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Ein Land sieht rund – Essay | Fußball-WM | bpb.de

Fußball-WM Editorial Ein Land sieht rund – Essay Die Geschichte der FIFA-Fußballweltmeisterschaft Fußball und Völkerverständigung Fußball in der DDR Fußball unterm Hakenkreuz

Ein Land sieht rund – Essay

Bernd Müllender

/ 18 Minuten zu lesen

Fußball ist für alle Beteiligten ein blendendes Geschäft – und eine Weltmeisterschaft erst recht. Alles dient einem guten Zweck: unserer Volkswirtschaft.

Einleitung

Vor seiner Zeit als Bundesaußenminister war Joschka Fischer noch ein Mann klarer Worte, jenseits diplomatischer Zurückhaltung. Der leidenschaftliche Fußballfan nannte all die Verbandsfunktionäre, Klubpräsidenten und schillernden Existenzen rund um das geliebte Spiel "eine Mischung aus Gebrauchtwagenverkäufern und Figuren aus dem Rotlichtmilieu". Tatsächlich ist vertrauenerweckende Seriosität im Fußballbusiness so selten wie ein Tor per Fallrückzieher. Kaum glaubte man einen integeren Menschen zu kennen, wie den Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen, Wolfgang Holzhäuser, steckt dieser mitten im aktuellen Skandal um undurchsichtige Bargeldgeschäfte mit dubiosen Hintermännern. Möglicherweise handelt es sich um den GAU: Manipulation durch gezielten Kauf von Spielen. So etwas hat es seit dem großen Bundesliga-Bestechungsskandal 1971 nicht mehr gegeben. Jetzt steht die Weltmeisterschaft vor der Tür, geplant als Festival des Frohsinns. Die Welt ist "zu Gast bei Freunden" - und bei den Freunden liegt einiges im Argen.


Da war der Wettskandal um Schiedsrichter Robert Hoyzer. Ärgerlich genug für alle Fußballfunktionäre, dass der Fall in die Revision gegangen und somit zur WM noch nicht zu den Akten gelegt ist. Da nehmen seit März immer neue Staatsanwälte ihre Ermittlungen auf, weil (zumindest Drittliga-)Spiele auch in dieser Saison verwettet und verschoben worden sein sollen. Diesmal haben nicht Schiedsrichter krumm gepfiffen, sondern Spieler weniger sieg- als mehr quotenorientiert agiert. Und da ist der Skandal um jene 580.000 Euro, die irgendwo versickert sind vom Bargeldkonto des Erstligisten Leverkusen, aus den massigen Hände des Exmanagers Reiner Calmund zu Spielerberater Volker Graul wanderten und von dort angeblich zu Rotlicht-Vereinen mit ihren Helfershelfern im Irgendwo des Balkan. Angeblich für Transferoptionen. Oder doch in die Taschen von fremden Spielern, die mithalfen, Leverkusen 2003 in der Bundesliga zu halten?

"95 Prozent aller Transfers laufen sauber ab", beruhigte Wolfgang Holzhäuser. Selten hat jemand so deutlich gesagt, dass Unsauberkeit üblich ist. Ob es wirklich nur fünf Prozent sind, bezweifeln auch Wohlmeinende. Und Begehrlichkeiten zur Manipulation - gibt es das auch bei einer WM? Fest steht: Sollte die deutsche Elf in der Vorrunde scheitern, wäre es für die hiesige Fußballindustrie ein finanzielles Desaster.

Fußball ist ein großes Geschäft, das sich hinter der Camouflage der Emotionen austobt. Viele Beteiligte wollen am großen Kuchen knabbern: Verbände, Klubs, Spieler, Spielervermittler, Agenten und Berater, Sponsoren, Wettbüros, die Werbeindustrie und die große Medienmaschine, vor allem die Fernsehsender. Teilweise sind sie vielschichtig voneinander abhängig, teilweise sind sie Gegenspieler, die sich dennoch brauchen wie der Mittelstürmer die Flanke. Eine Weltmeisterschaft ist die Krönung im Balltritt-Business.

Zeitweilig war auch der Nationalspieler Bastian Schweinsteiger in die Schlagzeilen um Spielmanipulationen geraten. Dabei ist der Münchner nur im Fernseh-Werbespot des ZDF ein Krimineller: Da lenkt er neckisch einen Mitspieler beim Schach ab und mopst ihm eine Figur. Arglistige Täuschung, vorsätzlicher Betrug und schwerer Diebstahl, würden Juristen sagen. Ansonsten wirbt Schweini, so sein Rufname, auf großen Plakaten lustigerweise (und legal) für Geflügelfleisch. Sein Kollege Michael Ballack posiert derweil fachkundig für Hamburger, eine Fernsehfirma und einen Mobilfunk-Anbieter. Oliver Bierhoff, der Teammanager, staunt in Fernsehspots über ein riesiges Bierglas vor dem Brandenburger Tor, US-Citizen Jürgen Klinsmann ist beim US-Unternehmen Mastercard unter Vertrag. Cotrainer Joachim Löw wirbt gemeinsam mit Torwartwarmschießer Andreas Köpke für Hanuta, Lukas Podolski für die AOK.

