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Die Freunde als Stasi-Spitzel - Die Eröffnung der Gauckbehörde | Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur | bpb.de

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Die Freunde als Stasi-Spitzel - Die Eröffnung der Gauckbehörde Sendung vom 6. Januar 1992

/ 11 Minuten zu lesen

Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 6. Januar 1992

Berlin, am 2. Januar 1992. 7.00 Uhr morgens. Eine neue deutsche Behörde öffnet ihre Türen für ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal können Stasi-Akten gesetzlich geregelt von den Opfern eingesehen werden. Weit über 100.000 Menschen stellten bereits ihre Anträge auf Akteneinsicht. Doch die meisten werden noch Monate oder gar Jahre auf einen Blick in ihre Akten warten müssen, bis sie einen Platz im Lesesaal bekommen.

Zu den wenigen, die an diesem Tag lesen dürfen, gehören Bürgerrechtler, die am meisten durch die Stasi verfolgt wurden.

Aktenausgabe: Mehrere Dutzend Bände mit Tausenden Seiten hat die Stasi über die DDROppositionellen, die heute kommen, gesammelt.

Jetzt kann jeder erfahren, wer ihn bespitzelt, an die Stasi verraten oder ins Gefängnis gebracht hat:

Bärbel Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums. Schriftstellerin Sarah Kirsch, auf die mehrere Dutzend Spitzel angesetzt waren. Gerd und Ulrike Poppe, langjährig führend in der DDR-Opposition. Der Schriftsteller Lutz Rathenow, Vera Wollenberger, die Bürgerrechtlerin, die erfahren musste, dass ihr eigener Ehemann sie bespitzelte unter dem Decknamen Donald.

Täter und Opfer, beide hatten Decknamen.

Sarah Kirsch

„Hier OV Milan, das bin ich, weil es ein Gedicht von mir gibt, das heißt ‚Der Milan‘. Es ist sehr witzig, wie die ihre, ich möchte unbedingt wissen: Ein IM von mir ist Hölderlin und welches Schwein sich hinter Hölderlin verbirgt, das möchte ich wissen.

In den Akten finden sich verschiedene Dokumente: Observationsfotos, Beobachtungsprotokolle, Charaktereinschätzungen, Maßnahmepläne und vor allem: zahlreiche Spitzel-Berichte. Ihnen gilt die besondere Aufmerksamkeit. Die Berichte dieser inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter, sogenannte IM-Berichte, sind zwar unter Decknamen abgefasst, doch ihr Inhalt ist verräterisch.

Ulrike Poppe

„Zum Teil entsetzt es mich schon, mich erschreckt, die Detailtreue und auch die Engagiertheit in manch einem IM-Bericht. Es gibt auch Berichte, die Wertungen und diskreditierende Wertungen enthalten und wenn ich das vorfinde, von Freunden geschrieben, von denen ich annahm, sie sind meine Freunde, dann ist das sehr verletzend.

Bärbel Bohley

„Ja, im Grunde genommen, versucht man ja immer den Decknamen aufzuschlüsseln. Wer war es? Und dazu muss man eben auch eigentlich fast in jede Akte reingucken und die IM-Berichte sich ansehen. Und ich glaube schon, dass die auch zu entschlüsseln sind, zum großen Teil.“

Ulrike Poppe

Frage: „Es gab Freude, die bis heute Freunde waren, sich als geheime Mitarbeiter der Stasi erwiesen?“

„Ja, einige.“

Vera Wollenberger

Frage: „Es gab in der Öffentlichkeit den Vorwurf, dass Ihr Mann für die Stasi gearbeitet hat. Haben Sie in den Akten neue Hinweise gefunden, die das bestätigen?“

„Die Bestätigung brauchte ich ja nicht mehr, weil mein Mann seine Tätigkeit gestanden hat. Es gibt aber da in den Akten sehr wenig Hinweise.“

Frage: „Sie haben aber welche gefunden?“

„Ich habe was gefunden, ja. Und das bedeutet vor allen Dingen, dass kein IM sicher sein darf, dass es keine Hinweise auf ihn geben wird.

