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Auslandsmedien im 21. Jahrhundert | Auslandsmedien | bpb.de

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Auslandsmedien im 21. Jahrhundert

Michael Meyen

/ 16 Minuten zu lesen

Auslandsmedien stehen unter Propagandaverdacht und konkurrieren mit Internet und Satelliten-TV. Der Text zeigt, warum und wo es Auslandsmedien auch künftig geben wird und wie sie Wirkung erzielen können.

Einleitung

Das Wort "Auslandsmedien" scheint in die Geschichtsbücher zu gehören. Radio Moskau und kurze Welle, die BBC und der Ost-West-Konflikt, Radio Free Europe und Propaganda: Die Assoziationen verweisen auf das 20. Jahrhundert und auf eine Welt, die spätestens 1989/90 untergegangen ist. In diesem Beitrag wird danach gefragt, ob staatlicher Auslandsrundfunk in das "Informationszeitalter" passt - in eine Zeit, in der (fast) jede Information nur ein paar Mausklicks entfernt ist, in der Lebensgefühl und -rhythmus von transnationalen TV-Stationen wie CNN, MTV oder Al-Jazeera mitbestimmt werden und in der "grenzüberschreitende Kommunikation" folgerichtig als "Kernphänomen der Globalisierung" gilt.



Zugespitzt formuliert: Warum wendet der Steuerzahler nach wie vor viel Geld für einen Sender wie die Deutsche Welle/DW (2007 immerhin 269 Mio. Euro) auf, obwohl der Kalte Krieg längst gewonnen ist, obwohl es in jedem guten Hotelzimmer rund um das Mittelmeer deutsches Kommerzfernsehen gibt und obwohl deutsche Zeitungsverlage ebenso wie öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten im Internet omnipräsent sind? Diese Frage verschärft sich noch, wenn man Auslandsmedien an ihrem Anspruch misst und wissen möchte, ob es ihnen in der Vergangenheit gelungen ist, Menschen außerhalb des eigenen Landes mit Informationen zu versorgen. Welchen Anteil hatten zum Beispiel die "freien Stimmen der freien Welt" am Zusammenbruch des Ostblocks? Wer ist erreicht worden, und wie haben die Sendungen gewirkt?

Wenn in diesem Text auch historisch argumentiert wird, geht es folglich nicht darum, die Geschichte der Auslandsmedien neu zu schreiben, sondern um die Frage, welchen Sinn heute noch Medienangebote haben, "die sich primär an eine Zielgruppe in einem anderen Staat wenden". Bevor dazu die Erfahrungen diskutiert werden, welche die beiden deutschen Teilstaaten vor 1989 mit solchen Angeboten gemacht haben, geht es auf einer allgemeineren Ebene um das Potenzial und die Grenzen von Auslandsmedien.

Ein Teil der Schlussfolgerungen ist allerdings bereits vorgegeben. Dass Auslandsmedien zumindest für Staaten wie Deutschland sinnvoll sind, wird hier nicht bezweifelt. Die Erfahrung lehrt, dass eine Rundfunkanstalt von den Dimensionen der DW (2007: rund 1500 Mitarbeiter aus über 60 Ländern) nicht von heute auf morgen geschlossen werden kann - und das keineswegs nur, weil Auslandssender "seit ihrem Bestehen ein klassisches Instrument der Außenpolitik" sind oder weil "Bestandsschutz" ganz unabhängig von den Kosten "offensichtlich zu den besonderen deutschen Tugenden" gehört, wie Beate Schneider schon vor zehn Jahren kritisiert hat. Sie vermutete damals, dass sich die Medienpolitik "gegen diese Form von PR in eigener Sache" entscheiden und den Haushalt der Deutschen Welle "privatisieren" würde (etwa "für die Selbstdarstellung deutscher Kultur im Ausland"), wenn "Akzeptanz und Publikumszuspruch ein ernsthaftes Entscheidungskriterium" wären.