Dabei sind die deutschen Spieler im internationalen Vergleich nur 2. Liga. Ein globales "Markenwert-Ranking" der Firma BBDO Consulting vom März 2006, in dem "Unternehmen eine validierte Entscheidungsgrundlage für die Bewertung des mittel- und langfristigen Werbepotenzials eines Fußballspielers" erhalten, sieht Ronaldinho, David Beckham und Wayne Rooney ("der teuerste Teenager der Welt") mit einem Markenwert von weit über 40 Millionen Euro vorn. Erst auf Platz 10 folgt Michael Ballack (28 Millionen), auf 19 Lukas Podolski (16 Millionen), der Rest ist gar nicht mehr aufgeführt. Dennoch haben auch Frings, Huth und Co. lange vor dem ersten Anstoß der WM ihr einträgliches Auskommen gefunden. Mal einzeln (siehe oben) und mal zusammen: Da haben sie sich auf Reklamewänden und in Werbefilmen für den Großsponsor Adidas und dessen Kampagne "+10" ausleuchten und ablichten lassen. Sportlich kurios: Wer bei den Filmaufnahmen im Sommer 2005 dabei war, hat seine Nominierung ein Jahr später fast sicher.

Das Personal auf dem Rasen ist nur ein Mosaikstein des großen Spiels. Fußball ist ein vielfältiger Umsatzgarant. Die große Weltmeisterschafts-Bühne wird seit Monaten aufgebaut, seitdem ist Fußball überall: Dekorationen in den Schaufenstern und Zeitungsanzeigen gehen kaum noch ohne WM-Symbolik. Eintrittskarten-Lotterien begleiten die Kaufmichbotschaften. Die Elektrofirma MediaMarkt nennt sich "bester Fan-Ausstatter" und lässt seinen Chor schmettern: "Wir holen den Titel". Durch Radio und TV donnern pausenlos eigenwerbende Jingle-Gewitter der Sender zu kommenden Übertragungs-Marathons. Der ehemalige "Zak"-Macher Friedrich Küppersbusch schrieb schon im Januar genervt: "Beim nächsten Werbespot, der irgendwie auf WM rekurriert, trete ich das Radio ein." Deutschland würde im Elektroschrott ersticken, wenn das alle machen würden.

"Jedes Unternehmen", sagte Markus Bockelkamp von der Marketingfirma b+d Sports schon vor einem Jahr, "wird 2006 den Fußball in der Werbung zu besetzen versuchen." Bockelkamps Firma ging gleich voran und füllte mit ihrem Kunden Postbank ganze Stadien mit gelben Bällen. 30 Lufthansa-Airbusse haben die Schnauze in eine Ball-Silhouette verwandelt und fliegen mit der kleinen Kugel um die große. Infokräfte des nationalen WM-Sponsors Deutsche Bahn sitzen, wie in Leipzig, in Schaltern in Form eines riesigen Fußballs, um Verspätungen kleinlaut zu verlautbaren.

Vor allem den zwölf WM-Städten droht eine nie da gewesene Reklameflut. Exorbitant häufen sich Anträge auf außerordentliche Werbeflächen entlang wichtiger Straßen und Plätze, vor allem da, wo Kameras zu erwarten sind. Der Münchner Planungsreferent Wolfgang Roggel warnt vor einem "Ausverkauf des Stadtbildes" und weiß um die Tricks privater Hausbesitzer. Diese, mutmaßte die "Süddeutsche Zeitung", würden "ihre Fassaden ausgerechnet im Sommer reparieren wollen, weil man dann das Gerüst für überdurchschnittlich hohe Summen als Werbefläche vermieten kann". In Berlin hat T-Com gleich den Fernsehturm als Werbefläche gebucht.

Alles dient einem guten Zweck: unserer Volkswirtschaft. Analysten prognostizierten zehn Milliarden Euro Extra-Umsatz durch die WM, das sind 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. 10,5 Prozent würden es locker, wenn jeder Deutsche zum konsumfreudigen Idealfan würde. Denn dessen Ausrüstung geht weit über die üblichen Stadion-Devotionalien hinaus wie Trikot, Kappen oder Lärminstrumente.

