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Für eine intersektionale Antidiskriminierungspolitik

Maureen Maisha Auma

/ 10 Minuten zu lesen

Die Debatte über die ersatzlose Streichung, Ersetzung beziehungsweise Umformulierung oder unveränderte Beibehaltung des Begriffs "Rasse" in Artikel 3 des Grundgesetzes wird seit etwa einem Jahrzehnt und in Teilen sehr kontrovers geführt. Unabhängig von dem Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist es für eine plurale, gleichstellungsorientierte Gesellschaft wichtig, sich öffentlich mit dem Verhältnis des Staates und seiner Institutionen zu seinen hyperdiversen Bürger*innen zu befassen. Das Grundgesetz gilt als verlässlicher Kompass, der die Rechte und Pflichten von Bürger*innen definiert, ihre Gleichheit rechtlich festschreibt und ihnen Sicherheit garantiert.

Das in Artikel 3 verbriefte Diskriminierungsverbot ist ein umfassendes Verbot sowohl der Besserstellung als auch der Benachteiligung. Es ist keine abstrakte Größe. Seine entscheidende Funktion besteht darin, anzuerkennen, dass Deutschland historisch mit seiner rassistischen Vernichtungspolitik die Würde von mehreren Bevölkerungsgruppen schwer missachtet und verletzt hat. Das Verbot ist eine angemessene Reaktion auf die wiederholt aufflammende Realität von Unterwerfung und Dehumanisierung, die in den schlimmsten Fällen zur Vernichtung des Lebens von "als zu niedriger positionierten Rassen zugehörig" abgestempelten Menschen, ihren Familien, ganzen sozialen Gruppen und Communities oder sogar Gesellschaften führen können. Was bewirkt angesichts dieser historisch geformten Gesellschaftsverhältnisse eine Streichung oder Umformulierung des verfassungsrechtlichen Begriffs "Rasse"?

Das alte Dilemma von Gleichheit oder Differenz

Für die Umsetzung von Antidiskriminierungspolitiken sind gleichstellungsorientierte Akteur*innen zentral. Sie leisten durch ihr Engagement wesentliche Beiträge zur Realisierung eines aktiven Diskriminierungsschutzes und sind in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten verankert – sei es sozioökonomisch, parteipolitisch, religiös oder disziplinär-fachlich. In der Zielsetzung, Gleichberechtigung herzustellen und vor gleichheitswidriger Behandlung zu schützen, sind sie sich häufig einig. Bei der Frage, wie das Ziel erreicht werden soll, stehen sich ihre Positionen allerdings in entscheidenden Punkten teils unversöhnlich gegenüber. Die Ambivalenz, alle Menschen als gleichwertig zu betrachten, sie gleich zu behandeln und ihnen Rechtsgleichheit zuzusichern, während gleichzeitig Differenzen, Ungleichheiten und soziale Hierarchien hartnäckig weiterwirken, ist Kern dieser Kontroverse, was im Folgenden an drei Zitaten verdeutlicht werden soll:

  1. "Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen."

  2. "Gibt es in deinem Kindergarten auch Ausländer?" – "Nein, da sind Kinder."

  3. "Und dennoch tötet Rassismus mit erstaunlicher Regelmäßigkeit … #BlackLivesMatter"

Die ersten beiden Zitate machen die Gleichheitsperspektive stark. Gleichberechtigung soll erreicht werden, indem auf universell geltende Prinzipien der Menschenrechte, der Menschlichkeit und der Egalität verwiesen wird. Die Kraft dieser Perspektive liegt in der Stärkung des philosophischen Prinzips der Freiheit zur Selbstbestimmung und des Rechts auf Selbstverwirklichung, unabhängig etwa von der jeweiligen sozialen Lage oder körperlichen Verfassung. Die Grenze dieses Ansatzes zeigt sich in seinem programmatischen und proklamativen Charakter. Er scheitert regelmäßig in der Praxis. Es ist viel leichter, von Universalität und gleicher Würde zu sprechen, als konsequent danach zu handeln. So bröckelt beispielsweise die Anzahl von Bürger*innen, die auf Egalität im Geschlechterverhältnis pochen, massiv, sobald es darum geht, einen konkreten Beitrag zum Abtragen jener Barrieren zu leisten, die mit der geschlechterhierarchischen Anordnung von Gesellschaft – nicht zuletzt aufgrund der Ambivalenz zwischen Reden und Handeln – hartnäckig weiter bestehen.

