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Deutsch-polnische Klischees in den Medien

Thomas Urban

/ 7 Minuten zu lesen

Welche Klischees und Vorurteile hegen Polen und Deutsche? SZ-Korrespondent Thomas Urban hat einen Blick in die Medien gewagt.

Ausgaben der polnischen Boulevard-Zeitungen Super-Express (rechts) und Fakt (Axel Springer Verlag) zur Fußball-WM. (© AP)

Gemeinsam mit seinem Enkel schaut der deutsche Großvater ein altes Fotoalbum an. Ein Foto zeigt ihn als Jungen in Uniform. "Opa, wer ist denn der Mann da mit diesem quadratischen Schnauzbart?" Der Großvater antwortet: "Das ist der Hitler, der war ein ganz Böser!" "Opa, warum streckst du denn deinen Arm so nach oben?" Der Großvater: "Ich habe gerufen: Halt, Herr Hitler, bis hierhin und nicht weiter!"

Dieses ist einer der bekanntesten polnischen Deutschenwitze, die Warschauer Zeitungen sowie Internetportale als Antwort auf die Polenwitze der deutschen Nachbarn immer häufiger veröffentlichen. Denn es kränkt und empört die Polen, dass man in Deutschland Witze erzählt, die vor allem um ein Motiv kreisen: Der Pole klaut. Also sind die hackenschlagenden Deutschen vor ein paar Jahren als Witzfiguren und in Karikaturen nach Polen zurückgekehrt. Dabei hatten vor allem Politiker aus der Bundesrepublik nach der ersten Versöhnungswelle Anfang der neunziger Jahre immer wieder zu verstehen gegeben, wie erleichtert sie seien, dass nicht mehr jedes offizielle deutsch-polnische Gespräch "mit Hitler anfängt und mit Hitler aufhört". Doch während Politiker von Versöhnung redeten, überschwemmten damals Polenwitze das vereinigte Deutschland, was die Politologen völlig überraschte.

Denn in der alten Bundesrepublik war das Polenbild zuletzt eher positiv gewesen. Durch den Grauschleier, durch den die Westdeutschen in den Ostblock blickten, strahlte die Gewerkschaft Solidarität auf, die sich tapfer und friedlich dem Sowjetkoloss entgegenstellte. Die Westdeutschen schickten Millionen Pakete in die Volksrepublik Polen - "aus schlechtem Gewissen wegen Hitler", befand damals Jerzy Urban, der zynische Sprecher der kommunistischen Regierung. In der DDR aber gab es kaum Verständnis für die Solidarnosc. Die Mehrheit der DDR-Bürger war wohl froh, dass Ostberlin damals die Visafreiheit für Polen aufhob. Aus dieser Zeit rührt der Witz: "Warum wird im großen Kaufhaus am Alexanderplatz alle halbe Stunde die polnische Nationalhymne gespielt? Dann müssen die Polen strammstehen, und die DDR-Bevölkerung hat für ein paar Minuten die Chance, selbst Einkäufe zu machen."

Die diskriminierenden Polenwitze der neunziger Jahre waren indes ein gesamtdeutsches Phänomen. Wissenschaftler haben vielfältige Erklärungen dafür gesucht, beginnend mit dem Verweis auf die Wirklichkeit. Die polnische Automafia war ja real. Sie war Teil der Verbrechenswelle, die damals alle ehemaligen Ostblockländer erfasste, weil deren Behörden zu dieser Zeit selbst durchgehend korrupt und ohnehin nicht darauf vorbereitet waren. Hinzu kam, dass die Führung in Warschau nur zögerlich auf die Angebote aus dem Westen einging, beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität zusammenzuarbeiten. Man wollte sich nicht gleich in die gerade wiedererlangte Souveränität hineinreden lassen.