Der Idealfan schläft in WM-Bettwäsche, bedruckt entweder mit den Flaggen der Teilnehmer (lizenziertes Produkt, 27,96 Euro) oder gleich gesinnungstreu in Schwarz-Rot-Gold mit Weltcup-Silhouette auf dem Bauch (42,95 Euro). Aus seinen Titelträumen holt ihn der Wecker mit der Melodie "Steh auf, wenn du ein Deutscher bist" oder bei neckermann.de das Lied "Fußball ist unser Leben ..." (27,99 Euro). Zur Morgenwäsche nehmen wir das "Sport-Duschgel Golden Goal". Der Frühstückstisch lässt sich komplett mit WM-Produkten bestücken (Teller, Tassen, Schüsseln), der örtliche Bäcker liefert gern seine Weltmeister-Brötchen. Die Eier gibt es aus dem "Kult-Eierbecher zur WM 2006, 115 Gramm - Lieferung ohne Ei" für 6,95 Euro.

Später am Tag naschen wir an dickbäuchigen WM-Gummibärchen (Ball-Anmutung) oder gleich am handgegossenen "Bundesbärchen in Nationalfarben, ca. 6 cm hoch und 50 g schwer". Zu Mittag gibt es den "Championburger" im Balldesign. Wer backen will, nimmt die "Backform in Fußballoptik". Ein Konditor hat längst vom Weltfußballverband FIFA die Lizenz für die offizielle WM-Torte ersteigert. Zwischendurch knabbern wir an ein paar Käsebällen im Fußballmuster. Dazu gibt es einen "WM-Wein" (Rebrichtungen Riesling und Dornfelder), eine Kreation der deutschen Winzer. Münchner Studenten haben sich einen Cocktail in schwarz-rot-gelben Schichten patentieren lassen und sagen: "Wir wollen damit das Zusammengehörigkeitsgefühl im Land stärken."

Das Mobiltelefon ruht im "Handyhalter im Fußball-Look". Ablenkung finden wir mit dem "MP3-Player im Fußball-Design". Für unterwegs gibt es den vierteiligen Auto-Sitzbezug in deutscher Trikotfarbgebung, "europaweit patentiert und seitenairbagtauglich" für 14,95 Euro. Die Bahn gibt derweil eine neue Bahncard 25 aus, sie verlängert sich automatisch mit jeder weiteren Runde, welche die DFB-Elf erreicht - im Falle des Titelgewinns bis 31.12. Abends nehmen wir Platz im Sitzsack Fußballdesign (150 Euro). Zum neuen Fernsehgerät wäre "Lento" eine passende Idee. Dieser WM-Sessel ist über eine Mediabox mit dem Fernseher verbunden, man kann das Programm um- und das Sitzmöbel verstellen oder ein Massageprogramm starten (ab 1.000 Euro).

Den Durchblick garantieren Kontaktlinsen mit schwarz-weißer Ball-Applikation - allerdings warnen Augenärzte vor Hornhautschäden. Für relaxte Stimmung sorgen derweil die Fußball-Räuchermännchen (32 Designs für 32 Teams) aus dem Seiffener Nussknackerhaus in Thüringen. Geknabbert wird aus Fußball-Erdnussschalen, Bier aus patriotischen WM-Gläsern getrunken, die Kippen werden in WM-Aschenbechern ausgedrückt. In der Halbzeit gibt es den "WM '06 Germany Pausentee" in drei Geschmacksrichtungen. Die Papiertaschentücher "Germany Sniff" sind "für Freudentränen" gedacht - vermutlich helfen sie auch bei trauerndem Entsetzen über Ballack und Co.

Auch die Liebe wird in Zeiten der Fußball-WM eine andere sein: "Mit dem neuen Push-up-BH gehen dir garantiert keine Bälle durch die Lappen", werden die Büstenhalter vom Otto-Versand (19,99 Euro) beworben, auf deren Design man hier nicht näher einzugehen braucht. Billy Boy bietet die "10 Kondome Fußball-WM-Edition (inkl. Gratis-Freistoßkondom)" - Preis 7,20 Euro. Wem das zu viel WM-Wahn ist - bitteschön: Längst kann man, zu WM-Preisen, garantiert fußballabstinente Urlaubsdomizile buchen ("Ihre WM-Flucht").

Der moderne Global Player hat 2006 entweder die "Doppelpass-Anleihen" bei comdirect.de gezeichnet oder sein Geld im "Postbank FIFA WM 2006(TM) Weltmeister Zertifikat" angelegt. Da lohnt sich das Mitfiebern mit der deutschen Elf übrigens doppelt: erstens fürs Fanherz, zweitens für einen Final-Bonus von einem Prozent, wenn Deutschland das Endspiel erreicht. Bei der Dresdner Bank kann man an der "Ball Street" auf einzelne Teilnehmerländer setzen und so den FAX nach oben treiben: den Fußball Aktien Index.

