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Warum Konsumentscheidungen allein die Umwelt nicht retten | Nachhaltiger Konsum – was bringt es? | bpb.de

Debatte Nachhaltiger Konsum – was bringt es?

Contra Nachhaltiger Konsum

Warum Konsumentscheidungen allein die Umwelt nicht retten

Felix Ekardt

/ 3 Minuten zu lesen

Nachhaltiger Konsum gelingt nicht, wenn immer mehr gekauft wird, nur grüner. Dabei können weder Konsument/-innen noch Politik oder Unternehmen die Umwelt im Alleingang retten – Gesellschaftlicher Wandel gelingt nur im Wechselspiel.

Bio oder konventionell – machen individuelle Konsumentscheidungen wirklich einen Unterschied? (© Bild: sydney Rae on Unsplash)

In Artikel 2 Absatz 1 des Pariser Klima-Abkommens wird die globale Erwärmung rechtsverbindlich für alle Staaten auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt – oder wenn das unmöglich ist, dann deutlich unter 2 Grad, also 1,7-1,8 Grad. Laut Weltklimarat ist eine solche drastische Begrenzung nur machbar, wenn weltweit alle Emissionen in ein bis zwei Jahrzehnten auf null gebracht werden. Gleichzeitig schreibt uns die globale Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen vor, den Artenverlust zu stoppen und umzukehren. Deutschland und die EU sind von beiden Zielen meilenweit entfernt.


Gemessen an diesen kann Nachhaltigkeit nicht allein durch grünere Technik und Produktion erreicht werden, sondern muss auch Verzicht einschließen. Denn versteht man unter nachhaltigem Konsum, dass wie bislang schrittweise immer mehr gekauft wird, nur künftig grüner, wird das nicht ausreichen, um die Umwelt zu retten. Fernreisen oder neue Schuhe für jeden denkbaren Sport brauchte bis vor einiger Zeit eigentlich niemand. Sie dienen primär dazu, um in einer gesättigten westlichen Welt weiterhin Absatz und Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Zumindest in den 1980er Jahren war niemand unglücklich ohne Malaysia-Urlaub oder die passende Sportausrüstung zum Walken.

Es ist jedoch keine Öko-Strategie, Produkte erst neu auf den Markt zu bringen und dann die negativen ökologischen Auswirkungen zu therapieren. Der Langstreckenflug, den man früher wohl gar nicht unternommen hätte, wird nicht dadurch ein Gewinn für die Umwelt, dass die Düsen des Flugzeugs energieeffizienter konstruiert werden – oder der Flug durch eine Externer Link: Ökoabgabe/CO2-Kompensation ausgeglichen wird. Diese Strategie, immer mehr zu konsumieren, nur halt ein bisschen grüner, wird für das Nullemissionen-Ziel des Paris-Abkommens oder zur Förderung der Artenvielfalt schlicht zu wenig sein.

Freiwilligkeit reicht nicht

Versteht man unter nachhaltigem Konsum hingegen, dass freiwillig – neben der Entwicklung besserer Technik wie erneuerbaren Energien oder Ressourceneffizienz – auch verzichtet wird, dann wäre das im Prinzip möglich. Eine solche Freiwilligkeit ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Dafür sind wir alle in unseren täglichen Entscheidungen zu sehr auf die Normalitäten der Vielverbrauchsgesellschaft eingeschliffen. Und Normalitätsvorstellungen ändern sich – wie menschliches Verhalten allgemein – mitnichten nur sehr langsam und schon gar nicht allein durch neues Wissen. Daneben stehen kurzfristiger Eigennutz, Pfadabhängigkeiten (wir haben einen bestimmten Job, Wohnort, Partner etc.), Kollektivgutprobleme (es kann sich nicht jeder sein Stückchen heiles Klima sichern). Aber auch menschliche Emotionen wie Gewohnheit, Verdrängung, Bequemlichkeit und fehlende Dringlichkeitsgefühle bei räumlich wie zeitlich entfernten Problemlagen wie dem Klimawandel stehen unserer Öko-Performance oft im Weg.

Ob nun eher die Konzerne oder die Kund/-innen die Bösen sind, wäre eine Henne-Ei-Diskussion. Die einen gibt es nicht ohne die anderen. Außerdem sind wir alle als Kund/-innen, Arbeitnehmer/-innen und vielleicht noch Aktionär/-innen in Gestalt unseres Pensionsfonds mehr oder minder eng mit den Unternehmen verflochten.

Will man neue Technik wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz schnell in den Markt bringen und will man unser aller Konsumverhalten mitunter auch genügsamer machen, wird neben aller unternehmerischer Kreativität und allem Wandel von unten auch eine striktere Politik nötig sein. Und zwar geographisch und sachlich breit ansetzend, sonst verlagern wir Probleme lediglich in andere Länder oder andere Sektoren. Man muss zum Beispiel den Einsatz fossiler Brennstoffe konsequent einschränken bzw. beenden. Das ist der sachlich breitestmögliche Ansatz – denn die Fossilen sind der Kern des Klimawandels und auch diverser Umweltprobleme, und so können alle Sektoren von Strom über Wärme und Mobilität und Plastik bis hin zu Teilen der Landwirtschaft gleichzeitig adressiert werden. Verknappt man die fossilen Brennstoffe zum Beispiel in der EU in 20 Jahren bis hinunter auf null, entsteht ein Preisdruck, der als mächtiger Anreiz in Richtung erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Genügsamkeit wirkt.

Politiker/-innen und Bürger/-innen hängen jedoch genau wie Kund/-innen und Unternehmen wechselseitig voneinander ab. Eine neue Politik kommt nicht von selbst; denn auch Politiker/-innen werden durch Eigennutzenkalküle, Normalitätsvorstellungen etc. gebremst. Wir – die Bürger/-innen – müssten eine nachhaltigere Politik wählen und diese auf der Straße, in den Parteien und in den Medien lautstark einfordern. Diese würde auch meine individuellen Konsumentscheidungen erleichtern, die wiederum auch politisch wirksam werden können. Sie stecken nämlich andere potenziell an und erhöhen damit den Druck aus der Gesellschaft auf die Politik. Am Ende gelingt gesellschaftlicher Wandel also nur in einem Wechselspiel verschiedener Akteur/-innen. Unser Konsumverhalten und unsere politischen Aktionen sind wichtig – aber nicht allein, sondern im Ping-Pong mit unternehmerischen und politischen Entscheidungen.

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Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und ist Professor an der Uni Rostock. Von ihm erschien im Frühjahr 2017 das Taschenbuch „Wir können uns ändern: Gesellschaftlicher Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution“ bei Oekom.