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Nachholende Entwicklung und Klimawandel | Klimawandel | bpb.de

Klimawandel Editorial Wetter und Klimawandel - Essay Klimawandel - einige Fakten Die ökonomischen Folgen des Klimawandels Nachholende Entwicklung und Klimawandel Arktis und Antarktis im Klimawandel Anpassung an den Klimawandel

Nachholende Entwicklung und Klimawandel

Steffen Bauer Carmen Richerzhagen Carmen Steffen Bauer / Richerzhagen

/ 16 Minuten zu lesen

Die Erfordernisse der internationalen Klimapolitik verdeutlichen, dass es um globale Strukturpolitik geht, die der Unterstützung für gesellschaftliche Reformprozesse und des Technologie- und Wissenstransfers bedarf.

Einleitung

Um zu verhindern, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel außer Kontrolle gerät, müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis zur Jahrhundertmitte um etwa 50 Prozent gesenkt werden. Nur so kann die durchschnittliche globale Erwärmung noch bei etwa zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit stabilisiert werden. Eine darüber hinaus gehende Erwärmung würde nach Einschätzung des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change/IPCC) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu unumkehrbaren Rückkopplungseffekten im Klimasystem führen und verheerende Folgen für die menschliche Zivilisation zeitigen. Daher bedarf es unverzüglicher Weichenstellungen für eine wirksame internationale Klimapolitik, deren Kern verbindliche Vereinbarungen zwischen den Industrieländern und den rasch wachsenden "Ankerländern" sein müssen.





Bei den so genannten Ankerländern handelt es sich um Partnerländer, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen, geographischen und demographischen Größe für die Gestaltung regionaler Prozesse und für die Lösung globaler Probleme von besonderer Bedeutung sind. Ohne drastische Emissionseinsparungen der Industrieländer und eine Minderung des Emissionszuwachses in Nationen wie vor allem China und Indien wird eine Halbierung der globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 nicht möglich sein. Zwar liegt die Hauptverantwortung für die globale Erwärmung zweifellos bei den Industrienationen, aber auch die Emissionen der beiden asiatischen Riesen haben diese in den vergangenen Jahren unübersehbar zum Teil des Problems werden lassen. Hinzu kommt, dass die politischen und wirtschaftlichen Aufholprozesse der Ankerländer von den Folgen des Klimawandels voraussichtlich negativ betroffen sein werden, so dass die Vermeidung einer ungebremsten globalen Erwärmung in ihrem ureigenen Interesse liegt.

Schon die wegen der Trägheit des Klimasystems praktisch nicht mehr vermeidbare globale Erwärmung um 1,5 bis zwei Grad hat weit reichende Folgen für die Entwicklungsperspektiven weltweit. Die Gesellschaften der ärmsten Entwicklungsländer werden am härtesten betroffen sein. Der Klimawandel wird aber auch die nachholende Entwicklung in den stark wachsenden Ankerländern bedrohen und Hunderte Millionen Menschen unmittelbar betreffen. Nicht zuletzt würde eine Verlangsamung der weltwirtschaftlichen Dynamik in Folge massiver durch den Klimawandel verursachter Kosten der für die nachholende Entwicklung dieser Länder essenziellen Weltmarktintegration zuwiderlaufen.

Die zentrale Rolle, die den Ankerländern in den Diskussionen um internationale Zusammenarbeit und globale Strukturpolitik zukommt, wird in der internationalen Klimapolitik besonders deutlich. Im Idealfall wird ihnen eine Lokomotivfunktion für politische und wirtschaftliche Entwicklungen in ihrem jeweiligen Bezugsraum zugeschrieben, wie beispielsweise der Republik Südafrika im südlichen Afrika. Zugleich bleiben die Ankerländer aber maßgebliche Entwicklungsländer in dem Sinne, dass wesentliche Ziele der Entwicklungspolitik nur mit und in diesen Ländern erreicht werden können. Die Bedeutung einzelner Ankerländer variiert dabei je nach Entwicklungsproblem.

