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Stiftungen in der Bürgergesellschaft

Manuel Frey

/ 16 Minuten zu lesen

Viele Stiftungen haben Ihre Wurzeln in der Bürgergesellschaft des 19. Jahrhunderts. Angesichts neuer Herausforderungen in Politik und Gesellschaft könnte es ein entscheidender Vorteil sein, diese historischen Grundlagen des eigenen Handels zu reflektieren.

Einleitung

Stiftungen sind Ausdruck der jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen einer Epoche. Für das bürgerliche 19. und 20. Jahrhundert und - mit Einschränkungen auch heute - heißt das: Stifter sind exemplarische Bürger, Stiftungen sind Institutionen der Bürgergesellschaft. Das Stiften als Form des sozialen Handels verweist darüber hinaus auf eine Grundform des menschlichen Zusammenlebens. Unter dem Stichwort "Erlebte Fabel" beschäftigt sich Hans Blumenberg in seinen 1998 erschienenen Glossen zu Theodor Fontane mit einer Episode aus einem Brief des Dichters an seine Tochter Martha vom 9. August 1891:



"Ein großer Nachtfalter hatte gestern Abend Schutz in meiner Stube gesucht und ich hielt es für meine Pflicht, ihm diesen Schutz zu gewähren. Heute früh saß er noch an derselben Teppichstelle, zwei Schritte von der geöffneten Balkontür. Ich nahm mein Frühstück und beschloss dem etwas unheimlichen Tier auch Tagesquartier zu bewilligen; ich erschien mir wie ausersehen, ihn zu retten. Mit einem Male kam auch ein Sperling ins Zimmer, frech wie immer und ich machte schon Miene ihn durch ein Stückchen Semmel abzulohnen, als er, seine Marschlinie rasch ändernd, auf meinen Schützling zuhüpfte, ihn aufpiekte und davon flog." Dem Abgang des Sperlings folgt die ebenso lakonische wie ironische Feststellung Fontanes: "Es ist mit den Rettungsversuchen oft so."

Der Fontane-Interpret Blumenberg schließt daraus, dass es durchaus gefährlich sein könne, Gunst und Schutz zu gewähren, und das gerade für den, der beides genießen soll. Der 1996 gestorbene Philosoph, zu dessen Methode es gehörte, in Geschichten zu denken, bezieht die Moral aus der Geschichte ausdrücklich auf das Bürgertum als soziale Gruppe: "Übertölpelt und ausgetrickst sieht der frühstückende Bürgersmann zu, wie das Leben ihm unter der hilfsbereiten Hand seinen Streich spielt."

Kontingenzbewusstsein bürgerlicher Eliten

"Übertölpelt und ausgetrickst" - Die schiere Geschwindigkeit der Weltveränderung wird um 1900 als Bedrohung empfunden. Für die jederzeit minoritäre soziale Formation Bürgertum ist es gerade die Schnelligkeit des Wandels, die ihre gruppenspezifischen Handlungsoptionen einschränkt. Der Bürger als Stifter hält bewusst dagegen. Möglicherweise ist es gerade dieses Bewusstsein, das innerhalb des stiftungsaktiven Bürgertums zum Wunsch nach der Einführung retardierender Elemente im gesellschaftlichen Veränderungsprozess führte. Dann kommt es unter günstigen Umständen, wie in den großen Städten des Kaiserreichs, zu einem Stiftungsboom. Stiftungen sind stabile Formen sozialen Handelns. Herfried Münkler hat kürzlich das Wesen der Stiftung in der Wechselwirkung aus der absichtsvollen Verlangsamung gesellschaftlicher Veränderungsgeschwindigkeit einerseits und der Dynamisierung ausgewählter Handlungsfelder (etwa Ausbildungs- oder Kulturförderung) andererseits beschrieben. Wenn man als Bürger den Wandel der eigenen Lebenswelt schon nicht aufhalten kann, dann möchte man ihm zumindest eine Richtung geben.

