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"Vertrauen ist der Schmierstoff einer Koalition" | Themen | bpb.de

"Vertrauen ist der Schmierstoff einer Koalition"

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Auf dem Weg zu einem stabilen Regierungsbündnis: Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp erklärt, worauf Parteien bei Koalitionsverhandlungen achten. Sie erläutert, warum informelle Gremien für die Regierungspraxis besonders wichtig sind.

Wer wird am Kabinettstisch der neuen Regierung Platz nehmen? (© picture-alliance/dpa)

Frau Kropp, was passiert nun nach den Bundestagswahlen auf dem Weg zu einer Regierungsbildung?

Deutschland gehört zu den Ländern, in denen es keine Regeln für die Koalitionsbildung gibt. In der Forschung nennt man das "Freistil-Verhandlungen". Es gibt keinen Formateur, also niemanden, der beispielsweise von einer Königin oder einem Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt würde. In der Regel unternimmt die Partei, die die größten Chancen hat, einen Koalitionspartner zu finden, die ersten Schritte hin zu Koalitionsverhandlungen: Sie sondiert bei anderen Parteiführungen, ob sie bereit sind, in Verhandlungen einzusteigen. Das ist übrigens nicht immer Sache der Partei mit der größten Anzahl an Mandaten im Parlament.

Was sind die nächsten Schritte? Durchschnittlich dauern Regierungsbildungen im Bund rund 34 Tage.

Die Parteiführungen nehmen zunächst Sondierungsgespräche auf. Dabei loten sie aus, wie die Chancen stehen, mit einer oder gegebenenfalls zwei Parteien Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Auf Bundesebene verhandelte bislang die größere Regierungspartei stets mit einem möglichen Koalitionspartner, also die Union beispielsweise mit der FDP. Ein Blick in die Bundesländer zeigt aber, dass es auch möglich ist, parallel mit zwei potenziellen Partnern zu verhandeln, um deren späteren “Gewinn” in der Koalition zu drücken. Umgekehrt zieren sich SPD und Grüne z.B. derzeit - sie möchten damit ihre Chancen erhöhen, in den Koalitionsverhandlungen möglichst gute Gewinne zu erzielen.

Wie laufen formelle Koalitionsverhandlungen ab und worauf kommt es dabei für die Parteien an?

Dafür gibt es keine formalen Regeln. Es hat sich aber in der Geschichte der Bundesrepublik ein Muster herausgebildet. In der Regel bilden die beteiligten Parteien eine Steuerungsgruppe: Diese vereint üblicherweise die Bundeskanzlerin, die Fraktionsvorsitzenden und die Parteiführungen. Unterhalb dieser Ebene werden Arbeitsgruppen gebildet, die, aufgeteilt nach Politikfeldern, die Sachthemen aufarbeiten, die in der kommenden Legislaturperiode zur Bearbeitung anstehen. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Fachpolitiker aus den Fraktionen in die Verhandlungen eingebunden sind. Außerdem werden designierte Minister üblicherweise gleich mit einbezogen, sodass sie später nicht mit einem Koalitionsvertrag konfrontiert werden, den sie nicht vertreten können oder wollen.

Wie kann die Steuerungsgruppe die Verhandlungen und die Ergebnisse in die Fraktionen und die Parteien hineintragen?

Die Arbeitsgruppen, die wesentlich von Abgeordneten getragen werden, räumen etliche Konflikte ja bereits ab. Was übrig bleibt oder strittige Themen von hoher Bedeutung, verhandelt die Steuerungsgruppe. Anschließend braucht man die Zustimmung der Parteien. Deshalb segnet die Parteibasis die Ergebnisse jeweils auf Parteitagen ab.

Welche Rolle spielen informelle Kontakte zu den Ländern?

Nach den Bundestagswahlen 1998 spielten die Landespolitiker von SPD und Grünen z.B. eine beträchtliche Rolle bei den Koalitionsverhandlungen. Eine Partei muss sich vor allem dann, wenn sie sich nach längerer Zeit in der Opposition an einer Bundesregierung beteiligt, des Sachverstands ihrer Landespolitiker bedienen. Diese haben teilweise Regierungserfahrung und wissen um das Prozedere einer Koalitionsverhandlung. Außerdem bringen sie fachpolitisches Wissen in die Koalitionsgespräche ein.

Was ist aus Sicht der Wissenschaft entscheidend, damit Parteien ein Regierungsbündnis eingehen - eher inhaltliche Übereinstimmungen der Partner oder personale Aspekte wie ein gutes Verständnis der Spitzenleute?