Die Entwicklung geht inzwischen in die entgegengesetzte Richtung. Nachdem die Anzahl der Fremdsprachen im Hörfunkangebot der DW von 38 auf 30 reduziert worden war (eingestellt wurden vor allem Programme für westliche Industriestaaten und osteuropäische Reformländer) und der Bundeszuschuss schrittweise mitschrumpfte (von 312 Mio. Euro 1998 auf 261 Mio. Euro 2005), gibt es seit 2006 zumindest beim Etat wieder leichte Zuwächse. Das Deutsche-Welle-Gesetz, das den Programmauftrag neu formulierte und der Anstalt nicht nur jeweils vier Jahre Planungssicherheit garantiert, sondern ihr auch erlaubt, neben Hörfunk und Fernsehen einen Internetauftritt zu betreuen, der eigene redaktionelle Inhalte bietet, wurde 2004 vom Bundestag einstimmig verabschiedet. Kulturstaatsminister Bernd Neumann sprach Ende 2006 von "Deutschlands Stimme in der Welt". Deutschland brauche einen Auslandsrundfunk, der "unsere 1000-jährige Kulturgeschichte" darstelle, der dabei helfe, "unseren Stand als Exportweltmeister" abzusichern, und der "für unsere Werte" werbe. In Afghanistan zum Beispiel sei ein deutscher Auslandssender "unverzichtbar für die Selbstfindung dieses Landes".

Dieser (politische) Rückenwind liegt im internationalen Trend. Die DW kann auch damit argumentieren, dass Frankreich im vergangenen Jahr 128 Millionen Euro in einen neuen englischsprachigen Auslandssender investiert hat (France 24) und dass die Etats des BBC World Service (2007: 382 Mio. Euro) und der US-amerikanischen Auslandssender (2005: 370 Mio. Euro) seit dem 11. September 2001 stark gewachsen sind. "Wiener Verhältnisse" jedenfalls sind hierzulande vorerst kaum zu befürchten: Radio Österreich International wurde zum 1. Juli 2003 vom Netz genommen - ein Auslandsdienst, der auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges rund 20 Journalisten beschäftigte, 1999 noch umgerechnet zwölf Mio. Euro aus der Staatskasse erhielt und dafür reguläre Angebote in sechs Sprachen produzierte. Über die Kurzwellenfrequenzen wird jetzt Radio Österreich 1 ausgestrahlt. Wer Auftraggeber und Aufwand mit Deutschland, den USA oder Großbritannien vergleicht, hat bereits eine erste Antwort auf die Frage, welche Rolle Auslandsmedien in einer globalisierten Welt spielen werden.

Grenzen der grenzenlosen Kommunikation

Auslandsmedien hatten schon immer ein Legitimationsproblem. Wer solche Angebote finanziert (ob Staaten, Religionsgemeinschaften oder politische Gruppen), muss mit einem Propagandaverdacht leben. Warum sollte Deutschland Geld in ein Hörfunkprogramm stecken, wenn dieses Programm nicht auch "deutsche Interessen" vertritt? Kann ein solches Programm objektiv sein? Darf es das überhaupt? Und wenn ja: Bleibt nicht immer der Vorwurf, entweder "nationale Nabelschau" zu betreiben oder aber sich nicht "von einer formalistischen Objektivitätslogik" befreien zu können und folglich keinen professionellen Journalismus zu liefern? Generell gefragt: Warum und für wen wird gesendet? In den 1970er und 1980er Jahren wurde dem Westen vor allem aus Osteuropa, aber auch aus Asien oder Afrika vorgehalten, unter dem Deckmantel des free flow of information die nationale Souveränität untergraben und zu Umsturzversuchen anstiften zu wollen. Der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko forderte 1972 vor der UN-Vollversammlung sogar, grenzüberschreitende Sendungen künftig nur noch zuzulassen, wenn das "Empfängerland" solchen Sendungen vorher ausdrücklich zugestimmt hat. Störsender und Empfangsverbote für nicht "genehmigte" Programme sehen durch diese Brille wie legitime Verteidigungsaktionen aus. Dass diese Debatte längst nicht ausgestanden ist, zeigt das Schlagwort media intervention, das die Spannungen und Krisen der Gegenwart begleitet.

