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Der Genozid in der Gegenwartskultur Spurensuche in Anatolien

Manuel Gogos

/ 10 Minuten zu lesen

Unter Kulturschaffenden einer jüngeren Enkelgeneration wird der Genozid zur Bedingung wie zum Ziel eigener kultureller Artikulationsversuche. Geschichten von Kindern, die der Ermordung ihrer Eltern zusehen und andere traumatische Szenen haben sich eingebrannt. Eine Spurensuche.

Ein Vogelschwarm überfliegt die Küste am Vansee in Ostanatolien, wo über Jahrhunderte die meisten Armenier lebten. (© Kathryn Cook)

Armenische Familienromane

Die Wege aller Transmissionen sind verschlungen, und diejenigen, die bei Nacht die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft überschreiten, sind wie "Schmuggler". In armenischen Familienromanen, wie sie heute überall auf der Welt erzählt werden, geht es um etwas zutiefst Rätselhaftes, das in jenen vorbewussten Bereich hinabreicht, den die Psychologie seit Sigmund Freud ohne Erfolg auszuloten versucht: Es geht um Überlieferung. Wie dem Judentum Zeit seines Bestehens die Notwendigkeit zu Überliefern eingeschrieben war: "Gedenke, dass du ein Knecht warst in Ägypten" – so ist auch der ganze lebensweltliche Zusammenhang in der armenischen Diaspora nichts anderes als ein Fortsetzungsroman. Ob ein Wort in der türkischen oder armenischen Muttersprache zum Träger dieser Erinnerung wird, ein Duft aus der Kindheit, ein Wiegenlied, oder ein Erbstück. Alle Lebensbereiche der armenischen Diaspora sind durchwirkt mit Fragmenten, die auf ein "dann" und "dort" verweisen; und die nächste und übernächste Generation von Armeniern in der Diaspora, getrieben von einem Heimweh nach einer geheimnisvollen Vergangenheit, von der sie durch den Aghet gewaltsam abgeschnitten wurde, bitten nun um Erzählungen darüber, wie das Leben damals in Anatolien gewesen sei.

Spurensuche in Anatolien

Fragt man heute in den ostanatolischen Städten Kars oder Van die Bevölkerung, dann heißt es: "Armenier? Gab’s hier nie...!" Wenn man heute das anatolische Armenien entdecken will, führt es nicht weit, der staatstragenden Erinnerungsspur zu folgen, den touristischen Hinweisschildern, noch den Schnellstraßen, die seit Neuestem den Fortschritt auch nach Ostanatolien bringen. Stattdessen fahre man ab vom Weg, schaue, wohin die Trampelpfade führen, drehe die Steine um. Auch wenn der türkische Staat in Ani, der alten armenischen Hauptstadt in Ostanatolien, direkt am Arpa Çayi, dem Grenzfluss zu Armenien, noch immer Schilder aufstellt, die die armenische Geschichte des Ortes verleugnen: die Osttürkei ist zugleich Westarmenien, Anatolien ist das Stammland der Armenier. In Ani haben vor tausend Jahren noch an die 100.000 Menschen gelebt und in unzähligen Synagogen, Moscheen und Kirchen gebetet. Wenn die Berliner Schauspielerin Sesede Terziyan in der untergehenden Abendsonne durch das riesige rotschwarze Steinmeer geht, aus dem nur hier und da Bauten herausragen, die in ihrer Wuchtigkeit und Monumentalität wie vom Himmel gefallen wirken, steht sie plötzlich einem riesigen Canyon gegenüber, der die Landschaft zwischen der Türkei und Armenien zerschneidet – und die deutsche Armenierin aus Anatolien sieht Armenien zum ersten Mal: "Es ist die Heimat meiner Vorfahren. Und bei mir ist es genau so: Ich komm hier an und bin völlig überwältigt."

Sesede Terziyan, Ostanatolien, 2014. (© Markus Rindt)

Sesede Terziyans Familiengeschichte

Sesede Terziyans Familiengeschichte

Interview

Armenische Kirchenruine über dem Vansee. (© Markus Rindt)

Auch der Berliner Gitarrist und Komponist Marc Sinan ist türkisch-armenischer Herkunft. Seine armenische Großmutter Vahide lebte nördlich von Ani, in Trabzon am schwarzen Meer. Seit einigen Jahren betreibt Sinan hier in Anatolien seine eigenen biographisch-historischen "Ausgrabungen": "Es ist viel weniger schlimm als beim letzten Mal. Die Kirche ist gesäubert worden. Aber solche Löcher zu graben, das ist hier in Ostanatolien auch eine Art Wochenendsport. Weil man seit dem Völkermord immer Gold in den armenischen Kirchen vermutet."

