy context of torture: A social-psychological analysis, in: International Review of the Red Cross, (2005), S. 123, 127ff.

  20. Vgl. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 26.

  21. Vgl. die Definition in Art. 7 (2) (3) IStGH-Statut.

  22. Vgl. Art. 4 und 14 (1) CAT.

  23. Vgl. Art. 5 (1) CAT.

  24. Hierzu K. Ambos, Völkerrechtliche Bestrafungspflichten bei schweren Menschenrechtsverletzungen, in: Archiv des Völkerrechts, (1999), S. 318.

  25. Zu beiden Verfahren N. Rodley, Breaking the Cycle of Impunity for Gross Violations of Human Rights: The Pinochet Case in Perspective, in: Nordic Journal of International Law, (2002), S. 11.

  26. Art. 6 CAT. Zur Auslegung dieser Bestimmung vgl. das Urteil des britischen House of Lords im Verfahren Pinochet III, (2000) 1 AC 147.

  27. Vgl. zum Weltrechtsprinzip K. Ambos, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1 (2004), vor §§ 3 - 7, Rn. 47ff.

  28. Vgl. das Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Haftbefehl-Verfahren (ICJ Reports 2002, 3); T. Stein/C. von Buttlar, Völkerrecht, 200511, Rz. 723ff.

  29. Ebd., Rz. 726ff.

  30. So zu Recht das Urteil des House of Lords im Verfahren Pinochet III (Anm. 26) (Lord Browne-Wilkinson).

  31. Vgl. jüngst das Urteil des House of Lords in Jones v. Ministry of Interior Al-Mamlaka Al-Arabiya AS Saudiya (http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200506/ldjudgmt/jd060614/jones-1.htm).

  32. Zur Reichweite vgl. das Al-Adsani-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, International Law Reports, Bd. 123, S. 24.

  33. So haben sich etwa 66 Staaten der generellen Zuständigkeit des IGH unterworfen, darunter auch viele Staaten, in denen Folter praktiziert wird: vgl. http://www.icj-cij.org/icjwww/ibasicdocuments/ibasictext/ibasicdeclarations.htm.

  34. Vgl. C.J. Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes, in: International Law, (Cambridge, 2005), S. 198ff.

  35. Vgl. §§ 58ff. des deutschen Aufenthaltsgesetzes.

  36. Für Details vgl. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 39f.

  37. Vgl. T. Thienel, The Admissibility of Evidence Obtained by Torture under International Law, in: European Journal of International Law, (2006), S. 349.

  38. Vgl. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 41ff.

  39. Zunächst in den Entscheidungen Hamdi/Rumsfeld sowie Al Odah/United States vom 28. Juni 2004 (dazu C. J. Tams, Gerichtliche Kontrolle extraterritorialer Hoheitsakte, in: Archiv des Völkerrechts, (2004), S. 445), sodann in der Entscheidung Hamdan/Rumsfeld vom 29. Juni 2006.

  40. Vgl. B. Schäfer, "Guantánamo-Bay" - Status der Gefangenen und habeas corpus, Studien zu Grund- und Menschenrechten 9, Potsdam 2003, S. 48; zu Abu Ghraib S. Heselhaus, Die Behandlung Internierter im Irak, in: Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften (HuV I), (2004), S. 136. Vgl. auch A. de Zayas, Human rights and indefinite detention, in: International Review of the Red Cross, (2005), S. 15.

  41. Vgl. T. Bruha/D. Steiger (Anm. 5), S. 50.

  42. H. Brunkhorst, Folter vor Recht. Das Elend des repressiven Liberalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2005), S. 75.

  43. So der Titel einer Erklärung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) vom 23. Januar 2006 (www.dgvn.de).

Dr. jur; geb. 1945; Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 21 - 23, 20146 Hamburg; stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).
E-Mail: E-Mail Link: t-bruha@europa-kolleg-hamburg.de

LL.M., Ph.D. (Cambridge); geb. 1973; Habilitand am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Westring 400, 24098 Kiel, Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).
E-Mail: E-Mail Link: ctams@law.uni-kiel.de