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Die nationalsozialistische Massenbewegung in der Staats- und Wirtschaftskrise | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Die nationalsozialistische Massenbewegung in der Staats- und Wirtschaftskrise

Hans-Ulrich Thamer

/ 30 Minuten zu lesen

Ende der 1920er war aus dem Nationalsozialismus eine Massenbewegung geworden - und eine straff organisierte Partei. Mit massiver Propaganda nach innen und außen gewann die NSDAP mehr und mehr Wahlstimmen für sich. Bei den Reichstagswahlen 1930 wurde sie nach der SPD zur zweitstärksten Partei.

Das Reichstagsgebäude im Jahr 1931. (© AP)

Einleitung

Hitler hatte seine Rückkehr in die politische Öffentlichkeit gut vorbereitet. Bei der Neugründung der NSDAP im Münchener Bürgerbräukeller am 26. Februar 1925 bekräftigte er seinen unbedingten Führungsanspruch und rief zugleich zur Einigkeit im völkischen Lager auf. Nur General von Ludendorff, einen der berühmtesten Militärs des Ersten Weltkrieges, wollte er neben sich akzeptieren und bei der Reichspräsidentenwahl unterstützen. Um so leichter fiel es Hitler dann, den General nach dessen Wahlniederlage im Frühjahr 1925 politisch endgültig ins Abseits zu drängen.

Gleichzeitig hatte Hitler seinen Führungsanspruch in der eigenen Partei organisatorisch abgesichert. Die Münchener Ortsgruppe, die er mit seinen engen Gefolgsleuten beherrschte, wurde formell für alle Fragen der Parteiorganisation und Mitgliederaufnahme zuständig. Die gesamte NSDAP war damit organisationsrechtlich ein Ableger der Münchener Ortsgruppe, obwohl sich das Schwergewicht der Partei mittlerweile nach Nord- und Westdeutschland verschoben hatte. Vor allem wurde in der neuen Parteisatzung das Führerprinzip festgeschrieben. Eine innerparteiliche Kontrolle bzw. Willensbildung gab es nicht.

Organisation

Zunächst war Hitler jedoch durch ein Redeverbot, das die bayerische Regierung im März 1925 und nach ihr fast alle anderen Ländern für die Dauer von mindestens zwei Jahren verhängt hatten, daran gehindert, die neue Machtstellung zu entfalten. Stattdessen konnten sich einige Unterführer mit der Billigung Hitlers beim Neuaufbau der Partei hervortun. Dadurch bot die mit etwa 27000 Mitgliedern recht kleine Partei ein buntscheckiges Bild verschiedener politisch-ideologischer Grüppchen und endloser Führungsrivalitäten.

Eine beständige bürokratische Organisationsarbeit war zwar für den Zusammenhalt der Partei unentbehrlich, aber Hitlers Sache war sie nicht. Er bevorzugte eine personale Bindung der Unterführer, die sich nach seinen Vorstellungen im harten Wettstreit untereinander behaupten sollten. Das sollte den Unterführern genügend Spielraum belassen, zugleich aber seine eigene Führerstellung stärken, die vor allem damit begründet werden sollte, daß allein der "Führer" die nationalsozialistische Idee verkörperte. Durchkreuzt wurde diese Unterwerfung unter den Führerwillen zunächst durch das Organisationskonzept der Führungsgruppe um Gregor Strasser. Hitler war auf seine Unterstützung außerhalb Bayerns angewiesen. Strasser hatte in der Arbeitsgemeinschaft der nordwestdeutschen Gauleiter recht unterschiedliche, insgesamt aber linke Strömungen in einer bündischen, kollegialen Führungsstruktur locker zusammengefaßt. Mit eigenen Publikationsorganen, den von Joseph Goebbels redigierten "Nationalsozialistischen Briefen" und der eiwochenschrift "Der Nationale Sozialist" von Otto Strasser, vertrat die Parteilinke auch ideologisch eine abweichende, betont sozialistische Linie.

Daß Hitler eine Programmdiskussion, wie sie Strasser mit einem Entwurf zur Präzisierung des höchst verschwommenen 25-Punkte-Parteiprogramms anstrebte, zutiefst zuwider war, weil er dadurch seinen unbeschränkten Führungsanspruch gefährdet sah, mußte der gutgläubige Gregor Strasser auf einer kurzfristig im Frühjahr 1926 nach Bamberg einberufenen Führertagung erfahren. Sie endete mit einem Sieg Hitlers und dem Umfallen des jungen Goebbels, der autoritätsgläubig in das Lager Hitlers wechselte und fortan zu den eifrigsten Propagandisten des "Führers" gehörte. Gregor Strasser hinderte diese Erfahrung jedoch nicht daran, sich weiterhin und mit noch größerer Energie dem Aufbau einer schlagkräftigen Parteiorganisation zuzuwenden.

Auch im Konflikt mit Ernst Röhm um das zukünftige Konzept der SA setzte sich Hitler im Frühjahr 1925 durch, in diesem Fall von der Strasser-Gruppe unterstützt. Nicht als selbständiger Wehrverband, wie ihn Röhm in der Zwischenzeit weiter ausgebildet hatte, sondern als politischer Verband innerhalb der Partei, sollte die SA wiederaufgebaut werden. Nicht mit paramilitärischen Methoden, sondern als Propagandatruppe und Abbild des politischen Willens der Partei sollte die SA auf der Straße agieren. Das erforderte allein schon der Legalitätskurs, auf den sich Hitler nach dem kläglichen Scheitern seines Putsches festgelegt hatte.

Die Organisationsstruktur der NSDAP beschränkte sich zunächst auf die Reichsleitung in München, auf die Gaue (ihre Zahl schwankte von 1925 bis 1937 zwischen 30 und 36) und die Ortsgruppen. Träger der Parteiarbeit und ihrer Expansion waren die Gauleiter, die als Unterführer in einem personalen Gefolgschaftsverhältnis zum "Führer" standen und ihre Macht auf ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit wie auf ihr besonderes Treueverhältnis zum "Führer" gründeten. Sie erkannten ihn überdies als Symbol der Parteieinheit an, obwohl sie in der Regel von Gregor Strasser eingesetzt worden waren.

Dank des Organisationstalents von Strasser wurde die Partei zunächst in ihren Untergliederungen bis hinunter auf die Ebene der Ortsgruppe aufgebaut. Ab 1926, verstärkt ab 1929 kamen Sonderorganisationen und Berufsverbände hinzu, die nach dem Vorbild anderer moderner Massenparteien ein Netzwerk zur Mobilisierung und Erfassung der heterogenen Mitglieder- und Anhängerschaft mit ihren unterschiedlichen Interessen bildeten: 1926 wurde als Jugendverband der "Bund der deutschen Arbeiterjugend" sowie der "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" (NSDtB) gegründet; 1928 folgte der "Bund Nationalsozialistischer Juristen", 1929 der "Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund" und der "Kampfbund für Deutsche Kultur", 1929 der "Nationalsozialistische Schülerbund", 1930 der "Agrarpolitische Apparat" und die "Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation" (NSBO), 1931 die "Nationalsozialistische Frauenschaft", im Dezember 1932 der "Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand". Dem Staatsapparat nachempfundene "Ämte für Außenpolitik, Presse, Politik in den Betrieben, Rechtsfragen, Technik usw. kamen hinzu und führten zum ambitiösen Ausbau eines "Schattenstaates", der propagandistisch wirksam den Machtanspruch der Partei repräsentierte und den Ehrgeiz der Funktionäre befriedigte. Vor allem sollte und konnte die Partei dadurch schon früh in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereich eindringen, was den Prozeß der Machteroberung ganz erheblich befördern sollte.

