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Wie Tiere zu Fleisch werden | bpb.de

Wie Tiere zu Fleisch werden Transformationsherausforderungen der Fleischwirtschaft

Achim Spiller Gesa Busch

/ 16 Minuten zu lesen

Um die rege Diskussion um die Zukunft der Tierhaltung und des Fleischkonsums zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Wertschöpfungskette der Fleischwirtschaft. Warum ist Fleisch so billig? Welche Herausforderungen birgt das für eine nachhaltige Fleischerzeugung?

In weiten Teilen der Öffentlichkeit läuft derzeit eine rege Diskussion um die Zukunft der Tierhaltung und des Fleischkonsums. In der hochgradig politisierten und polarisierten sowie medial aufgeladenen Debatte geht es um die Nachhaltigkeit individueller Ernährungsstile, um die Entwicklung der Land- und Fleischwirtschaft sowie um Agrar- und Ernährungspolitik. In Deutschland ernährten sich im Jahr 2021 etwa fünf bis sechs Prozent der Menschen vegetarisch und essen kein Fleisch und keine Wurst, ein bis zwei Prozent ernähren sich vegan und verzichten auf tierische Produkte. Obwohl also für einen Großteil der Menschen in Deutschland Fleisch und Wurst nach wie vor zur Ernährung gehören, wünschen sich viele eine veränderte, bessere Form der Tierhaltung, und auch viele Wissenschaftler:innen sprechen sich für eine Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung aus. Ein Umbau der Tierhaltung ist jedoch mit vielfältigen Herausforderungen verbunden. In diesem Beitrag wollen wir aufzeigen, wie Wertschöpfungsketten in der Fleischwirtschaft aufgebaut sind, vor welchen Herausforderungen sie stehen und welche Handlungspfade sich daraus für eine nachhaltigere Fleischerzeugung in Deutschland ergeben.

Wertschöpfungskette der Fleischwirtschaft

Die landwirtschaftliche Tierhaltung ist eingebunden in eine Wertschöpfungskette, die von der Futtermittelproduktion bis zum Lebensmittelhandel reicht (Abbildung). Nur wenn man den Blick auf diese gesamte meat chain richtet, lassen sich die ökonomischen Entwicklungen verstehen und Nachhaltigkeitskonzepte einordnen. Die EU verwendet deshalb für ihren landwirtschaftlichen Strategieplan innerhalb des European Green Deals die Bezeichnung "From Farm to Fork".

Wertschöpfungskette für Fleisch in Deutschland 2020 (abweichende Bezugsjahre sind angegeben). (© eigene Darstellung auf Basis von Daten aus der "Allgemeinen Fleischerzeitung", der Bundesanstalt Landwirtschaft und Ernährung, des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft, des Bundesverbands der deutschen Fleischwarenindustrie, des Situationsberichts )

Zentrales Glied in der Wertschöpfungskette ist die Tierhaltung. 2020 gab es in Deutschland 75.200 Mastrinderbetriebe. In diesem Bereich sind kleine Betriebsstrukturen dominierend, durchschnittlich zählt hier ein Betrieb 13 Tiere. Die Rindfleischproduktion in Deutschland wird stark durch die Milchviehhaltung beeinflusst, denn Tiere, die dort nicht zur Reproduktion benötigt werden, landen in der Regel als Masttiere in der Rindfleischproduktion. Neben diesen Masttieren werden auch rund 640.000 Mutterkühe gehalten, deren Kälber nach dem Absetzen in die Rindermast gehen. Im Bereich der Schweinemast halten die rund 20.400 Betriebe im Schnitt 1.250 Tiere. Diese Betriebe erhalten die benötigten Ferkel entweder von spezialisierten Sauenbetrieben oder ziehen die Ferkel selbst im sogenannten geschlossenen System auf. 3.200 Betriebe halten in Deutschland Masthühner. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei knapp 30.000 Tieren pro Betrieb, standardmäßig umfassen die Ställe heutzutage jedoch knapp 40.000 Tiere. Auf 6.800 Betrieben wird weiteres Geflügel wie Puten, Enten oder Gänse gemästet. Dabei sind die Putenbetriebe mit durchschnittlich 6.000 Tieren deutlich größer als Enten- oder Gänsehaltungen.

