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Elitenprojekt Gleichstellung

/ 3 Minuten zu lesen

Von Harald Martenstein

Der Autor und Journalist Harald Martenstein beschreibt den Feminismus als widersprüchlich (© Promo)

Ich versuche es mit vier Thesen zur aktuellen Geschlechterpolitik. Erstens, Frauen werden in Deutschland nie wirklich und völlig gleichberechtigt sein. Niemals. Warum? Weil inzwischen eine gewaltige Bürokratie entstanden ist, deren Mitgliederinnen ihr Geld mit dem Aufspüren und Anprangern auch kleinster und auch vermeintlicher Benachteiligungen verdient. Es gibt tausende Gleichstellungsbeauftragte und mindestens 200 Genderprofessuren. Dass eine Bürokratie ihre Aufgabe für erledigt erklärt und sich damit selbst arbeitslos macht, kommt selten vor. Bürokratien wollen wachsen. Stellt 2000 Männerbeauftragte ein, deren Job es ist, Männerdiskriminierung aufzuspüren, und ihr werdet euch wundern, wie diskriminiert diese Geschöpfe in den Augen ihrer Anwälte sind. Falls aber jemand öffentlich erklärte, man habe doch bei der Gleichstellung das Meiste erreicht und könne mit den Anstrengungen allmählich nachlassen, dann würde ein Aufschrei erschallen, der bis Grönland zu hören ist.

Zweitens, der feministische Geschlechterdiskurs ist völlig widersprüchlich. Einerseits heißt es, Geschlecht sei nur eine soziale Konstruktion. Wir seien völlig gleich, biologische Unterschiede spielten kaum eine Rolle. Warum die Evolution, in der ansonsten alles seinen Sinn hat, sich die irre Mühe gemacht hat, zwei Geschlechter hervorzubringen, bleibt dabei ungeklärt. Gleichzeitig aber hören und lesen wir Medienkonsumenten ständig, dass Frauen in diesem oder jenem besser seien. Sie sind bessere Chefs, sie können besser kommunizieren, sind nicht so aggro, sie verhalten sich in Konflikten rationaler, et cetera, einiges davon stimmt auch. Einerseits sind wir also gleich, andererseits gibt es durchaus Unterschiede, vor allem solche, die sich aus feministischer Perspektive gut anhören. Um die Verwirrung komplett zu machen, soll es statt biologischer Geschlechter, die angeblich gar nicht existieren, etwa 50 bis 100 Gender geben, die allerdings keine soziale Konstruktion sind, sondern eine glasklare Tatsache.

Drittens: Frauen und Männer haben auch soziale Interessenlagen. Eine Kassiererin bei Aldi hat in sozialer Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten mit ihrem männlichen Kollegen als mit einer Professorin. Eltern haben gemeinsame soziale Interessen, die anders sind als die von Singles. Alte und Junge haben verschiedene Bedürfnisse. Es ist falsch, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen (die es, wie gesagt, angeblich sowieso nicht gibt) zur gesellschaftlichen Hauptkampflinie zu erklären. Wir sollten zusammenstehen und uns nicht auseinanderdividieren lassen.

In den letzten Jahren hat die Gleichstellungspolitik einen großen Teil ihrer Energie in die Durchsetzung einer gendergerechten Sprache gesteckt. Sternchen und substantivierte Partizipien wie "Studierende" oder "Angelnde" haben eine Karriere gemacht, die in einer männerdominierten Gesellschaft nie möglich gewesen wäre. Sprache bestimmt das Denken, oder? Man fragt sich doch beim Wort "Sanitäter" sofort, wieso diese Menschen pauschal als "Täter" dargestellt werden, kein Wunder, dass sie wenig verdienen. Der "Erziehende" erzieht auch Mädchen, wieso "er"? Müsste es nicht besser "Pädagogische Fachkraft" heißen? So ungefähr funktioniert gerechte Sprache. Sprache ist ein Alltagswerkzeug, die Menschen tendieren deshalb dazu, sie zu vereinfachen, sie sagen sogar lieber "Perso" als "Personalausweis". Komplizierende, ideologisch begründete Sprachregeln sind immer Elitenprojekte und beim gemeinen Volk unbeliebt. Dass man in Köpenick bis anno 89 "Berlin, Hauptstadt der DDR" sagen sollte statt "Berlin", beruhte auf dem gleichen magischen Glauben an die Macht der Sprache. Die Gendersprache wird, laut Umfragen, auch von einer Mehrheit der Frauen kritisch gesehen.

Dass dieses Projekt gleichwohl mit großer Energie durchgezogen wird, beweist, viertens, dass sich die Geschlechterpolitik ein ganzes Stück von den realen Problemen des Lebens entfernt hat. Welche das sein könnten, fragt man am besten die Kassiererin bei Aldi, eine alleinerziehende Mutter oder eine Rentnerin, die im Park Flaschen sammelt.

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