Ansonsten schlägt der fußballbegeisterte homo oeconomicus mit Geschäftspartnern "Steilpässe in die Zukunft" (Stadtmarketing Köln) oder ersatzweise einen "Steilpass für die Tourismusbranche" (NRW-Fremdenverkehrsbüro). "Deutschland offensiv", prospekttitelt Lexware, "der Mittelstand greift an". Fußballmetaphern sind überall. Ästhetisch niederträchtig ist der ganze öffentliche Raum zu Ball und Tornetz geworden, strahlt alles in Grün und Weiß und Rasenoptik. Die 11 als mystische Zahl: Am besten wird die Zukunft mit der Hamburg-Mannheimer gesichert und deren "Fußball-Rente", die so heißt, weil man lustige 11 Jahre einzahlt. Das ganze Land, ein einziger Ball.

WM-Weltsponsor Emirates fliegt das lustig gemeinte Logo der Titelkämpfe durch die Lüfte - hoffentlich wissen alle Scheichlandbewohner, was dieses "Germany 2006" mit dem Kindsköpfe-Emblem auf dem strahlenden Weiß ihrer Jets bedeutet. Das WM-Logo mit den Kullerknopfaugenkugeln begegnet uns auch hierzulande inflationär, etwa nach den ARD-"Tagesthemen", wenn ein grenzdebiler gelber Fußballfrosch für Yello-Atomstrom das Wetter präsentiert. Längst werden die Grinseköpfe von Fachleuten für visuelle Kommunikation als optischer Horror verhöhnt: "Es vereint auf kleinstem Raum die größten Fehler, die einem beim Entwerfen eines Signets unterlaufen können", bemerkt etwa der Berliner Designspezialist Jürgen Siebert: überladen, beliebig, unlogisch, ästhetikfrei, ostereierhaft. Aber egal: Das Logo wie auch das Maskottchen der Spiele, der Zausellöwe Goleo, sind omnipräsent.

Fußball-Bücher erscheinen in diesen Tagen sonder Zahl. Die löbliche Zeitschrift "Der tödliche Pass", Ausgabe März 2006, hat sich die Mühe gemacht, alle Titel zur WM der Reihe nach niederzuschreiben. Die Sammlung geriet zu einem Panoptikum des Irrsinns - Auszüge: "Fußball in Sicht (Fischer), Fast jedes Tor ein Treffer (Rowohlt), Deutschland, Deine Lieblingsgegner (Eichborn), Wenn ein Mittelstürmer träumt (Suhrkamp), Nationalhymnen: Melodie-Ausgabe mit Akkordeon: solo und mit Gesang (Schott), Überall ist der Ball rund (Klartext), Fußball, Freunde, fette Tore (Arena), Lob des Tores (BTV), Ballgefühle (Krüger)." Fazit: "Es wird Hunderte von Druckwerken geben, die dem gründlichen Fußballleser auf Jahre hinaus jeglichen Zugang zu andersgearteter Literatur versperren dürften." Im Bastei-Lübbe-Verlag erscheint derweil ein besonderes Ratgeberbuch: "Abseitsfallen. So überleben Frauen die Fußball-WM." Und Männer?

Ob es eine Zeitschrift in Deutschland geben wird, die kein WM-Sonderheft macht (auch diese tut es ja gerade)? Vier neue Fachmagazine gibt es längst; sie heißen "Rund", "Player", "Champ" und "Fußball-Fieber". Letzteres ist offizielles Fußball-Supplement der TV-Zeitschriften des Bauer-Verlages. "Hinter der Rechte-Firma", schrieb die "Financial Times Deutschland", "stecken die Brüder Thomas und Christoph Gottschalk, die vom Medienkonzern Bertelsmann eine Unterlizenz mit dem Fifa-Logo erworben haben."

Das Thema Lizenzen und Rechte führt uns, nur scheinbar abseits, direkt zum Arbeitskreis "Kirche und Sport" der Evangelischen Kirche Deutschlands. Seit November 2005 bringt die EKD das Materialheft "Ein starkes Stück Leben" unter die Gläubigen. Darin finden sich auf 84 Seiten Anregungen, wie man das Leben gestalten kann "während der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006(TM)". Brav wird in der Broschüre für "Sportpfarrer" immer wieder der Begriff "2006(TM)" verwendet. TM heißt Trade Mark, Handelsmarke. Selbst die Kirchen sind Handelspartner - auch sie müssen sich streng an die FIFA-Auflagen halten, etwa bei Großbild-Übertragungen in Gemeinderäumen.