Es kann aber genauso gut sein, dass dieser Stiftungsboom ausbleibt. Staatliche Anreize reichen da nicht aus, die Wirkungszusammenhänge sind komplex. Spontane Hilfsbereitschaft, Schutz und Scheitern: Die Episode Fontanes vermittelt zunächst ganz allgemein einen Eindruck von der Kontingenz des Impulses, der zur Stiftungsgründung führt und auch das Stiftungshandeln bestimmt. Die Gelegenheit fliegt den potentiellen Stifter buchstäblich an. Übrigens sind auch die Stiftungen selbst, bei aller Präponderanz der jeweiligen Institution, offenbar möglich, ohne - gesamtgesellschaftlich betrachtet - notwendig zu sein. Gerade aus dem Bewusstsein der Kontingenz ziehen sie ihre Kraft, weniger aus dem Gedanken der Kontinuität, auch wenn von Stiftungsvertretern immer wieder die eintausendjährige Tradition einzelner Stiftungen beschworen wird. Stiftungen haben heute nichts Überzeitliches und sie werden auch nicht, wie in Städten der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich, zur sozialen und kulturellen Grundversorgung gegründet. Dies ist Aufgabe des modernen Staates, der die Altersvorsorge regelt und die Museen und Opernhäuser betreibt. Die dynamischen Handlungsfelder vieler Stiftungen sind deshalb von aktuellen "weichen" Themen bestimmt, man denke nur an die zahlreichen Projekte zur kulturellen Bildung. Bald werden andere Themen folgen.

Vom Kontingenzbewusstsein im Stiftungsbereich führt ein kurzer Weg zur Kontingenzerfahrung des Bürgertums im 20. Jahrhundert. Denn dass Stiftungen eben nicht nur überzeitliche Stabilität und Sicherheit vermitteln, sondern selbst auflösenden Bedingungen wirtschaftlicher und politischer Wechsellagen unterworfen sind, das gilt auch für die entscheidenden Trägergruppen des europäischen Bürgertums. Von den rasanten Vermögensverlusten vieler wohlhabender Bürger und ihrer Stiftungen nach dem Ersten Weltkrieg über die Vernichtung der jüdischen Stifter und Mäzene im Nationalsozialismus bis zur Abhängigkeit mancher Unternehmensstiftung von der krisenhaften Entwicklung der globalisierten Industriegesellschaft finden sich zahlreiche Beispiele für die Epochengebundenheit von Stiftungen.

In Fontanes Geschichte vom Nachtfalter lassen sich deshalb auch zentrale Elemente des Stiftens als sozialer Handlung und als moralischer Haltung des Bürgertums - Gerechtigkeit und Anerkennung - vor dem Hintergrund der Stiftungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts exemplarisch zeigen. Beide Aspekte gewinnen durch das in den bürgerlichen Eliten herrschende Kontingenzbewusstsein besondere Bedeutung.

Da ist zunächst der Raum, der Wohn- und Arbeitsort des Bürgertums. Es ist die okzidentale Stadt, das bürgerliche Machtgefüge par excellence, in dem verschiedene soziale Gruppen um Anerkennung kämpfen. Max Weber nennt als Grundlage für die "aktive Mitgliedschaft im Bürgerverband" den Bürgereid des Neuankömmlings und die daraus erwachsende persönliche Rechtsstellung als Bürger. Aus diesem Bewusstsein der selbstbewussten Individualität entsteht das Gefühl der Dankbarkeit und der Wunsch, der Stadtgemeinde etwas "zurückzugeben". Das ist nichts als die Moral dessen, der die Macht innehat, um anderen Schutz zu gewähren. Fontane spricht von der Pflicht zur Schutzgewährung als einer Form der Freigebigkeit. "Munifizenz" ist eines der Lieblingsworte Fontanes, ein Begriff, der übrigens im heutigen Duden nicht mehr vorkommt.

