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Standpunkt: Gegen eine Wahlpflicht | Wahlkabine - Podcast und Blog zur Bundestagswahl 2017 | bpb.de

Standpunkt: Gegen eine Wahlpflicht

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Seit Jahren schon wird über eine Einführung der Wahlpflicht in Deutschland diskutiert. In einigen Ländern ist sie schon umgesetzt. Das Ergebnis ist, wie zu erwarten, eine höhere Wahlbeteiligung. Zu bezweifeln ist jedoch, ob eine höhere Wahlbeteiligung eine bessere Demokratie verspricht.

Prof. Dr. Jürgen Maier leitet das Institut für Politikwissenschaft der Universität Koblenz Landau. (© Universität Koblenz Landau)

Nach Angaben des International Institute for Democracy and Electoral Assistance gilt in 27 Staaten der Erde die Wahlpflicht. Bürger können sich hier nicht aussuchen, ob sie wählen möchten oder nicht – sie müssen es. In manchen dieser Staaten ist die Wahlpflicht zwar formal verankert; Verstöße werden aber nicht verfolgt (z.B. in Griechenland). In anderen Ländern drohen teilweise hohe Strafen (z.B. eine mögliche Haftstrafe in Australien). 172 Staaten – oder 85 Prozent aller Länder – kommen ohne eine entsprechende Regelung aus. Darunter sind zahlreiche Länder, die auf eine lange Tradition als Demokratien zurückblicken können: Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika oder die Schweiz. In diesen drei Ländern fällt die Wahlbeteiligung oftmals deutlich niedriger aus als in Deutschland. An der letzten US-Präsidentschaftswahl beteiligten sich zum Beispiel nur rund 59 Prozent der Wähler. Bei den Nationalratswahlen 2015 gaben weniger als die Hälfte der Schweizer (49,5%) ihre Stimme ab. In diesen Ländern gibt es aktuell keine Hinweise darauf, dass die niedrige Wahlbeteiligung die Arbeit der Verfassungsorgane beeinträchtigt, also dass die niedrige Wahlbeteiligung die Demokratie schwächt.

Eine hohe Wahlbeteiligung kann die Demokratie gefährden

Es spricht sogar einiges dafür, dass eine hohe Wahlbeteiligung, für die man ja durch die Einführung einer Wahlpflicht sorgen würde, die Demokratie beschädigen kann. Das historische Paradebeispiel ist das Ende der Weimarer Republik. Ein sprunghafter Anstieg der Wahlbeteiligung ging einher mit großen Stimmengewinnen für KPD und NSDAP – Parteien also, deren Ziel es unter anderem war, die Demokratie abzuschaffen und durch totalitäre Ordnungssysteme zu ersetzen. Das Ergebnis der Wahlen vom März 1933 ist bekannt und ihre Folgen prägen Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik bis heute. Eine hohe Mobilisierung der Wählerschaft kann also nicht nur Demokraten und politisch Versierte an die Wahlurne bringen, sondern auch Bürger, die anti-demokratische Einstellungen haben oder sich nur wenig für Politik interessieren – und deshalb vielleicht besonders empfänglich wären für populistische Parolen und vermeintlich einfache Lösungen. Die Einführung einer Wahlpflicht würde solche Bürger nicht nur in Krisenzeiten an die Wahlurne führen, sondern dauerhaft mobilisieren.

Es würde vor allem Politikern und Medien nutzen

Die einfache Gleichung „hohe Wahlbeteiligung = gute Wahl, niedrige Wahlbeteiligung = schlechte Wahl“ geht also nicht auf. Ob eine Wahl "gut" oder "schlecht" ist, kann man nur beurteilen, wenn man die Motive der Wähler und der Nichtwähler kennt. Nachdem eine höhere Wahlbeteiligung nicht automatisch eine bessere Demokratie verspricht, ist unklar, welchen Beitrag eine Wahlpflicht genau leisten soll – außer dass die Beteiligungswerte dann einem vor allem von Politikern und Medien geteilten Idealbild der Demokratie nahekommen. Aufgabe von Wahlen ist es aber nicht, politischen Entscheidungsträgern ein gutes Gefühl zu geben. Nüchtern betrachtet reduziert sich die Funktion von Wahlen auf das Bestellen einer handlungsfähigen Regierung. Wie viele Bürger ihre in der Verfassung verbriefte Macht aktiv – also durch die Stimmabgabe – auf Zeit an Abgeordnete übertragen, ist für das Funktionieren der Demokratie nachrangig. Will man dennoch, dass möglichst viele Bürger wählen gehen, sind am Ende des Tages die Parteien und ihre Repräsentanten gefordert. Ihre Aufgabe ist es, die Wahlberechtigten im Wettstreit davon zu überzeugen, dass sich dies auch lohnt. Die Einführung einer Wahlpflicht würde die politischen Akteure von dieser Aufgabe befreien – und der Demokratie einen Bärendienst erweisen.

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