Führerkult

Während sich die Partei politisch noch im Abseits oder allenfalls im Aufwind befand, entstand so der organisatorische Rahmen für die spätere Massenmobilisierung. Vor allem wurde der auf Hitler fixierte Führerkult endgültig institutionalisiert: Alle Parteigenossen hatten sich mit "Heil Hitler" zu grüßen und der Jugendverband wurde in "Hitler-Jugend" (HJ) umbenannt. Goebbels wurde nun zum Propagandisten des Führerkultes, den aber auch der in Bamberg unterlegene Gregor Strasser nun energisch unterstützte.

Neben der Schaffung von äußeren Symbolen für seine politische Herrschaft gelang es Hitler vor allem, das Parteiprogramm ganz mit seiner Person zu identifizieren. Adolf Hitler war, wie von der Parteipropaganda unablässig verbreitet, das Programm und stand darum nach außen für eine Geschlossenheit der Partei, die in der parteiinternen Realität nur bedingt existierte und durch Konflikte zwischen einzelnen Unterführern immer wieder gefährdet wurde. Idee und Organisation waren nun in der charismatischen Führerpartei untrennbar miteinander verbunden.

Hitler war zum ideologischen und machtpolitischen Bezugspunkt innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung geworden. Seine Herrschaft gründete sich auf eine tatsächliche persönliche Machtposition über der Partei und ihrer rivalisierenden Fraktionen, aber auch auf eine symbolische, außergewöhnliche Stellung: Auf eine Führererwartung und einen Führerkult, der an ihn herangetragen und von der Propaganda unaufhörlich verstärkt und verbreitet wurde. Diese personale, auf außergewöhnliche Merkmale begründete Herrschaft wurde mit dem Soziologen Max Weber als charismatische Herrschaft bezeichnet. Sie unterscheidet sich von einer traditionalen Herrschaft ererbter Titel wie von einer legalen, unpersönlichen und bürokratischen Herrschaft. Sie war auf eine außerordentliche Machtstellung eines einzelnen gegründet, der das Bedürfnis nach Heroismus und Sendungsbewußtsein, nach Größe und Hingabe verkörperte. Dieser charismatische Herrscher war andererseits auf Erfolg und eine sich ständig erneuernde Zustimmung angewiesen. Seine Entscheidungen orientierten sich nicht nach bürokratischen Regeln, sondern an "Tat und Beispiel" (Max Weber) und erfolgten von Fall zu Fall.

Zu einem erfolgreichen charismatischen Führer gehörte überdies eine Organisation bzw. Gefolgschaft, die alle Kennzeichen einer charismatischen Gemeinschaft erfüllte. Sie bestand aus einem engen Kreis Vertrauter, die zugleich als Transmissionsriemen des Führerkultes dienten und sich zum "Führer" in einem gleichsam feudalen personalen Treueverhältnis befanden. Eine solche charismatische Führerfigur konnte freilich nur in Zeiten Massenwirksamkeit erzielen, die so krisenhaft und außergewöhnlich waren.

Die Willensbildung in der charismatischen Führerpartei, als die man die NSDAP wie kaum eine andere Bewegung charakterisieren kann, bezog sich allein auf die personale Autorität des "Führers". Ansätze kollegialer politischer Willensbildung wurden unterbunden. Innerparteiliche Gruppierungen organisierten sich nicht gegen Hitler, sondern suchten seine Unterstützung im Machtkampf mit anderen Personen und Gruppierungen der Partei zu gewinnen. Hitler duldete und förderte zeitweise solche Gruppenbildungen, die seine Rolle als oberste Schiedsinstanz herausstellen halfen. Die Versuche des Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser, durch eine zentrale Reichsleitung die politischen Entscheidungswege der Partei dauerhaft und bürokratisch zu organisieren, gefährdete den Machtanspruch des charismatischen Führers, war aber umgekehrt für eine Massenpartei unverzichtbar. Bezeichnenderweise wurden nach dem Ausscheiden Strassers im Dezember 1932 von Hitler alle Elemente, die auf eine eigene Machtkompetenz der zentralen Reichsitung zielten, wieder rückgängig gemacht und auf Hilter allein bezogen, was die Tendenz zum Zerfallen der Partei in personenorientierte Machtgruppen wieder verstärkte.

Erste Erfolge

Die politischen Erfolge der NSDAP blieben in den Jahren der Stabilisierung der Weimarer Republik sehr beschränkt. Bei dem ersten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl am 29. März 1925 erreichte der von der NSDAP unterstützte Weltkriegsheld Ludendorff nur 285000 Stimmen. Das bedeutete zugleich das politische Ende eines für Hitler damals noch gefährlichen Rivalen. Bei den Reichtstagswahlen 1928 erhielt die NSDAP 2,6 Prozent der Stimmen und 12 Abgeordnetensitze. Ende 1929 saßen in 13 Landtagen insgesamt 48 NSDAP-Abgeordnete.

Die erdrutschartigen Wahlerfolge der NSDAP seit 1930 lassen sich nicht aus der Persönlichkeit Hitlers erklären, sondern aus den Erwartungen, die in der großen Krise auf einen charismatischen Führer und seine Bewegung gerichtet wurden. Es war die Aufgabe der nationalsozialistischen Partei, die als charismatische Gemeinschaft längst auf ihren Führer eingeschworen war, das Bild von Hitler als dem Führer und Retter in die Wählerschaft zu tragen und die wachsende Zustimmung zu organisieren. Dabei wurde aus der NSDAP eine ideologische Protestbewegung, deren vorrangiges Ziel die Mobilisierung der Wähler durch eine permanente Propagandakampagne war.

Propaganda

Die NSDAP zog den größten Nutzen aus der Wirtschafts- und Staatskrise, die die Glaubwürdigkeit sowohl der liberal-kapitalistischen Wirtschaftsordnung wie des parlamentarisch-demokratischen Verfassungsstaates endgültig erschütterte. Mit ihren Ankündigungen eines strikten Sparkurses und der Wiederherstellung eines starken Beamten- und Verwaltungsstaates jenseits der Parteien und des Parlamentes konnten die traditionellen Machtgruppen um den Reichspräsidenten das widersprüchliche Verlangen sowohl nach Arbeit und Brot als auch nach politisch sozialen Visionen nicht befriedigen. Dies gelang hingegen der Hitler-Partei, die Veränderung und Bewahrung zugleich versprach und dies propagandistisch wirksam mit viel Pathos und Radikalität vortrug. Nun zeigten sich die Vorzüge der nationalsozialistischen "Idee", die vage genug war, um das Bild einer besseren Zukunft und eine leidenschaftliche Anklage gegen alles Bestehende zu entwickeln. Nationale Erneuerung und die Vernichtung der Volksfeinde mit dem Ziel einer national Volksgemeinschaft, das waren die Themen der unzähligen Propagandaveranstaltungen.

Hitlers Versprechungen kamen nicht deswegen an, weil sie etwa originell waren, sondern weil sie auf einen weithin fruchtbaren Boden fielen. Ihm und seiner Werbemaschinerie gelang es, die Ängste und Erwartungen der Vielen glaubhaft mit den eigenen Empfindungen zu verbinden und scheinbar einfache Lösungen zu versprechen. Hitler wurde seit dem Ende der zwanziger Jahre zunehmend zum "Vereinigungspunkt vieler Sehnsüchte, Ängste und Ressentiments" (Fest).