Mit solchen Zweifeln an der Lauterkeit, an der Qualität und an der Glaubwürdigkeit, die immer mitgesendet werden, sind Zweifel an der Wirkung verbunden. Zum Entstehungsumfeld des BBC-Weltprogramms oder von Radio Moskau in den 1920er und 1930er Jahren gehörte der Glaube an die Macht der Medien - ein Glaube, der durch das, was man bei Nationalsozialisten und Kommunisten beobachten konnte, noch gestärkt wurde. Inzwischen sind das Tausendjährige und das östlicheReich aller Propaganda zum Trotz Geschichte, und die kommunikationswissenschaftliche Forschung hat gezeigt, wie stark Medienwirkungen von den Persönlichkeitsmerkmalen des Empfängers, von seinem Umfeld und von der Situation abhängen - vor allem dann, wenn es um Überzeugungen und Handlungen geht und nicht einfach nur um Wissen. Auch wenn heute vielleicht die Deutungsmacht des Mediennutzers überschätzt wird: Die Zeiten einfacher Stimulus-Response-Annahmen (einer sendet, und die anderen denken und handeln, wie es dieser Sender will) sind vorbei. Der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber hat Angebote wie das Programm der Deutsche Welle folgerichtig "in der Tradition einer monologischen interkulturellen Kommunikation" verortet und einen Wandel in Richtung "Dialog der Kulturen" gefordert. "Der Monolog, das Selbstgespräch ohne Berücksichtigung des Gegenüber" sei in einer "komplizierter werdenden Welt" keine Lösung. Die "globalen Info-Eliten" würden jedenfalls kaum auf "deutsche Polit-PR im Fernsehformat" warten. Praktiker wissen das schon lange. Mark Hopkins, der in Belgrad, Peking, Moskau und London die Büros des US-Auslandssenders Voice of America geleitet hat, kritisierte 1999 die "Radio Free This-and-That"-Politik seiner Regierung und meinte, es gebe höchstens anekdotische Beweise, dass ausländische Sendungen jemals die Einstellungen von Hörern oder Zuschauern verändert hätten.

Publikumsforscher werden dies nicht gern lesen, aber schon die vergleichsweise einfache Frage nach den Nutzerzahlen ist oft kaum zu beantworten. Selbst dort, wo Repräsentativumfragen erlaubt und möglich sind (weil es zum Beispiel entsprechende Forschungsinstitute gibt), lohnen sich solche Erhebungen eigentlich nicht, weil die meisten Befragten keine Auslandsmedien nutzen dürften. Bei der aufwändigsten Untersuchung, die je von einem Auslandsdienst bezahlt wurde, kam Radio Free Europe/Radio Liberty in Osteuropa und Mittelasien 2001/02 auf eine durchschnittliche wöchentliche Reichweite von 9,2 Prozent. In den 21 Ländern, in denen der Fragebogen ausgefüllt werden konnte, sagte folglich nicht einmal jeder zehnte der rund 42 000 Befragten, dass er wenigstens einmal in der vergangenen Woche eine der Sendungen aus Prag eingeschaltet hatte. Dass diese Daten dem Auftraggeber eher noch schmeicheln dürften, legt der Entstehungshintergrund der Studie nahe. Nur massive Proteste (unter anderem von Václav Havel) hatten Präsident Bill Clinton nach seinem Amtsantritt 1993 daran gehindert, Radio Free Europe/Radio Liberty zu schließen. Der Preis waren starke Budgetkürzungen, der Auszug aus dem Hauptquartier in München und die Suche nach einer neuen Aufgabe. Die Großuntersuchung von 2001/02 zeigte dann (wie gewünscht), dass der Sender zwar noch als pro-westlich gilt, aber sein Image aus dem Kalten Krieg abgelegt hat und als unabhängiger, professioneller Anbieter von Informationen gesehen wird.

