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Eine Stimme für Europa

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Die Wahl zum Europäischen Parlament löst bei den Menschen kaum Begeisterung aus. In 14 Ländern soll eine elektronische Entscheidungshilfe die Abstimmung nun attraktiver machen. Für die Macher des "VoteMatch" ist das eine echte Herausforderung, denn die Meinungsvielfalt ist gewaltig.

Votematch: Logo (© Votematch)

Die Demokratie ist ein anstrengendes Geschäft. Sie verlangt Interesse an Politik und Parteien, eine Bereitschaft zur Debatte und den Mut zur Position. Doch wer hat schon Zeit und Muße, sich vor einer Wahl durch das Dickicht von oft wenig bürgernah formulierten Programmen zu kämpfen, um für sich die richtige Partei zu finden? Seit 2002 bietet die Bundeszentrale für politische Bildung eine elektronische Entscheidungshilfe: den Wahl-O-Mat.

Das ursprünglich aus der holländischen Denkschmiede Pro-Demos stammende Tool ist längst auch in Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Bei der Bundestagswahl 2013 wurde der Wahl-O-Mat mehr als 13 Millionen Mal genutzt, beinahe doppelt soviel wie noch 2009, als bis zum Wahlsonntag etwa 6,7 Millionen Zugriffe verzeichnet worden waren. Sogar der Duden hat den Begriff mittlerweile in sein Wörterbuch aufgenommen, mit folgender Beschreibung: "Elektronisches Programm, mit dem man seine Übereinstimmung mit politischen Parteien testen kann."

Auch bei der Europawahl Ende Mai dieses Jahres wird der Wahl-O-Mat zum Einsatz kommen, diesmal in insgesamt 14 Staaten der Europäischen Union (EU), in denen er länderübergreifend "VoteMatch" heißen wird. Der Aufwand, der dafür betrieben werden muss, ist gewaltig, denn das Demokratieverständnis zwischen den einzelnen Ländern schwankt enorm, mancherorts gibt es seitens der Parteien kaum Interesse an einer Zusammenarbeit. Ein Problem jedoch eint alle Nationen: "Es ist schwer, die Menschen für die Europawahl zu begeistern", sagt Pamela Brandt. "Viele Menschen wissen einfach nicht, welche relevanten Entscheidungen in Brüssel und Straßburg getroffen werden."

Die Online-Redakteurin ist gemeinsam mit Martin Hetterich Projektleiterin für den deutschen Wahl-O-Mat. In ihrem Auftrag durchforsten in Köln 20 ausgewählte Jugendliche und Heranwachsende zwischen 18 und 26 Jahren gemeinsam mit einem zehnköpfigen Team aus Politikwissenschaftlern, Statistikern und Experten der bpb die Wahlprogramme der Parteien. Zu verschiedenen Themengebieten werden dann Statements formuliert, die den Parteien zugeschickt und von diesen wiederum bejaht oder verneint werden. Am Ende stehen im Wahl-O-Mat 38 Thesen zur Verfügung, mit denen der Nutzer seine Positionen mit denen der Parteien abgleichen kann. 15 dieser Thesen werden gemeinsam mit den europäischen Partnern erarbeitet. Sie beinhalten Themen wie Migration, gemeinsame Außenpolitik, EU-Austritt und EU-Erweiterung. Nach der Benutzung des deutschen Wahl-O-Mat hat der User so zusätzlich die Möglichkeit, über eine Europakarte seine Meinungen mit den Positionen von Parteien in anderen Ländern zu vergleichen. "Auf diese Weise wollen wir den Leuten zeigen, dass das Bilden einer europäischen Fraktion mitunter sehr schwierig sein kann", erklärt Brandt. "Denn nicht in allen Ländern ist beispielsweise die Christdemokratie gleichermaßen konservativ. Die Unterschiede sind oft überraschend." Um einen Eindruck von der oft schwierigen Arbeit am VoteMatch in anderen Ländern zu vermitteln, soll ein Blick ins Ausland geworfen werden.