Hitlers Erfolge als Agitator waren in der Suggestivität seiner Rhetorik und in der immer weiter verfeinerten Inszenierung um seine Auftritte herum begründet. Seit seinen Anfängen in den Münchener Bierkellern hatte Hitler seine Zuhörer durch den beißenden Sarkasmus und auch durch das leidenschaftliche Pathos seiner Reden angezogen, und war dabei weder vor pseudoreligiösen Formeln noch vor brutalen Haßtiraden zurückgeschreckt. Er war immer flexibel genug, um sich den Erwartungen seiner jeweiligen Zuhörerschaft anzupassen und in der Thematik wie in der Tonlage und den Äußerlichkeiten seines Auftretens zu variieren. Das Repertoire reichte von einem Verhalten, das durch Attribute wie Lederpeitschen und Revolver revolutionäre Entschlossenheit signalisieren sollte, bis zu einem betont linkischen, zurückhaltenden Auftreten, mit dem er seine bürgerlichen Gönner mit Erfolg zu gewinnen suchte. Dann konnte er wieder der Natur- und Kunstfreund sein; später nach der "Machtergreifung" gefiel er sich in der Pose des Staatsmnes und des Mannes der "Vorsehung", der sich über die Kleinlichkeiten des Alltages längst erhoben hatte.

Auch wenn es sicherlich zutreffend ist, seit den späten zwanziger Jahren von einer "Hitler-Partei" zu sprechen, so ist die Wirkung des charismatischen Führers nicht ohne einen Blick auf die Führungsclique und seine propagandistischen Multiplikatoren zu erklären. Sie waren Hitler in einem personalen Treue-Verhältnis verbunden und wirkten ihrerseits beständig an der Verbreitung des Führer-Mythos mit. Das galt für Goebbels, der zu Hitler seit 1926 in einem besonderen Verhältnis der gläubigen Unterwerfung stand und der in hymnischen Wendungen am Führer-Mythos strickte. Das galt aber auch für Gregor Strasser, der, als potentieller Rivale zu schwach, alles daran setzte, durch das Zusammenwirken von Organisation und Propaganda, die NSDAP zu mobilisieren und die inneren Schwächen zu überspielen.

Instrumente der Agitation und Mobilisierung, die alle auf den Führer-Mythos ausgerichtet waren, bildeten Parteirituale und -symbole ebenso wie Aufmärsche und Demonstrationszüge der Parteigliederungen. Durch Parteitage und durch die Wahlkämpfe mit ihren Massenkundgebungen, mit ihren Fahnen, Appellen und ihrer Massenchoreographie, durch den Einsatz von Werbefilmen, Lautsprecherübertragungen und durch die spektakulären Deutschlandflüge mit der vieldeutigen Parole "Hitler über Deutschland" im April und Juli 1932 wurde eine Allgegenwart des Nationalsozialismus suggeriert. Damit signalisierte die NSDAP einerseits Entschlossenheit und Dynamik, andererseits technische Modernität und jugendlichen Aktivismus und unterstrich zugleich die charismatische Stellung Hitlers.

QuellentextOrganisationsstruktur der NSDAP

Die Partei wurde straff zentralisiert nach dem "Führerprinzip" gegliedert und auf den "Führer" als letztverantwortliche Instanz ausgerichtet, demokratische Ansätze der Frühzeit schnell durch das diktatorische Ernennungsprinzip von oben nach unten ersetzt. Oberstes Organ der NSDAP war die Reichsleitung mit dem "Führer" und der "Kanzlei des Führers" bzw. seit 1941 der "Parteikanzlei" an der Spitze und den einzelnen Amtsleitern bzw. ab 1933 Reichsleitern für bestimmte Aufgaben: unter anderem der Stellvertreter des "Führers" (1925-32 Gregor Strasser, 1933-41 Rudolf Heß) bzw. seit 1941 der Sekretär des "Führers" (Martin Bormann), der Reichspropagandaleiter (1925-28 Strasser, seit 1929 Joseph Goebbels), der Reichsorganisationsleiter (1928-32 Strasser, dann Robert Ley), der Reichsschatzmeister (Franz Xaver Schwarz), der Oberste Parteirichter (Walter Buch), der Reichspressechef (Otto Dietrich), der Amtsleiter für die Presse (Max Amann), der Stabschef der SA (1930-34 Ernst Röhm), der Reichsjugendführer (ab 1931 Baldur v. Schirach), der Parteigeschäftsführer (Philipp Bouhler) sowie der Chef der Auslandsabteilung (Ernst Wilhelm Bohle), des späteren Reichsamtes für Agrarpolitik (Richard Walter Darré), des Reichsrechtsamtes (Hans Frank), des Außenpolitischen Amtes (Alfred Rosenberg), des Kolonialpolitischen Amtes (Franz Ritter von Epp) und der Reichstagsfraktion (Wilhelm Frick). Regional war die NSDAP vertikal durchstrukturiert in Gaue [...], Kreise, Ortsgruppen, Zellen und Blocks; ihre Leiter bildeten zusammen das "Korps der politischen Leiter", 1937 rund 700.000 Personen.

Wendt, Bernd-Jürgen, Deutschland 1933-1945. Das Dritte Reich. Hannover 1995, S. 46 f.

Die Rastlosigkeit der regionalen Versammlungswellen und der Propagandamärsche, der Plakat- und Flugblattaktionen, der Werbetrupps und SA-Musikzüge, der SA-Suppenküchen und der Spendenbüchsen erweckte den Eindruck permanenter Bewegung und Kraftentfaltung. Die Demonstrationsmärsche der SA oft durch Wohnquartiere der politisch-sozialen Gegner schufen nicht nur eine bürgerkriegsähnliche Situation, sondern boten dem Nationalsozialismus die Chance, sich als entschlossene Kampfbewegung darzustellen. Aktionismus und Gewalt von den paramilitärischen Parteiverbänden der SA und SS, Überfälle auf kommunistische Parteieinrichtungen und -mitglieder, wobei man auch nicht vor Mordaktionen zurückschreckte; ferner der Irrationalismus der Fahnenweihen und des Märtyrerkultes um die nationalsozialistischen Opfer der Straßenkämpfe, schließlich die Treue- und Opferschwüre - all das waren Elemente einer Heroisierung der Politik. Sie sollten Zeichen dafür sein, daß man sich in einem fundamentalen Gegensatz zur politischen Kultur der rlamentarischen Demokratie verstand.

Mitglieder und Wähler

Hitlers Charisma mußte nicht jeden beeindrucken; für viele wirkte das Ritual der nationalsozialistischen Propaganda und Rhetorik eher lächerlich oder abstoßend. Das galt vor allem für diejenigen, die über feste kulturelle Orientierungen verfügten: Weite Teile des katholischen Deutschlands, vor allem dort, wo die Konfession noch eine starke Wirkungskraft besaß, und ebenso die klassenbewußte, vor allem sozialdemokratische Arbeiterschaft, die in der Arbeiterkultur verankert war.

Umgekehrt gewann die NSDAP zunächst vor allem Anhänger unter der vorwiegend protestantischen Bevölkerung Nord- und Ostdeutschlands. Hitler fand mehr Zustimmung auf dem Land und in kleinen Städten als in industriellen Großstädten. Mitglieder und Wähler kamen vor allem aus den Schichten, die sich von der Krise in ihrer Existenz bedroht sowie um ihre Zukunft betrogen fühlten und die auf eine Veränderung aber nicht im Sinne der sozialistischen Parteien drängten. Stattdessen wollten sie an Elementen der Tradition und überkommener Autorität festhalten. Zugleich wurden sie durch antidemokratisches Gedankengut umgetrieben.

