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Die Wahrheit muss raus - Bekenntnisse einer Stasi-Agentin | Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur | bpb.de

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Die Wahrheit muss raus - Bekenntnisse einer Stasi-Agentin Sendung vom 16. Oktober 1990

/ 8 Minuten zu lesen

Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 16. Oktober 1990.

Wir sind unterwegs in Berlin zur Wohnung von Monika Haeger, einer inoffiziellen Mitarbeiterin der Stasi . Es geht Richtung Prenzlauer Berg. Monika Haegers Auftrag war Kundschafterin, also Agentin zu sein im Zentrum der Opposition.

Monika Haeger

„Es war das Höchste, eine Genossin, Kundschafterin, zu sein. Weil, das war schon so, als ich klein war, so groß geworden bin, das war meine Lieblingsliteratur, weil es immer Leute waren, die irgendwie zum Anfang klein und schwach waren und dann waren sie die Helden.“

Monika Haeger gehörte scheinbar zum engeren Kreis der Opposition, doch insgeheim war sie Agentin der Stasi. Immer dabei, an der Seite von Bärbel Bohley und anderen Bürgerrechtlern. Immer dicht dran bei allen Aktivitäten. Ob Infostände mit Flugblättern, Veranstaltungen, Aufrufe oder Demonstrationen – bei allem, was geplant und organisiert wurde, arbeitete sie acht Jahre lang gegen Menschen, die für sie Feinde waren.

Monika Haeger

„ Es ist eigentlich wirklich dieses Gefühl, du entsprichst dem, wie du dir es seit deinem Kindheitstagen erträumt hast. Ich weiß nicht, ob du so etwas je erlebt hast, so als Kind unentdeckt dich durch die feindlichen Reihen zu schleichen.“ Frage: „Aber hätte es nicht auch andersrum sein können?“

„Wie?“

Frage: „Der Held oder die Heldin hätte doch auch in der Opposition sein können. Du als Heldin der Opposition?"

„Dann hätte ich anders erzogen sein müssen. Dann hätte ich nicht diese Erziehung genießen dürfen.“

Monika Haeger wurde 1945 geboren. Sie wuchs nur kurze Zeit bei ihrer Mutter auf. Kindheit und Jugend erlebt sie im Ostberliner Hauptkinderheim.

Monika Haeger

„Es wurde mir immer von Anfang an gesagt, du tust das, du tust das. Du tust das. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich auch mal für mich entscheiden kann. Dass ich mich verweigern kann. Dass ich sagen kann: ‚Nein, das mach‘ ich nicht‘, oder so. Das ist eigentlich, dieses nie gelernt haben, für sich selbst zu entscheiden, nie gelernt haben, für sich selbst Verantwortung zu tragen. Und ich glaube, das hat eigentlich ein ganzes Volk hier nicht gemacht.“

Der festgeschriebene Lebensweg von Monika Haeger im deutschen Sozialismus endete nach Oberschule und Studium zunächst im Verlag ‚Junge Welt‘. Doch das war es nicht, wovon sie träumte. Diese Kinderbücher las sie damals. Immer wieder auch als Erwachsene. Und so wie die Helden wollte auch sie sein. Die treue SEDGenossin wurde 1980 von der Stasi angeworben und als ‚IM‘, als ‚Inoffizielle Mitarbeiterin‘ in ihre Reihen aufgenommen. Darauf war sie damals stolz.

Monika Haeger

„Die Stasi hat gesagt: ‚Wir haben jederzeit Zeit für dich.‘ Und sie hatten Tag und Nacht Zeit für mich. Wenn ich wirklich in schlimmen psychischen Krisen gesteckt habe, waren sie da, haben sie mir geholfen. Oder wenn ich mal Schwierigkeiten hatte, wenn ich mal irgendwie mit Geld rumgeschlampt habe, ist ja auch mal passiert, da sind sie halt eingesprungen, haben ihre Genossin nicht hängen lassen. Es waren meistens relativ geringfügige Summen. Es ist immer sehr relativ alles. Aber sie waren eben immer da für mich. Und sie waren eigentlich so ein bisschen Mutter- und Vaterersatz.“

Frage: „Was haben sie dafür gewollt?“

„Heute würde ich sagen, dass ich Leute verraten habe.“

Die Feinde verraten – das waren die führenden Kräfte der Oppositionsbewegung, an denen sie dran waren: Katja Havemann, Reinhard Schuldt, Gerd Poppe, Werner Fischer, Ralf Hirsch und selbst Petra Kelly von den Grünen im Westen.