Die besondere Relevanz einiger Ankerländer für die Klimapolitik ist offenkundig, wenn man bedenkt, dass China die USA schon bald als weltweit größter CO2-Emittent ablösen wird und auch in anderen rasch wachsenden Ankerländern die Emission von Treibhausgasen stark zunimmt. Für die Dynamik der globalen Erwärmung wird viel davon abhängen, ob China die erheblichen Mittel, die es in den kommenden Jahren im Energiesektor investieren will, dazu nutzt, seine Energieeffizienz radikal zu erhöhen und eine Trendwende zur Nutzung erneuerbarer Energien einzuleiten, oder ob es einem Ausbau der fossilen Energienutzung verhaftet bleibt. Doch es geht nicht nur um das Ankerland China, dem auf Grund seiner schieren Größe herausragende Bedeutung zukommt. Auch die indischen Treibhausgasemissionen werden im Zuge der nachholenden Entwicklung rasch weiter steigen, Brasilien und Indonesien tragen mit ihren Regenwäldern Verantwortung für wesentliche CO2-Speicher des Erdsystems, Südafrikas Energieversorgung und Wirtschaftswachstum basiert maßgeblich auf Steinkohle.

Wir werden nachfolgend die Problematik der Ankerländer zwischen nachholender Entwicklung und Klimawandel an den Beispielen China, Indien und Brasilien darstellen. Dabei beschreiben wir erstens, wie diese Länder durch absehbare Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, und zweitens, in welchem Maße sie selbst zum Klimawandel beitragen. Daran anschließend erörtern wir die Rolle der Ankerländer in der internationalen Klimapolitik und zeigen, wie durch eine intensive Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Ankerländern die nachholende Entwicklung in den Ankerländern fortgesetzt werden könnte, ohne eine verantwortungsvolle Klimapolitik zu blockieren.

Ankerländer als Betroffene des Klimawandels

China stellt ein vom Klimawandel besonders betroffenes Land dar, das künftig mit höheren Durchschnittstemperaturen, härteren Dürrephasen und schwereren Starkregenereignissen rechnen muss. Dies wird unter anderem im Norden des Landes die Desertifikation (Ausbreitung der Wüsten) beschleunigen und dieWasserversorgung weiter Landstriche gefährden. Es ist offen, inwieweit die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit des Staates ausreicht, die Herausforderungen zubewältigen, die sich aus ökonomischer Modernisierung, ökologischer Degradation und sozialem Wandel ergeben und die sich durch den Klimawandel absehbar verschärfen werden.

Der chinesische Wirtschaftsboom findet fast ausschließlich in den urbanen Zentren der Küstenregion statt, während weite Teile des Binnenlandes weiterhin die Merkmale typischer Entwicklungsländer tragen. Dabei sind die ärmsten und am wenigsten entwickelten ländlichen Trockenregionen am stärksten von den Folgen der Rohstoffausbeutung und des Klimawandels betroffen. Die dort lebenden Menschen sind der voranschreitenden Bodendegradation, zunehmenden Unwettern und Dürreperioden sowie knapper werdenden Süßwasserressourcen unmittelbar ausgesetzt. Landflucht ist eine gängige Bewältigungsstrategie. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass die Binnenmigration in Folge klimabedingter Degradation weiter zunehmen und zu einer der zentralen Herausforderungen für die chinesische Regierung werden wird.

Eine erhebliches zusätzliches Risiko liegt in der Konzentration der Industrieproduktion, dem Motor des chinesischen Wirtschaftswunders, an der Ostküste. Der steigende Meeresspiegel und die Zunahme von Tropenstürmen und Flutkatastrophen könnten nicht nur die Industrieanlagen und ihre Versorgungsinfrastruktur beschädigen. Sie werden auch Millionen von Wanderarbeitern betreffen, die in den Megacities leben und deren Slums "den Favelas Brasiliens in nichts nachstehen".

Die gesellschaftlichen Disparitäten, ethnische Spannungen und die weiter steigende Ausbeutung von Umwelt und Ressourcen zur Sicherung des wirtschaftlichen Aufschwungs bergen, verstärkt durch die Auswirkungen des Klimawandels, erhebliche Gefahren für die politische Stabilität der Volksrepublik. Diese hängt nicht zuletzt von der Legitimität des politischen Systems ab, die auf dem Versprechen wirtschaftlicher Entwicklung gründet.