Aktive Mitglieder der NSDAP waren vor allem jüngere Männer. Nur 7,8 Prozent der Neuzugänge zwischen 1925 und 1932 waren Frauen. Fast 70 Prozent der Mitglieder im Jahre 1930 waren jünger als 40 Jahre, 37 Prozent jünger als 30 Jahre. Auch von den Parteifunktionären waren 65 Prozent unter 40 Jahre, 26 Prozent unter 30. Neben der sozialen Rekrutierung spielte also das Alter, das jugendliche Auftreten, eine erhebliche Rolle für den Beitritt zur NSDAP.

In sozialer Hinsicht stammten von den neuen Mitgliedern der Jahre 1930 bis 1932 35,9 Prozent aus den Unterschichten, 54,9 Prozent aus der unteren Mittelschicht und 9,2 Prozent aus der Oberschicht. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung waren die untere Mittelschicht und die Oberschicht deutlich überrepräsentiert, die Unterschichten unterrepräsentiert. Dennoch rekrutierten sich die NSDAP-Mitglieder aus allen sozialen Schichten, was in der Parteienlandschaft der Weimarer Republik relativ ungewöhnlich war. Immerhin waren ein Drittel der Neuzugänge Angehörige der Unterschichten, und die NSDAP war neben ihrem deutlichen mittelständischen Kern auch eine "Arbeiterpartei". Dabei rangierte sie allerdings nach SPD und KPD auf dem dritten Platz. In der Mehrzahl handelte es sich um bislang nichtorganisierte Arbeiter aus kleineren und mittleren Betrieben, aus Heimarbeit und Kleingewerbe und aus dem öffentlichen Dienst, die vor allem nach dem September 1930 zur NSDAP strömten.

Den ursprünglichen Kern bildeten Angehörige der unteren Mittelschichten, darunter vor allem Kaufleute und Gewerbetreibende (17,3 Prozent), kleinere und mittlere Angestellte (25,6 Prozent), Freiberufler (3 Prozent) und nichtakademische Fachleute wie Bauern (14,1 Prozent). Am Vorabend der Septemberwahlen 1930 waren 17,3 Prozent der Mitglieder Selbständige aus Handwerk, Gewerbe und Handel (Anteil an der Gesamtbevölkerung nur 9,2 Prozent). Auch kleine und mittlere Angestellte waren gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung in der NSDAP immer überrepräsentiert. Obwohl ihnen parteipolitische Aktivitäten untersagt waren, waren 1930 immerhin schon 8,3 Prozent der Mitglieder der NSDAP Beamte. Bemerkenswert war auch der Anteil der Bauern mit 14,1 Prozent, war dies doch eine soziale Gruppe, die sich traditionsgemäß politisch weniger organisierte.

Bedeutung der Mittelschichten

Was für die soziale Herkunft der Mitglieder gilt, bestätigt sich mit einigen Verschiebungen auch bei den Wählern. Die NSDAP fand ihre Wähler in allen Schichten und sie stellte darum den Typus einer "Volkspartei" dar. Das Gewicht der verschiedenen sozialen Schichten veränderte sich im Verlauf der Parteigeschichte. Den stabilsten Kern der NS-Wählerschaft bildeten Angehörige der alten städtischen Mittelschichten und der kleinen Landwirte. In der großen Krise kamen vor allem Protestwähler aus der neuen Mittelschicht der Angestellten sowie aus dem Rentnermilieu hinzu. Nach 1930 wuchs zudem die Neigung bürgerlicher Honoratioren, die NSDAP zu wählen, sehr stark. Das zeigen die Wahlergebnisse in wohlhabenden Wohnvierteln der Städte. Der Anteil der Frauen unter den NS-Wählern war 1930 im Vergleich zur Gesamtbevölkerung noch leicht unterrepräsentiert, was sich bis 1933 in ein leichtes Übergewicht verwandelte.

Wichtig im Wahlverhalten waren die regionalen und konfessionellen Unterschiede. Die NSDAP wurde in den protestantischen Kreisen Norddeutschlands gewählt bis hin ins protestantische Franken und nach Thüringen. Sie gewann 50 Prozent ihrer Stimmen in Gemeinden und Städten unter 5000 Einwohnern, in den Großstädten nur maximal 40 Prozent. Gegen den verbreiteten Sog zur NSDAP konnten sich nur die Zentrums-Partei, die noch einigermaßen fest im katholischen Milieu verankert war, wie die SPD und die KPD andererseits behaupten, die ihre Stammwähler weitgehend halten konnten.

Was die Hitler-Partei attraktiv machte, waren die Wirksamkeit des Hitler-Kultes, die restaurativen Sehnsüchte nach der Rückkehr zu alten Sozialordnungen wie auch die Erwartungen von sozialem Aufstieg und Modernisierung. Bei genauerem Zusehen hätte auffallen müssen, daß die verschiedenen Versprechungen, die die NSDAP ihrem aus fast allen sozialen Lagern stammenden Publikum machte, in sich höchst widersprüchlich waren und längst nicht alle materiellen Interessen der Anhänger hätten befriedigen können (und später auch nicht getan haben). Daß die Propaganda in einer solchen von Krisen, Ängsten und Hoffnungen geprägten Situation so attraktiv war und daß der Appell zur Volksgemeinschaft und nationalen Größe so wirksam werden konnte, war ein Reflex der Legitimations- und Identitätskrise der deutschen Gesellschaft der frühen dreißiger Jahre, die sich in ihrer Mehrheit nach einfachen und radikalen Lösungen sehnte.

Die NSDAP finanzierte ihre aufwendigen Propagandakampagnen in erster Linie durch ihre Mitglieder und deren Beiträge, durch Eintrittsgelder für ihre Massenveranstaltungen und dann auch durch Spenden von Sympathisanten aus dem bürgerlich-gewerblichen Bereich, vor allem von Inhabern kleinerer und mittlerer Betriebe. Es liegen dagegen keine Belege für eine kontinuierliche finanzielle Förderung der NSDAP durch die Großindustrie vor, die ihre Zuweisungen zudem parteipolitisch streute. Auch wenn es aus Banken und Großunternehmungen wie der IG-Farben persönliche finanzielle Zuwendungen an einzelne Repräsentanten eines wirtschaftsfreundlichen Kurses in der NSDAP gab, so erfolgten diese und andere Subventionen in der Regel immer erst nach den Wahlerfolgen der NSDAP.

Wie begrenzt die politischen Einflußmöglichkeiten des Geldes waren, zeigen Versuche der Großindustrie zwischen 1930 und 1932, eine bürgerliche Rechtspartei nach eigenen Wünschen zu gründen bzw. zu fördern, was fehlschlug. Zudem war das Verhalten der Großindustrie gegenüber der NSDAP und einer Regierungsbeteiligung Hitlers sehr uneinheitlich; nur eine kleine Fraktion, darunter Fritz Thyssen und Paul Silverberg, zweiter Mann des Reichsverbandes der Industrie, unterstützte Hitler; die Mehrheit aus Schwerindustrie und den modernen Leichtindustrien aus Elektro-, Chemie- und Verarbeitungsbereich setzte weiterhin auf eine Präsidialregierung unter Franz von Papen oder gab dem Konzept des Reichskanzlers Kurt von Schleicher den Vorzug. Entscheidender war die Rolle der Großwirtschaft, die sie im Verbund mit anderen traditionellen Machteliten schon zuvor bei der Zerstörung der parlamentarischen Demokratie zugunsten einer autoritären Staatsform seit 1929/30 gespielt hatten; eine Lösung, die sich am Ende dann vor dem Ansturm der nationalsozialistischen Massenbewegung nicht behaupten konnte.