Das dritte Zitat richtet den Fokus explizit auf die Wirksamkeit rassistisch geprägter Exklusion. Gleichberechtigung soll in der Differenzperspektive erreicht werden, indem auf marginalisierte Lebenswirklichkeiten aufmerksam gemacht wird. Die Kraft dieses Ansatzes liegt in der öffentlichen Sichtbarmachung der Weltauslegungen, den Perspektiven von rassistisch marginalisierten Gruppen auf ihre Diskriminierungsrealität und dem Fokus auf die daraus gewonnene soziale Resilienz und eigene Lösungsansätze. Mit diesem Ansatz sollen konkrete Verpflichtungen durchgesetzt werden, um die bestehenden Barrieren nach und nach zu beseitigen. Das Dilemma dabei ist, dass die Ungleichheits- und Differenzverhältnisse, die beendet werden sollen, durch die Nutzung der etablierten Kategorien der Grenzziehung verstärkt und festgezurrt werden.

Von Vertreter*innen der Gleichheitsperspektive wird zumeist die Streichung des Rassebegriffs im Grundgesetz befürwortet. Das Aufzählen von Besonderheiten sei überflüssig, da alle Menschen gleich seien. Je schneller Menschen sich davon verabschieden würden, auf Unterscheidungen zu beharren, sie aufzurufen oder anzusprechen, desto schneller werde sich, so die Argumentation, Gleichberechtigung etablieren können. Vertreter*innen der Differenzperspektive streben dagegen meist die Umformulierung des Begriffs an, damit die Realität der zugeschriebenen Differenzen und die damit verknüpften, unterschiedlich verteilten Diskriminierungsrisiken formal und institutionell anerkannt bleiben. Ihre Befürchtung ist, dass ein bereits erreichtes Problembewusstsein aufgegeben wird, wenn das spezifische und sichtbare Schutzmerkmal, das mit dem Rassebegriff angesprochen wird, ersatzlos wegfällt. Die durch rassistische Marginalisierung verursachten Wunden sollen ansprechbar und thematisierbar bleiben.

Neben der Gleichheits- und der Differenzperspektive gibt es auch eine dritte Position. Ihre Befürworter*innen plädieren dafür, den Rechtsbegriff der "Rasse" unverändert im Grundgesetz zu behalten, und argumentieren vorwiegend auf der Grundlage rechtswissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie befürchten eine Schwächung des Antidiskriminierungsrechts und kritisieren, dass "Rasse" nicht als vielschichtiger Begriff wahrgenommen, sondern mit dem Unrechtsbegriff der Nürnberger Rassengesetze gleichgesetzt werde. "Rasse" sei jedoch als Rechtsbegriff analytisch und bewegungspolitisch in einen transnationalen Bedeutungskontext eingebettet und in der Mehrzahl geltender europäischer und transnational gültiger Rechtstexte, Abkommen und Bestimmungen in vielfältiger Form verankert. Zudem verweise er zugleich auf erinnerungspolitische Bedeutungslinien und wirke als Analysekategorie der intersektional-rassismuskritischen Forschung. Hinsichtlich seines sozialen Konstruktionscharakters sei er letztlich mit "Geschlecht" vergleichbar, beides gelte es zu hinterfragen und zu modifizieren.