Ein wesentlicher Treiber der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung ist die Tierzucht. Durch systematische Selektion, die durch die Verfügbarkeit genetischer Informationen über die Tiere noch präziser geworden ist, werden die "Leistungen" der Tiere im Sinne von täglicher Mastzunahme erhöht. Besonders große Produktivitätsfortschritte hat die Geflügelzucht erzielt. Strukturell schlägt sich die Technisierung der Geflügelzucht in einem sehr hohen Konzentrationsgrad der Zuchtunternehmen nieder, gefolgt von der Schweinezucht, während in der Rinderzucht noch deutlich mehr kleinere Anbieter auf dem Markt vertreten sind. Beim Mastgeflügel ist die EW Group (Erich-Wesjohann-Gruppe) in Visbek einer der beiden globalen Marktführer.

Eine Sau säugt ihre neugeborenen Ferkel in einem Kastenstand. (© laif /Nadja Wohlleben)

In der Landwirtschaft werden Tiere heute überwiegend in Ställen gehalten. Stallbauunternehmen und Tierhaltungstechnik sind daher ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette. Dieser Markt ist wesentlich konzentrierter als die landwirtschaftlichen Betriebe. Weltmarktführer ist das in Vechta-Calveslage angesiedelte Unternehmen Big Dutchman International GmbH, das mit Tochtergesellschaften in mehr als 100 Ländern Ställe für die Geflügel- und Schweinehaltung vertreibt. Während Ställe in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend vergrößert und technisiert wurden, hat die Auslauf- beziehungsweise Freilandhaltung bei den meisten Tieren an Bedeutung verloren. Unter dem Begriff precision livestock-farming wird die Indoor-Haltung mittels digitaler Technologien wie zum Beispiel Transpondern zur automatischen Tiererkennung und -sortierung, Pedometern zur Aktivitätserfassung oder Anlagen zur automatischen Steuerung des Stallklimas professionalisiert, während vergleichsweise wenig zu arbeitsintensiveren Outdoor-Systemen geforscht wird.

Die Futtermittelindustrie produziert auf der Basis landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Mais oder Getreide, verschiedenen Verwertungsresten der Lebensmittelindustrie wie Schlachtnebenprodukten oder Brauresten und Zusatzstoffen wie Aminosäuren und Mineralstoffen sogenanntes Mischfutter, das landwirtschaftliche Betriebe neben den selbst angebauten Futtermitteln wie Grassilage für Rinder verfüttern. In der flächenlosen Intensivtierhaltung bei Geflügel und Schweinen gibt es auch Betriebe, die gar kein eigenes Futter erzeugen, sondern das Futter komplett zukaufen. Im Vergleich zu anderen Sektoren ist der Konzentrationsgrad bei den Mischfutterherstellern vergleichsweise gering.

In Schlacht- und Verarbeitungsunternehmen werden die Tiere getötet und zu Fleisch und Wurst weiterverarbeitet. Die Branche hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland stark konzentriert. Tönnies ist Marktführer und Leitunternehmen bei der Schweineschlachtung. Der Marktanteil der vier größten Anbieter liegt hier bei rund 58 Prozent. Tönnies ist nach einigen Übernahmen auch der größte deutsche Wurstproduzent. Die Zahl kleinbetrieblicher und handwerklicher Schlachtbetriebe ist seit Jahren rückläufig. So hat sich die Zahl der Fleischerfachbetriebe (Metzger) von knapp 15.500 Betrieben 2010 auf 11.191 im Jahr 2020 verringert. Noch konzentrierter als bei Rindern und Schweinen ist die Geflügelschlachtung. Hier ist die PHW-Gruppe (Lohmann & Co. AG) Marktführer, mit einigem Abstand gefolgt von Rothkötter und der Sprehe-Gruppe. Eine Besonderheit der Geflügelbranche ist die starke vertikale Integration, bei der fast die gesamte Wertschöpfungskette einem Unternehmen untersteht. So besitzt die PHW-Gruppe neben Schlachtung und Verarbeitung auch eigene Elterntierherden, Brütereien und Futtermühlen.