Auf dem Weg zur Macht

Der Durchbruch zur Macht vollzog sich in kaum mehr als zwei Jahren. Nachdem die NSDAP durch ihre Beteiligung am Volksbegehren gegen den Young-Plan vom 22. Dezember 1929, das die endgültige Regelung der deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg vorsah, von der traditionellen Rechten aus Deutschnationalen und Stahlhelm hoffähig gemacht worden war, gelang es Hitler, erste Erfolge bereits bei Kommunal- und Landtagswahlen im Winter 1929/30 zu erringen. Auffällig war auch die starke Mitgliederzunahme unmittelbar nach dem Volksbegehren, mit dem in einer großangelegten Hetzkampagne gegen die angebliche "Versklavung des deutschen Volkes" und mit der Drohung von Landesverratsanklagen gegen alle an der Annahme des Young-Plans Beteiligten die nationalen Leidenschaften aufgewühlt worden waren. Allein im Dezember 1929 sollen 19000 Aufnahmegesuche bei der NSDAP eingegangen sein. Bereits im Frühjahr 1930 betrug die Mitgliederzahl der Partei über 200000. Der Aufstieg der NSDAP ging also nicht allein auf die Weltwirtschaftskrise zurück, sondern begann bereits vorher in einer Phase der nationalistischen Emotionalisierung, das heißt in einem Moment der sich zuspitzenden Krise der parlamentarischen Demokratie.

In dieser Stimmung konnte die NSDAP bei den Landtagswahlen in Thüringen im Dezember 1929 ihre Stimmenzahl verdreifachen, so daß sie zum ersten Mal auf über zehn Prozent der Stimmen anwuchs. Hier wurde dann auch die erste Regierung unter Beteiligung der NSDAP mit Wilhelm Frick als Innen- und Volksbildungsminister gebildet, der alles tat, um Thüringen zum "nationalsozialistischen Modell" (Broszat) zu machen. Es gelang ihm, den nationalsozialistischen Einfluß auf die Schulen auszudehnen, an der Universität Jena einen Lehrstuhl für Rassenfragen und Rassenkunde einzurichten und erste personalpolitische Säuberungsaktionen vorzunehmen, die sich derselben antimarxistischen Argumente bedienten wie später bei der nationalsozialistischen Machtergreifung im Frühjahr 1933. Schließlich konnte der sozialdemokratische Reichsinnenminister Carl Severing einer weiteren Nazifizierung Thüringens durch Sperrung von Finanzzuweisungen einen Riegel vorschieben.

Schon 1932 eroberten die Nationalsozialisten auch andere Länder wie Oldenburg, Sachsen-Anhalt und Braunschweig, wo Hitler 1932 vor der Reichspräsidentenwahl noch in aller Eile zum Regierungsrat ernannt wurde, um die zur Wahl notwendige deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten. Bei der Landtagswahl am 24. April 1932 verkürzte sich in Bayern der Abstand zwischen Zentrum bzw. Bayerischer Volkspartei (BVP, 32,6) zur NSDAP (32,5) auf 0,1 Prozent. Dies macht augenfällig, wie wichtig diese ersten Stützpunkte in den Ländern sein sollten; später bei der Politik der Gleichschaltung im Frühjahr 1933 bildeten sie die entscheidenden Brückenköpfe.

Reichstagswahlen 1930

Zu einem politischen Erdrutsch kam es dann bei den Reichstagswahlen im September 1930. Die NSDAP konnte mit 6,4 Millionen Wählern (18,3 Prozent) das Achtfache der Wählerzahl von 1928 vorweisen: Ihre Mandatszahl stieg von zwölf auf 107. Damit war sie hinter der SPD (24,5 Prozent) und vor dem Zentrum zur zweitstärksten Partei geworden und hatte über Nacht die Parteienlandschaft verändert. Bereits die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung von 82 Prozent, die fast an den Spitzenwert von 1919 (83 Prozent) heranreichte, zeigt das Ausmaß der Mobilisierung, die sich vor allem zugunsten der NSDAP auswirkte. Neben der hohen Wahlbeteiligung waren vor allem die Verluste der bürgerlichen Parteien für den Wahlerfolg der NSDAP verantwortlich. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Deutsche Volkspartei (DVP) waren plötzlich zu Splitterparteien geworden, und auch Hugenbergs Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war auf sieben Prozent zusammengeschrumpft. Sonst hatten nur noch die Kommunisten Gewinne erzielt, deren Ergebnis mit 13,1 Prozent längst nicht so dramatisch ausfiel wie das der NSDAP.

Die historische Zäsur, die diese Wahl bedeutete, wurde auch von den Zeitgenossen sofort erkannt. Sie galt ihnen als Ausdruck der Krise des Parlamentarismus und eines Legitimationsschwundes der bürgerlich-liberalen Ordnung, der sich offenbar in einem unbestimmten Wunsch nach Veränderung niederschlug. "Kein positiver Wille, auch nicht der zu einem wirklichen Umsturz des heutigen Staates [...] steht hinter einem großen Teil dieser radikal-negierenden Stimmen", stellte die "Frankfurter Zeitung" fest.

Reaktionen auf NSDAP-Gewinne

Auch verfassungspolitisch stand nun ein neues Thema auf der Tagesordnung. Hatte der Gegensatz bis dahin noch gelautet "Republik oder Monarchie", so wurde dies nun von dem Gegensatz "Rechtsstaat oder Diktatur" überlagert. Aus der Verschränkung dieser beiden Alternativen, die gegen die Republik gerichtet waren, ergab sich ein großer Teil der Dynamik im Auflösungsprozeß der Weimarer Republik, der mit der Machteroberung durch die NSDAP verbunden war, aber davon nicht allein verursacht worden war. Denn die Weimarer Republik war bereits seit 1930 durch die Schwäche der sie tragenden Parteien und die mangelnde Konsensfähigkeit im Parlament, vor allem aber durch die Pläne zu einer Verfassungsveränderung von rechts in einem Zustand der Auflösung, so daß die Nationalsozialisten diesen Prozeß zusammen mit den Verfechtern einer autoritären Lösung nur noch beschleunigt haben.

Seit den Septemberwahlen von 1930 ging es in der deutschen Politik auch um die Frage, wie man sich gegenüber der neuen nationalsozialistischen Massenbewegung verhalten sollte. Überlegungen wurden in Reichswehr und Politik laut, die mittelfristig eine Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten anstrebten, um diese zu zähmen und zu integrieren. Die Alternative, die ebenfalls in Parteien und Parlament diskutiert wurde, war die Bildung einer geschlossenen Abwehrfront gegen diese Herausforderung. Zunächst gab es durchaus Anzeichen dafür, daß die Kräfte des Rechtsstaates und der Verständigung zusammenrückten: Die Sozialdemokraten tolerierten den Sparkurs von Reichskanzler Brüning. Darüber hinaus versuchten Preußen und andere demokratische Länderregierungen, durch Verordnungen und durch Druck auf die Reichsregierung energisch gegen die politischen Gewalttätigkeiten der Nationalsozialisten vorzugehen.

Daneben gab es auch im gesellschaftlichen Bereich Widerstand. Das sozialdemokratische Reichsbanner machte gegen die NSDAP mobil. Auch die katholischen Bischöfe grenzten sich in gemeinsamen Erklärungen scharf vom Nationalsozialismus ab. Eine erste Maßnahme des Reiches war eine Notverordnung des Reichspräsidenten 1931 gegen politische Gewalttätigkeit von links und rechts; die schärfste Form war die Notverordnung vom April 1932 "zur Sicherung der Staatsautorität", die ein Verbot von SA und SS aussprach. Doch prominente Förderer und Anhänger, bis hin zum Kaisersohn August Wilhelm von Preußen sicherten der NSDAP nach wie vor hohes Ansehen. Darüber hinaus lösten Überlegungen der Reichswehr, die das Wehrpotential der SA für ihre Zwecke nutzen wollte, die Abwehrfront noch weiter auf. So blieben die Abwehrmaßnahmen Stückwerk und wurden bald von erneuten Vorleistungen an die NSDAP aufgelöst.