Der absehbare Klimastress, der das labile chinesische Erfolgsmodell zusätzlich unter Druck setzt, und die zu entwickelnden Anpassungskapazitäten stellen die Volksrepublik sowohl in planerischer als auch in finanzieller Hinsicht vor gigantische Herausforderungen. Die Bewältigung der Umweltfolgen der nachholenden Entwicklung und die Anpassungsfähigkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels werden zu zentralen Faktoren für Chinas weitere Entwicklung.

Auch Indien wird in vielfacher Weise von den Folgen des Klimawandels betroffen. Veränderungen der für die Landwirtschaft so wichtigen Monsunregenfälle würden die regionale Ernährungssicherheit bedrohen, das Abschmelzen der für die regionale Wasserversorgung bedeutsamen Himalayagletscher gefährdet die Wasserversorgung. Starkregenereignisse und Tropenstürme werden sich häufen und immer wieder schwere Flutkatastrophen herbeiführen, die nicht zuletzt Indiens rasch wachsende Küstenstädte bedrohen. Die schwersten Folgen der Klimaveränderung werden wahrscheinlich zuerst und vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten treffen: die vom Regenfeldanbau abhängigen Bauern auf dem Land und die Bewohner der riesigen Slums in den Ballungszentren.

Da auch die Nachbarn Bangladesch und Pakistan unter zunehmenden Klimastress geraten werden, ist damit zu rechnen, dass sich die Zuwanderung nach Indien intensiviert und die regionale Stabilität gefährdet. Insbesondere Migration aus dem kleinen, aber äußerst dicht besiedelten Bangladesch führte schon häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in den angrenzenden indischen Bundesstaaten. Der Migrationsdruck durch "Klimaflüchtlinge" wird zunehmen, während die indische Bevölkerung weiter wächst. Eine Verschärfung der sozialen Spannungen in einer Region, die ohnehin zu den konfliktträchtigsten der Welt zählt, ist fast zwangsläufig zu erwarten.

Für die klimabedingten Herausforderungen Brasiliens wird hier exemplarisch die Amazonasregion betrachtet, die das größte zusammenhängende Tropenwaldgebiet der Erde darstellt und die sich weit über das brasilianische Territorium hinaus erstreckt. Neben dem trockenen Nordosten Brasiliens ist Amazonien die ärmste Region des Landes. Bei einem ungebremsten Klimawandel wäre das Amazonas-System vom Kollaps bedroht, womit ein so genannter Kipppunkt erreicht würde, der nicht nur die Lebensbedingungen in Südamerika radikal verändern, sondern auch eine Rückkopplung im Erdsystem auslösen würde, welche die globale Erwärmung beschleunigen würde. Absehbar werden zunächst Wechselwirkungen zwischen Entwaldung, regionalen Klimaänderungen und der globalen Erwärmung dazu führen, dass sich weite Teile des östlichen Amazonasregenwaldes in Savanne verwandeln. Damit verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für einen wirksamen Biodiversitätsschutz, mit unabsehbaren Folgen für die artenreichen Ökosysteme der Region.

Sollten diese Veränderungen eintreffen, wird das Leben in der Region nicht nur für Kleinbauern schwieriger werden. Sie wird kaum noch als Expansionsraum für die großbetriebliche Landwirtschaft und als Zielregion der armutsbedingten Binnenmigration in Frage kommen. Parallel würden die Erträge in den besser erschlossenen Agrarregionen im Süden, im Zentrum und im Südosten Brasiliens aufgrund rückläufiger Wasserverfügbarkeit und höherer Temperaturen sinken und den Agrarsektor als Standbein der brasilianischen Exportwirtschaft gefährden. Verteilungskämpfe könnten das bereits hohe Gewaltpotenzial in der Region weiter steigern, die innere Sicherheit und Stabilität gefährden und Brasiliens Rolle als Ordnungsmacht und führende Regionalwirtschaft Südamerikas schwächen.

Gegenwärtig vermag Brasilien trotz seiner Größe und erheblicher sozioökonomischer Disparitäten ein relativ hohes Maß an politischer Stabilität zu sichern und seiner Bedeutung als Ankerland gerecht zu werden. Sollte das Land aber von den Auswirkungen des Klimawandels überfordert werden, wird es entsprechend weniger Kapazitäten für regionale und globale Aufgaben haben.