Ulrike Poppe

„Es ist eine Enttäuschung, also ich würde sagen, es tut richtig weh, weil es ist häufig gar kein politischer Schaden, sondern das missbrauchte Vertrauen ist das schlimmere, was weh tut.“

Lutz Rathenow

„Es finden sich ganz viel Dinge, die auf mein Leben, das Leben meiner Frau Einfluss nehmen sollen, z. B. ein Hinweis einmal Anfang der 80er Jahre, ob man nicht überprüfen könnte, ob uns der Kindergartenplatz wegzunehmen ist, damit einer von uns regelmäßig arbeiten muss und nicht so viel Zeit hat, z. B. für politische Aufgaben. Da sind schon ganz schöne Unverschämtheiten dabei.“

Observationsfotos mit versteckter Stasi-Kamera.

Lutz Rathenow

„Das, hier bin ich glaube ich zusammen, ja mit Gunter Kolbe. Das ist einer der bekanntesten Lyriker, Prenzlauer Berg. Dies ist hier aber noch besser zu sehen.“

Persönliche Ferienfotos: Lutz Rathenow an der Ostsee. Selbst im Urlaub wurde der Schriftsteller unbemerkt beschattet. Das erfährt er jetzt aus seiner Akte. Der Stasi sollte nichts verborgen bleiben, dafür sorgte die Bezirksverwaltung in Rostock. Die Vermieterin seiner Ferienwohnung lieferte unter dem Decknamen Antje Berichte für die Akten. Das kann Rathenow aus dem Inhalt der Berichte genau erkennen.

Doch die Überraschungen gehen weiter. Lutz Rathenow findet immer mehr Berichte von inoffiziellen Mitarbeitern – mit verschiedenen Decknamen. Meist sind es Abschriften der Tonbandaufzeichnungen, die durch Führungsoffiziere von den Spitzeln persönlich entgegengenommen wurden.

Mehrmals taucht der Deckname ‚Gerhard‘ auf.

Kontraste will mit Hilfe der Decknamenkartei der Gauck-Behörde herausfinden, wer sich hinter ‚Gerhard‘ verbirgt.

Unter zweihunderttausend registrierten Stasi-Spitzeln in dieser Kartei finden wir die Karte von ‚Gerhard‘. Er wurde geführt in der Abteilung zur Bekämpfung der Opposition XX/9, von der Lutz Rathenow bearbeitet wurde. Die Karte ‚Gerhard' enthält einen Signaturhinweis auf eine archivierte Akte.

In den Archiven lagern rund zweihunderttausend prall gefüllte Akten von Spitzeln, die alle Informationen über sie offenlegen.

Die Akte von IM Gerhard.

Sie enthüllt seinen richtigen Namen.

Die handgeschriebene Verpflichtungserklärung zur konspirativen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit.

Doppelte Unterschrift für eine gespaltene Identität.

Rainer Schedlinski gehörte zu den führenden Köpfen der legendären Literatenszene vom Prenzlauer Berg. Im Westen galten er und seinesgleichen als nicht angepasste Schriftsteller, die mit ihren Texten und Lesungen für autonome Kultur-Bestrebungen zu DDR-Zeiten standen. Schedlinksi war immer dabei, wenn sich die Szene scheinbar unabhängig von der Staatsmacht traf.

Luth Rathenow

„Also, ich gebe zu, das ist der erste Augenblick bei der Einsicht gewesen, der mich doch etwas geschockt hat. So urplötzlich eine Person entschleiert zu finden, zu der ich doch ein gewisses persönliches Verhältnis hatte und über die es auch Gerüchte gab, aber die ich nicht für einen Mitarbeiter hielt. Rainer Schedlinski – noch dazu Dichter, zweiter Vordenker des Prenzlauer Berges, wie er es jetzt wieder zitiert und wen ich dann lese, wie er bei der Sylvesterfeier in unserer Wohnung war, mit uns trank, bis früh halb sechs Monopoly spielte – dann sind das doch Situationen von einer Vertrautheit. Da, also, darüber muss man schon nachdenken. Also, das beschäftigt mich jetzt schon...“