Diese Freigebigkeit steht ja durchaus im Gegensatz zur bürgerlichen Leitvorstellung der "Sparsamkeit". Sie bedarf deshalb der Begründung im Einzelfall und ist eng an die "Würdigkeit" dessen geknüpft, der die Gabe empfangen soll: Der freche Spatz ist gewissermaßen der Prototyp des Unwürdigen, da er sich nimmt, was ihm nicht zukommt, und sich damit dem Ritual des "Ablohnens"entzieht: ein Undankbarer also, undiszipliniert, mithin unbürgerlich. Es geht hier um Anerkennung, genauer, um einen zweifachen Kampf um Anerkennung: Zwischen Stiftern und Begünstigten und zwischen den Stiftern in deren eigener Gruppe. Die gescheiterte Rettung des Nachtfalters stellt ja auch aus der Perspektive des bürgerlichen Stifters ein "Versagen im Amt" dar. Das "Amtscharisma" des professionellen Wohltäters wird dadurch aus der Sicht der Standesgenossen ernsthaft beschädigt.

Exklusivität und gesellschaftliche Ausbreitung

Im frühen 19. Jahrhundert, unter den spezifischen Bedingungen der ebenso klassenmäßigen wie ständischen Vergesellschaftung des Bürgertums, hatten sich Wert- und Ordnungsvorstellungen herausgebildet, ohne die wir von einer kulturell gleichartig sozialisierten Einheit wie dem Bürgertum gar nicht sprechen könnten. Im Zentrum standen die Idee der bürgerlichen Gesellschaft als politische Ordnungsidee, als Wirtschaftstheorie und als neuer Strukturvorstellung zur Verbindung der Einzelinteressen einerseits und der bürgerliche Habitus als Modell der ständischen Lebensführung andererseits.

Wenn man dieser Argumentation von M. Rainer Lepsius folgt, dann besteht der bürgerliche Habitus auch dann fort, wenn die Ursprungskonstellation, die zu seiner Entstehung geführt hat, also das Bürgertum als soziale Gruppe, längst zerfallen ist. Ein Gleiches gilt für die alte Idee der bürgerlichen Gesellschaft, die noch heute als Modell der bürgerschaftlichen Teilhabe im Diskurs der Zivilgesellschaft existiert. Das Stiften ist gerade wegen seiner Bindung an bürgerliche Werte ein zentrales Merkmal für die Fortentwicklung sowohl der bürgerschaftlichen Ordnungsidee als auch des bürgerlichen Lebensmodells.

Nach 1945 hat die Bürgertumsforschung für die Restbestände des Nachkriegsbürgertums zwei gegenläufige Tendenzen herausgearbeitet. Zum einen lässt sich ein verstärkter Zug zur Exklusivität beobachten. Hierfür stehen etwa im Bereich der Kultur die frühe Gründung des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft 1951 oder die prominenten Sammlerpersönlichkeiten der frühen Jahre wie die Kölner Kunstsammler Wolfgang Hahn und Josef Haubrich, die seit den 1950er Jahren internatonale zeitgenössische Kunst sammelten und ausstellten. Trotz ihrer teils öffentlichkeitswirksamen Präsentation führen diese Formen der exklusiven Bürgerlichkeit ein Nischendasein. Zum anderen finden sich auf der Basis des wirtschaftlichen Aufschwungs Nivellierungstendenzen und spätestens seit den 1960er Jahren prominente Züge einer Verallgemeinerung bürgerlicher Werte und Normen (Fleiß, Arbeitsdisziplin, Distinktion, Bildung, Sparsamkeit) bis hin zu mehr bürgerschaftlichem Engagement im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Liberalisierung.

Es scheint nun so zu sein, dass sich auf dem Feld der Stiftungen die beiden zentralen Elemente der Entwicklung des Bürgertums nach 1945, die Exklusivität und die Ausbreitung in den gesellschaftlichen Raum hinein, nicht nur überlagern, sondern miteinander verbinden. Die sozialen Bewegungen im Umfeld der 1960er und 1970er Jahre wirkten dabei kurz- und mittelfristig als eine Art Teilchenbeschleuniger, der die Restbestände traditioneller Bürgertugenden auf ein neues Ziel, das bürgerschaftliche Engagement, hin ausrichtete und mit neuer Energie auflud. Die großen Stifterpersönlichkeiten, meist mit wirtschaftsbürgerlichem Hintergrund, aber auch die neuen stadtbürgerlichen Verwaltungseliten nahmen hier eine zentrale Vermittlerrolle zwischen bürgerschaftlichem Engagement und symbolischer Anerkennung ein.