Im Alltag helfen sich die Publikumsforscher mit Hörer- und Zuschauerbriefen, Expertendiskussionen und dem, was Hopkins "Anekdoten" genannt hat. Berichte von Diplomaten oder Reisenden sind allerdings kein Ersatz für eine öffentliche Debatte über die Qualität des Angebots. Da Auslandsmedien normalerweise in der Heimat nicht genutzt werden, kommunizieren die Journalisten sozusagen ins Blaue: Redakteure, Moderatoren und Sprecher werden auf der Straße nicht erkannt und von Nachbarn oder Freunden für ihre Arbeit weder gelobt noch getadelt. Um beim Beispiel DW zu bleiben: Im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen gibt es diese Rundfunkanstalt nicht, obwohl sie im Jahr über eine Viertelmilliarde Euro kostet. Kai Hafez hat zudem auf die "babylonischen Verhältnisse" hingewiesen, die innerhalb einer solchen Institution herrschen. Wo Sendungen und Webseiten in 30 Sprachen produziert werden, dürften Kritik und Kontrolle schon deshalb schwierig werden, weil die Verständigungsmöglichkeiten von Bürotür zu Bürotür begrenzt sind. Während andere Journalisten auch (und manchmal vielleicht sogar vor allem) für die Kollegen bei der Konkurrenz oder im eigenen Haus produzieren und in der Regel sehr genau wissen, was ihr Publikum hören, sehen oder lesen will, haben Auslandsmedien nur zwei Referenzpunkte: Politiker und Experten.

Dies ist auch deshalb ein Problem, weil diese beiden Gruppen von Medienangeboten anderes erwarten als die Mehrheit der Bevölkerung. Die Forschung hat bestätigt, dass Mediennutzer überall auf der Welt vor allem nach Unterhaltung suchen - nach Entspannung und nach einem Zeitfüller, nach Gesprächsstoff und nach Verhaltensmodellen. Dazu kommt der Wunsch, die Umwelt überschauen und kontrollieren zu können - ein Bedürfnis, das vor allem auf die unmittelbare Umgebung zielt (auf die Region oder das Heimatland) und das Nachrichtensendungen bedienen, indem sie den Hörer oder Zuschauer mit der Gewissheit entlassen, nun Bescheid zu wissen. Welche Untersuchung man auch zur Hand nimmt: Ausgesprochen politische Angebote (etwa Hörfunkkommentare oder Leitartikel) erreichen, abgesehen von Krisenzeiten, stets nur Minderheiten. Die Studie von Radio Free Europe/Radio Liberty zeichnet ein exemplarisches Porträt solcher Hörer: vor allem Männer, die etwas älter als der Durchschnitt sind, mehr verdienen, einen höheren Schulabschluss haben und eher in Städten leben. Was dies für Auslandsmedien bedeutet, liegt auf der Hand. Ist die Nutzerzahl ohnehin begrenzt, weil der Unterhaltungseffekt wegfällt, wird die (potentielle) Reichweite durch die Empfangsbedingungen weiter verkleinert. Viele Hörfunkprogramme aus dem Ausland senden längst nicht rund um die Uhr und sind oft nur über Kurzwelle zu bekommen - ein mühseliges Unterfangen, bei dem von Hörgenuss keine Rede sein kann.