Ankerländer als Mitverursacher des Klimawandels

Insbesondere die Wachstumsdynamik der beiden asiatischen Riesen China und Indien geht mit steigendem Energieverbrauch einher: Der Anteil Chinas an der globalen Primärenergienachfrage ist zwischen 1990 und 2005 von zehn auf 14,5 Prozent gestiegen; der Anteil Indiens im gleichen Zeitraum von 4,1 auf 5,1 Prozent. Selbst bei sinkenden Energieintensitäten wird die Energienachfrage beider Länder weiter steigen. Die Internationale Energieagentur (IEA) nimmt an, dass der Primärenergiebedarf Chinas bis 2015 gegenüber 2004 noch einmal um mehr als die Hälfte zunehmen wird, der Indiens um mehr als ein Drittel. Da dieser wachsende Bedarf bislang überwiegend durch fossile Energieträger gedeckt wurde, dürften auch künftig die CO2-Emissionen beider Länder kontinuierlich ansteigen und den Klimawandel verschärfen. Während auf China 1990 noch etwa elf Prozent der globalen CO2-Emissionen entfielen, waren es 2004 bereits 18 Prozent. Der Anteil Indiens hat sich seit 1990 von knapp drei auf über vier Prozent erhöht und liegt nunmehr über dem Anteil Deutschlands.

Daneben scheint der Beitrag der übrigen Ankerländer auf den ersten Blick vernachlässigbar. Dennoch tragen auch sie eine zunehmende Verantwortung für den globalen Klimawandel, wobei neben den Emissionen vor allem Fragen der Landnutzung von Bedeutung sind. Das betrifft vor allem die Nutzung des Amazonasregenwalds in Brasilien, gilt so ähnlich aber auch für das südostasiatische Ankerland Indonesien.

Die größte Sorge in der Amazonasregion ist die anhaltende Entwaldung. Bis zur Jahrhundertmitte könnte knapp ein Drittel des Regenwaldes verschwinden. Brasilien fällt eine Schlüsselrolle zu. Seit in den 1960er Jahren mit dem Bau von Überlandstraßen die ökonomische Erschließung Amazoniens begann, wurde die Region zu einem Eldorado für Expansionsbestrebungen sowohl privater als auch öffentlicher Unternehmer. Seit den 1990er Jahren wird die mit der kapitalintensiven "Inwertsetzung" Amazoniens einhergehende Entwaldungsdynamik überwiegend von Sägewerkbesitzern, Viehzüchtern und Sojafarmern getragen, die nicht zuletzt von einer starken Nachfrage aus Europa profitieren. Nachdem die Savanne im Süden Amazoniens für den Sojaanbau erschlossen werden konnte, werden nun auch in Zentralamazonien große Flächen gerodet. Die massive Ausweitung der Zuckerrohrplantagen für die Produktion von Bioethanol im Süden und Südosten des Landes leistet der Verschiebung des Sojaanbaus in das Amazonasgebiet weiteren Vorschub, wobei Amazonien zunehmend für die Produktion von Biokraftstoffen in den Blick genommen wird.

Rodungen werden fast immer unter Umgehung oder Missachtung der gesetzlichen Grundlagen durchgeführt. Sie bleiben jedoch meist straffrei, da Zielkonflikte zwischen umweltpolitischen und wirtschaftspolitischen Interessen (u.a. Wasserkraft, Gaspipelines, Straßenbau) eine Durchsetzung der zur Bekämpfung der Entwaldung beschlossenen Maßnahmen behindern. Zwar ist die brasilianische Bundesregierung seit einigen Jahren bemüht, die Durchsetzung nationalen Rechts in den Regionen zu verbessern. Solange dies aber nicht gelingt, werden die beschriebenen Landnutzungsänderungen zunehmend zum Problem der globalen Erwärmung beitragen.

Klimapolitische Potenziale

Trotz im Detail unterschiedlicher Positionen sind die wenigsten Ankerländer bereit, Verpflichtungen zur Begrenzung ihrer Treibhausgasemissionen einzugehen. Insbesondere China und Indien verbitten sich bislang Forderungen selbst nach freiwilligen Selbstverpflichtungen. Diese grundsätzliche Haltung wird leicht nachvollziehbar damit begründet, dass auch bei rasch weiter wachsenden Emissionen in beiden Ländern die Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich zu denen der Industrieländer auf längere Sicht auf einem deutlich niedrigeren Niveau bleiben werden.