Diese Allianz veränderte unter dem Signum "Kultur für alle" die bis dahin gültigen Normen und Wertvorstellungen, und sie hatte auch Auswirkungen auf die positive Entwicklung des Stiftungssektors in der alten Bundesrepublik und mehr noch im Zeitraum nach 1989. Es bilden sich - sichtbar etwa an Spendenaktionen wie dem Basler "Picassofest" 1967 zum Ankauf von drei Gemälden des Malers oder der von Hilmar Hoffmann organisierten "Aktion Synagoge" 1972 in Frankfurt/M. zum Ankauf eines Gemäldes von Max Beckmann - neue Strukturen heraus, die heute mit Begriffen wie "Eventkultur", "Kulturmanagement" oder "Kulturwirtschaft" nur unzureichend bezeichnet werden. Und es ist die Institution der Stiftung in neuer Form, etwa als Zuwendungsstiftung oder als Bürgerstiftung, die diesen allgemeinen Trend mit dem besonderen Stifterwillen privater und öffentlicher Träger zur Deckung bringt und in Richtung einer Bürgergesellschaft der Zukunft weist.

"Gabentausch"

Gemeinnützige Stiftungen in der entwickelten Bürgergesellschaft sind nicht Formen des einseitigen Gebens, sondern sie sind auf den Gabentausch mit seiner spezifischen Logik des Gebens, Nehmens und Erwiderns gegründet. Diese Form des Austauschs sollte keineswegs nur als Strukturmerkmal archaischer Gesellschaften betrachtet werden, sondern ist lebendiger Bestandteil von sozialen Beziehungen, gerade auch in ausdifferenzierten Marktgesellschaften. Man darf sich aber die Bürgergesellschaft weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart als idyllischen Ort vorstellen. Der Gabentausch birgt auch Konfliktpotential. Gerade im Bereich all dessen, was wir heute mit Stiftung, Spende, Ehrenamt, Mäzenatentum, soziales Engagement im weitesten Sinne bis hin zum Sponsoring umschreiben, haben wir es mit subtilen Formen der sozialen Auseinandersetzung, mit Kämpfen und Konflikten zu tun, die über kulturelle Muster der Begünstigung und Benachteiligung ausgetragen werden und wo mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Formen sozialer Ungleichheit und symbolische Kämpfe um Anerkennung sichtbar werden.

Der Stiftungsbereich ist eines der zentralen Felder der zeitgenössischen "gift economy". Geht man nämlich davon aus, dass Reziprozitätsbeziehungen mit der Gabe im Mittelpunkt ein grundlegender Handlungsmechanismus sind, dann stellt sich die Frage nach den Institutionen, die diesen Geltungsraum konstituieren. Die Stiftung ist eine wichtige Instanz des institutionalisierten Gebens. Das Bild des Stifters ist also doppeldeutig, wie schon bei Fontane ersichtlich und wie moderne Theoriekonzepte aus der Reziprozitätsforschung bestätigen. Es ist die Geste des öffentlichen Gebens, die Abhängigkeiten schafft und gegen die mitunter Widerstand erwächst.