Selten hat sich der Fußball so freimütig zur schlichten Ware erklärt. Nach Branchenschätzungen hat die FIFA über eine Milliarde Euro Lizenzgebühren erlöst, 30 Prozent mehr als bei der WM 2002. 15 Hauptsponsoren wie Fujifilm, Yahoo und McDonald's haben je rund 40 Millionen Euro, verteilt auf vier Jahre, für Werbe- und Nutzungsrechte bezahlt und gelten als "offizielle Partner der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2006(TM)". Ein anderer Welt-Lizenznehmer ist Adidas, dessen WM-Ball "Teamgeist" mit der optischen (?) Anmutung zwischen Slipeinlage, Löffelbisquit und Migränemaske (Stückpreis 110 Euro) zehn Millionen mal über die Ladentische kullern soll.

Auch die Geschäftsleute in den WM-Städten wollen partizipieren. Deshalb haben die Industrie- und Handelskammern seit Anfang 2005 Info-Tage und Nachhilfeseminare veranstaltet. Wie ein Wanderzirkus zog der Tross von PR-Managern beteiligter Unternehmen (Avaya, Mastercard, "FC Deutschland GmbH") durchs Land, ergänzt um Lokallobbyisten der Industrie- und Handelskammern sowie der Städtetouristik. Als sie im Dezember zum zweiten Mal in Köln waren, hieß das Motto "Anstoß für die Kölner Wirtschaft".

Mitreißend war der Auftritt des unvermeidlichen Reiner Calmund, der als Leverkusens Ex-Manager nicht nur im aktuellen Bargeld-Skandal der Liga unter Tatverdacht steht, sondern auch (noch) offizieller "WM-Botschafter" des Landes Nordrhein-Westfalen ist. Der XXL-Optimist referierte über "dat große Bissiness" und empfahl eine "Initialzündung für das Wir-Gefühl": "Kellner und Taxifahrer müssen sisch fortbilden, die 20 wischtigsten Vokabeln lernen in zehn Sprachen, zackzack." Und an die Zuhörer gewandt: "Machen Sie Fachmeetings während der WM. Laden Sie Ihre Freunde ein, gehen dat Spiel schön in der Loge gucken und nachher zusammen nochn lecker Bier trinken. Dat iss Kundenbindung." Das Credo des Mannes, dessen massiger Körper selbst gewachsene Ballwerbung ist: "Fußball-WM iss Emotion pur, dat muss man nutzen."

Diese Vorlage nahm der Handlungsreisende der Firma iSe-Hospitality Sales GmbH gern auf. iSe vermarktet alle 345.000 Tickets für die "Commercial Logen", das sind zwölf Prozent aller Eintrittskarten, "und zwar die Besten". Geboten werden "höchste Exklusivität, First Class Gourmet Catering, erlesenes Ambiente in der Hospitality Village" mit Champagner und Hostessen-Service. Bis Dezember, sagte er stolz, hätten "schon 2.000 Firmen gekauft, darunter 28 der 30 Top-DAX-Firmen". Besonderer Luxus: "Mit den separaten Eingängen brauchen Sie nicht mit den gemeinen Fans ins Stadion."

Viele Zuhörer wollen mit eigenen Produkten partizipieren, wenn Millionen Fans vor Ort "zu Gast bei Geschäftsfreunden" (IHK Köln) sind. Fachanwälte referierten deshalb über verbotene Werbebotschaften wie einen Ball "Fußball-WM Germany" oder die Grußpostkarte "Stadt der WM 2006". Die FIFA hat patentierten Markenschutz für 90 Begriffe - das müssen Firmen, die WM-BHs, WM-Möbel oder Fußball-Devotionalien aller Art feilbieten, streng beachten. Denn: "Die FIFA klagt und sie bekommt gerichtsübergreifend Recht", so ein Fachjurist für WM-Recht. "Ambushing" - zu deutsch Parasitenmarketing - sagen Rechtsgelehrte dazu, wenn man ohne Lizenzgebühren "WM 2006" auf sein Produkt schreibt. Gefährlich auch: "Weltmeister-Brötchen" - da setzte es bereits Abmahnungen und Unterlassungsverfügungen. Die "Berliner Zeitung" empfahl "Sportliches-Großereignis-Brötchen" als Namen, denn umschreiben ist nicht untersagbar. Beruhigend ist die Botschaft: "Zimmer frei während der WM" gehe noch durch. Selbst bei der Benutzung des offiziellen WM-Logos kann man schwere Fehler machen. Deshalb nimmt die FIFA-Anleitung allein für den kleinen Copyright-Hinweis "© 2006 FIFA (TM)" neben dem Bild eine ganze Seite ein.

Der Mastercard-Mann munterte die Kölner Lokalmatadore auf: "Unsere Geschäftspartner dürfen sich als Mitveranstalter der WM fühlen." Und es gab Trost: Beim massenanlockenden Public Viewing, der erhoffte Business-Bringer schlechthin in allen Städten, dürfen manche örtliche Firmen vor den Großbildleinwänden ihre Produkte durchaus vermarkten und bewerben - wegen des Hauptsponsorenschutzes aber eben nicht aus allen Branchen. Eine Freigabe haben örtliche Kinos, Lebensmittelhändler, Handwerker, Makler. Immerhin. Auf gut FIFA-Deutsch heißen die Massenparties "B-Event". Auch dafür muss an die FIFA gezahlt werden.