Schweinehälften frisch geschlachteter Schweine hängen in der Auskühlhalle eines Schlachthofes. (© laif /Stefan Volk)

Der Lebensmitteleinzelhandel ist der wichtigste Abnehmer von Fleisch- und Fleischerzeugnissen und steht für etwa 70 bis 80 Prozent des inländischen Absatzes. Der Rest entfällt auf den Außer-Haus-Konsum in der Gastronomie, auf Fast-Food-Anbieter sowie Mensen und Kantinen. Ein erheblicher Teil des Fleisches wird exportiert: 33 Prozent bei Rind, 45 Prozent bei Schwein und 44 Prozent bei Geflügel. Hier handelt es sich vor allem um Teile, die in Deutschland kaum oder gar nicht (mehr) gegessen werden, beispielsweise sehr fette Teile, Innereien oder Füße.

Die Verzahnung zwischen den Stufen der Wertschöpfungskette wird zunehmend enger. So haben die großen Schlachtunternehmen durchgehende Verarbeitungsketten vom Lebendtier bis zum verpackten Frischfleisch und zur Wurst aufgebaut. In der Geflügelwirtschaft und zunehmend auch bei den anderen Tierarten integrieren sie dabei auch die Landwirtschaft durch eigene Farmen oder durch Lohnmaststrukturen, in denen die Landwirt:innen zwar formal selbständig, wirtschaftlich aber abhängig eingebunden sind und nach bestimmten Vorgaben produzieren. Zudem haben fast alle großen Handelsunternehmen inzwischen eigene Fleischwerke für den Selbstbedienungsfleischmarkt und die Wurstproduktion errichtet und damit ihre Machtposition gestärkt.

Ökonomie der Fleischwirtschaft

In den 1990er bis 2010er Jahren war die deutsche Fleisch- und Milchwirtschaft mit einem für Deutschland untypischen Wettbewerbsmodell erfolgreich: der Kostenführerschaft, also der Strategie, sich durch möglichst geringe Produktionskosten mit möglichst niedrigen Verkaufspreisen am Markt durchzusetzen. Erreicht hat sie diese Position durch technologische Innovationen, züchterischen Fortschritt und ein beachtliches Größenwachstum der Betriebe. Dadurch konnten die Kosten pro Produktionseinheit massiv gesenkt werden.

Mitarbeiter einer Schlachterei zerlegen Fleischstücke an der Schlachtstraße. (© VISUM, Martin Ziemer)

Für die Fleischwirtschaft ist das Beispiel Tönnies kennzeichnend: Das Unternehmen hat seit den 1990er Jahren eine hocheffiziente Produktion mit bis zu 30.000 geschlachteten Schweinen pro Tag und Fabrik aufgebaut, kombiniert mit einer Verarbeitung des Fleisches, die bis zu verpacktem Selbstbedienungsfleisch und der Wurstproduktion reicht. Der Name des größten deutschen Schlachtunternehmens und Wurstproduzenten ist am Produkt selbst aber nicht erkennbar, da die meisten Produkte als Handelsmarken der großen Discounter vermarktet werden. Auch im Export ist Tönnies erfolgreich und exportiert nach Gewicht mehr als die Hälfte seiner Erzeugnisse in 82 Länder.

Ein weiterer Grund für preiswertes Fleisch ist die systematische Externalisierung von Umwelt- und sozialen Kosten sowie die Ausblendung von Tierschutzproblemen. Die "wahren" Kosten der Lebensmittelproduktion liegen erheblich über den heutigen Marktpreisen. Würde man allein die externen Kosten der Treibhausgasemissionen aus der Tierproduktion einbeziehen, so würden diese über verschiedene Kategorien mit 2,41 Euro pro Kilogramm zu Buche schlagen – für Schweinefleisch wären es 1,72, für Geflügelfleisch 2,85 und für Fleisch von Wiederkäuern wie Rindern sogar 6,65 Euro pro Kilogramm.

Die Kostenführerstrategie hat zu einer starken Standardisierung der Tierhaltung geführt – trotz der vergleichsweise hohen Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe. Differenzierungsmöglichkeiten im Markt durch Unterschiede auf Ebene der landwirtschaftlichen Tierhaltung waren daher, abgesehen vom Bio-Markt, lange kaum vorhanden. Konsequenz der relativ einheitlichen Produktion ist, dass Fleisch als sogenanntes commodity gehandelt wird, also als austauschbares Gut. Dabei ist aufgrund mangelnder Unterschiede zwischen Fleisch verschiedener Hersteller allein der Preis kaufentscheidend. Durch diese Austauschbarkeit haben die Handelsunternehmen mehr Spielraum, den Preis zu drücken.