Zwar haben sowohl China als auch Indien das Kyoto-Protokoll ratifiziert. Anders als die Industrieländer ("Annex-I-Staaten") gehen sie als "Nicht-Annex-I-Staaten" jedoch bislang keine Verpflichtungen über Emissionsreduktionen in der Periode bis 2012 ein, und es ist nicht absehbar, ob sie in einer Post-Kyoto-Periode dazu bereit sein werden. Die zentrale Herausforderung für ein wirksames Post-Kyoto-Regime liegt aber darin, dass auch China und Indien Emissionsreduktionen akzeptieren. Das kann durchaus langfristig geschehen, aber noch rechtzeitig, um eine globale Erwärmung von mehr als zwei Grad zu vermeiden. Dazu muss der Zielkonflikt überwunden werden, auf dem die dauernde Verhandlungsblockade zwischen den Industrieländern als bisherigen Hauptemittenten und den Ankerländern mit ihrem legitimen Anspruch auf nachholende Entwicklung fußt. Dies bedarf sowohl glaubwürdiger Vorleistungen der Europäischen Union als auch angemessener Reduktionsverpflichtungen seitens der bislang außerhalb des Kyoto- Regimes stehenden USA (und Australiens).So lange die westlichen Verhandlungspartner weiterhin Emissionsreduktionen in den Industrieländern von Reduktionsverpflichtungen Chinas und Indiens abhängig machen, wird es keinen Durchbruch geben können.

China zeigt sich an Energiesparmaßnahmen und dem Einsatz erneuerbarer Energien grundsätzlich sehr interessiert, um seine Energieversorgung zu sichern und seine gravierende Luftverschmutzung zu mindern. Es erwartet aber Vorleistungen der Industrienationen und pocht auf eine Bereitstellung emissionsarmer Technologien zu günstigen Konditionen. Die Industrieländer scheuen entsprechende Zusagen, da sie die Wettbewerbsvorteile der eigenen Unternehmen gefährdet sehen, die schon heute über massive Produktpiraterie klagen.

Indien insistiert mit noch größerem Nachdruck auf die klimapolitische Verantwortung der Industrienationen und das Recht auf nachholende wirtschaftliche Entwicklung. Die indische Regierung kann auf weiterhin sehr niedrige Pro-Kopf-Emissionen verweisen und weiß den IPCC-Vorsitzenden, Rajendra Pachauri, als Kronzeugen auf ihrer Seite: "Indien muss seine Emissionen steigern, um die Wirtschaft zu entwickeln und die Armut zu mindern."

Als Zielregionen von Projekten, mit denen die Annex-I-Staaten beabsichtigen, Teile ihrer Reduktionsverpflichtungen kostengünstig in Entwicklungs- und Schwellenländern zu erfüllen, profitieren China und Indien schon heute von klimapolitisch motiviertem Technologietransfer. Beide Länder, auch wenn sie international jede Reduktionsverpflichtung ablehnen, führen auf nationaler Ebene bereits emissionsreduzierende Maßnahmen durch, vor allem durch den Ausbau erneuerbarer Energien und Steigerungen der Energieeffizienz. Diese Maßnahmen sind zwar selten klimapolitisch motiviert, leisten aber dennoch wertvolle Beiträge zum Klimaschutz.

Brasilien hat sich in der Vergangenheit konstruktiv an den internationalen Klimaverhandlungen beteiligt und nimmt eine Vorreiterrolle unter den Amazonas-Anrainern ein: Die Vermeidung von Entwaldung und der Ausbau erneuerbarer Energien gehören schon länger zu den Prioritäten der Regierung. So konnte Brasilien die Entwaldung zumindest verlangsamen und war lange Zeit der weltweit führende Produzent von Bioethanol. Nachdem der Klimawandel in Brasilien zuletzt auch als innenpolitisches Thema an Bedeutung gewonnen hat, könnten von dort wichtige Impulse für die bevorstehenden Verhandlungsrunden ausgehen.