In demokratischen Gesellschaften wird der Kampf um Anerkennung normalerweise von unten nach oben geführt - und nicht von oben nach unten. Stifter machen hier jedoch eine Ausnahme. Sie klagen als privilegierte Minderheit die kulturelle Differenz von oben ein. Daher haben sich die großen bürgerlichen Stifter in der Moderne, anders als die fürstlichen Mäzene in der Epoche des Absolutismus, immer auch vor dem Forum einer kritischen bürgerlichen Öffentlichkeit zu verantworten. Stifter ringen um öffentliche Anerkennung auf der Basis ihrer marktwirtschaftlich akkumulierten und rechtsstaatlich abgesicherten Privilegien. Ungeachtet der gegensätzlichen Positionen zwischen bürgerlichen Stiftern und den sonstigen Anerkennungskämpfern aus sozialen Randgruppen (Aufsteiger, Migranten, Behinderte) bleiben die wesentlichen Merkmale aller Kämpfe um Anerkennung erhalten: erstens die Gefahr der öffentlichen Missachtung und zweitens das Einklagen eines höheren Maßes an sozialer Wertschätzung, um damit eine Erweiterung der vorhandenen Ressourcen zu erzielen.

Anerkennung und Glück

Normen und Wertvorstellungen sind nicht nur jeweils an bestimmte soziale Trägerschichten gebunden, sondern auch abhängig von grundlegenden Rahmenbedingungen, die den Wertehorizont des Individuums beeinflussen. Es ist eine in der Stiftungsforschung bekannte Tatsache, dass viele Stifter auf öffentliche Ehrungen mit gemeinnützigen Schenkungen reagierten oder umgekehrt mit Schenkungen öffentliche Anerkennung zu erzwingen suchten. Begriffe wie "Dankbarkeit" "Bürgerpflicht", "Liebe zur Vaterstadt" finden sich in den Stiftungsakten zahlreicher Städte. Drei Bezugspunkte nannte der Stifter Johann Friedrich Städel in seinem Testament aus dem Jahr 1815: zunächst in der Präambel das Vertrauen zu Gott, dann im eigentlichen Text mehrfach seine engen Freunde und die "geliebte Vaterstadt" Frankfurt am Main, deren Bürgerschaft seine Stiftung zur Zierde und zum Nutzen gereichen möge.

Das Beispiel Städels zeigt, dass Stiften ganz allgemein gesprochen "Haltung" voraussetzt, einen Modus operandi als Generierungsprinzip sozialen Handelns. Die Stiftung ist damit zunächst das Resultat einer bestimmten sozialen Praxis und erst in zweiter Linie ein Vermögen, das ein reicher Mann zu einem wohltätigen Zweck widmet. Aber warum wird gestiftet? Max Weber hat in der Einleitung zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen darauf hingewiesen, dass der Glückliche sich selten mit der bloßen Tatsache des Besitzes seines Glücks begnügt. Er hat darüber hinaus das Bedürfnis, auch noch ein Anrecht darauf zu haben. Er will überzeugt sein, das Glück auch zu verdienen, vor allem im Vergleich mit den vielen Anderen, weniger Glücklichen. Der Stifter träumt den Traum von der Legitimität des Glücks. Dieser Traum ist nichts anderes als der Wunsch nach Anerkennung seiner Lebensleistung. Um seine irdischen Güter wie Geld und Macht in einer Demokratie überhaupt genießen zu können, benötigt der Stifter die Zustimmung der anderen, dass ihm dieser Besitz auch rechtmäßig zukommt (sowie es den anderen zukommt, weniger Geld zu haben und damit weniger glücklich zu sein).

Was könnte ihm nun das Bewusstsein der Legitimität seines Glücks besser verschaffen als die Dankbarkeit derer, die in den Genuss seiner Gaben kommen? Der Stifter bezieht seinen Anerkennungsvorteil nicht nur aus der exklusiven Verbreitung seiner Freigebigkeit im kleinen Kreis, sondern auch daraus, dass er entrechtete und benachteiligte Minderheiten (also die anderen Anerkennungskämpfer) öffentlichkeitswirksam bei ihrem Kampf um Ressourcenzuwachs unterstützt. Der Stifter stellt sich damit übrigens eher unfreiwillig an die Seite des modernen Staates, der selbst gern als Glücksvermittler auftritt. Der späte Arnold Gehlen hat sich in diesem Sinn dezidiert gegen eine Überstrapazierung der Staatsaufgaben des bundesrepublikanischen Sozial- und Kulturstaats ausgesprochen und spottete über die "euphorische Mythologie einer Kultur für alle" als Farce.