Auswirkungen einer Grundgesetzänderung

Zur Halbzeit der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015–2024) ist es geboten, mit Blick auf eine der vier im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus von 2017 genannten mehrfachvulnerablen, rassistisch marginalisierten Gruppen nach der Wirkung einer etwaigen Grundgesetzänderung zu fragen. Für die Gleichstellung von Menschen afrikanischer Herkunft und für den Abbau von Anti-Schwarzen-Rassismus ist eine explizite Benennung rassistischer Diskriminierung grundlegend. So ist es im Sinne einer erinnerungspolitischen Perspektivierung notwendig, die soziohistorische Dimension von staatspolitischem und institutionellem Kolonialismus konsequent einzubeziehen. Dies kann etwa am Beispiel der sogenannten Kongokonferenz geschehen, bei der 1884/85 in Berlin ohne afrikanische Beteiligung unter anderem über die Frage nach einem formalisierten Verfahren für die Gebietsansprüche europäischer Kolonialmächte diskutiert wurde. Und mit Blick auf die anhaltende Wirksamkeit von Formen der institutionellen Dehumanisierung Schwarzer Menschen, die sich etwa im "Racial Profiling" und in Todesfällen Schwarzer Bürger*innen durch die Anwendung überproportionaler Gewalt widerspiegelt, muss Rassismus als Realität konsequent berücksichtigt werden.

Eine ersatzlose Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz hätte daher folgenreiche Effekte. Dies würde sowohl den historischen als auch den gegenwärtigen Kontext rassistischer Diskriminierung verkennen und unter anderem den Schutz vor rassistischer Hasskriminalität und institutionalisierten Ungerechtigkeiten wie "Racial Profiling" schwächen. Diskriminierungsrechtliche Argumente würden an Gewicht verlieren. Der größere Anteil gleichstellungsorientierter Akteur*innen plädiert daher für verschiedene Umgangsweisen beziehungsweise Modelle. Ein prominenter Vorschlag darunter ist, anstatt von "Rasse" von "Ethnizität" zu sprechen. Aus intersektional-rassismuskritischer Perspektive käme dies einer Schwächung der Schutzkonzeption gleich. "Ethnizität" gehört zu den weniger machtkritischen Konzeptionen. Der Ausbeutungscharakter rassistischer Hierarchisierung wird dabei aus dem Blick verloren. Ein Ausweichen auf "Ethnizität" führt geradewegs in die "Kulturalisierungsfalle". Rassistische Marginalisierung wird ausgeblendet, indem kulturelle Verhältnisse als das neue "Schlachtfeld" für Differenzen betrachtet werden. Dabei werden Kulturen bevorzugt, indem sie mit einem Set von positiven Eigenschaften wie "fortschrittlich" oder "demokratisch" versehen werden, während als "different" gesetzte Kulturen implizit benachteiligt werden, indem sie mit einem Set von negativen Eigenschaften wie "statisch","religös" oder "undemokratisch" in Verbindung gebracht werden.

Ein Ausweichen auf den Begriff "Hautfarbe" ist ebenfalls problematisch. Diese Bezeichnung ist machtkritisch unterkomplex und biologistisch. Sie normalisiert im Wesentlichen die Reproduktion einer rassistisch geprägten Körperpolitik und suggeriert, dass es rassistisch verfasste Barrieren und rassistische Diskriminierung deshalb gäbe, weil Menschen unterschiedliche Hautfarben haben. Rassismus besteht aber nicht aufgrund von "Hautfarbe", sondern aufgrund einer ausbeuterischen Ordnung.

