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Die Bedeutung des Namens "Rote Armee Fraktion"

Dr. Wolfgang Kraushaar Wolfgang Kraushaar

/ 3 Minuten zu lesen

Bereits mit ihrer Namensgebung hat die Terror-Gruppe "Rote Armee Fraktion" ihre Ideologie und Ziele offen gelegt: die Nähe zur Sojwet-Armee und als Teil einer imaginären internationalen Bewegung.

Der rote Stern mit einer Heckler & Koch MP5 sowie dem Schriftzug RAF: das Symbol des fast dreißig Jahre langen blutigen Terrorismus in der Bundesrepublik. (© AP)

Den Kampf gegen den ihr als Ungeheuer erscheinenden Staat führte die RAF im Namen einer selbsternannten "revolutionären Avantgarde", die für sich beanspruchte, durch beispielhafte Aktionen die Führungsrolle im Klassenkampf übernehmen zu wollen und sich dabei bekanntlich auf eine Armee berief. Während die nach der so genannten Baader-Befreiung im Mai 1970 verbreitete Gründungserklärung mit der ebenso sarkastischen wie bombastischen Losung "Die Rote Armee aufbauen" überschrieben war, hieß es bald danach – sich auf ein imaginäres Ganzes berufend – Rote Armee Fraktion.

Eine größere Provokation ließ sich in einer antikommunistisch geprägten Insel des Kalten Krieges wie West-Berlin kaum vorstellen. Die angstbesetzte Eroberungsvision, dass "der Russe", vulgo "der Iwan", nicht zu stoppen sei, deutsches Territorium besetzen und das deutsche Volk unterjochen werde, wurde in gewisser Weise zitiert, in ihr Gegenteil verkehrt und als angebliches Projekt revolutionärer Befreiung umdefiniert.

Die Rote Armee hatte einerseits zwar die letzten noch lebenden Häftlinge von Auschwitz befreit, war andererseits aber identisch mit dem Militär eines totalitären Staates, dem Sowjetkommunismus unter einem Despoten wie Josef Stalin. Indem man sich also auf jene Armee bezog, die den Nationalsozialismus besiegt und zugleich ein Vasallenregime im östlichen Teil Deutschlands errichtet hatte, kündigte man zweierlei an: – zum einen, einen Militärapparat aufbauen zu wollen, der sich zumindest symbolisch an der Sowjetarmee orientierte, und – zum anderen, einen marxistisch-leninistisch begründeten Herrschaftsapparat etablieren zu wollen, der von keinerlei totalitären Skrupeln gekennzeichnet sein würde.

Wie eng sich die RAF in ihren blockpolitischen Überlegungen dabei an die DDR anzulehnen bereit war, wurde in einem Brief deutlich, mit dem sie sich im Oktober 1971 an die Partei der Arbeit des nordkoreanischen Diktators Kim Il Sung wandte und um militärische Unterstützung bat. Darin findet sich die einzige ausführlichere Erläuterung ihrer Selbstbezeichnung:

"Die sozialistischen Errungenschaften der DDR verteidigen und den westdeutschen Imperialismus angreifen, die Grenzen der DDR sichern und dem Imperialismus in seinem eigenen Herrschaftsbereich in den Rücken fallen, den Prozeß, in dem die antikommunistischen Vorurteile gegen die DDR in der westdeutschen Bevölkerung beseitigt werden, unterstützen und den Prozeß der sich entwickelnden Kampfbereitschaft gegen die Kapitalisten hier vorantreiben – das sind unsere Aufgaben, sicherlich sehr komplizierte Aufgaben. Erst eine kämpfende kommunistische Partei wird sie gleichzeitig in Angriff nehmen können. Diese Partei gibt es noch nicht. Weil wir meinen, daß sie sich nur im praktischen Kampf entwickeln kann, daß nur diejenigen sie werden gründen können, die am praktischen Kampf selbst teilnehmen, deshalb nennen wir – das sind die, die die Zeit für reif halten, bewaffnete Stadtguerillaeinheiten aufzubauen – uns Rote Armee Fraktion, 'Fraktion' nicht als Spaltergruppe einer zuvor einheitlichen Bewegung, sondern als Gruppe, die aufgrund der herrschenden Repression gezwungen ist, illegal zu arbeiten – nicht selbst Partei, wohl aber organisatorisch, praktisch, konzeptionell notwendiger Bestandteil einer kommunistischen Partei, die diesen Namen verdient."

Die RAF definiert sich hier als der vorweggenommene militärische Flügel einer noch gar nicht existierenden kommunistischen Partei. Sich dabei auf die DDR zu berufen, deren Staatspartei SED 1968 dafür gesorgt hatte, dass es mit der DKP eine indirekte Nachfolgerin der 1956 verbotenen KPD gab, grenzte schon an Chuzpe. Als Verfasserin des zum Teil verschlüsselten Bittbriefes glaubte das Bundeskriminalamt – nach Form und Inhalt – in erster Linie Ulrike Meinhof ausmachen zu können.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Ausschnitt des Aufsatzes "Mythos RAF" von Wolfgang Kraushaar. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

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Der promovierte Politologe Wolfgang Kraushaar, geboren 1948, ist Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung. Dort erforscht er Protest und Widerstand in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR. Seine Arbeitsschwerpunkte bilden u.a. die 68er-Bewegung sowie die Rote Armee Fraktion.