Doch der IM Gerhard war nicht die einzige Informationsquelle der Stasi zu Lutz Rathenow. Ein anderer inoffizieller Mitarbeiter trägt den Decknamen Fritz Müller. Wieder ein Gang in die Register der Stasi, um zu sehen, wer hinter Fritz Müller steckt. In den Karteien mit den Decknamen findet sich diese Karte: Auch sie weist auf eine angelegte IM-Akte. Doch im Aktenordner ist sie nicht mehr vorhanden. Hundert Aktenordner wurden von der Stasi während der Wende geleert, ihr Inhalt vernichtet. Da ihre Deckel nicht in die Büro-Reißwölfe der Führungsoffiziere passten, ist noch der Signaturhinweis vorhanden.

„So, das war wohl von dieser Akte, man sieht es auch noch, der erste Band. Vom zweiten ist der Deckel auch noch da, war auch viel drin. Kann man allerdings nicht mehr genau sehen, wie viel. Es ist nicht verzeichnet. Das ist ein weiterer Deckel – Teil 2. Das war der Teil, in dem die Berichte waren.“

Die IM-Akte wurde vernichtet. Doch über den Spitzel hinter dieser Akte gab es in der Literatenszene vom Prenzlauer Berg schon länger Gerüchte. Der Verdacht fiel auf die Kultfigur der Szene: Sascha Anderson, was viele nicht für möglich hielten. Als Organisator vielfältiger Aktivitäten, Lesungen, Publikationen schien er über jeden Verdacht erhaben. Der Liedermacher Wolf Biermann hatte ihn dennoch öffentlich beschuldigt. Vor den Kameras des ZDF wies Anderson alle Schuld zurück.

Streit Biermann/Anderson

Sascha Anderson

„Und im Knast habe ich wegen Ihnen gesessen, und zwar durchweg. Davon haben Sie Null Ahnung. Das habe ich Ihnen noch nie erzählt, weil ich kein Arschkriecher bin.“

Wolf Biermann

„Das sagen Sie über sich selbst und ich hoffe vor allen Dingen, Sie haben Recht.“

Sascha Anderson

„Das sage ich vor allen Ihnen.“

Frage: „Sascha Anderson, Sie bleiben dabei? Sie haben mit der Stasi nichts zu tun gehabt?“

„Ich bin kein Mitarbeiter der Stasi, nein.“

Frage: „Und für die Stasi gearbeitet zu keinem Zeitpunkt?“

„Nein.“

Anderson, Alexander, genannt Sascha. Diese Karte aus der sogenannten Klarnamen-Kartei zeigt, dass Anderson von der Stasi unter der Numer XII/84/75 erfasst war. Diese Karte lässt offen, ob als Spitzel oder Opfer. Das zeigt erst diese Karte mit gleicher Registrierung aus einer anderen Kartei, die nicht alphabetisch, sondern nach Registriernummern geordnet ist. Hier wird klar: Anderson wurde als inoffizieller Mitarbeiter unter verschiedenen Decknamen geführt. Einer seiner Berichte in Rathenows Akte identifiziert ihn schließlich.

Zitat: ‚Am Donnerstag, den 27. Januar 1983 war ich zu einem Gespräch bei Lutz Rathenow um 10.00 Uhr. Ich habe mich ungefähr bis 13.00 Uhr bei Lutz Rathenow aufgehalten. Rathenow und seine Frau schliefen noch. Rathenow stand auf und das erste, was er erzählte, waren die zur Zeit in Jena herrschenden Probleme..“

Lutz Rathenow

„Es gab ein Gespräch über die Verhaftungen in Jena. Er hatte mir dann angeboten, oder ich habe ihm angeboten, weil ich Angst hatte, weil nach mir ständig gefragt wurde in den Vernehmungen, gesammeltes Geld nach Jena zu bringen... Anhand von drei, vier Berichten geht zweifelsfrei daraus hervor, dass Fritz Müller Sascha Anderson ist.“

Sascha Anderson lieferte hunderte von Spitzelberichte. Beispiele: Er gab Informationen zu einem Empfang in der Bonner Vertretung in Ostberlin, Empfänge westlicher Korrespondenten oder über West-Besucher in der Ostberliner Kulturszene.