Von 100.000 neuen Arbeitsplätzen sprach die Bundesagentur für Arbeit vor zwei Jahren, im Januar waren es nur noch 50.000. Das werden mehrheitlich Jobs im Catering, in Kneipen oder als Wachmann sein, meist kurzfristig. Deutschlandweit sind bis zu sechs Millionen Weltmeisterschafts-Touristen vorhergesagt, die tage- oder wochenlang wohnen, essen, trinken, herumfahren wollen. Das klingt gigantisch. Der Geschäftsführer von Bayern Tourismus bezweifelt jedoch, "dass sich die Massen bis in den letzten Winkel erspülen werden". Zudem dürften in einer WM-Zeit "die normalen touristischen Übernachtungen zurückgehen". Touristiker wissen: Bei den letzten drei Großveranstaltungen (Olympia, Fußball-WM und -EM) waren die Besucherzahlen in den Event-Ländern sogar rückläufig. Denn Normaltouristen bleiben panisch fern und können das Loch auch in den Puffermonaten rund um die Sportwochen nicht ausgleichen. Sie haben Angst vor Tohuwabohu, Gewalt, überhöhten Preisen und glauben, man bekomme keine Zimmer mehr.

Geschenkhits zu Weihnachten waren Flachbildfernseher. Wie entlarvend: Da ist Fußball-Weltmeisterschaft quasi im eigenen Vorgarten, und am intensivsten partizipieren die stolzen Inländer durch: Fern-sehen. Nichts Neues: 1954 verhalf die WM der Glotze als solcher zum Durchbruch, 1974 wurde das Farbfernsehgerät durchvermarktet, und die WM 2006 soll, so die Firma Sharp, "zum Turbomotor für HDTV" werden, dem hoch auflösenden Digitalfernsehen. Wo es Eintrittskarten offiziell nur mit lottohaftem Glück zu ergattern gibt, sitzt man im Deutschland-Leibchen (69 Euro) vor der Mattscheibe.

Gute Geschäfte machen auch Schwarzmarkthändler beim Internet-Auktionshaus Ebay: Seit Herbst gingen wöchentlich mehrere hundert Tickets über den virtuellen Ladentisch. Wer will, kann ein Deutschland-Vorrundenspiel für 400 bis 1.200 Euro pro Karte erstehen. Sparfüchse kamen am besten bei Costa Rica gegen Ecuador zum Zuge: zwei Karten für zusammen 171 Euro. Für Endspielkarten wollten schon im Winter an die 1.500 Euro angelegt sein, bei der besten Kategorie (Originalpreis 600 Euro) auch wesentlich mehr.

Einmal gingen zwei Karten für die gesamte Deutschland-Serie "TST 7" (alle drei deutschen Vorrundenspiele, dazu Achtel-, Viertel-, Halbfinale und Endspiel) für 15.000 Euro weg. Ersteigert habe die Tickets "eine große norddeutsche Firma, seriös", sagt der Händler auf Nachfrage, es sei "ein gutes Geschäft" gewesen. Aber: "Ich muss das ja alles versteuern."

Und die Käufer werden es als Werbungskosten absetzen und damit der öffentlichen Hand Geld vorenthalten. Das sind jedoch nur Kleinigkeiten, denn die großen Geschäfte des Fußball-Weltverbandes sowie seiner Mitstreiter finden weitgehend im rechtsfreien Raum statt: "FIFA und Partner", fasste das SZ-Magazin im März zusammen, "erhielten Befreiung von Steuern aller Art sowie von Visa-, Zoll- und Arbeitsrechtsbestimmungen gewährt." Dieses Zugeständnis machte die Regierung Schröder übrigens schon, als noch um die WM gebuhlt wurde. Fazit der SZ: "Politiker und Funktionäre haben unser Land an den Fußball verschachert."

Weniger Glück hatte Ebay-Anbieter "Pumpenjoe1". Er hatte einen "Prestige VIP Gold-Gold Sitzplatz" für das große Finale am 9. Juli in Berlin mit allem Dran und Drum angeboten. "Pumpenjoe1" pries inkludierte Annehmlichkeiten wie "Champagner und 4verschieden Kursen von French to Italien Cousine" (sic!), zudem sei der Platz "in der besten Geraden sehr nahe zum Spiel Feld und zu den Top VIPS". Auch adäquater Transport sei geregelt, denn es wartet "ein Limo oder Shuttle die Sie vom Auto zum Stadion bringt". Pech trotz aller Rundumversorgung: "Pumpenjoe1" hatte den Startpreis mit 5.450 Euro arg hoch angesetzt. Niemand griff zu.