Die Klosterruine von Varagavank. (© Markus Rindt)

Der größte Teil der 1912/13 registrierten rund 2200 armenischen Klöster und Kirchen der Osttürkei wurden seit 1915 zerstört oder zweckentfremdet. Die Hl. Gregor-der-Erleuchter-Kirche in Kayseri wird heute als Sporthalle genutzt, die Hl. Muttergottes-Kirche in Talas als Moschee. Kirchen, auf deren Dach Vieh gehalten wird; wo am Abend eine Klappe aufgeht und die Bäuerin ihr Schmutzwasser in die Kirche ausleert: Marc Sinan hält das für einen Skandal, ein Sakrileg: "So ein Ort, das ist ein Zeichen. Hier haben Menschen gelebt, die leben zwar nicht mehr hier, aber dann hat man damit respektvoll umzugehen. Die Entschuldigung ist: sie gehen mit diesen Kirchen genau so respektvoll um, wie sie mit ihren Menschen umgehen, die heute auch hier leben. Eigentlich ist das hier nicht nur ne Metapher für den Umgang mit Geschichte. Es ist auch eine Metapher für den Umgang mit Gegenwart."

Marc Sinan

Interview

Marc Sinan

Der deutsch-türkische Musiker Marc Sinan zur Schändung armenischer Kirchen.

Marc Sinan und Sesede Terziyan auf "Spurensuche" in Ostanatolien 2014. (© Markus Rindt)

Eine kurdische Familie als "Diakone" des ehemaligen Klosters Varagavank. (© Markus Rindt)

An den tausenden von Orten, wo 1915 Armenier vertrieben wurden, hat man später Kurden angesiedelt. Einerseits wurde den Armeniern damit eine Rückkehr unmöglich gemacht. Andererseits konnte damit die Täterschaft auf die Kurden abgewälzt werden, über Jahrzehnte ist das in die Köpfe türkischer Schulkinder gehämmert worden: Kurden hätten die Armenier "abgeschlachtet". Doch gibt es heute auch Beispiele einer kurdisch-armenischen Koexistenz. Wie das ehemalige Kloster Varagavank, das von einer kurdischen Familie gepflegt wird.

Heute sind auf der Klosterinsel Akdamar im Vansee wieder armenische Gottesdienste zugelassen. Immer häufiger betreten Touristen die armenischen Kirchenruinen Ostanatoliens, Amerikaner, die sich in Gesprächen als Armenier aus der Diaspora entpuppen. Mit diesen typischen Lebensläufen der Flucht: Großeltern aus Anatolien, selbst in Kairo geboren und in jungen Jahren in die USA ausgewandert, heute in L.A. lebend. In ihren Wanderstiefeln ergießen sie sich fröhlich in die Kirchen, deuten auf Steine mit armenischen Inschriften, fotografieren. Tausende sind es mittlerweile aus Frankreich, Deutschland und den USA, die sich auf Pilgerreise machen ins historische Armenien. Einer ihrer Säulenheiligen ist der Komponist Komitas Vardapet, jener Kronzeuge des "Völkermords", der mit anderen führenden armenischen Intellektuellen des Osmanischen Reiches am 24.4.1915, am ersten Tag der Deportationen, in Istanbul verhaftet und nach Çankırı östlich von Ankara verschleppt worden ist. Es ist derselbe Komitas, auf dessen Spuren sich der Komponist Marc Sinan gemacht hat, um ihm mit seinen Kompositionen zu antworten.

Marc Sinan (rechts) mit dem Kameramann Hape. (© Markus Rindt)