Unübersehbar waren zudem auch Pläne, die "national wertvollen Kräfte" der NSDAP für die eigenen Zielsetzungen fruchtbar zu machen. Überlegungen, man könne und müsse die revolutionären Elemente im Nationalsozialismus nur zähmen und die Bewegung behutsam an den Staat heranführen, mußten in dem Maße attraktiver werden, in dem die ökonomische Krise sich seit 1931 noch zuspitzte, die NSDAP noch größeren Zulauf erhielt. Derartige Vorstellungen gab es in der Reichswehr, aber auch in der Großwirtschaft und schließlich bei den bürgerlichen Rechtsparteien. Auch Brüning suchte im Oktober 1930 das politische Gespräch, um festzustellen, ob mit Hitler nicht in eine kalkulierbare politische Verabredung zu kommen wäre. Das mußte freilich das Mißtrauen bei den demokratischen Parteien wachsen lassen, besonders bei der SPD, die umgekehrt auf der radikalen politischen Linken in der erstarkenden KPD einen Konkurrenten besaß, mit dem man angesichts der sozialen Not und der Verbitterung vor allem im Arbeitermilieu rechnen mußte undadurch im Handlungsspielraum eingeengt war.

Nach der Septemberwahl war nicht absehbar, wie Hitler den Weg zur Macht fortsetzen wollte. Verhandlungen über eine direkte Beteiligung an der Regierung blieben ohne Erfolg, andererseits wuchs mit dem Erfolg auch der Erwartungsdruck der Anhänger. Die Frage, ob man den Legalitätskurs einhalten oder wieder zur revolutionären Strategie greifen sollte, war längst noch nicht entschieden und wurde durch Ausbrüche von politischer Gewalt in NSDAP und SA immer wieder aufgeworfen. Eine andere Möglichkeit bestand im Bündnis mit der nationalistischen Rechten, das im Oktober 1931 in Gestalt der "Harzburger Front", einem vorübergehenden Zusammenschluß nationalistischer und vaterländischer Verbände von Deutschnationalen, NSDAP und dem mächtigen konservativ-autoritären Frontsoldatenverband "Stahlhelm". Dazu waren das gegenseitige Mißtrauen und die jeweils eigenen Profilierungs- und Machtansprüche viel zu groß.

Deutlich wurde dies bei den Reichspräsidentenwahlen von 1932, wo die bürgerliche Rechte und die NSDAP sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten. In einer Stichwahl kam es zum Zweikampf zwischen Hitler und Hindenburg. Hindenburg wurde dabei von einer Koalition der demokratischen Parteien unterstützt und konnte eine Mehrheit von 53 Prozent auf sich vereinigen. Hitler konnte hingegen mit 36,8 Prozent eine erneute Stimmensteigerung verzeichnen. Doch in der ungeduldigen Massenbewegung, besonders in der SA, wurde das als Niederlage empfunden, die erneut die Frage der richtigen politischen Strategie aufkommen ließ.

Die internen Zweifel und Gegensätze wuchsen, als bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 die NSDAP zwar noch einmal zulegen konnte (37,3 Prozent), aber ein Ende der Zuwachsraten absehbar war. "Zur absoluten Mehrheit kommen wir so nicht", notierte Goebbels in sein Tagebuch. "Also einen anderen Weg einschlagen." Für den Propagandaleiter konnte das nur eine Abkehr vom Legalitätskurs oder vom Verlangen der NSDAP nach der ganzen Macht bedeuten. Für eine dezidierte Kursänderung trat der Reichsorganisationsleiter, Gregor Strasser, ein, der wegen der prekären Finanzsituation der Partei und der Grenzen der Mobilisierungsstrategie nach möglichen Koalitionen Ausschau hielt.

Von Papens Preußenschlag

Unterdessen hatte Reichspräsident von Hindenburg Ende Mai 1932 die Regierung Brüning fallengelassen. Massiv beeinflußt von General Kurt von Schleicher aus dem Reichswehrministerium hatte er stattdessen mit dem Zentrumspolitiker Franz von Papen und seinem Kabinett von parteipolitisch ungebundenen Adligen am 1. Juni 1932 eine neue Regierung installiert, die in einer Zeit wirtschaftlicher Krise und tiefgehender Massenmobilisierung politisch völlig isoliert war. Sie konnte sich nur auf das Notverordnungsrecht nach Artikel 48 der Verfassung und die Macht der Bürokratie und der Reichswehr stützen. Die Regierung Papen mit ihrem "Neuen Kurs" sollte nach dem Willen ihrer Schöpfer eine neue und entscheidende Stufe im Prozeß der autoritären Umgestaltung der Verfassung sein. Damit war einerseits eine Rückkehr zu einer halb-parlamentarischen halb-diktatorialen Regierungsform nach dem Muster Brünings verbaut. Andererseits gab es im Reichstag eine Mehrheit der verfassungsfeindlichen Parteien von NSDAP und KPD. Damit waren tionale politische Entscheidungen oder gar der Versuch eines mehrheitsfähigen parlamentarischen Konsenses aussichtslos oder liefen ins Leere. Stattdessen war nun Zufällen, Intrigen und Massenemotionen Tür und Tor geöffnet.

Dennoch wurden in der kurzen Regierungszeit Papens wichtige Weichen gestellt: Zunächst wurden neue Minister aus dem Lager der politischen Rechten bestellt, die außerhalb des parlamentarischen Spektrums standen und grundsätzlich auch zu einer Zusammenarbeit mit der NSDAP bereit waren. Sie hatten dann auch keine Probleme, nach dem 30. Januar 1933 in der Regierung Hitler weiter mitzuarbeiten. Auch einer Außerkraftsetzung der Verfassung und einer autoritären Diktatur - gestützt auf die Reichswehr - stand die Regierung Papen nicht ablehnend gegenüber, was einen sichtbaren Ausdruck in ihrer ersten spektakulären Aktion fand, dem "Preußenschlag" vom 20. Juli 1932.

Rechtswidrig und nur fadenscheinig begründet setzte von Papen die geschäftsführende, das heißt die nach den Landtagswahlen vom April 1932 ohne parlamentarische Mehrheit arbeitende preußische Regierung unter Ministerpräsident Otto Braun ab, die von Sozialdemokraten und Zentrum getragen wurde. Der Reichskanzler übernahm selbst das Amt des preußischen Ministerpräsidenten, für den Posten des Innenministers wurde ein Reichskommissar ernannt. Auch wenn die preußische Regierung nach den Wahlen ihre Mehrheit verloren hatte und der neue Landtag nicht mehr zur Mehrheitsbildung fähig war, war dies ein offener Verfassungsbruch.

Damit war ein wichtiges Bollwerk der Republik geschleift und die föderale Struktur der Verfassung entscheidend ausgehöhlt. In den folgenden Wochen und Monaten wurden in Preußen sozialdemokratische oder demokratische Regierungs- und Polizeipräsidenten oder Landräte ihrer Ämter enthoben und durch konservative Beamte ersetzt. Vor allem aber machte der Verlauf der Aktion, die auf wenig Widerstand stieß, deutlich, wie schwach die Demokratie nur noch war. Für die Nationalsozialisten sollte sich die Ausschaltung einer demokratischen Länderregierung und die sich daran anschließenden politischen Säuberungen in den Spitzen der Bürokratie als folgenreichste Vorleistung erweisen. Immerhin war damit ein antirepublikanischer Stützpunkt errichtet, der zum Ausgangspunkt der Gleichschaltungsaktionen im Frühjahr 1933 wurde.