Zur gemeinsamen Bekämpfung des Klimawandels durch Industrie- und Ankerländer hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) Handlungsoptionen skizziert, die bei den Verhandlungen eines Post-Kyoto-Abkommens auf der bevorstehenden UN-Klimakonferenz in Bali im Dezember aufgegriffen werden könnten. Es ist unstrittig, dass die politisch und wirtschaftlich leistungs- und handlungsfähigsten Staaten angesichts der Dringlichkeit des Problems und ihrer historischen Verantwortung mit glaubwürdigem Beispiel voranschreiten müssen. Mit Blick auf ihre hohen Pro-Kopf-Emissionen sowie ihre deutlich größeren Kapazitäten müssen sich die Industrieländer unverzüglich auf ehrgeizige Reduktionsziele verpflichten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat während ihrer Asienreise im August 2007 und vor den Vereinten Nationen bereits mutige Signale gesetzt, indem sie den Schwellenländern eine Erhöhung ihrer Pro-Kopf-Emissionen ausdrücklich zugesteht, und zwar so lange, bis sie das Niveau der Industrieländer erreicht haben, das im gleichen Zeitraum sehr stark sinken soll. Langfristig sollen sich demnach die Pro-Kopf-Emissionen weltweit immer weiter angleichen, "auf einem Niveau, das mit unserem gemeinsamen Klimaschutzziel vereinbar ist".

Natürlich muss deutlich zwischen wirtschaftlich stark wachsenden Ankerländern sowie armen Entwicklungsländern differenziert werden. So sollten Ankerländer mit hohen bzw. schnell steigenden Treibhausgasemissionen in ein Verpflichtungsregime integriert werden, das nicht zuletzt die globale Verantwortung Chinas und Indiens reflektiert. Gelänge es durch Zugeständnisse der OECD-Länder, China und Indien dazu zu bewegen, angemessene Verpflichtungen einzugehen, hätte dies eine Signalfunktion gegenüber den übrigen Anker- und Entwicklungsländern. Es sollte dann leichter werden, mittelfristig alle Ankerländer zu entsprechenden Zielen zu verpflichten. Die ärmsten Entwicklungsländer mit niedrigen Gesamtemissionen könnten hingegen auch langfristig eine Sonderstellung einnehmen. Sie sollten Unterstützung hinsichtlich ihrer Anpassungsfähigkeit an die nicht mehr zu vermeidenden Folgen des Klimawandels erfahren.

Für Ankerländer wie China und Indien wird der entscheidende Handlungsanreiz in einem erleichterten Zugang zu Technologien liegen. Sie werden andernfalls konventionelle Energiesysteme weiter ausbauen und schwer korrigierbare Pfadabhängigkeiten schaffen. Die führenden OECD-Staaten sollten deshalb gezielt Unternehmenspartnerschaften und Forschungskooperationen zwischen Industrie- und Ankerländern fördern, die auf eine "Dekarbonisierung" der Volkswirtschaften zielen. Um auf beiden Seiten Akzeptanz zu finden, sollten derartige Partnerschaften spezifische Technologien und Innovationen zur Anpassung an nicht mehr vermeidbare Folgen des Klimawandels ebenso einschließen wie Maßnahmen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte. Dies sollte es einerseits den Ankerländern erleichtern, den Umbau der eigenen Energiesysteme strategisch zu planen und neben den Kosten auch die Vorteile zu erkennen. Andererseits könnten für innovative Unternehmen in den Industrieländern, die klimaschonende Technologien entwickeln, interessante Wachstumsmärkte entstehen.

Wichtig ist bei alledem, dass die internationalen Verhandlungspartner sich nicht auf technologische Maßnahmen und ökonomische Anreize beschränken. Mit "Win-win"-Lösungen allein werden die Klimaschutzziele nicht zu erreichen sein. Vielmehr müssen in allen beteiligten Ländern gesellschaftliche Lernprozesse gefördert und institutionelle Kapazitäten gestärkt werden, um eine aktive Klimapolitik umsetzen zu können. Es bedarf dringend entsprechender Impulse, um in den Klimaverhandlungen bis spätestens 2009 zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen, die eine Stabilisierung der durchschnittlichen globalen Erwärmung bei maximal zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau überhaupt noch zulassen.