Vier große Nachhaltigkeitsherausforderungen

Einer nachhaltigen Ernährung wird wachsende Bedeutung beigemessen. Mit Blick auf die vier Dimensionen nachhaltiger Ernährung wirft die Wertschöpfungskette der Fleischwirtschaft an unterschiedlichen Stellen Probleme auf.

Gesundheit

Für viele Konsument:innen spielt Gesundheit eine zentrale Rolle bei Überlegungen zur Reduktion des Fleischkonsums. Die Datenlage in der Ernährungsforschung ist an dieser Stelle allerdings nicht besonders eindeutig. Es gibt einige Evidenz für negative Gesundheitseffekte eines hohen Konsums von verarbeitetem Fleisch und Rotfleisch, wahrscheinlich verursacht durch hohen Salzgehalt, gesättigte Fettsäuren und den Einsatz von Nitritpökelsalz. Die Effekte sind aber nicht stark, und beim Geflügelfleischkonsum zeigen sich kaum Zusammenhänge zur Gesundheit. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur deutlichen Reduzierung (Halbierung) des Fleischkonsums werden entsprechend ganzheitlicher mit Bezug auf Nachhaltigkeit begründet. Die sogenannte planetary health diet, die von der EAT-Lancet Commission als gesunde Ernährung für Menschen und den Planeten vorgeschlagen wird, erachtet ebenfalls eine massive Reduktion des Konsums tierischer Produkte auf etwa ein Viertel des heutigen Niveaus in Deutschland als notwendig.

Umwelt- und Klimaschutz

In den Agrarwissenschaften steht der Begriff "Veredelungsverluste" für den Verlust von Kalorien durch den Einsatz von pflanzlichen Kalorien, die in der Tierhaltung in tierische Kalorien umgewandelt werden. Hierin liegt die naturwissenschaftliche Ursache der Belastung von Umwelt und Klima durch die Tierhaltung. Auf etwa zehn Millionen Hektar wird in Deutschland Tierfutter angebaut – das entspricht mehr als der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Von diesen zehn Millionen Hektar ist wiederum etwa die Hälfte Grünland, die andere Hälfte sind Ackerflächen und somit Flächen, auf denen auch Nahrungsmittel für die direkte menschliche Ernährung produziert werden könnten. Etwa 34 Prozent der weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen kommen aus der Lebensmittelproduktion – davon entfallen etwa 70 Prozent auf Landwirtschaft und Bodennutzung inklusive Landnutzungsänderungen. Betrachtet man den Anteil der Tierhaltung an den Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft in Deutschland, so liegt dieser bei 61,6 Prozent. Durch intensive Tierzüchtung wurde der Umwandlungsverlust von pflanzlichen in tierische Kalorien in den vergangenen Jahrzehnten allerdings reduziert – gerade bei Schwein und Geflügel. Geflügel ist in dieser Hinsicht am effizientesten. Ein Masthähnchen in Deutschland erreicht heute eine Futterverwertung im Verhältnis von 1,6 zu 1 – es nimmt also mit 1,6 Kilogramm Futter etwa ein Kilogramm Körpergewicht zu. So hat es bereits im Alter von 30 Tagen ein (Schlacht-)Gewicht von etwa 1,6 Kilogramm erreicht. Aus diesem Grund weist Geflügel auch die günstigste Klima-Bilanz beim Vergleich verschiedener Fleischarten auf – erkauft mit massiven Tierschutzproblemen, die unter anderem in der Zucht begründet liegen.