Stets gab er gezielte Informationen, wie in diesem Bericht darüber, wie er sah, dass Rathenow einem West-Diplomaten der Ständigen Vertretung einen Zettel zusteckte. In der DDR eine Straftat. Genau so etwas brauchte die Stasi: In diesem Vorschlag einer Auswertungsgruppe ging es um Maßnahmen gegen den unbequemen Lutz Rathenow. Die Spitzelberichte sollten den Stoff zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Haft liefern.

Auch die anderen Bürgerrechtler finden bei der Akteneinsicht immer mehr Berichte von Sascha Anderson.

Ulrike Poppe

„Er hat strafrechtlich relevante Sachen dort aufzuzeigen, oder auch genau zu beschreiben, also wer kopiert, wer druckt, wer gibt wem welches Material, was ist geplant. Also, er hat so gearbeitet, dass die Staatssicherheit, ausgehend von diesen Berichten, Strategien entwerfen konnte, irgendwas zu verhindern, was wir machen wollten. Das ist eindeutig.“

Frage: „Und dieser Fritz Müller ist eindeutig Sascha Anderson, wenn Sie diese Berichte gelesen haben?“

„Ja.“

Rosenthal

„Sascha Anderson hat in seinen Gesprächen mit der Staatssicherheit Dinge verraten, mich persönlich auch verraten. Ich bin daraufhin verhaftet worden.“

Als David Menzer begann Sascha Anderson seine Spitzeltätigkeit. Er verriet Rosenthals Unterschriftensammlung.

Zitat: Der IMB ‚David Menzer‘ klärte in einem Gespräch mit Rosenthal auf, dass der Text dieser ‚Fraueninitiative gegen das Wehrdienstgesetz‘ von den Berliner Personen Havemann, Katja, Bohley, Bärbel, verfasst worden ist.

Rosenthal

„Und spätestens in der Woche danach, als er gemerkt hat, was das für eine Wirkung hatte, denn er hat ja gewusst, dass ich verhaftet wurde, spätestens danach meine ich, hätte er einen klaren Schnitt setzen müssen und sagen müssen ‚meine Herren von der Staatssicherheit, mit Ihnen rede ich nicht mehr, wenn so etwas dabei herauskommt.'“

Bereits 1975 wurde Anderson von der Stasi angeworben. Selbst seine engsten Freunde, mit denen er in seiner Dresdener Zeit zusammen lebte und künstlerisch arbeitete, verriet er an die Stasi. Mit dem Maler Ralf Kerbach verband ihn eine besonders intensive Freundschaft. Gemeinsam produzierten sie Bücher und Kusntmappen. Doch was Kerbach nicht ahnte, erfährt er jetzt aus den Stasi-Akten. Ein Beispiel: Zitat: Durch die IMB ‚David Mener‘ unserer DE erfolgt eine ständige Kontrolle der Person Kerbach, Ralf. Er sollte als potentieller Störer eines Pioniertreffens aus Dresden ferngehalten werden.

Kerbach

Das ist unglaublich. Und das ist genau in der Zeit entstanden, also die Berichte sind abgegeben worden, in der Zeit, als ich mit ihm diese Reise gemacht habe. Also, wenn man fast miteinander lebt und die Kasse teilt und man den Schlüssel gibt und sagt: ‚Du kannst drüben in meinem Atelier schreiben, wenn ich wegfahre‘ und so weiter, dann ist das eine Freundschaft, dann vertraut man sich und das so zu durchbrechen oder zu gebrauchen, eigentlich für einen anderen Zweck, nur irgendwelche Informationen abzuliefern und bei den Pioniertreffen nie da zu sein, das ist absurd.“

Sascha Anderson im Einsatz. Eingebunden auch bei der Durchführung sogenannter operativer Kombinationen.

Beispiel: Die operative Kombination Totenhaus. Dabei ging es der Stasi gezielt um die Zersetzung und Verunsicherung der unbequemen Dresdner Künstlerszene nach der Ausreise von Ralf Winkler, der unter dem Namen Penck als Maler eine Weltkarriere machte. Ein abgelegenes Haus, Atelier und Treffpunkt, sollte herhalten, um Streit und Zwist zu schüren.