Kompromisse und Überarbeitungsbedarfe

Wie kommen wir dem Ziel näher, rassistische Bevorzugungen und Benachteiligungen zu benennen, zu verhindern und antidiskriminierungsrechtlich zu bekämpfen? Resümierend sei der pragmatische Hinweis gestattet, dass die Lösung nicht perfekt und auch nicht für alle Zeiten sein muss. Schließlich funktioniert das Grundgesetz innerhalb eines Spektrums transnationaler Gesetze, Abkommen, Menschenrechtsdokumente und Richtlinien, die rassistische Diskriminierung und Marginalisierung je nach Konstellation sprachlich variabel verhandeln. Die unterschiedlichen Modelle, die im deutschen und europäischen Rechtsraum im Gespräch sind oder bereits praktiziert werden, ersetzen "Rasse" mit "rassistischer Diskriminierung" oder "Diskriminierung aus rassistischen Gründen". Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetzes ersetzte den Begriff "Rasse" mit "rassistischer Zuschreibung", ein belgisches Modell mit "angeblicher Rasse", ein französisches – bevor diese Begriffe 2018 schließlich gestrichen wurden – mit "tatsächliche[r] oder vermutete[r] Rasse".

Im Rahmen dieses Beitrags löse ich ganz bewusst die (Um-)Formulierungsaufgabe nicht, sondern möchte stattdessen meinen Beitrag mit einem Plädoyer für eine intersektional-rassismuskritische Stärkung des Grundgesetzes schließen: Es gibt weiteren Überarbeitungsbedarf als nur an der Begrifflichkeit "Rasse". Erfreulicherweise gibt es auf parlamentarischer Ebene bereits Initiativen, die sich dafür einsetzen, "sexuelle Orientierung" als diskriminierungsrelevantes Schutzmerkmal in das Grundgesetz aufzunehmen. Weiterer Überarbeitungsbedarf besteht hinsichtlich der fehlenden gendergerechten und inklusiven Sprache. Und schließlich plädieren gleichstellungsorientierte Akteur*innen für die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals "divers" beziehungsweise "Geschlechtsidentität" in einer gegenwartsbezogenen Verfassung, die ihrer hyperdiversen Bürger*innenschaft gerecht zu werden vermag. Hintergrund ist dabei auch der Versuch, einen produktiven Umgang mit dem Dilemma zwischen Gleichheits- und Differenzstrategien zu erreichen. Dabei geht es im Kern um die Herstellung von Gleichheit unter Beachtung von Differenz, ohne eine der Positionen überzubetonen.

Ein Lösungsansatz könnte darin bestehen, drei Gerechtigkeitsparadigmen gleichzeitig zu realisieren. Zusätzlich zu den bereits diskutierten Gleichheits- und Differenzperspektiven schlagen die Sozialwissenschaftlerin Gudrun-Axeli Knapp und die Erziehungswissenschaftlerin Mai-Anh Boger eine "Dekonstruktionsphilosophie" als eine Art Scharnierstelle vor. Dies zielt darauf ab, mit "Gleichheit", "Differenz" und "Dekonstruktion" drei Perspektiven zusammenzudenken, "die sich wechselseitig ergänzen und korrigieren" und so Ungleichheitsverhältnisse in ihrer Tiefenstruktur nachhaltig zu bewegen, um einen effektiven Diskriminierungsschutz zu sichern und zu etablieren.

Für eine zeitgemäße Überarbeitung des Grundgesetzes bedeutet der gleichzeitige Einbezug dieser drei Perspektiven, dass die Realität rassistischer Marginalisierung als Verursacherin von strukturell exkludierenden und eingeengten Chancen sowie eine inkludierende Perspektive im Rechtstext sichtbar verankert müssen – und zwar nicht nur die leere Proklamation, dass alle Menschen gleich seien. Analog zum Bestreben, Geschlechterhierarchien dort, wo sie materiell werden, abzubauen, muss daher festgeschrieben werden, dass rassistisch Marginalisierte durch staatliches Handeln zu Gleichen gemacht werden. Dekonstruktion bedeutet dabei auch, dass die Definitionsmacht des Rechtstextes selbst durch hyperdiverse Akteur*innen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden muss. Für diese Vision einer Verfassung, die reflexiv angelegt ist und die Instrumente ihrer eigenen demokratischen Überarbeitung bereitstellt, lohnt es sich tatsächlich, zu streiten.

ist Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Gastprofessorin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin. E-Mail Link: maisha.auma@web.de