Monika Haeger

„Der Stasi ging es ja um Befindlichkeiten. Wie fühlen sich die Leute. Sind sie traurig, sind sie glücklich. So etwas war auch sehr wichtig für die Stasi, natürlich.“

Frage: „Warum war das so sehr wichtig für die Stasi, was über die Befindlichkeit der Leute und über die Gefühle der Menschen zu erfahren?“

„Das ist doch ganz klar, warum das für sie wichtig ist. Wenn ich weiß, wo ich jemanden am meisten treffen kann, wie ich jemanden kaputtmachen kann, und das ist psychisch meistens, dann mache ich es doch, wenn es mein Feind ist.“

Frage: „Wurden Informationen geliefert, mit denen die Stasi die Leute hätte erpressen können?“

„Nicht erpressen, sie schmerzen können, ihnen wehtun. Du siehst dich ja immer nur als ganz kleines Teil, als Miniteilchen. Du gehst ja nicht davon aus, dass genau deine Beobachtung, dein, nennen wir es ruhig Spitzelei, obwohl ich mich nach wie vor dagegen wehre, weil ich es aus Überzeugung gemacht habe, aber es ist letztlich eine Spitzelei gewesen. Du denkst nur, dass deine kleine Sache nicht das ist, was die Leute ins Gefängnis bringt.“

Doch immer wieder gab es Verhaftungen. Katrin Eigenfeld beispielsweise, hier im freundschaftlichen Gespräch mit Monika Haeger. Die Resolution der Frauen für den Frieden forderte die Freilassung der Inhaftierten, wie viele Aufrufe der Opposition unterschrieb auch diesen Appell eine Frau, die der Stasi zuarbeitete.

Am Tag erschien sie als Freundin unter Freunden. Und am Abend feierte sie mit Bärbel Bohley Geburtstag. Nach Mitternacht erstattete sie ihrem Führungsoffizier Detlef Bericht in einer konspirativen Wohnung.

Frage: „War auch die Angst da, dass Bärbel Bohley ins Gefängnis kommt?“

„Warum sollte ich da Angst haben? Das waren doch meine Feinde.“

Frage: „Was haben die bedroht als Feinde?“

„Pass mal auf. Dass zum Beispiel mein Führungsoffizier oder sein Chef mir erzählt haben, dass Gerd Poppe, also Poppow, es ist für mich Poppow, gesagt hat, wenn’s mal andersrum kommt, dann hängen wir die Kommunisten an, ja hängen wir die Kommunisten alle auf. Ich habe es geglaubt. Ich habe es schlicht und einfach geglaubt. Und damit war Poppow ein Feind für mich, na klar.“