Beides ist wichtig. Wenn Parteien inhaltlich weit auseinander liegen, wenn ihre programmatischen Positionen unvereinbar sind, wird ein gemeinsames Regieren im Laufe der Legislaturperiode schwierig. Wie wichtig andererseits personale Aspekte sind, zeigt ein Blick nach Hessen: Wenn sich das Spitzenpersonal der Parteien unversöhnlich gegenübersteht oder wenn die Akteure durch abwertende Äußerungen im Wahlkampf Vertrauen zerstört haben, wird gemeinsames Regieren schwierig. Vertrauen ist eine wesentliche Voraussetzung, um spätere problematische Entscheidungen oder Krisen zu bewältigen.

Die Große Koalition 2005 benötigte 65 Tage für die Regierungsbildung. Kann eine kurze Verhandlungszeit auch Symbol für Einigkeit im Bündnis sein?

Ja, das kann als Symbol wirken. Allerdings zeigt der Blick in die Geschichte, dass Koalitionspartner im Falle sehr kurzer Verhandlungen nicht immer alle Konflikte sorgsam ausverhandeln. Das kann später Probleme bereiten. Mit anderen Worten: Es kann sinnvoll sein, über die Knackpunkte und die strittigen Themen so lange intensiv zu verhandeln, bis eine tragfähige Lösung gefunden ist.

Stichwort Koalitionsvertrag: Wie kommt die Vereinbarung zustande?

Der Koalitionsvertrag entsteht aus den Ergebnissen der Steuerungs- und der Arbeitsgruppen. Regiert eine Partei schon länger, bezieht sie manchmal auch den Regierungsapparat, also die Ministerien, in die Formulierung der Positionen für den Koalitionsvertrag mit ein. Damit bedienen sich die Parteien des juristischen und Verwaltungssachverstands der Bürokratie.

Worauf achten die Partner bei der Formulierung der Koalitionsvereinbarung?

Die Partner sollten Konflikte nicht konkret im Vertrag benennen. Wenn strittige Themen explizit in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden, führt das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit dazu, dass die Konflikte während der gemeinsamen Regierungszeit wieder aufbrechen. Damit signalisieren die Parteien zwar der Öffentlichkeit, dass sie in den Verhandlungen standhaft geblieben sind. Sie vergeben aber die Chance, später Kompromisse zu schließen. Formelkompromisse können zu ähnlichen Schwierigkeiten führen. Die Koalitionspartner sollten also versuchen, Konfliktthemen weitgehend abzuräumen.

Wie konkret sollten die Formulierungen im Koalitionsvertrag sein? Kann es sinnvoll sein, sich auf eher allgemeine Aussagen zu einigen, um sich für spätere Verhandlungen Handlungskorridore zu erhalten?

Das hängt von der jeweiligen Materie ab. Wenn es bereits konkrete Vorhaben gibt, kann man sie ausverhandeln. Ich denke da beispielsweise an die Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Verfassungsreform vor der Großen Koalition 2005. Es gibt andererseits auch Materien, bei denen die Partner innerhalb kurzer Zeit keine Lösung erreichen können. Dann können sie aber Handlungskorridore festlegen.

Viele der besonders prominent diskutierten Entscheidungen der vergangenen Jahre standen vorher nicht im Koalitionsvertrag - weder die Agenda 2010 noch die Energiewende oder die Aussetzung der Wehrpflicht. Welche Bedeutung hat der Koalitionsvertrag überhaupt?

Man kann die Probleme, die auf die Regierung in den kommenden vier Jahren zukommen, nicht vollständig erfassen. Insofern ist ein Koalitionsvertrag immer ein unvollständiger Vertrag. Das muss er auch bleiben, weil eine Regierung sonst nicht in der Lage wäre, auf aktuelle Probleme zu reagieren. Die Koalitionspartner können bekannte Probleme und Vorhaben im Koalitionsvertrag aber bereits so formulieren, dass sie einer Lösung zugänglich sind.

Wie wichtig sind informelle Gremien, beispielsweise ein Koalitionsausschuss, um Konflikte zu lösen?

Informelle Gremien sind ausgesprochen wichtig. Eine Koalition braucht sie, um Konflikte zu bearbeiten und zu lösen. Die vergleichende Forschung zeigt: Es arbeiten die Koalitionen erfolgreicher, die einen Koalitionsausschuss nicht nur für kurzfristige Probleme einsetzen, sondern den Ausschuss als permanentes Steuerungsgremium mit regelmäßigen Sitzungen nutzen. Wichtig dabei ist, dass die unterschiedlichen Handlungsebenen eingebunden sind, also das Regierungspersonal, die Fraktionsspitzen und die Parteiführungen.