Nicht einmal Peanuts sind solche Margen für einen wie Jack Warner aus Trinidad und Tobago. Der Chef des mittelamerikanischen Fußballverbandes und einer der FIFA-Vizepräsidenten hat die rund 13.000 Tickets, die seinem Land zustehen, exklusiv an seinen Familienclan weitergeleitet, der ihn in heimischen Reisebüros mit mehrhundertprozentigen Aufschlägen weiterverkauft hat. Geschätzter Verdienst: an die acht Millionen Euro. FIFA-Boss Sepp Blatter schützt seinen Intimus, den die Szene "Jack the Ripper" nennt, weil er für seine Wiederwahl sorgt. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Trinidad und Tobago sportlich als karibisch-lustiger Außenseiter, der dem WM-Spektakel erst die richtige Würze von Lebensfreude und Ausgelassenheit geben soll.

Der mächtigste Player im Fußballspiel ist der Weltverband selbst, "die Geldmaschine", wie die "Wirtschaftswoche" im April titelte. Branchenkenner taxieren den FIFA-Umsatz rund um das WM-Turnier auf knapp zwei Milliarden Euro, davon etwa die Hälfte für Fernsehrechte. Kritiker nennen die FIFA abwechselnd Weltregierung oder Monopolist des Fußballs, andere eine Besatzungsmacht oder eine "global operierende Monarchie" (Magazin Rund). Kritiker kanzelt der umtriebige Chef, der Schweizer Machtmensch Sepp Blatter, 70, schon mal mit den Worten ab: "Wenn sie einen Weltkrieg wollen, können sie ihn haben." Trotz dreistelliger Millionengewinne pro Jahr ist der Verband im Züricher Handelsregister als steuerbegünstigter Verein geführt.

Für das Geld ihrer WM-Werbefinanziers muss die FIFA eine Gegenleistung bringen. Deshalb sind ab Mitte Mai die Stadienbereiche "lizenzierte Gelände", bekommen einen "äußeren Sicherheitsring" von rund einem Kilometer Durchmesser mit einem zwei Meter hohen Zaun und müssen der FIFA als "kontrolliert werbefreie Zone" übergeben werden. Selbst kleine Herstellerhinweise auf Kameras, Geldautomaten und Toilettenwagen innerhalb dieser Bannmeile müssen entfernt oder überklebt sein, damit die erwarteten 30 Milliarden Fernsehzuschauer nur die Werbesignets der Werbepartner sehen.

Die Stadien müssen auch anders heißen: Die AOL-Arena in Hamburg wird zum WM-Stadion Hamburg, entsprechend Münchens Allianz-Arena. In Dortmund sollte allen Ernstes auch das riesige U auf dem Dach der Westfalenhalle neben dem Stadion abmontiert werden. Das U steht für Union-Bier, also ein gefühlter Konkurrent des WM-Biersponsors Anheuser Busch und seiner Marke Bud. "Weltfremde Forderungen", nannte das der Sprecher des Dortmunder Stadions, und konnte überzeugend darauf verweisen, dass das U denkmalgeschützt ist. In Köln wollte der Weltfußballverband sogar die Straßenbahn-Hinweise umbenannt sehen: Aus der Haltestelle "RheinEnergie-Stadion" habe "Haltestelle WM-Stadion" zu werden, dazu sollten alle Streckenkarten für vier Wochen neu gedruckt werden. Im Berliner Olympiastadion wird der Hertha-Fanshop vollständig geräumt - dort würden Adidas-Manager über Logos des US-Konkurrenten Nike erschrecken.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude schimpfte öffentlich über "Knebelverträge". Am liebsten hätte die FIFA auch die Kneipen rund um die Stadien gezwungen, während der WM zwangsweise auf Anheuser umzusteigen. Aber es ist nicht so leicht, in Privatverträge einzugreifen, wie in öffentliches Recht. FIFA-Sheriffs sind dennoch seit Monaten unterwegs, um missliebige Werbebotschaften auszukundschaften. Bierbuden und Dönergrills müssen mit Unterlassungsklagen rechnen. Das kostet wegen des enormen Streitwerts hohe vierstellige Summen. "Die FIFA geht in ihren Vorschriften bis an die Grenze des deutschen Rechts und teilweise auch darüber hinaus", sagt ein Fachanwalt. Seine Kanzlei hat angesichts des Werbewirrwarrs eine Broschüre mit dem Titel "Mit kreativer Werbung das Rechts-Chaos umgehen" herausgegeben. Unklar ist wegen der Patente auf Namensrechte sogar noch, ob ein Kalauer wie "Germoney 06" strafbewehrt ist.