Gar nicht so unwahrscheinlich ist außerdem, dass der Empfänger etwas ganz anderes bekommt als er eigentlich wollte. Wer ins Ausland sendet, steht vor dem Problem, seine Zielgruppen bestimmen zu müssen. Für wen sollen die Programme der DW gemacht werden? Für Auswanderer und ihre Nachkommen? Für Deutsche, die vorübergehend im Ausland arbeiten? Für Lateinamerikaner oder Vietnamesen, die in Deutschland gearbeitet oder studiert haben und den Kontakt in das Gastland von einst nicht verlieren möchten? Für Araber oder Rumänen, die noch nie in Deutschland waren, aber die Sprache lernen und Nietzsche bewundern? Oder für Menschen, die in einem Land ohne Medienfreiheit leben und auf der Suche nach objektiven Informationen sind, und zwar nicht über deutsche Landschaften und Denker, sondern über die Lage in ihrer Heimat? Mit jeder Antwort verliert man einen Teil der möglichen Kundschaft. Anfang der 1990er Jahre wurde der deutschsprachige Dienst der DW vor allem genutzt, um sich über Deutschland zu informieren und die Verbindung in dieses Land zu halten. Beides geht inzwischen über das Internet besser.

Der deutsch-deutsche Medienkrieg

Was auch immer gegen Auslandsmedien vorgebracht wird: In Deutschland dürfte man damit kein Gehör finden. Ist nicht die Wiedervereinigung Beweis genug, dass sich grenzüberschreitende Kommunikation lohnt? Zum Gründungsmythos des neuen Deutschland gehört, dass die Westmedien an der Wiege des Umbruchs in der DDR gestanden hätten: ARD und ZDF, Deutschlandfunk und Rias seien für die Ostdeutschen nicht nur "Fenster zur Welt" gewesen, sondern hätten auch über das informiert, was in der DDR passiert und von den SED-Medien verschwiegen worden war, so den "real existierenden Sozialismus" demaskiert und damit langfristig zum Zusammenbruch des Regimes beigetragen.

Auch wenn die empirischen Belege auf wackligen Füßen stehen, scheint nicht vorstellbar, dass die DDR-Bürger nicht nach Nachrichten aus der "freien Welt" gesucht haben sollen. Die einheimischen Medienangebote waren von Anfang an unglaubwürdig, und die Herrschenden versuchten, den Informationsfluss aus dem Westen zu unterbinden - zunächst (ab Ende der 1940er Jahre) mit einem Einfuhrverbot für Zeitungen und Zeitschriften, dann mit Störsendern (vor allem gegen den Rias) und mit der "Aktion Ochsenkopf", bei der FDJ-Kommandos kurz nach dem Mauerbau Fernsehantennen von den Dächern holten, die nach Westen gerichtet waren, schließlich mit moralischem Druck, den vor allem diejenigen bis zum Ende der DDR spürten, die dort Karriere machen wollten. Wozu dieser Aufwand, wenn die SED keine Angst vor den "Feindsendern" gehabt hätte? Widerlegt die Geschichte hier nicht Mark Hopkins, der generell an der Wirkung von Auslandsmedien gezweifelt hat?

Das deutsche Beispiel bietet sich für die Frage nach dem Sinn grenzüberschreitender Medienkommunikation auch deshalb an, weil die Angebote hier keine Sprach- und Kulturbarriere zu überwinden hatten, weil sie leicht empfangbar waren und weil beide Seiten in den "Krieg um die Köpfe" enorme Anstrengungen investiert haben, ohne ihr eigentliches Ziel zu erreichen. Die DDR ist 40 Jahre alt geworden, obwohl fast alle ihre Bürger vom ersten Tag an Westmedien nutzen konnten. In den frühen 1950er Jahren war der Rias in weiten Teilen des Landes sogar ohne Konkurrenz, weil es im Osten noch kaum leistungsfähige Sender gab. Der Mangel schränkte die Störversuche ein, die auch den Empfang der einheimischen Programme verschlechterten. Die "Aktion Ochsenkopf" wurde nach wenigen Wochen abgeblasen, weil der Kampf gegen das Westfernsehen die Bevölkerung stärker beschäftigte als der Mauerbau. 1973 ermunterte Erich Honecker die DDR-Bürger ausdrücklich zum Umschalten, und in den 1980er Jahren kam der Klassengegner in vielen Plattenbauten über das Kabel.

