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Wie rechtspopulistisch wählt Europa? Teil 2 | Themen | bpb.de

Wie rechtspopulistisch wählt Europa? Teil 2

Die niedrige Wahlbeteiligung bei Europawahlen helfe Rechtspopulisten, sagt Tim Spier, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen. Hinzu komme, dass es relativ einfach sei, Europa als Feindbild zu zeichnen. Bei den etablierten Parteien könne man drei Strategien unterscheiden, mit denen diese auf Rechtspopulisten reagieren.

QuellentextWie rechtspopulistisch wählt Europa? Interview mit Prof. Dr. Tim Spier, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen.

Teil 2

Begünstigt die vermeintlich zweitrangige Europawahl die Neigung, Rechtspopulisten zu wählen?

In der Tat sind Europawahlen – so genannte second order elections, wie die Politikwissenschaftler sagen, also zweitrangige Wahlen – und zwar in mehrerlei Hinsicht zweitrangig. Schon in der Sicht der Wähler, weil sie sich offensichtlich weniger beteiligen. Und da ist ein Element gegeben, dass Rechtspopulisten tatsächlich hilft, weil eine niedrige Wahlbeteiligung dazu führt, dass bestimmte Wählersegmente, wenn sie mobilisiert werden, direkt durchschlagen können auf das Wahlergebnis. Und es kommt natürlich noch hinzu, dass die Europäische Union ein gutes Feindbild ist, weil niemand so genau weiß, was in Brüssel, so heißt es ja immer so schön, tatsächlich vorgeht. Das sind reale Probleme: Intransparenz in den Entscheidungen der Europäischen Union, ein ohnmächtiges Parlament, das wenige Mitspracherechte hat und gleichzeitig ein großer Einfluss der Nationalstaaten, die unter der Hand sozusagen vieles regeln und auch unliebsame Entscheidungen abschieben auf die Europäische Union. Das macht es natürlich relativ einfach, Europa als Feindbild zu sehen. Aber es ist nicht das einzige Feindbild. Das heißt: Wir werden auch die Rechtspopulisten sehen, dass sie ihre typischen Themen wie ausländerfeindliche Agitation an den Tag legen.

Mobilisieren rechtspopulistische Parteien Wähler, die sonst zu Hause geblieben wären?

Sie wählen in der Tat mit ihrer Stimme eine rechtspopulistische Partei, die bestimmte Versprechungen macht. Und man muss natürlich dazu sagen, das sind größtenteils Wählergruppen, die ansonsten vielleicht gar nicht zur Wahl gehen würden. Das heißt: Was man schafft, wenn nicht nur rechtspopulistische Bewegungen aufkommen, sondern allgemein populistische Bewegungen, dass nämlich die Wahlbeteiligung hochgeht. Das werden wir vielleicht auch bei den Europawahlen sehen. Das ist schon auch eine wichtige Geschichte, dass man ein Sprachrohr für bestimmte gesellschaftliche Gruppen bekommt. Allerdings ist es problematisch, dass diese populistischen Versprechungen gar nicht eingehalten werden können. Das ist fast ausgeschlossen, diese einfachen Lösungen für komplexe politische Probleme einzulösen. Das kann natürlich wiederum zu Enttäuschung führen, wenn sich die Rechtspopulisten dann einmal beweisen müssen. Das sieht man auch in vielen europäischen Staaten, wo Rechtspopulisten an der Macht beteiligt wurden: Da sind sie fast immer bei der nächsten Wahl deutlich abgestraft worden. Da sind dann die Wähler dieser Parteien zu Hause geblieben und gar nicht erst zur Wahl gegangen.

In der Schweiz vermutet man nicht so viele "Modernisierungsverlierer". Trotzdem hat die Bevölkerung in einer Volksabstimmung kürzlich für eine Begrenzung der Zuwanderung gestimmt.