Jedenfalls wurde das Thema nicht nur Gegenstand der Medienberichterstattung, sondern sogar mehrerer "Tatort"- Krimis. Von da war es nicht weit zu den Polenwitzen, die Vorurteile wiederbelebten, wie sie seit mehr als zwei Jahrhunderten existierten. Dazu liegen Studien vor, etwa der Band "Polnische Wirtschaft" des Posener Historikers Hubert Orlowski. Er befasst sich mit der Vorstellung der Deutschen, Polen sei ein rückständiges, schlecht organisiertes Land. Dieses Klischee, das zur Zeiten der Planwirtschaft unter dem Parteiregime durchaus die Wirklichkeit widerspiegelte, zieht sich bis heute durch die deutschen Medien und ignoriert dabei die Ergebnisse eines anderthalb Jahrzehnte währenden Aufschwungs. So werden Berichte über die wirtschaftliche Entwicklung Polens auch Anfang des 21. Jahrhunderts nach wie vor gern mit Bildern von Pferdefuhrwerken illustriert, obwohl diese im Zuge des Modernisierungsschubs nach der Wende von 1989 nahezu völlig aus dem Straßenbild verschwunden sind. Die Zentren der Städte unterscheiden sich heute kaum von denen bei den westlichen Nachbarn, in Warschau wird das Panorama mittlerweile von anderthalb Dutzend postmodernen Wolkenkratzern dominiert, was deutsche Besucher immer wieder staunen lässt. Polnische Werbefachleute kalkulieren die Vorurteile bei den Kampagnen für den Export polnischer High-Tech-Produkte ein. So hat ein Posener Busproduzent den ersten europäischen Stadtbus mit Hybridantrieb serienreif gemacht. Die Firma heißt Solaris, zu ihrer Produktpalette gehören die Typen "Urbino", "Alpino", "Vacanza". Diese Namen sollen ganz offensichtlich das Herkunftsland verschleiern, da es ganz einfach nicht mit technischem Fortschritt in Verbindung gebracht wird. Solaris-Busse fahren mittlerweile in mehreren Dutzend deutschen Städten, aus Berlin ging ein Großauftrag von mehr als 200 Stück an die Produzenten. Doch dürften wohl nur die wenigsten Fahrgäste wissen, dass die ultramodernen Busse keineswegs aus Italien, sondern aus Polen kommen; sie passen nicht in das Polenbild, das die Mehrheit der Deutschen nach wie vor pflegt.

Die Idee der kulturellen Überlegenheit über die östlichen Nachbarn ist indes kein typisches deutsch-polnisches Phänomen, sie zieht sich durch ganz Europa, Wissenschaftler nennen es "Orientalismus": So dachten bis zum 20. Jahrhundert die Franzosen über die Deutschen, die Polen denken noch heute so über ihre östlichen Nachbarn, die Ukrainer und die Russen. Folgerichtig werden ukrainische Schwarzarbeiter und Putzfrauen in Polen kaum weniger herablassend behandelt, als polnische in der Bundesrepublik.

Zu dem den Polen unterstellten Hinterwäldlertum gehört auch die feste Überzeugung der meisten Deutschen, das Nachbarland befinde sich heute fest in der Hand des katholischen Klerus. In Wirklichkeit hat die Rolle der Kirche stark abgenommen. Die Kandidaten, die in den neunziger Jahren von den Bischöfen offensiv unterstützt wurden, haben nahezu alle wichtigen Wahlen verloren; die Kirche hat sich seitdem weitgehend aus der Alltagspolitik zurückgezogen. Überdies unterscheidet sich namentlich die junge Generation in moralischen und gesellschaftlichen Fragen kaum von ihren Altersgenossen in Westeuropa. Auch ist das bei den Deutschen überaus populäre – und zweifellos beliebte – Vorurteil, die meisten Polen seien antisemitisch eingestellt, längst nicht mehr durch die Wirklichkeit gedeckt. Vielmehr hat in Polen in den letzten Jahren eine teils heftige Antisemitismus-Debatte stattgefunden; sogar die Neokonservativen an der Weichsel sehen Antisemitismus als schädlich für das Ansehen der Nation an und setzen auf gute Beziehungen zum Staat Israel. Den Deutschen wird unterstellt, am Bild des polnischen Antisemiten festzuhalten, weil dies die deutsche Schuld am Holocaust relativiere.

Der Warschauer Historiker Tomasz Szarota hat in einer Untersuchung mit dem Titel "Der deutsche Michel" nachgezeichnet, wie diese alten Selbst- und Fremdenbilder auf deutscher Seite ihre extreme Ausformung in den Nazi-Parolen vom "slawischen Untermenschen" gefunden haben. Damit hat sich der Kreis von den Polenwitzen zur deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs geschlossen, die auf eine Vernichtung Polens als Kulturvolk hinauslaufen sollte. Denn in dieser Art von Witzen, die - einmalig in Europa - ein ganzes Volk kriminalisieren, sehen manche Psychologen einen unbewussten Entlastungsmechanismus für die deutsche Schuld, nach dem Motto: "Wenn die Polen klauen, so kann es doch nicht so schlimm gewesen sein, dass unsere Großväter sie im Krieg ein wenig diszipliniert haben."