Machtraum Stadt

Nochmals zurück zum alten und neuen räumlichen Zentrum der Bürgergesellschaft: Mit der europäischen Stadt haben wir seit dem Spätmittelalter und auch unter den gesellschaftlichen Bedingungen der beginnenden Moderne im frühen 19. Jahrhundert einen sozial, politisch und kulturell wohl organisierten "Machtraum als Objektivation sozialer Beziehungen" vor uns, der seine Wirkung bis heute entfaltet. In diesem Machtraum ringen die Angehörigen innerstädtischer Eliten, die Bürger, um Anerkennung, hier werden auch soziale Konflikte ausgetragen. Das heißt auch, dass die sozialen Ordnungssysteme als "notwendige Ordnung" im Stiften und in der Stiftung ihren symbolischen Ausdruck finden.

Dies geschieht vor dem Hintergrund der für das 19. Jahrhundert bedeutsamen drei Strukturprozesse Urbanisierung, Konfessionalisierung und Professionalisierung. Vor Herausbildung der kommunalen Leistungsverwaltung, die von professionellen Beamten getragen wurde, hatten die Honoratioren entscheidenden Einfluss auf die Selbstverwaltung und damit auch auf die Strukturen der Wohltätigkeit in den deutschen Städten. Der Weg vom Ehrenamt zur Spende und zur Stiftung war damit in vielen Fällen vorgezeichnet. Die Bürger wussten genau, wo die Probleme lagen, und konnten auch als Stifter genau dort eingreifen, wo der Einsatz am notwendigsten war. "Stiftungsberatung" als intermediäre Instanz war damit überflüssig.

Grundsätzlich lässt sich anhand der Ergebnisse neueren Stiftungsforschung zeigen, dass die Wirtschafts- und Sozialstruktur und die spezifischen bürgerlichen Traditionen der jeweiligen Stadt die Rahmenbedingungen vorgaben - bis Großereignisse wie Krieg und Inflation diese lokalen Zusammenhänge störten und sich die Wohltätigkeitsbemühungen auf einem neuen Niveau restrukturierten. Das Stiften als Phänomen sowohl der innerbürgerlichen Solidarität als auch der innerbürgerlichen Differenzierung wurde also immer wieder zur Anpassung an neue Gegebenheiten gezwungen. Im Zuge der Urbanisierung wurden Formen des indirekten und delegierten Gabentauschs immer wichtiger. Deshalb war das Kaiserreich die große Zeit der Vermittler in vielen Kulturbereichen.

Diese häufig aus der Wirtschaft stammenden Vermittler strebten im Kern nach Anerkennung durch die lokale Öffentlichkeit. Dies gilt bis heute. In der Konsequenz heißt das: Wenn künftig die urbanen Zentren im Gefolge des demographischen Wandels wieder verstärkt an Bedeutung gewinnen, dann könnte dies auch einen neuen Stiftungsboom zur Folge haben. Denn es ist im Kern zu allen Zeiten die lebendige Stadt als Wachstumsraum, welche die öffentlichkeitswirksame Arena für Anerkennungskämpfe bietet. Die von Münkler genannte staatlich privilegierte Sonderausstattung einzelner "Eliteuniversitäten" bietet dagegen wohl nicht genügend Prestigegewicht, um künftig in großem Maßstab zum Stiften anzuregen.

Gerechtigkeit

Was bedeutet der Kampf um Anerkennung für die gerechte Verteilung von Gütern? Über die Brücke der Gleichheit führt diese Frage an die Wurzel des Selbstverständnisse der Stiftungen in der Bürgergesellschaft: den Anspruch auf Gemeinnützigkeit. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass Stiftungen, wenn Sie diesen Namen verdienen sollen, etwas zu verteilen haben. Spannend ist die Frage deshalb, weil sie eng mit dem mehrfach genannten Kampf um Anerkennung verbunden ist und weil hier Konfliktlinien sichtbar werden. Darf der Stifter jenseits der öffentlichen Kontrolle die von ihm Begünstigten nach eigenem Gusto auswählen und sich so zum Richter über andere machen? Werden nur die begünstigt, die am lautesten schreien? Ist es gerecht, wenn Stiftungen erfolgreiche Programme einstellen, ohne die Begünstigten zu fragen?