Dieser laxe Umgang ist nicht nur mit Resignation zu erklären, sondern auch mit dem Wissen um Seh- und Hörgewohnheiten. Wie in anderen Industriegesellschaften erwarteten die meisten Menschen in der DDR von den Funkmedien, dass sie den Aufenthalt daheim versüßen. Wenn die eigenen Programme das Unterhaltungsbedürfnis nicht befriedigten, wurde umgeschaltet. Im Westen sah oder hörte man zwar in der Regel auch Nachrichten, bei einer Infratest-Umfrage kannte aber 1955 nicht einmal jeder Dritte den Namen eines Sprechers oder Kommentators, und 1958 konnten sich nur 24 Prozent der befragten Ostdeutschen an den Inhalt einer Politiksendung erinnern. Diese Gruppe stufte Infratest als "wirkliche" Hörer mit einem "harten" Politikinteresse ein. Spätere Studien haben diese "wirklichen" Hörer und Seher sozial verortet (vor allem im Umfeld der Kirchen, in Künstler- und Intellektuellenmilieus sowie in Berufen, die politisch nicht so wichtig waren und folglich unter Wert entlohnt wurden) und gezeigt, dass selbst diejenigen, welche die Medienpolitik der SED dezidiert ablehnten, auch der anderen Seite bestimmte Interessen unterstellt und mit Skepsis reagiert haben. Ein vollwertiger Ersatz konnten die Westmedien ohnehin nicht sein. Die Ratgebersendungen ließen sich für das Leben im Osten nicht anwenden, Nachrichten und Politikmagazine halfen in "normalen" Zeiten nur sehr bedingt bei der Orientierung im Alltag, und dass es mit der eigenen Wirtschaft nicht zum besten stand, sah man im Betrieb oder spätestens im Kaufhallenregal.

Dies alles heißt aber nicht, dass die Sendungen aus dem Westen wirkungslos geblieben sind. Auch wenn manches "Hetze" zu sein schien: Allein die Tatsache, dass es einen Gegenpol gab, hat die Menschen zum Nachdenken gebracht. Kann man einer Sache bedingungslos glauben, wenn einem der Zweifel ständig vor Augen geführt wird? Ein Leipziger Schriftsteller, Jahrgang 1953, sagte in einem biographischen Interview, er habe nicht erwartet, dass die "Tagesschau" die Realität in der DDR widerspiegelt. Ihm sei es dort vielmehr um "eine andere Sicht" und einen "anderen Blickwinkel" gegangen. Dies hätten die Westmedien zweifellos geleistet. Auch deshalb war guter Westempfang in der DDR ein Stück Lebensqualität. Ein anderer Leipziger, Jahrgang 1962, sagte in der gleichen Interviewserie, er habe die Einseitigkeit der SED-Medien gar nicht so wahrgenommen, weil ja die Gegenseite ständig verfügbar gewesen wäre. Dazu kommt die Sondersituation Krise. Wenn der Rias im Juni 1953 nicht gehört worden wäre, hätte die SED-Propaganda den Sender kaum als Hauptschuldigen an den Unruhen diffamieren können. Und wer weiß, wie der Herbst 1989 verlaufen wäre, wenn die Westmedien nicht über Demonstrationen, Fluchtmöglichkeiten und Opposition berichtet und so eine mediale Öffentlichkeit in der DDR hergestellt hätten.