Fazit

Die naturräumlichen Auswirkungen einer ungebremsten globalen Erwärmung sowie eine krisenhafte Beeinträchtigung der Weltwirtschaft würden nicht zuletzt auch die Ankerländer treffen. Deren Ziele einer fortgesetzten Weltmarktintegration und der nachholenden Entwicklung würden je nach Intensität und Ausprägung des Klimawandels unterminiert.

Mit der Gefährdung existenzieller Lebensgrundlagen durch den Klimawandel werden essenzielle Menschenrechte wie das Recht auf den Zugang zu Trinkwasser und das Recht auf Ernährung faktisch ausgehöhlt. Bislang sind dafür vor allem die Industrieländer verantwortlich zu machen, deren Entwicklung maßgeblich auf der Verbrennung fossiler Energieträger beruht. Bei anhaltendem ökonomischem und weltpolitischem Aufstieg dürften aber auch die großen Ankerländer gegenüber ihren Partnern innerhalb der "Gruppe der 77" zunehmend in Erklärungsnot geraten. Insbesondere die emissionsstarken asiatischen Riesen China und Indien müssen sich darauf einstellen, von den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Entwicklungsländern mit auf die Anklagebank gesetzt zu werden. Der Klimawandel könnte den internationalen Menschenrechtsdiskurs nachhaltig verändern und die Industrie- und Ankerländer einem Rechtfertigungszwang aussetzen, der sie in ihren globalen Gestaltungsmöglichkeiten beeinträchtigen würde.

Die Erfordernisse der internationalen Klimapolitik verdeutlichen, dass die Zusammenarbeit mit Ankerländern von großer Bedeutung ist. Dabei geht es in Ländern wie China nicht mehr um klassische "Entwicklungshilfe", sondern um globale Strukturpolitik zur Lösung globaler Probleme, die von Einzelstaaten nicht wirksam bearbeitet werden können. Das bedarf der Unterstützung gesellschaftlicher Reformprozesse, der Stärkung institutioneller Kapazitäten und des Technologie- und Wissenstransfers.

Die unterschiedlichen nationalen und internationalen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit verfügen über ein geeignetes Instrumentarium, um die dynamischen Ankerländer auf dem Weg zu nachhaltigen Entwicklungspfaden zu unterstützen. Langfristig werden nur stabile, dynamische und kooperationsorientierte Ankerländer die ihnen zugedachte Lokomotivfunktion für ihre kleineren und schwächeren Nachbarn wahrnehmen können. Die Ankerländer sind entscheidende Partner zur Lösung globaler Probleme. Der Klimawandel ist dabei nur die dringendste, aber keineswegs die einzige Herausforderung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. IPCC, Climate Change 2007: The Physical Science Base, Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report, Genf 2007.

  2. Vgl. Andreas Stamm, Schwellen- und Ankerländer als Akteure einer globalen Partnerschaft. Überlegungen zu einer Positionsbestimmung aus deutscher entwicklungspolitischer Sicht (DIE Discussion Paper 1/2004), Bonn 2004; Detlef Nolte, Das Ankerland-Konzept: Rechtfertigung für Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern, in: eins Entwicklungspolitik, (2007) 4.

  3. Vgl. Nicholas Stern, The Economics of Climate Change. The Stern Review, Cambridge 2006.

  4. Vgl. A. Stamm (Anm. 2).

  5. So soll laut Millenniumsentwicklungsziel 1 bis 2025 die Zahl der absolut Armen weltweit halbiert werden; etwa drei Viertel der absolut Armen weltweit leben gegenwärtig in den vier Ankerländern China, Indien, Brasilien und Nigeria.

  6. Vgl. International Energy Agency (IEA), World Energy Outlook, Paris 2006.

  7. Vgl. IPCC, Climate Change 2007: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report, Genf 2007.

  8. Seit Beginn der Reformpolitik 1978/79 weist die chinesische Wirtschaft ein Wachstum von durchschnittlich über sieben Prozent pro Jahr auf; das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich zwischen 1981 und 2003 mehr als vervierfacht, der Anteil extremer Armut sank von über 60 auf knapp zehn Prozent; vgl. World Bank, World Development Indicators 2006. Economy, States & Markets, Washington, DC 2006.