Noch eine andere Vorleistung hatte die Regierung Franz von Papen sofort gebracht: Die Aufhebung des von Brüning und seinem Innenminister Wilhelm Groener verfügten SA-Verbots, was die Welle der bürgerkriegsähnlichen Gewaltaktionen sofort wieder anschwellen ließ und auch die Atmosphäre prägte, in der im Juli 1932 erneut Reichtstagswahlen stattfanden. Diese waren notwendig geworden, da von Papen, der keine parlamentarische Mehrheit besaß, am 4. Juni den Reichstag aufgelöst hatte. Wozu sich diese unruhige Truppe, die massiven Zulauf erhalten hatte, einsetzen ließ, zeigten die Vorgänge nach den Wahlen.

Nachdem bereits in ersten Vorgesprächen der neue Reichswehrminister von Schleicher eine Unterstützung der Reichskanzlerschaft Hitlers abgelehnt hatte, verweigerte der greise Reichspräsident von Hindenburg Hitler in einem kurzen Gespräch am 13. August strikt die Übergabe der Regierungsgewalt. Die Reichsregierung verschärfte noch diese Niederlage durch die Veröffentlichung eines Kommuniques, in dem sie nicht nur Hindenburgs Weigerung bekanntgab, sondern auch auf die Diktaturgefahr verwies, die von der NSDAP ausginge. Auch der Aufmarsch von SA-Truppen in Berlin konnte die alten Eliten nicht von ihrer Haltung abbringen, zumal Hitler vor einer offenen Kraftprobe mit der Exekutive zurückschreckte.

In der SA lösten die Demütigungen und die zurückhaltende Taktik Hitlers eine neue Welle der Enttäuschung und Wut aus. Daß für Papen und seine Führungsgruppe ein Zurück zu einem parlamentarischen System völlig ausgeschlossen war, machten die Pläne und Programme für einen Neuen Staat deutlich, die seine Ratgeber entwickelten. Sie planten eine autoritäre Staatsordnung ohne Parteien und mit einem schwachen Parlament, dessen Kompetenzen fast völlig beschnitten werden sollten. Außerhalb des Reichstages hatten solche Vorstellungen, die zurück in die Bismarck-Zeit strebten, durchaus Anhänger: in Teilen der Industrie und unter Großagrariern, aber auch in Reichswehr und Bürokratie. Auch an eine autoritäre Formierung der Erziehung war gedacht. Mit einer Notverordnung vom September 1932 wurde vor dem Hintergrund einer finanziellen Notlage größten Ausmaßes die Abkehr von den sozialpolitischen Errungenschaften des Weimarer Wohlfahrtsstaates praktiziert: Die Tariflöhne konnten nun um zwölf Prozent, in manchen Fällen um 20 Prozent unterschritten werden und auch die Leistungen im Wohlfahrtsbereich wurden drastisch eingeschränkt.

Mit seinen Plänen für einen autoritären "Neuen Staat" bewegte sich Papen freilich zunehmend im politischen Niemandsland. Noch brauchte er nach den Bestimmungen der Verfassung die parlamentarische Duldung für seine Notverordnungsregierung, und die erhielt er nach den Wahlen vom Juli nicht mehr. Auch drohten die Gewerkschaften mit einem Generalstreik. Auf der anderen Seite ließ die wachsende Welle von Gewalt, die über das Land schwappte, zunehmend Zweifel an der Ordnungskraft dieser Regierungsform aufkommen. Bevor Papen weiter handeln konnte, hatte ihm aber der neugewählte Reichstag schon die Unterstützung verweigert, so daß es zu einer erneuten Auflösung des Parlamentes und zu Neuwahlen am 6. November 1932 kam.

Schleichers schnelles Scheitern

Bei den Novemberwahlen waren die Stimmen der NSDAP von 37,3 Prozent auf 33,1 Prozent merklich zurückgegangen, während umgekehrt die KPD einen Zuwachs von 14,3 Prozent auf 16,9 Prozent zu verzeichnen hatte. Die beiden extremistischen Parteien verfügten wiederum über eine Blockademehrheit im Reichstag. Die Regierung Papen fand wieder keine parlamentarische Basis und es blieb ihr nur noch der Rücktritt. Damit endete eine Phase konservativ-autoritärer Illusionen, in der versucht worden war, Ziele einer kleinen Oberschicht zum Fundament einer Regierung und eines Staates zu machen. Wollte Schleicher seine alternative Strategie einer Einbindung der als "wertvoll" erachteten Teile der NSDAP in die Regierung doch noch verwirklichen, mußte er, der bisher immer im Hintergrund agiert hatte, nun selbst das politische Ruder übernehmen. Er setzte auf ein alternatives politisches Programm, das auf die veränderten politischen Kräfteverhältnisse und auch auf mögliche interne Gegensätze in der NSDAP zu reagieren suchte.

Schleicher verkündete eine Politik des "Burgfriedens" zwischen den politisch-sozialen Lagern und die Bildung einer "Querachse" zwischen den Freien Gewerkschaften einerseits und den kooperationswilligen Teilen der NSDAP andererseits zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und des sozialen Elends. Er bot Gregor Strasser als dem vermeintlichen Exponenten solcher Kräfte in der NSDAP die Vizekanzlerschaft an, jedoch waren die Gräben zwischen den Lagern zu tief und die Machtverhältnisse in der NSDAP anders als Schleicher dies vermutet hatte. Die Gewerkschaften gaben ihm eine Absage, weil sie die Glaubwürdigkeit Schleichers und seines angedeuteten politischen Kurswechsels bezweifelten und weil sie noch stärker als die SPD, die sich vorsichtig kooperationsbereit zeigte, fürchteten, durch ein solches Bündnis mit einer Regierung, deren Mitglieder als elitäre "Herrenreiter" galten, Einfluß an die radikale KPD abzugeben.

Gregor Strasser nahm das Angebot zwar ernst, doch zeigte er sich im entscheidenden Moment Hitler an politischer Willenskraft unterlegen und beugte sich seinem Kurs des Alles oder Nichts. Mehr noch er trat von allen Parteiämtern zurück und resignierte, was ihn freilich genauso wenig von Hitlers späterer Rache schützte wie Schleicher. Beide wurden in den Mordaktionen während der sogenannten Röhm-Affäre im Sommer 1934 durch den nationalsozialistischen Staat umgebracht. Schleichers Plan scheiterte aber auch am Mißtrauen der großen wirtschaftlichen Interessenorganisationen. Sowohl die Großagrarier als auch Teile der Industrie lehnten seinen Kurs als "sozialistisch" ab und intervenierten dementsprechend beim Reichspräsidenten, der einzigen Stütze der Präsidialregierungen.

Papens Intrigen für Hitler

In dieser Situation begann der dramatische Schlußakt im Prozeß des Untergangs der Weimarer Republik, im Übergang von einem autoritären System zu einer nationalsozialistischen Diktatur. Doch auch an der Jahreswende 1932/33 waren noch verschiedene Ausgänge und Lösungen der Staatskrise denkbar; vor allem eine Fortsetzung eines autoritären Regimes war nicht ausgeschlossen und wurde von der Mehrheit der Zeitgenossen auch angenommen. Der Weg zur Regierungsübernahme durch Hitler war nicht zwingend und auch nicht unvermeidlich; bis zuletzt gab es politische Alternativen, auch wenn einige davon schon verbraucht waren.