Am deutsch-deutschen Beispiel kann man außerdem die indirekten Wirkungen von Auslandsmedien studieren. Zum einen haben Medienpolitiker und -macher auf beiden Seiten die Bemühungen des Gegners genutzt, um den eigenen Bereich aufzuwerten und Forderungen nach höheren Budgets zu legitimieren, und zum anderen sind die Programme besser auf die Wünsche der Nutzer zugeschnitten worden, um die Menschen vom Umschalten abzuhalten. Dies gilt keineswegs nur für den Osten, wo man bundesdeutsche Erfolgsprogramme kopierte, das Sendernetz vor allem dort ausbaute, wo der Westen gut zu empfangen war, und ab Dezember 1982 in beiden TV-Programmen ab 20 Uhr Unterhaltendes brachte, weil man wusste, dass Sendungen mit Erziehungsauftrag die Zuschauer dem Klassenfeind in die Arme trieben. Auch in der Bundesrepublik wurde versucht, die Konkurrenz zu unterbinden. Vor allem in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten warnten Journalisten und Politiker immer wieder vor östlichen Rundfunkwellen und Papierinvasionen (zum Beispiel vor SED-Zeitungen, die im Kleinformat per Post verschickt wurden). Obwohl die Ostsendungen längst nicht überall empfangbar waren, Umfragen das Desinteresse der Westdeutschen belegt hatten und man die wirtschaftlichen Grenzen der DDR kennen konnte, war der Hinweis auf die Gefahr von "drüben" ein unschlagbares Argument, das den Ausbau des Hörfunk-Nachtprogramms genauso beschleunigte wie den des Unterhaltungsangebots im Fernsehen. Dass man dabei immer auch auf die Bedürfnisse der Brüder und Schwestern im Osten verweisen konnte, hat schon damals für ein Gefühl der Überlegenheit gesorgt - ein Gefühl, das bis heute anhält. Konnte sich der Westen nach 1989 nicht auch deshalb als Sieger sehen, weil die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den Auftrag hatten, auch die Deutschen im Osten zu informieren und den Gedanken an die Einheit wach zu halten?

Das Potenzial von Auslandsmedien

Aus den deutsch-deutschen Erfahrungen lässt sich nicht nur ableiten, warum Staaten von der Wirtschaftskraft und den weltpolitischen Ambitionen Deutschlands auch im Zeitalter von Internet und Satellitenfernsehen Medienangebote für das Ausland produzieren, sondern auch, wo und wie sie dies tun werden. Obwohl das Publikum von Auslandsmedien immer begrenzt bleiben wird, obwohl die Zweifel an der Glaubwürdigkeit nicht auszuräumen sind und obwohl sich Einstellungen und Überzeugungen nur schwer ändern lassen, sind solche Angebote überall dort unverzichtbar, wo es keine Medienfreiheit gibt - Angebote in der Sprache, welche die Menschen verstehen, und zu den Themen, die sie bewegen. Das Beispiel DDR zeigt, dass Störversuche Grenzen haben und dass Auslandsmedien auch den Menschen nutzen, die solche Angebote gar nicht wahrnehmen - weil die einheimische Medienpolitik reagiert und weil es eine zweite Perspektive gibt, die im Alltag vielleicht nicht benötigt wird, wohl aber in Krisensituationen. Das Internet ist kein Gegenargument, weil längst nicht jeder Zugang hat (Stichwort "digitale Spaltung"), das Satellitenfernsehen nicht, weil es vor Sprachhürden steht und im Zweifel Geld verdienen muss. Kai Hafez hat darauf hingewiesen, dass es nach wie vor möglich sei, ganze Völker "buchstäblich voneinander abzuschotten und für Kriege zu mobilisieren".

Auslandsmedien können diese Möglichkeit einschränken - wenn sie über das berichten, was im Empfangsgebiet und in der Welt passiert und ein Forum für den Dialog bieten, wie zum Beispiel das Call-in-Programm "Iraq Today", bei dem Einheimische auf Kosten der DW im Radio erzählen können, was sie bewegt. Solche Angebote werben vermutlich besser "für unsere Werte" als jede Sendung über die Errungenschaften daheim. Die deutsche Teilungsgeschichte lehrt, dass allein die Existenz von Rundfunkanstalten wie der Deutschen Welle ein Signal nach innen und nach außen ist - für den Anspruch, in der Welt präsent sein zu wollen, und für die Überzeugung, selbst den richtigen Weg zu kennen. Dieses Signal darf offenbar auch etwas kosten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Manuel Castells, Das Informationszeitalter. 3 Bde., Opladen 2001.