Ich glaube, die Schweiz ist sogar ein ganz gutes Beispiel, wie dieses Prinzip des Modernisierungsverlierers funktioniert. Denn es kommt gar nicht so sehr darauf an, ob die absolute Zahl der sozial Benachteiligten besonders hoch ist, soziale Benachteiligung wird immer relativ wahrgenommen. Das heißt: Gerade dort, wo man einen hohen Wohlstand hat, wird ein Minimum an sozialer Beteiligung, eines sozialen Einschlusses, schon als ein Problem wahrgenommen. Rechtspopulisten sind gerade erfolgreich in den Ländern, wo wir einen großen Reichtum haben: Die skandinavischen Länder zum Beispiel, Norwegen, Dänemark, beides keine armen Länder. Die Niederlande, auch nicht gerade arm. Österreich, Schweiz, alles keine besonders armen Länder, gerade im Vergleich zu den Staaten Portugal, Spanien, Italien oder Griechenland, wo wir tatsächlich auch absolute Armut in hohem Maße haben. Und insofern glaube ich, dass gerade in den reichen Staaten die Zahl derjenigen, die sich relativ gesehen sozial benachteiligt sehen, gar nicht so klein ist. Das sieht man auch daran, wer die SVP in der Schweiz beispielsweise wählt: Das sind tatsächlich die "kleinen Leute" in der Schweiz, auch wenn es ihnen wesentlich besser geht als den "kleinen Leuten" in Italien oder in Griechenland.

Und hinzu kommt noch ein zweites Moment, was man als Wohlfahrts-Chauvinismus bezeichnen kann. Eigentlich ist es vor allem dann gegeben, dass man etwas kritisiert, wenn man etwas zu verlieren hat. Das heißt: Jemand, der schon am Boden liegt, beschwert sich nicht so stark wie derjenige, der befürchtet, dass er etwas zu verlieren hat. Und dieses Moment ist natürlich in der Schweiz und in anderen reicheren europäischen Ländern viel stärker gegeben als in den Staaten, wo es tatsächlich absolut schlecht geht.

Wie reagieren etablierte Parteien typischerweise auf Rechtspopulisten?

Man kann grob, würde ich sagen, drei Reaktionsstrategien unterscheiden. Einerseits kann man sagen, man grenzt sie aus, man versucht einen sogenannten Cordon sanitaire um die Partei zu errichten. Das ist eine Strategie, die kann man gehen, die ist natürlich auch konsequent, wenn man diese Parteien ablehnt . Aber sie ist meistens nicht erfolgreich. Das haben wir in Belgien gesehen: Der Vlaams Blok, der Vlaams Belang heute, wurde immer ausgeschlossen von den anderen etablierten Parteien - und ist immer gewachsen. Es ist also keine Strategie, die bei den Wählern dieser Parteien funktioniert, weil es eigentlich deren Vorurteile bestätigt. Jörg Haider hat immer davon gesprochen, hat auf seinen Plakaten plakatieren lassen: Die sind gegen uns, weil ich für Euch bin. Das ist ganz typisch, alle hätten sich verschworen gegen die Einen, die mal die Wahrheit sprechen. Und das ist dann natürlich keine erfolgreiche Strategie.

Was kann man sonst machen? Man kann natürlich versuchen, sie einzubinden. Das ist eine sehr riskante Strategie. Man hat in verschiedenen nationalen Parlamentswahlen gemerkt, dass dann Regierungen gebildet wurden unter Einschluss oder unter Tolerierung von Rechtspopulisten. Das hat die mögliche Folge, dass sie entzaubert werden, dass sie sich beweisen müssen, dass sie das nicht schaffen und bei der nächsten Wahl verschwinden oder zumindest an Stimmen verlieren. Es ist aber riskant, weil man ihnen tatsächlich einen Einfluss auf die Regierungsgewalt gibt.

Und die andere Sache ist, dass man ihre Themen übernimmt. Und das ist auch eine sehr gefährliche Strategie. Das sieht man gerade bei liberalen und konservativen Parteien, dass sie plötzlich sehr restriktiv in der Migrationspolitik werden. Das bringt die Themen erst auf die Agenda - und Rechtspopulisten sind immer viel erfolgreicher, weil sie es viel radikaler ansprechen als etablierte Parteien. Und deshalb bereitet man ihnen da praktisch den Boden auch ein wenig. Und deswegen ist das auch eine schwierige Strategie.

Und daran sieht man: Alle drei Strategien sind nicht besonders erfolgversprechend. Es ist ein bisschen eine schwierige Situation, in der sich die etablierten Parteien befinden. Und Patentrezepte für alle Länder gibt es nicht.

Fussnoten