Die entscheidende Rolle in dem politischen Intrigen- und Machtstück, das sich nun vollends entfaltete, spielte Papen, der nach wie vor das Vertrauen Hindenburgs besaß. Er wollte auf jeden Fall Schleicher, seinen einstigen Gönner, zu Fall bringen und konnte sich dabei auch der Unterstützung von Teilen der traditionellen Machtgruppen vor allem aus dem Kreis der Großagrarier, aber auch der Industrie sicher sein. Papen meinte, zu seinem Machtpoker auch die NSDAP einsetzen zu können, die nach den Wahlverlusten vom November 1932, nach der Führungskrise um Gregor Strasser und durch erneute interne Konflikte mit rebellischen SA-Einheiten geschwächt war. Grundsätzlich ähnelten die Verfechter des autoritären Staates und auch die NSDAP mit Hitlers Alles-oder-Nichts-Strategie im Januar 1933 zwei politisch Verunsicherten oder Gescheiterten, die nach einer letzten Stütze suchten.

Zum Jahreswechsel, als die politischen Leitartikler schon das baldige Ende des Hitlerismus prophezeiten, hatte Papen sich hinter von Schleichers Rücken mit Hitler heimlich getroffen und ihm die Reichskanzlerschaft in einem gemeinsamen Kabinett angeboten. Doch stand hinter diesem Ränkespiel keine breite politische Front: Weder die Großindustrie stützte mehrheitlich diesen Kurs, noch konnte die NSDAP in diesem Moment sich ihrer Massenbewegung sicher sein. Ansonsten waren die politischen Akteure zerstritten und geschwächt, alle bisherigen politischen Lösungsmodelle schienen zudem erschöpft oder unvorstellbar. Das war der Vorteil des Planes von Papen, der nun alles daran setzte, die Zustimmung des zögernden oder ablehenden Hindenburg zu bekommen. Am Ende waren es Gerüchte oder drohende Skandale, die die Entscheidung zu einer Lösung Hitler/Papen begünstigten. Vor allem die Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten in der Osthilfe, einem Regierungsförderungsprogramm für die ostdeutsche Landwirtschaft, schreckte die Großlawirtschaft auf und wurde politisch eingesetzt, um auch Hindenburg für die Konzepte Papens geneigter zu machen.

Auch die Sorgen vor einem "sozialistischen" Experiment Schleichers riefen weiterhin starke ökonomische Interessen auf den Plan, die für eine Unterstützung einer Regierung Hitler/Papen benutzt wurden. Neben dem Reichslandbund, der Interessenvertretung der Großagrarier, gab es auch einflußreiche Reichswehrgeneräle wie Werner von Blomberg, die gegen Schleichers Pläne einer Militärdiktatur als Ausweg aus der verfahrenen Situation Front machten und sich ihrerseits Hitler andienten. Denn Schleicher wollte nun gestützt auf die präsidiale Notverordnungsmacht denselben Kurs steuern, den er Papen noch einige Wochen zuvor verweigert hatte. Hinzu kam bei einigen Generälen der verlockende Gedanke, mit der nationalsozialistischen Massenbewegung eine Stärkung der Stellung des Militärs zu betreiben, das Militär aber zugleich aus der direkten Politik herauszuhalten.

Umgekehrt bot sich für Hitler die Chance, im Bündnis mit der Reichswehr diese aus der Politik herauszuhalten und damit mittelfristig als politische Gegenkraft auszuschalten. Denn die Parole Hitlers von den "zwei Säulen" im Staat, nämlich einer nationalsozialistischen politischen Macht einerseits und der Reichswehr andererseits, die sich auf die "Wehrhaftmachung" und die Aufrüstung konzentrieren sollte, schien beiden Seiten zu dienen. Für die Reichswehr deutete sich eine Zukunft an, in der sie ihre eigenen Wünsche auf Wiederaufrüstung und Revision des Versailler Vertrages, aber auch auf Anerkennung ihrer vermeintlich von der Republik bestrittenen sozialen Elitefunktion zu verwirklichen hoffte.

Damit waren die wichtigsten Entscheidungen hinter den Kulissen gefallen und der greise Reichspräsident von seiner Abneigung gegen Hitler abgebracht, den er bis dahin als den "böhmischen Gefreiten" zu bezeichnen pflegte. Schließlich hatte man ihm versichert, daß nun eine Regierung mit klaren Mehrheiten gefunden würde, die ihm die Bürde der Verantwortung abnehmen und ihn von der Belastung eines möglichen Verfassungsbruches und Bürgerkriegs befreien würde, in die ihn seine eigenen Vertrauten in den Präsidialregierungen Papen und Schleicher mit ihren Staatsnotstandsplänen manövriert hatten. Nach diesen Vorentscheidungen wurden Schleicher am 28. Januar die Notverordnungsvollmachten des Präsidenten mit den Argumenten verweigert, die er Wochen zuvor selbst gegen Papen eingesetzt hatte. Es blieb dem politischen General nur noch der Rücktritt, zwei Tage später wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

Das Zähmungskonzept, das seit 1930 in der Reichswehr und in konservativen Führungszirkeln als mögliche politische Lösung diskutiert und getestet wurde, hatte sich am Ende durchgesetzt. In der Tat gab es immer weniger Alternativen, seitdem der Weg zurück zum Parlamentarismus so gut wie abgebrochen und die Auflösung der politischen Macht so weit vorangeschritten war, daß es nur noch die Lösung einer autoritären Regierung mit oder ohne die Nationalsozialisten zu geben schien.

Mit dieser als plebejisch verachteten nationalsozialistischen Massenbewegung, die lediglich als Mehrheitsbeschafferin agieren sollte, meinten die konservativen Machtträger aus vielerlei Gründen fertigwerden zu können: Schließlich besaßen die konservativen Eliten die wichtigsten institutionellen Machtapparate wie das Heer, die Bürokratie, die Justiz und die Unterstützung der Großwirtschaft. Was ihnen fehlte, nämliche eine Massenbasis als Voraussetzung für eine politische Integration, sollten ihnen die politikunerfahrenen Nationalsozialisten besorgen. Entsprechend meinte Papen jubeln zu können: "Wir haben ihn uns engagiert." Und weiter: "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, daß er quietscht."

Das war das klassische Dokument einer Fehleinschätzung, denn es fehlte den Verfechtern dieser Konzeption eine Vorstellung von der revolutionären Dynamik einer charismatischen Glaubens- und Kampfbewegung und von den politisch-sozialen Auflösungserscheinungen, die die Staats- und Wirtschaftskrise in Gesellschaft und Wirtschaft hinterlassen hatte, auch wenn die Fassade mitunter noch stabil und machtvoll wirkte. Wie schnell diese Bastionen unter dem Druck von Gewalt und der Bereitschaft zur Selbstaufgabe und Anpassung zusammenbrachen, zeigten die wenigen Wochen nach dem 30. Januar 1933. Sie wurden von den Nationalsozialisten sofort als "Machtergreifung" gefeiert. Tatsächlich waren sie zunächst aber nur die Folge der Auslieferung der Macht, die dann freilich in einen umfassenden Vorgang der Machteroberung mündete.

Quellen / Literatur

Auszug aus: Informationen zur politischen Bildung (Heft 251) - Die nationalsozialistische Massenbewegung in der Staats- und Wirtschaftskrise

Fussnoten

Weitere Inhalte

geb. 1943, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nationalsozialismus und der europäische Faschismus.

Veröffentlichungen u.a.: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, (Die Deutschen und ihre Nation, Bd. 5), Berlin 1986; Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002.