  2. Vgl. Jean K. Chalaby, Television for a New Global Order, in: Gazette, 65 (2003) 2, S. 457 - 472.

  3. Kai Hafez, Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind, Wiesbaden 2005, S. 10.

  4. Harald Kuhl, Internationaler Auslandsrundfunk, in: Hans-Bredow-Institut (Hrsg.), Internationales Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2002/03, Baden-Baden 2002, S. 149.

  5. Beate Schneider, Informationsgesellschaft und Auslandsrundfunk, in: Walter A. Mahle (Hrsg.), Kultur in der Informationsgesellschaft, Konstanz 1998, S. 141 - 148.

  6. Bernd Neumann, Überzeugend für unsere Werte werben, www.dw-world.de/dw/article/0,2144,192898 8,00.html (28.12. 2007).

  7. Vgl. Deutsche Welle, Aufgabenplanung 2007 - 2010. 1. Fortschreibung vom 21.9. 2007, Bonn 2007.

  8. Vgl. Hartmut W. Böse, Das Kurzwellen-Radio in Österreich, in: Medien & Zeit, 19 (2004) 3, S. 41 - 48.

  9. Vgl. Donald R. Browne, International Radio Broadcasting. The Limits of the Limitless Medium, New York 1982.

  10. Vgl. K. Hafez (Anm. 3), S. 165.

  11. Vgl. Barthold C. Witte, Der Kampf um die "Neue Welt-Informationsordnung" (1968 - 1990), in: Dietrich Schwarzkopf (Hrsg.), Rundfunkpolitik in Deutschland. Bd. 2, München 1999, S. 1091 - 1101.

  12. Vgl. Barbara Thomaß, Programme aus dem Ausland und Programme für Ausländer, in: ebd., S. 1076.

  13. Hans J. Kleinsteuber, Auslandsrundfunk in der Kommunikationspolitik, in: Andreas Hepp/Martin Löffelholz (Hrsg.), Grundlagentexte zur kulturellen Kommunikation, Konstanz 2002, S. 345 - 372.

  14. Vgl. Mark Hopkins, A Babel of Broadcasting, in: Columbia Journalism Review, (1999) July/August, S. 44 - 47.

  15. Vgl. R. Eugene Parta, How Our Listeners See Us, in: Oliver Zöllner (ed.), Reaching Audiences Worldwide, Bochum 2003, S. 65 - 77.

  16. Vgl. K. Hafez (Anm. 3), S. 166.

  17. Vgl. Michael Meyen, Mediennutzung, Konstanz 2004.

  18. Vgl. R. E. Parta (Anm. 15), S. 76.

  19. Vgl. Klaus Schönbach/Sylvia Knobloch, Die Deutsche Welle und ihr Publikum, in: Walter A. Mahle (Hrsg.), Deutschland in der internationalen Kommunikation, Konstanz 1995, S. 183 - 191.

  20. Vgl. Kurt R. Hesse, Fernsehen und Revolution, in: Rundfunk und Fernsehen, 38 (1990) 3, S. 328 - 342.

  21. Vgl. für das Folgende Michael Meyen, Denver Clan und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR, Berlin 2003.

  22. K. Hafez (Anm. 3), S. 223.

  23. Vgl. Christian Gramsch, Have International Broadcasters a Mission in Conflicts, in: Shira Loewenberg/Bent N?rby Bonde (eds.), Media in Conflict Prevention and Peacebuilding Strategies, Bonn 2007, S. 178 - 181.

Dr. phil., geb. 1967; Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Oettingenstraße 67, 80538 München.
E-Mail: E-Mail Link: meyen@ifkw.lmu.de