Aus demokratietheoretischer Perspektive lässt sich als Kritik einwenden, dass die Koalitionspartner durch solche Gremien aus den Institutionen auswandern.

Ja, diese These gibt es. Sie lässt aber außer Acht, dass unser Regierungssystem eine Machtteilung und Koalitionen vorsieht. Die Koalitionspartner brauchen solche informellen Steuerungsgremien, um die unterschiedlichen Handlungsebenen zu verknüpfen. Es gibt keine andere Möglichkeit, um eine Regierungskoalition funktionsfähig zu halten. Die Regierungspartner nehmen den von Ihnen angesprochenen Einwand allerdings ernst. So steht in vielen Koalitionsvereinbarungen der Satz, dass das freie Mandat des Abgeordneten von den Festlegungen im Koalitionsvertrag nicht berührt werde.

In der Öffentlichkeit spielen Personalfragen eine prominente Rolle. Wie teilen die Koalitionspartner beispielsweise die Ministerposten auf?

Es gibt eine eherne Regel, die die Parteien wie eine Monstranz vor sich hertragen: zuerst kommen die Sachfragen, dann die Personalfragen. In der Realität durchmischt sich das aber. Normalerweise verhandeln die Parteien erst am Schluss der Gespräche über das Personal. In den Koalitionsvertrag nehmen sie diese Ergebnisse üblicherweise zudem nicht auf. Innerhalb der Parteien spielen informelle Proporzkriterien aber dennoch eine wichtige Rolle: Sie berücksichtigen bei der Ämtervergabe das Geschlecht, einen regionalen Proporz und verschiedene Parteiflügel usw.

Was können Parteien tun, um sich während der Koalitionsbildung in der Öffentlichkeit zu profilieren? Kann es sinnvoll sein, dosiert bestimmte Konflikte öffentlich zu machen?

Ja, dafür gibt es Beispiele. Ich denke an einige Koalitionsverträge auf Landesebene, da haben die Partner inhaltliche Konflikte innerhalb des Koalitionsvertrags deutlich markiert. Das ist den Parteien allerdings später auf die Füße gefallen, weil die Parteibasis im Laufe der Legislaturperiode nichts mehr von einem Kompromiss mit dem Koalitionspartner wissen wollte. Davon ist abzuraten. Man kann der eigenen Basis aber über den Koalitionsvertrag klarmachen, wo bestimmte Positionen des Parteiprogramms durchgesetzt wurden.

Sie haben Vertrauen als Faktor in Koalitionen angesprochen - wie wichtig ist das und wie können es die Regierungspartner aufbauen?

Vertrauen ist der Schmierstoff im Getriebe einer Koalition. Die Partner können es bereits während der Verhandlungen aufbauen, indem sie noch nicht fertig verhandelte Inhalte z.B. vertraulich behandeln. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, heute angesichts der Bedeutung Neuer Medien aber immer schwerer durchzuhalten. Vertraulichkeit ist auch während des Regierungsgeschäfts wichtig. Außerdem helfen informelle Kanäle außerhalb eines Koalitionsausschusses, also wenn sich beispielsweise die beiden Fraktionsvorsitzenden oder die beiden Parlamentarischen Geschäftsführer auf dem kurzen Dienstweg über Probleme verständigen können. Hinzu kommt eine Regel, die in die meisten Koalitionsverträge aufgenommen wird: Eine Fraktion bringt nur dann Anträge in den Bundestag ein, wenn sie die andere Fraktion vorher darüber informiert hat. Die Bündnispartner versuchen so, Irritationen und mögliche Missverständnisse bereits im Vorfeld durch regelmäßige Kommunikation zu minimieren.

Was sind generell die entscheidenden Faktoren dafür, dass eine Koalition stabil zusammenarbeitet?

Auf das Personal kommt es an, die Chemie muss stimmen. Die Akteure müssen Vertrauen zueinander aufbauen. Eine Koalition braucht außerdem belastbare informelle Kommunikations- und Informationskanäle - zwischen den Fachpolitikern der Fraktionen ebenso wie zwischen dem Spitzenpersonal. Die Partner müssen fair miteinander umgehen. Hinzu kommt: Die Parteibasis muss bereit sein, das Bündnis mitzutragen.

Sabine Kropp

Sabine Kropp

Sabine Kropp ist Professorin für Politikwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Sie hat in mehreren Publikationen Theorie und Praxis von Koalitionsregierungen analysiert.

Fussnoten