Jedenfalls stellen die deutschen Polenwitze das polnische Selbstbild als "Volk der Helden und Opfer" auf den Kopf. Auch die Nachkriegsgenerationen in Polen identifizieren sich mit den Opfern der Besatzung. Die Versuche, Polen pauschal als lächerlich oder gar als kriminell darzustellen, werden daher als Verhöhnung einer Opfernation angesehen.

Allerdings argumentieren deutsche Politologen, dass mit dem Generationswechsel in der Bundesrepublik diese Rollenverteilung nicht mehr funktioniert. Die Enkel identifizieren sich nicht mit den Tätern der Nazi-Zeit, sondern verurteilen sie und sehen die heutigen Polen auch nicht mehr als Opfer an. Und nicht nur dies: Die heutigen Deutschen erwarten Anerkennung für ihre Bemühungen um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit, dafür, dass sie die Zahlung von Entschädigungen ebenso akzeptiert haben wie letztlich den Verlust der Oder-Neiße-Gebiete und die Bitten um Vergebung, die Bundespräsident Roman Herzog zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstandes 1994 und Bundeskanzler Gerhard Schröder zehn Jahre später ausgesprochen haben. Wenn ein Teil der polnischen Politiker und Publizisten nun nach wie vor den Nationalsozialismus als Argument bei aktuellen Kontroversen etwa innerhalb der Europäischen Union anführt, so stößt das in der Bundesrepublik auf Unverständnis. Einzelne deutsche Kommentatoren haben bereits die Parole ausgegeben: "Ende der politischen Korrektheit für Polen!"

Dass keine Rücksicht mehr auf Befindlichkeiten genommen wird, zeigt sich deutlich auch in Polenwitzen, die der TV-Talker Harald Schmidt Mitte der neunziger Jahre vorübergehend salonfähig machte. Aber nach einem Gespräch mit dem polnischen Botschafter Andrzej Byrt und nach Protesten der deutschen Presse strich Schmidt den "täglichen Polenwitz" wieder aus seinem Programm. Nur noch vereinzelt tauchen sie heute noch in deutschen Medien auf – worüber sich polnische Kommentatoren stets lautstark empören. Sie sehen darin den Beleg dafür, dass sie flächendeckend ein arroganter Spaß der deutschen Elite seien.

Boulevardmedien in beiden Ländern erklären aber immer wieder den Nachbarn den "Witzkrieg" und bemühen dabei gern die Klischees: So sind für die Deutschen polnische Männer Heißsporne, die unüberlegt bei Problemen mit dem Kopf durch die Wand gehen. Auf diese Weise leben alte Klischees aus früheren Jahrhunderten fort: Die Szlachta, die Adelsgesellschaft, die ihre Konflikte erst einmal mit dem Säbel austrägt. Das extremste Beispiel für die Nutzung dieses Vorurteils war die von Josef Goebbels verbreitete Mär, polnische Kawallerie habe nach dem deutschen Angriff auf Polen im September 1939 Panzer der Wehrmacht mit dem Säbel attackiert. Das Bild vom "mit dem Säbel fuchtelnden Polen" bemühen deutsche Kommentatoren auch heute, um Vorstöße nationalpatriotischer Warschauer Politiker auf dem internationalen Parkett zu beschreiben.

Hingegen gelten für polnische Frauen nach wie vor die Etikette "attraktiv und elegant", so wie die "unvergleichliche Schönheit der Polin" einst in Operettenarien besungen wurde. Dem "Fräuleinwunder" zum Trotz bemüht die polnische Regenbogenpresse dagegen gern das Bild vom "deutschen Trampel", die Männer werden in Karikaturen entweder als ewige Nazis oder humorlose Biertrinker dargestellt.

Dabei ist Polen seit dem Ende der Parteiherrschaft vor zwei Jahrzehnten selbst vom Wodka- zum Bierland geworden. Bier ist das Modegetränk der jungen Generation, polnische Marken haben bei internationalen Wettbewerben in den letzten Jahren wiederholt Medaillen bekommen. Polnische Brauereien machen unverblümt damit Reklame, dass ihr Produkt ausgerechnet dem deutschen Reinheitsgebot entspricht – und knüpfen damit an das althergebrachte Bild von "deutscher Ordnung" an.

geboren 1954 in Leipzig, ist Buchautor und Osteuropa-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". 2006 veröffentlichte er "Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und der Polen im 20. Jahrhundert".