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Spiritualität wird nur im Yoga-Raum geduldet

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Von Merve Kayikci

Merve Kayikci ist freie Journalistin und bloggt unter dem Namen „Primamuslima“. (© privat)

Ich bin Muslimin. Das spüre ich. Das sieht man mir an. Ich verstecke es nicht. Ich trage ein Kopftuch. Man sieht es jedoch nicht allen Muslimen an. In Deutschland gibt es rund vier Millionen Muslime. Jeder von ihnen hat eine andere Verbindung zum Islam und eine andere Perspektive auf das Thema Glaube. Für die einen bedeutet es nur innezuhalten und an Allah zu denken, wenn sie haarscharf einem Autounfall entgehen. Für die anderen bedeutet es, sich fünf Mal am Tag niederzuknien und den Koran zu rezitieren.

Für mich heißt es manchmal auch einfach nur "Inschallah!" zu sagen, wenn meine Mutter mich fragt, ob ich an Weihnachten Zuhause bin: So Gott will – also vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich bin mit diesen Begriffen aufgewachsen: "Elhamdulillah, Inschallah, Subhanallah" - und meine Eltern haben sie stolz und laut ausgesprochen. Ich denke sie oft nur und flüstere sie leise vor mich hin. Ich traue mich gar nicht mehr richtig, sie vor anderen zu benutzen. Ich möchte niemanden damit verschrecken, der ihre Bedeutung nicht kennt. Doch selbst andere Muslimen grüße ich manchmal nur mit einem "Hallo", anstatt mit unserem Friedensgruß "As-salamu alleikum!".

Ich habe Angst davor, abgestempelt zu werden. Ich trage schon ein Kopftuch und muss gerade deshalb immer wieder beweisen, dass ich logisch denken kann. Wissenschaftliche Erkenntnisse nicht leugne. Dass ich gut Deutsch spreche und nicht daran glaube, dass Bittgebete eine Erkältung heilen können. Schaden können sie allerdings auch nicht. Wenn mir dann aber wieder ein "Allah"-Spruch rausrutscht, war die ganze Mühe umsonst. Wenn ich erzähle, dass ich an unserem heiligen Monat Ramadan zwölf Stunden nichts esse und trinke. Die Menschen können nicht verstehen, wie jemand intelligent und trotzdem gläubig sein kann. Glaube erscheint vielen Menschen hier als etwas Irrationales. Deshalb verschwindet Religion auch immer mehr aus dem öffentlichen Raum. Dort ist sie sowieso nicht erwünscht.

Das zeigen die ganzen Diskussionen über Kopftuchverbote an Schulen. Die ständig wiederkehrende Frage "Gehört der Islam zu Deutschland?". Dass es an Universitäten ein Problem ist, wenn Studenten dort beten wollen und die Obsession mit dem sogenannten "neutralen Raum" – ein scheinbar neues Heiligtum der deutschen Leitkultur. Mein Kopftuch reizt die Grenze der tolerierbaren Glaubensfreiheit aus.

Andere wiederum trauen sich gar nicht an diese Grenzen ran. Es gibt Christen, die sich danach sehnen, ihren Freunden auch nur erzählen zu können, dass sie nicht nur wegen steuerlicher Vorteile heiraten wollen. Sondern weil sie vor Gott einen Bund schließen möchten. Über Glauben zu sprechen, wurde mit der Zeit immer mehr zu einem Tabu. Spiritualität wird im Yoga-Raum geduldet. Wer an einem Krankenbett ein Gebet sprechen möchte, darf das auch gerne tun. Aber im Alltag bekommt man schnell ein Augenrollen, wenn man von Gottvertrauen spricht.

Ich verbringe mehr Zeit damit, meinen Glauben zu erklären und zu rechtfertigen, statt ihn zu leben. Man muss nicht verstehen, wie ein erwachsener Mensch an ein Jenseits glauben kann. Warum kann man es nicht einfach akzeptieren? Glauben macht mich nicht zu einer irrationalen, esoterischen Spinnerin. Glauben bewirkt nicht, dass ich stillschweigend Repression über mich ergehen lasse. Dass ich weniger frei bin oder ich zu einem militanten Staatsfeind werde.

Der Islam erinnert mich daran, dass ich nicht das Wichtigste auf dieser Welt bin. Er macht mich demütig, dankbar und barmherzig. Für andere Muslime mag es womöglich etwas anderes bedeuten. Für Leute anderen Glaubens auch. Ich will meine Religiosität in Deutschland nicht verstecken müssen und meinen Kindern irgendwann stolz und freudevoll islamische Sprüche zurufen.

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