Soziale Gerechtigkeit

Die sozialen Bedingungen in der Fleischwirtschaft fanden lange wenig Beachtung. Erstmals breit diskutiert und politisch adressiert wurden die seit geraumer Zeit bekannten prekären Arbeitsbedingungen in der Schlachtwirtschaft im Zuge der Corona-Krise. Weniger Aufmerksamkeit als die Leiharbeitskräfte in der Schlacht- und Verarbeitungsindustrie fand bisher die Situation in der Landwirtschaft mit einer gerade in den größeren landwirtschaftlichen Betrieben verbreiteten Niedriglohnbeschäftigung in der Tierbetreuung. Zum Thema der sozialen Gerechtigkeit zählt jedoch nicht nur der Umgang mit und die Entlohnung von angestellten Arbeitskräften, sondern auch das Einkommen in Familienbetrieben. Immer wieder protestierten in den vergangenen Jahren Landwirt:innen öffentlich gegen zu geringe Preise für ihre Produkte. Die finanzielle Situation der landwirtschaftlichen Betriebe ist allerdings differenziert zu betrachten. Viele große Tierhaltungsbetriebe haben längere Zeit durchaus hohe Gewinne erzielt, während Kleinbetriebe beispielsweise durch Direktvermarktung nur eine Chance in Nischenmärkten haben. Seit 2020 gibt es, unter anderem bedingt durch die Afrikanische Schweinepest, Probleme durch die Corona-Pandemie und einen Nachfragerückgang, ein massives und anhaltendes Preistief, das zu verstärkten Betriebsaufgaben führt.

Tierschutz

Das Thema Tierwohl und Tierschutz in der Landwirtschaft nimmt seit vielen Jahren an Bedeutung zu. 2015 sprach sich der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in einem Gutachten vor allem aus Tierschutzgründen für eine umfassende Transformation des Sektors aus. In der konventionellen Haltung von allen Nutztierarten gibt es erhebliche Defizite in den Bereichen Tierwohl und Tierschutz. Diese reichen von Einschränkungen der natürlichen Verhaltensweisen der Tiere etwa durch mangelnden Auslauf und Bewegungsmöglichkeiten über Tiergesundheitsprobleme wie zum Beispiel Lahmheit durch Zucht, Haltungsbedingungen und Management bis hin zu Amputationen am Tier wie das Enthornen bei Rindern, das Schwänzekupieren bei Schweinen oder das Schnabelkürzen bei der Pute. In westlichen Gesellschaften wandelt sich das Mensch-Tier-Verhältnis, und damit steigen auch die Ansprüche an einen ethisch korrekten Umgang mit Tieren. Viele Menschen vertreten heute eine ethische Position, nach der die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Tiere stärker berücksichtigt werden und Tiere vor ihrer Schlachtung ein "gutes Leben" geführt haben sollten.

Handlungspfade der Transformation

Die Fokussierung der gesamten Wertschöpfungskette der Fleischwirtschaft auf kostengünstige Produktion von Standarderzeugnissen über Jahrzehnte hat die Kultur der Branche geprägt. Innovatoren in Nischen hatten wenig Chancen. Allerdings treten die Grenzen der kostenorientierten Wettbewerbsstrategie für die deutsche Fleischwirtschaft in jüngster Zeit deutlich hervor.

Auf Druck der EU-Kommission und des Europäischen Gerichtshofes war Deutschland gezwungen, die Düngemittelgesetzgebung zu verschärfen. Dies zwingt die landwirtschaftlichen Betriebe in den Kernregionen der Tierproduktion, die Exkremente in Ackerbauregionen zu transportieren, wo sie sinnvoll als Düngemittel eingesetzt werden können. Der Transport ist aber bei Schweinegülle aufgrund des hohen Wasseranteils aufwendig und verteuert die Tierhaltung im Vergleich zu anderen europäischen Regionen wie Spanien und Polen, die derzeit ihre Tierhaltung ausbauen. Die Kosten der Tierhaltung steigen zudem durch verschärfte Tierschutzauflagen. Auch hier waren es mehrfach die Gerichte, die Änderungen erzwungen haben. So ordnete das Oberlandesgericht Magdeburg eine Verbreiterung der sogenannten Kastenstände in der Schweinehaltung an, in denen die Tiere beim Hinlegen ihre Beine nicht ausstrecken konnten. 2020 wurde ein Verbot der Kastenstände mit einer Übergangsfrist von acht Jahren gesetzlich beschlossen. Schließlich führt der neu eingeführte Mindestlohn dazu, dass die Arbeitskräfte in den großen Tierhaltungsanlagen besser bezahlt werden müssen und die Produktionskosten somit steigen.