Bulgarien

In Bulgarien macht es die Politik den VoteMatch-Verantwortlichen nicht gerade einfach. Zu den Parlamentswahlen 2013 waren 42 Parteien zugelassen. "In unserem Land ein VoteMatch umzusetzen, ist eine echte Herausforderung und manchmal sehr frustrierend", sagt Projektleiter Georgy Ganev vom "Centre for Liberal Strategies" in Sofia, das das Tool erstmals 2005 zum Einsatz brachte. Auch bei der Europawahl bietet sich den Machern eine unübersichtliche Gemengelage. Neben den etablierten Parteien versuchen dubiose Oligarchen, anti-russische Bewegungen, Faschisten und diverse Splitterparteien einen Platz im EU-Parlament zu ergattern. Geeignete Thesen herauszuarbeiten ist für Garnev und seine vier Kollegen gar nicht so einfach. Reaktionen auf seine Anfragen gebe es kaum. "Das größte Problem aber ist, dass die Parteien eigentlich gar keine Programme haben. Der Wahlkampf wird rein emotional und populistisch geführt", erklärt der Politikwissenschaftler. Ein zentrales Thema sei zweifelsohne die Zuwanderung aus dem Nahen Osten, insbesondere aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Aber auch der EU Beitritt der Türkei, die Bankenkontrolle und die Währungsunion werden auf nationaler Ebene vermutlich eine bedeutende Rolle spielen.

Spanien

Die Wirtschaftskrise innerhalb der EU hat Spanien besonders hart getroffen. Obwohl sich die Lage allmählich zu entspannen beginnt, leidet das Land noch immer unter einer gewaltigen Jugendarbeitslosigkeit. Viele Betroffene erhoffen sich anderswo eine bessere Zukunft und haben das Land verlassen. "Die Krise ist natürlich das beherrschende Thema bei der EU-Wahl", sagt Cinthya Uribe, die im Auftrag der Organisation "elecciones.es" den VoteMatch in Spanien federführend realisiert. "Wir haben hier weniger das Problem, dass sich die Menschen nicht für Europa interessieren", sagt die Journalistin, die nebenbei ihre Doktorarbeit über das Wahlwerkzeug verfasst. "Ganz im Gegenteil. Die Spanier spüren die Entscheidungen, die in Brüssel gefällt werden, in ihrem täglichen Leben." Doch im Fokus stehen nicht nur die Bankenaufsicht und der europäische Fiskalpakt. Eine mögliche Unabhängigkeit Kataloniens, ein verschärftes Abtreibungsrecht, die Erhöhung des Rentenalters und der Arbeitszeit sowie der Flüchtlingsstrom aus Afrika werden voraussichtlich ebenfalls im VoteMatch vorkommen. Um mehr Aufmerksamkeit zu erreichen, haben sich die Verantwortlichen für die Europawahl etwas Besonderes ausgedacht: "Wir haben beschlossen, das Tool optisch aufzuwerten. Es soll ähnlich wie ein Videospiel funktionieren", sagt Projektleiterin Uribe. Skeptiker hielten das neue Erscheinungsbild zwar für unseriös, erzählt sie. "Aber damit können wir leben. Wichtig ist, dass wir politisches Interesse wecken."

Großbritannien

Das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU ist bekanntermaßen schwierig. Immer wieder wird auf der Insel heftig über den Austritt aus dem Bündnis debattiert. "Eine Europawahl, bei der nicht über den Austritt geredet wird, ist bei uns eigentlich nicht denkbar", sagt Alexandra Brunswick von "Unlock Democracy", die sich um den britischen VoteMatch kümmert. "Es ist im Grunde unser zentrales Thema. Für die meisten Briten ist die EU ein bürokratisches Monstrum, das Unmengen Geld verschlingt, aber dem Land keine sichtbaren Vorteile verschafft.“ Mit insgesamt 30 Thesen werden Runswick und ihre beiden Kollegen den VoteMatch am Ende gefüttert haben. Anders als etwa in Bulgarien zeigen sich die Parteien durchaus kooperativ, "obwohl sie manchmal den Nutzen des Tools für ihre eigenen Interessen nicht sehen". Wie in vielen anderen Ländern wird auch in Großbritannien bei der Europawahl die Zuwanderung ein großes Thema sein. Allerdings geht es hier nicht um Flüchtlinge aus Afrika oder Syrien, sondern um Einwanderer aus anderen EU-Staaten wie Rumänien, Polen und Bulgarien. Aber auch über die Positionen zur Gesundheits- und Bildungspolitik werden sich die britischen VoteMatch-Nutzer informieren können. "Und natürlich Hochwasserschutz", betont Runswick. "Immerhin sind wir ein Flecken Erde, der vom Wasser umzingelt ist."

Der Text erschien zuerst im Interner Link: bpb:magazin 1/2014

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