Zitat: Es wird vorgeschlagen, eine operative Kombination durchzuführen. Der Dresdener Stasi-Chef Böhm, Befehlsempfänger von Hans Modrow, dazu handschriftlich: Aktion so durchzuführen, dass wir nicht enttarnt werden. Man gab sich darum große Mühe, die kriminelle Aktion zu tarnen. Das zeigen die Akten, die Kontraste in Dresden entdeckte. Mit einem Einbruch und gezielter Verwüstung wollte die Stasi erreichen, dass sich die Künstler untereinander verdächtigen.

9.05 Uhr konspiratives Öffnen des Objektes. 9.10 Uhr Durchführung der Maßnahme 9.20 Uhr Verursachung von Schäden, Verwischung der Spuren 9.30 Uhr Verlassen des Ereignisortes 9.35 Uhr Abzug aller Genossen 10.30 Uhr Information an den Bürgermeister.

Penibel war alles von der Stasi vorbereitet, mögliche Komplikationen eingeplant. In der ganzen Gegend wurden mit Funk ausgerüstete Posten verteilt. Für Stasi-Bezirkschef Böhm, der sich nach der Wende das Leben nahm, wurden extra Fotos angefertigt. Sie dokumentieren den Zustand vor und nach dem Stasi-Einbruch: hier im Wohnzimmer. Zerschlitzte Leinwände, zerstörte Arbeitsgeräte, verschmierte Bilder, in einer angefangenen Holzplastik ein Beil geschlagen. Spuren, die auf Penck, alias Ralf Winkler hinweisen sollten.

Sascha Anderson, fotografiert als Gast in diesem Haus. Sein Auftrag: unter den Freunden die Wirkung der Maßnahme erkunden. Seinem Führungsoffizier gab er ausführliche Berichte zu Protokoll.

Ein Zitat daraus: Es sei allgemein zum Ausdruck gekommen, dass Ralf Winkler möglicherweise vom Westen aus solche Dinge steuert.

1986, nach seiner Ausreise nach Westberlin sammelt Anderson unter dem Decknamen Peters weiter Informationen. Besonders über Bürger mit Kontakten zu Medien und zur Opposition in der DDR, darunter Jürgen Fuchs und Roland Jahn. Auch darüber sind zahlreiche Akten vorhanden. Beispielsweise diese Erfolgsmeldung zur Stasi nach Ostberlin:

Zitat: Der Kontakt zwischen dem IM ‚Peters‘ und Jahn konnte enger gestaltet werden und es wurden operativ bedeutsame Informationen erarbeitet.

In Abstimmung mit anderen Stasi-Spionen im Westen kam der inoffizielle Mitarbeiter Peters zum koordinierten und zielgerichteten Einsatz.

Zitat: Durch den Einsatz des IM ‚Peters‘ konnten wesentliche Beweise für das feindliche Wirken des JAHN erarbeitet werden.

Die Beweise, die Sascha Anderson lieferte, benutzte der Generalstaatsanwalt der DDR gegen Jahn. Er leitete 1987 ein Ermittlungsverfahren ein. Vorwurf: landesverräterische Missstände in der DDR und die dortige Opposition.

Die Stasi, gestützt auf die Westberliner inoffiziellen Mitarbeiter, darunter IM Peters, erwirkte schließlich diesen richterlichen Haftbefehl gegen Jahn. Ein bislang einmaliger Vorgang gegenüber einem Westberliner.

Die Spitzelberichte in den Akten – einzeln scheinen sie oft banal, im System der Stasi waren sie von elementarer Bedeutung.

Lutz Rathenow

„Also, sie haben ihnen ein immenses Material an Informationen gegeben, als dessen Schädigungen. Sie haben die Existenz der DDR verlängert. Leute wie Schnur, Böhm und Sascha Anderson und Schedlinski auf der anderen Seite haben als Person, die eine Fülle von Kontakten hatten, eine Fülle von sensiblen Kontakten im Ost-West- Bereich, haben durch ihre Desinformationen letztlich den Zusammenbruch dieses maroden Systems verzögert, wenn ich das ganz vereinfacht sage."

Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg

Fussnoten

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