Internationale Stifter kämpfen zunehmend um Anerkennung in der Weltgesellschaft. Angesichts von Mega-Stiftungen wie der Bill & Melinda Gates Foundation werden solche Fragen künftig noch stärker an Aktualität gewinnen und möglicherweise eine neue Skepsis nationaler Öffentlichkeiten gegen transnationale Stiftungen hervorrufen. Die Argumente dafür liegen schon seit längerem bereit: Für den amerikanischen Politologen Michael Walzer etwa ist das Stiftungswesen zwar auch dann zu respektieren, wenn die "Distributionsresultate" dadurch unvorhersagbar und ungleich werden. Auch Distributionskonflikte sind letztlich Resultate von Prestigekämpfen. Aktivitäten von Stiftungen können deshalb in der Demokratie anstößig sein, weil zumindest der Verdacht besteht, dass die Stifter sich Einfluss und Wertschätzung erkaufen. Walzer plädiert daher für das Spenden zur Stärkung des "altruistischen Gemeinschaftsgeistes". Dies sei besser als Stiften, weil "es sich um keine allzu großen Beträge handelt und die Spendenfähigkeit breit gestreut ist."

Auch wenn man Walzer hier aus europäischer Perspektive (noch) nicht unbedingt folgen mag, scheint die Frage legitim: Wie viel Stiftung erträgt die Bürgergesellschaft? Wie verhalten wir uns künftig, wenn Megastiftungen auch bei uns errichtet werden? Schon jetzt wird die programmatische Ausrichtung einzelner großer deutscher Stiftungen keineswegs immer positiv beurteilt. Gerade bei unternehmensnahen Stiftungen kann es leicht zu Konflikten zwischen dem Streben nach Anerkennung und der Frage nach dem "gemeinen Nutzen" kommen, etwa, wenn die jeweilige Unternehmensphilosophie zum Gradmesser der Gemeinwohlorientierung hergenommen wird.

Gerechtigkeit ist die Fähigkeit einer Gesellschaft, Bedingungen für wechselseitige Anerkennung sicherzustellen. Dazu zählt auch die Bereitschaft von Stiftern und Stiftungsmanagement, das eigene Stiftungshandeln permanent zu hinterfragen. Jedenfalls ist zu hoffen, dass die stiftungsinterne Diskussion über Fragen der Gerechtigkeit künftig zur stärkeren Einbindung der Stiftungen in die Bürgergesellschaft beiträgt. Denn dass Stiftungen reflexionsbereit sein müssen, zeigen nicht zuletzt die kürzlich vom Bundesverband Deutscher Stiftungen verabschiedeten "Grundsätze guter Stiftungspraxis" zur Stärkung der Gemeinwohlorientierung.

Möglicherweise ist dieser zuletzt genannte Aspekt des Stiftungshandelns angesichts neuer Herausforderungen von zentraler Bedeutung. Die bloße Bereitstellung privater Mittel für öffentliche Zwecke wird künftig nicht ausreichen, um den langfristigen Erfolg der Arbeit vieler Stiftungen zu sichern, ebenso wenig wie der gute Name allein. Nötig ist hier die besondere Reflexionsbereitschaft im Hinblick auf die Vielzahl und die Qualität besonderer Programme für neue Themen oder soziale Gruppen. Programme, die wiederum in einem möglichst großen Teil der Öffentlichkeit zustimmungsfähig sind. Stiftungen brauchen also ein stärkeres "Kontingenzbewusstsein", wenn sie ihre besonderen Aufgaben erfolgreich wahrnehmen wollen.