Frage: „Ein Feind, den man auch ins Gefängnis bringen kann?“

„Natürlich, bevor er mich aufhängt. Ich bin ja eine Kommunistin für mich gewesen. Wenn du mich jetzt so ansiehst, kriege ich immer ein schlechteres Gewissen, aber ich kann es doch nicht ändern, ich kann doch jetzt nicht irgendwie mich als ganz toll hinstellen, ich war’s doch nicht gewesen. Das war doch für mich wirklich mein ganzer Lebensinhalt über 40 Jahre. Ich meine, das war doch für mich eine ganz wichtige Sache, dieser Sozialismus, dieser Staat. Das war doch wirklich mein Staat. Ich bin doch mit, als allererste mit, als Tambourmajour und mit, hier mit Dings, und mit Schallmei oder mit Glockenspiel als allererste vorweg marschiert und war unheimlich stolz darauf, dass ich die Erste bin mit dem Glockenspiel, hinter mir die Schalmeienkapelle und so. Das war alles meins. Und dieses stundenlang marschieren üben, damit wir auch ja das richtig bringen zum 1. Mai, das war echt gewesen. Und ganz stolz als ganz Kleene, als 8jährige kleine Göre, ich war ganz stolz drauf. Es war wirklich mein Staat. Das kann man so schwer sagen. Der Staat, das war nicht irgendwo Honecker oder so, das war’s eigentlich nicht. Klar, wenn der mir irgendwie ne Auszeichnung in die Hand gedrückt hätte, wäre ich sicher superstolz gewesen. Aber das war irgendwo so eine Befindlichkeit, diese Masse, dieses Sich-aufgehoben in diesem ganzen fühlen. Und ich muss auch sagen, mein Parteirausschmiss, der damals fingiert war, der nunmehr wirklich real ist, ich hätte auch wieder in die PDS gehen können und wäre eben 20 Jahre da Mitglied gewesen. Und es gab ja auch einen ganz kurzen Moment, wo ich tatsächlich überlegt habe: gehe ich wieder rein. Weil ich wieder aufgefangen worden wäre, weil rechts und links neben mir jemand gewesen wäre, wo ich hätte sagen können: ‚Mein Genosse, der denkt wie ich.‘ Und ich wäre getragen worden und hätte, wieder hätte jemand für mich gesagt: ‚Genossin, wir machen das jetzt, wir machen jetzt das.‘ Und ich hätte mir wieder Ideen einfallen lassen und losgehen oder so. Ich wäre vor allem aufgefangen gewesen wieder in der Masse. Aber irgendwo ging es einfach nicht mehr für mich. Ich will nicht mehr irgendwo aufgehoben sein. Ich will nicht mehr irgendeinem Fraktionszwang unterliegen, irgendwie sagen müssen, das ist meine persönliche Meinung. Ich will nur noch meine persönliche Meinung sagen. Und nie die Meinung von irgendeiner Fraktion oder irgendeiner Partei. Und gerade jetzt, wenn ich so das alles miterlebe, wer da wo in welcher Partei und überhaupt. Ich glaube, es geht allen Parteien, oder es ging wahrscheinlich allen Parteien schon immer um Macht. Habe ich aber nie so gesehen. Für mich war immer die Idee des Sozialismus, also des Humanen, des Menschlichen. Und ich habe einfach Dinge weggedrückt, wo ich hätte genau sehen müssen, dass sie alles andere als human sind, dass sie zutiefst unmenschlich sind. Und ich muss auch dazu sagen: Hätte ich früher mehr gewusst, was man heute inzwischen alles erfahren hätte, ich glaube, ich wäre so wie ich bin in die Mauer reingerannt und hätte mich erschießen lassen oder irgend sowas. Aber ich habe das Gott sei Dank nicht gewusst. Das klingt vielleicht theatralisch, aber ich meine, wenn man jetzt Waldheim, die Lager und, und, und .... Als ich das mit den Lagern gehört habe und mir dazu sagen muss: ‚Ich habe auch dazu gehört, ich habe zwar nichts davon gewust, aber ich habe auch dazu gehört.‘ Weißt du, wenn du dies ganze Ausmaß, was die Stasi alles gemacht hat mit den Leuten, wenn du das im Nachhinein mitkriegst und dir sagen musst, ‚du hast auch dazu gehört, du hast zwar nichts davon gewusst‘ und alles für die Idee des Sozialismus, das kann doch irgendwo nicht wahr sein. Wie können Leute denn heute noch irgendwo da weitermachen. Ich kann es nicht begreifen. Ich kann es nicht fassen. Für irgendeine Idee, nur, um irgendwelchen Machthunger von irgendwelchen Leuten zu befriedigen, massenweise ein Volk zu belügen und zu betrügen, und ich habe dann daran noch teilgehabt. Ich weiß auch, dass das nach und nach nachlassen wird. Aber wenn ihr die Fragen wieder stellt, und ich meine, ich träume heute noch davon und schreie und träume von Bärbel, von Katja und von Poppow und werde jetzt noch irgendwo natürlich nicht damit fertig. Und wenn Poppows Sohn eben heute hier war, dann freut mich das irgendwo, aber es bedrückt mich auch zugleich, weil manchmal denke ich, ich kann eigentlich gar keinem mehr in die Augen gucken. Aber andererseits, ich kann auch nur sagen, ich bin auch ein Mensch und ich habe... jeder sagt, er hat nichts Böses gewollt und hat es doch getan. Bloß, ich glaube, die meisten sind sich gar nicht dessen bewusst, wem sie da eigentlich wirklich gedient haben. Vielleicht weiß man es auch wirklich nicht, oder ich habe es wirklich nicht gewusst oder habe auch vieles einfach weggedrückt.“

„Und du warst ein mieser kleiner Spitzel. Und sich das klarzumachen und dann reden die Leute von Aufarbeiten, das ist verdammt schwer. Und ich meine, das tut schon alles sehr weh, aber ich glaube, man lebt letztendlich besser, wenn man den Versuch unternimmt aufzuarbeiten, das gehört ja dazu. Ich glaube letztendlich lebt man besser. Ich kriege besser Luft. Ich habe nicht mehr so viel Kopfschmerzen, ich fühle mich besser und laufe auch wieder anders als früher. Ich bin früher immer so gelaufen, ich laufe jetzt ziemlich gerade. Wenn ich bestimmten Leuten begegne, dann laufe ich doppelt gerade.“

Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg

Fussnoten

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