  9. Vgl. Thomas Heberer/Anja D. Senz, Destabilisierungs- und Konfliktpotenzial prognostizierter Umweltveränderungen in China bis 2020/2050, Berlin 2006.

  10. Eberhard Sandschneider, Globale Rivalen: Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens, München 2007, S. 76.

  11. Vgl. T. Heberer/A. D. Senz (Anm. 9); Elizabeth C. Economy, The river runs black. The environmental challenge to China's future, Ithaca 2004.

  12. Vgl. E. Sandschneider (Anm. 10).

  13. Vgl. IPCC (Anm. 7).

  14. 1999 lag die Armut in Indien im nationalen Durchschnitt bei 26,1, in Bihar jedoch bei 42,6 und in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam und Meghalaya bei 36,1 bzw. 33,9 Prozent; vgl. Asian Development Bank (ADB), Regional Cooperation Strategy and Program South Asia 2006 - 2008, Manila 2006.

  15. Vgl. WBGU, Sicherheitsrisiko Klimawandel, Berlin 2008, S. 153ff.; Cord Jakobeit/Chris Methmann, Klimaflüchtlinge, Hamburg 2007.

  16. Das Amazonasbecken liegt zu etwa 60 Prozent auf brasilianischem Staatsgebiet, der Rest verteilt sich auf Bolivien, Peru, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Surinam und Guayana.

  17. Vgl. IPCC (Anm. 7).

  18. Vgl. Millennium Ecosystem Assessment, Ecosystems and Human Well-Being, Biodiversity Synthesis, Washington, DC 2005.

  19. Vgl. WBGU (Anm. 15), S. 164 - 167.

  20. Vgl. Jörg Faust, Staatlichkeit und Governance: Herausforderungen in Lateinamerika, DIE Analysen & Stellungnahmen 1/2007.

  21. Vgl. IEA (Anm. 6).

  22. Vgl. World Resources Institute, Climate Analysis Indicator Tool (CAIT) Total GHG Emissions in 2003 (excludes land use change), Washington, DC 2007; www.cait.wri.org.

  23. Vgl. Nana Künkel: Das Beispiel Indonesien: Strategien zur Anpassung an den Klimawandel, in: entwicklung & ländlicher raum, (2007) 5.

  24. Vgl. WBGU (Anm. 15), S. 164 - 167.

  25. Die Pro-Kopf-Emissionen Indiens und Chinas entsprachen im Jahr 2000 1,9 bzw. 3,9 Tonnen CO2. Deutschland und die USA lagen im selben Jahr bei 12,3 bzw. 24,5 Tonnen pro Kopf.

  26. Zit. in: Das Parlament vom 7./14.8. 2006, S. 12; vgl. Interview mit Sunita Narain in: Die Zeit vom 10.8. 2006, S. 19.

  27. Im Zuge des aktuellen Booms von Bioethanol haben die USA Brasilien als größten Produzenten abgelöst. Vgl. N. Schmitz, Bioethanol als Kraftstoff - Stand und Perspektiven, in: Technikfolgenabschätzung, Theorie und Praxis, 1 (2006) 15, S. 16 - 26.

  28. Vgl. WBGU, Neue Impulse für die Klimapolitik: Chancen der deutschen Doppelpräsidentschaft nutzen, Politikpapier 5, Berlin 2007.

  29. Merkel auf dem High Level Event on Climate Change der UN in New York am 24.9. 2007; vgl. WBGU (Anm. 15), S. 12.

  30. Vgl. Siri Eriksen u.a., Climate Change Adaptation and Poverty Reduction: Key interactions and critical measures, Oslo 2007; WBGU (Anm. 15), S. 12 - 13, S. 18.

  31. Vgl. WBGU (Anm. 15), S. 14 - 15.

M.A., geb. 1973; Politikwissenschaftler in der Abteilung IV "Umweltpolitik und Ressourcenmanagement" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik(DIE), Tulpenfeld 6, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: steffen.bauer@die-gdi.de

Dr. agr., geb. 1975; Diplom-Agraringenieurin in der Abteilung IV am DIE (s.o.).
E-Mail: E-Mail Link: carmen.richerzhagen@die-gdi.de