Bier ist in Deutschland (und beim Fußball ganz besonders) ein Grundnahrungsmittel. Ganz raffiniert will sich Bitburger am offiziellen Getränkeausrüster Budweiser vorbei noch in die Stadien schmuggeln. Bit setzt auf Gewalttäter, Krawall und Randalegefahr. Falls die Behörden nämlich ein Spiel zum Sicherheitsspiel erklären und Alkohol verbieten, käme man mit Bit alkoholfrei zum Zuge. Der Pressechef von Bitburger weiß: "Laut Aussagen von Anheuser Busch werden sie kein Alkoholfreies nach Deutschland bringen und somit auch während der WM nicht anbieten."

Am augenfälligsten wurde die Selbstherrlichkeit der Weltfußballbosse bei der Absage der WM-Eröffnungsgala in Berlin - was jahrelang geplant und geprobt war, wurde im Januar handstreichartig gestrichen. Begründung: Der Rasen könnte Schaden nehmen. Das entschieden die FIFA-Bosse Jahre nach der bekannten Zeitplanung und genau einen Tag, nachdem ihnen André Heller, der künstlerische Leiter, das Konzept vorgestellt hatte. Ein Teilnehmer sagte dem "Stern": "Sie schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Für sie war das Konzept überhaupt nicht überzeugend und völlig ohne Sinn." Nämlich: ohne kommerziellen Sinn. Die Absage war ein Schock für die Künstler, eine Ohrfeige für die Kunst. André Heller nannte die FIFA danach "ein faszinierendes Aquarium mit bizarren Fischen" - was ein hübsches buntes Bild ist: Blatter und Co. als Schlammbeißer, Schwielenwelse oder Moderlieschen und nicht nur als banale Haie, Piranhas und Stachelaale. Der große Peter Gabriel, der das Spektakel mit Brian Eno federführend umsetzen wollte, berichtete neulich in Aachen, wie schwierig es sei, mit den Anwälten der FIFA wenigstens eine Resteverwertung der Ideen zu verhandeln, damit etwa eine DVD der Proben erscheinen dürfe.

Andere Grotesken bleiben: Schon beim Confederations Cup 2005, der Generalprobe für die WM, wurden die Teams zwar in Mercedes-Bussen chauffiert, die Sterne aber waren abmontiert und das Logo von Hyundai angebracht - der koreanische Autobauer ist einer der 40-Millionen-Sponsoren. Die WM-Zuschauer werden sich auch an bestimmte WM-Kleiderordnungen halten müssen. Wer ein Puma-Hemd trägt oder auf seiner Kappe ein Nike-Swoosh, kann Stadionverbot erhalten - nicht auszudenken, welcher Imageschaden Adidas entsteht, wenn das eine TV-Kamera einfängt. Für 40 Millionen hat man das Recht auf die Illusion, es gebe keine Konkurrenten.

Eines der vielen neuen Fußballbücher heißt "Geld schießt Tore" (Hanser Verlag). Die Autoren fragen, warum "Fußball ein knallhartes Milliardengeschäft ist". Es geht um "Spieler als Grenzwertprodukte", um "Investments, Business-Strategien, Marktanteile und Expansionsgelüste". Das aus aktueller Sicht sehr erhellende Vorwort hat ein alter Bekannter geschrieben, der Bargeldjongleur Reiner Calmund: "Vergessen Sie die Zeiten des 11-Freunde-Images. Fußball ist zu einem Geschäft geworden, das oftmals auch seine düsteren Seiten zeigt. Ich weiß das aus persönlicher Erfahrung."

Erinnert sich noch jemand an die Empörung im Juli 2000, als das reiche Deutschland den anderen Bewerbern sensationell in letzter Sekunde die Austragungsrechte wegschnappte? Viele jenseits unseres glücksbesoffenen Landes argwöhnten damals, dafür seien nicht nur gute Argumente, nicht nur eine besonders bezaubernde Präsentation, nicht nur das demonstrative Schröderschiffer'sche Daumendrücken und nicht nur Franz Beckenbauers Chamäleoncharme verantwortlich gewesen, sondern auch die ökonomische Potenz großer deutscher Konzerne.

Bis zum 9. Juni haben die Gebrauchtwagenhändler und Rechtedealer, die Rotlichtexistenzen und dreiviertelseidenen Bosse aller Branchen ihre Claims abgesteckt. Dann wird zur Abwechslung Fußball gespielt bei der FIFA-Fußball-WM 2006(TM): 64 Begegnungen, insgesamt genau 96 Stunden, also vier Tage. Viel ist das nicht für all das Spektakel davor und das Drumherum. Aber die eine oder andere Verlängerung wird schon noch dazukommen.

ist Journalist und lebt in Aachen.