Die relative Kostenposition der deutschen Schlachtunternehmen hat sich mit dem Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen in der Fleischindustrie 2020 ebenfalls erheblich verschlechtert. Insgesamt verliert damit die Schweinehaltung derzeit rasant gegenüber Ländern wie Polen und Spanien und perspektivisch auch gegenüber Russland und China an Wettbewerbsfähigkeit im Markt für Standardprodukte. Ähnlich ergeht es der Geflügelwirtschaft. Hier sind Länder wie Brasilien und Thailand Konkurrenten, die bereits jetzt wesentlich günstiger produzieren. Importzölle der EU verhindern hier derzeit noch stärkere Marktanteilsverluste.

Schließlich verändert sich die Konsumhöhe tierischer Produkte. Während der Geflügelkonsum aufgrund von Gesundheitsvorteilen, Preisgünstigkeit und Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur etwa mit Blick auf religiöse Präferenzen stabil bleibt, sinkt insbesondere der für Deutschland lange Zeit charakteristische hohe Schweinefleischverzehr. In bestimmten Altersgruppen und sozialen Milieus nimmt der Flexitarier:innen-, Vegetarier:innen- und Veganer:innenanteil zu. Viele Menschen entscheiden sich für einen reduzierten Fleischkonsum und essen seltener, dann aber nachhaltigeres Fleisch (Less-but-better-Strategie). Bei jungen Menschen ist der Vegetarier:innenanteil doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Begleitet und angefeuert wird der sinkende Fleischkonsum durch die starken Entwicklungen und Innovationen im Bereich der Fleischersatzprodukte. 2019/20 stieg innerhalb eines Jahres die Produktion von Fleischersatzprodukten in Deutschland um knapp 39 Prozent, obwohl diese Ersatzprodukte derzeit noch relativ teuer sind. Langfristig werden sie günstiger als Fleisch werden, denn pflanzliches Fett kostet nur rund ein Drittel im Vergleich zu tierischem Fett. Perspektivisch könnte auch In-vitro-Fleisch, also im Labor erzeugtes Fleisch, einen Teil des Marktes übernehmen, wenn hier aufgrund der enormen globalen Risikokapital-Investitionen technologische Durchbrüche gelingen.

Ökonomisch stellen diese Entwicklungen eine massive Herausforderung für die Fleischwirtschaft dar. Tierische Erzeugnisse stehen für mehr als die Hälfte der Wertschöpfung in der Landwirtschaft und in der Ernährungsindustrie. Für Schlachtunternehmen ist neben der Betriebsgröße der Auslastungsgrad der zweite zentrale Kostentreiber. Kommt es zu einer Reduktion der Tierzahlen, dann wird es einen starken Verdrängungswettbewerb auf der Schlachtseite geben, mit entsprechendem Preisdruck auf die landwirtschaftliche Seite. In jüngster Zeit zeigen sich erste Vorboten einer solchen Entwicklung – stark gepusht durch die von der Corona-Pandemie verursachte Kaufzurückhaltung sowie die Afrikanische Schweinepest und die damit einhergehenden Exportverbote in viele Länder. Die bei Schweinefleisch immer wieder periodisch schwankenden Preise ("Schweinepreiszyklus") haben 2021 eine bisher unbekannte lange Tiefpreisphase erlebt. Gekoppelt mit laufenden Tierschutzdiskussionen hat dies eine tiefe Verunsicherung über die Zukunftsperspektiven der gesamten Branche ausgelöst. Eine Folge sind die Treckerproteste der Landwirt:innen und auf politischer Ebene die Einrichtung einer Zukunftskommission Landwirtschaft.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft, ein vom Bundeskabinett einberufenes Multi-Stakeholder-Gremium, hat in ihrem einstimmigen Beschluss eine tiefgreifende Transformation der Agrarwirtschaft und insbesondere der Tierhaltung angemahnt. Sie nimmt dabei Bezug auf einen vorhergehenden, ebenfalls fast einstimmig gefassten Beschluss einer weiteren Regierungskommission, des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung. Diese hat einen umfassenden Umbau der Tierhaltung in Deutschland bis zum Jahr 2040 vorgeschlagen, in dessen Zuge Außenklima- und Auslaufhaltung von Tieren zum Standard werden sollen.