Bürgerliche Stifter sind geborene Vermittler, die einen exklusiven Habitus und bürgerschaftliches Engagement auf den Feldern Kultur und Soziales zu verbinden wissen. Das Modell Bürgergesellschaft kann auch künftig nur funktionieren, wenn ein gewisses Maß an Gemeinsinn und Bürgertugend vorhanden ist. Dazu werden Wertbezüge bereitgestellt, die bis an die Wurzeln der okzidentalen Stadt zurückreichen. Man kann also mit einigem Recht argumentieren, dass Stiftungen die Rückbindung bürgerlicher Tugenden an den politischen Bereich unterstützen. Sie fördern die Partizipation und bieten mit dem Gedanken der institutionellen Autonomie die Basis für die Aneignung bürgerlicher Tugenden. Die Stiftung ist damit eine zentrale Institution der Bürgergesellschaft. Sie verweist sowohl auf Exklusivität als auch auf Partizipation und damit auf die beiden zentralen Möglichkeiten die Positionierung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, von der mittelalterlichen Stadtgemeinde bis in die Gegenwart.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Theodor Fontane, Gesammelte Werke, Zweite Serie, Bd. VII, Briefe an seine Familie, Berlin 1905, S. 261.

  2. Hans Blumenberg, Vor allem Fontane. Glossen zu einem Klassiker, Frankfurt/M. 2002(2), S. 169.

  3. Vgl. Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter. Wie Stiftungen Veränderungen bewegen, in: Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 61 (März 2007) 3, S. 200 - 210.

  4. Vgl. Joachim Fischer, Bürgerliche Gesellschaft. Zur historischen Soziologie der Gegenwartsgesellschaft, in: Clemens Albrecht (Hrsg.), Bürgerliche Kultur und Avantgarde, Würzburg 2004, S. 97 - 118.

  5. Max Weber, Grundriss der Sozialökonomik, III. Abteilung Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1922, S. 533.

  6. Vgl. M. Rainer Lepsius, Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 153 - 170.

  7. Vgl. Eckart Conze, Eine bürgerliche Republik? Bürgertum und Bürgerlichkeit in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, 30 (2004), S. 527 - 542.

  8. Vgl. Frank Adloff/Steffen Mau (Hrsg.), Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität, Frankfurt/M. 2005, S. 9 - 10.

  9. Vgl. Steffen Siegmund, Grenzgänge: Stiften zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und symbolischer Anerkennung, in: Berliner Jahrbuch für Soziologie, Nr. 3 (2000), S. 333 - 348.

  10. Vgl. Frank Adloff /Steffen Sigmund, Die "gift economy" moderner Gesellschaften. Zur Soziologie der Philanthropie, in: F. Adloff/S. Mau (Anm. 8), S. 211 - 237.

  11. Vgl. Nancy Fraser/Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, Frankfurt/M. 2003, S. 181.

  12. Stiftungs=Brief des Städelschen Kunst=Instituts, enthalten in dem Testament des Herrn Johann Friedrich Städel, Frankfurt/M. 1817 (Neudruck Frankfurt 1984).

  13. Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen 1988(9), S. 242.

  14. Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, Eine pluralistische Ethik, Frankfurt/M. 2004, S. 64.

  15. Karl-Siegbert Rehberg, Macht-Räume als Objektivationen sozialer Beziehungen - Institutionenanalytische Perspektiven, in: Christian Hochmuth/Susanne Rau (Hrsg.), Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2006, S. 41 - 55.

  16. Vgl. Stephan Pielhoff, Stifter und Anstifter. Vermittler zwischen "Zivilgesellschaft", Kommune und Staat im Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), S. 10 - 45.

  17. H. Münkler (Anm, 3), S. 209.

  18. Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frankfurt/M. 1998, S. 194.

  19. Ebd., S. 145.

  20. N. Fraser/A. Honneth (Anm. 11), S. 206.

  21. Vgl. Bundesverband Deutscher Stiftungen, Grundsätze Guter Stiftungspraxis: www.Stiftungen.org.

Dr. phil., geb. 1964; Referent an der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Karl-Liebknechtstraße 56, 01109 Dresden.
E-Mail: E-Mail Link: ManuelFrey@web.de