Eine wesentliche Besonderheit dieser politischen Vorschläge liegt in der Erkenntnis, dass der Markt allein eine Transformation zu einer nachhaltigeren Tierhaltung nicht bewerkstelligen kann. Nach mehr als zehnjähriger Diskussion über Tierschutzlabel liegt der Marktanteil von Biofleisch bei Schweinen und Geflügel bei rund zwei Prozent, und ein staatliches Tierschutzlabel ist nach wie vor nicht umgesetzt. Wie in anderen Sektoren wie etwa Energie und Mobilität auch, zeigt sich, dass die Nachhaltigkeitstransformation politisch initiiert werden muss. Auch wenn sich die Werte und Einstellungen der Menschen gegenüber der Tierhaltung massiv verändert haben, bleibt doch eine tiefe Lücke zwischen Bürger:innen-Einstellungen und Verbraucher:innen-Verhalten beim Einkauf.

Trockenwürste in einer Metzgerei. (© laif /Markus Kirchgessner)

Eine Politik zur Transformation der Tierhaltung kann allerdings nicht allein auf der Angebotsseite, also bei der Landwirtschaft, ansetzen. Steigende Auflagen würden bei offenen Märkten zu einer Abwanderung der Produktion ins Ausland führen, ohne dass damit ein Mehr an Tier- oder Klimaschutz verbunden wäre. Ökonomisch betrachtet, ist das Klima ein globales öffentliches Gut, dessen Schutz nur durch eine Reduktion des Konsums tierischer Erzeugnisse, nicht aber durch eine Reduktion der Produktion in einzelnen Ländern erreicht werden kann. Beim Tierschutz geht es deshalb um Verbesserungen in der Haltung in Deutschland beziehungsweise der EU, ohne dass es zu einer Abwanderung in Länder mit niedrigeren Standards kommt und Fleisch dann importiert wird.

Der Vorschlag der Zukunftskommission Landwirtschaft und des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung besteht deshalb im Kern aus drei Elementen: erstens einer klaren Zielvorgabe für neue tierfreundliche Haltungssysteme, deren Umsetzung aufgrund der kleinbetrieblichen Strukturen in der Landwirtschaft einige Jahre in Anspruch nehmen muss; zweitens einer Verteuerung des Konsums tierischer Erzeugnisse durch eine spezifische Tierschutzabgabe in Höhe von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch, die die Käufer:innen zahlen. Drittens sollen die Mittel aus dieser Tierschutzabgabe zielgerichtet zur Finanzierung von Tierschutzinvestitionen und der laufenden Mehrkosten einer tierfreundlichen Haltung eingesetzt werden, da diese Kosten nach allen Erfahrungen nur zu einem kleinen Teil durch ein Tierschutzlabel am Markt erlöst werden können.

Politisch interessant sind die Wirkungen dieser vom Bundestag mehrheitlich und vom Bundesrat sogar einstimmig gestützten Empfehlungen auf den Markt: Die Handelsunternehmen Aldi, Rewe und Lidl/Kaufland haben im Sommer 2021 ihrerseits eine Umsetzung der Tierschutzvorgaben mit einem ambitionierteren Zeitplan angekündigt. Bis 2030 soll Frischfleisch nur noch aus tierfreundlicheren Ställen stammen. Mit dieser öffentlichen Selbstverpflichtung zur Auslistung von Standardware haben die Lebensmittelhändler den Druck auf die Branche und die Politik verstärkt.

Die Tierhaltung ist damit ein Bestandteil der "Großen Transformation" zu mehr Nachhaltigkeit. Das durch Politikversagen unterstützte Sondermodell einer Billigfleischproduktion im Hochlohnland Deutschland erodiert bereits jetzt. Inwieweit die Transformation der Fleischwirtschaft durch eine kluge politische Regulierung im Zusammenspiel mit zukunftsgerichteten Impulsen marktmächtiger ökonomischer Akteure gelingt, kann zurzeit noch nicht abgeschätzt werden. Die Governance-Herausforderungen sind erheblich.

Weitere Inhalte

ist Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Georg-August-Universität Göttingen.
E-Mail Link: a.spiller@agr.uni-goettingen.de

ist wissenschaftliche Post-Doc-Mitarbeiterin am Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte der Georg-August-Universität Göttingen.
E-Mail Link: gesa.busch@agr.uni-goettingen.de