Sinan bereist Anatolien auch, um an den Originalschauplätzen Filmaufnahmen zu machen. Zum Beispiel die Inszenierung eines blumenbekränzten Schreins in einer der verfallenen armenischen Klosterruinen – in einem derartigen Schrein soll Komitas nämlich ein Bildnis der Mona Lisa verehrt haben – ein Motiv, in dem sich Marienfrömmigkeit und Wahn des Komponisten verbinden. Bei der Uraufführung seines dokumentarischen Musiktheaters "Komitas" im Kloster Irsee im Frühjahr 2015 dienen die Filmaufnahmen aus Anatolien Sinan als großflächige Videoprojektion. "Komitas" entstand in Koproduktion mit dem Gorki Theater in Berlin, wo – unter der Intendanz von Shermin Langhoff – in einer Veranstaltungsreihe aus Theater- und Musikaufführungen, Lecture-Performances, Ausstellungen, Lesungen und Erzähl-Cafés in beeindruckender Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit des hundertsten Jahrestages des Völkermords an den Armeniern gedacht wurde. Auch "Musa Dagh – Tage des Widerstands" stand auf dem Spielplan, eine Theaterinszenierung, für die der Regisseur Hans-Werner Kroesinger Franz Werfels berühmtem Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh" auf die Bühne brachte; sowie eine Filmvorführung von Fatih Akins "The Cut", dem teuersten und ambitioniertesten Projekt, das der türkischstämmige Hamburger je in Angriff genommen hat, um vor großer, epischer Kulisse in Jordanien die Geschichte eines jungen armenischen Familienvaters zu erzählen, der sich mit Stimmlosigkeit geschlagen, von Aleppo bis in die USA durchschlägt, um nach seinen beiden verschollenen Töchtern zu suchen.

Der deutsch-türkische Filmregisseur Fatih Akin auf einem Empfang während des 36. Cairo International Film Festivals 2014, das mit seinem Film "The Cut" eröffnet wurde. (© picture-alliance)

Kulturschaffende suchen nach Ausdruck

Mit "Ageht" hat sich in der Vergangenheit armenischer Familien etwas Schicksalsmächtiges ereignet, das gewissermaßen die Substanz, das "Herzblut" auch noch ihrer Gegenwart ausmachen kann. Auch für Angehörige der Folgegenerationen, gleichgültig ob in Armenien oder Los Angeles, Marseille oder Berlin, bleibt "Aghet" damit unbedingter point of departure und zugleich point of no return. Sesede Terzyan, die zum festen Ensemble des Gorki Theaters gehört und auch in "The Cut" mitgespielt hat, spielte als Kind noch im Haus des Großvaters in Boaslien. Nach seinem Tod fand sie in einer Schublade eine Gebetskette, die der Großvater selbst geknüpft hatte, das Mädchen durfte sie behalten. Jahre später – das Haus des Großvaters stand längst nicht mehr – riss die Kette, und seither versucht die Schauspielerin, die Kette zur Vergangenheit ihrer armenischen Familie neu zu knüpfen. Als Sesede Terziyan anfing, in der Familiengeschichte "rumzuwühlen", wie sie sagt, hat die Familie ihrem Forscherdrang Widerstand entgegen gesetzt: "Meine Eltern gehören eben auch noch zu dieser Generation: Man hat nicht darüber gesprochen! Man hat keine Fragen gestellt. Da sind so starke Traumatisierungen, das ist so vergraben worden. Das Schweigen kann man ja auch kulturvieren. Und es ist so stark kulturviert worden, dass ich oder meine Generation erst damit anfängt, das zu hinterfragen oder das Gespräch auch zu suchen."

Sesede Terziyan auf dem Plakat des Gorki Theaters zur Ankündigung der Veranstaltungsreihe zum Völkermord an den Armeniern. (© Gorki Theater, Berlin)

Unter Kulturschaffenden einer jüngeren Enkelgeneration wird "Aghet" zur Bedingung wie zum Ziel eigener kultureller Artikulationsversuche. Geschichten von Kindern, die der Ermordung ihrer Eltern zusehen, traumatische Szenen, in denen man selbst von Verwandten "im Stich" gelassen wurde oder selbst Verwandte "im Stich" ließ: Jeder von den Überlebenden hat seine verworrene Geschichte, jeder sprach über etwas anderes, jeder schwieg von etwas anderem. Sesede Terziyan: "Und meine Mutter hat mir eben erzählt, dass ihr Großvater eben auch wahnsinnig geworden ist, also total paranoid. Die Fenster immer verschlossen hat, die Türen immer verschlossen hat, und seine größte Angst war immer, dass seine Enkeltochter einen Türken heiraten könnte. So ist diese Traumatisierung eben auch weitergegeben worden."

Sesede Terzyans Familiengeschichte

Interview

Sesede Terzyans Familiengeschichte

Sesede Terzyan spricht über die Geschichte ihrer Urgroßeltern.

Auch Marc Sinan hält türkische Geschichtsschreibung für eine Erzählung, die der Wirklichkeit ausweicht. Überall stößt man darin auf denselben blinden Fleck. Die überlebenden Armenier gründeten Familien. Doch lange wichen Eltern ihren Kindern aus, wenn es darum ging, das Trauma zu thematisieren. "Also es wurde definitiv nicht drüber gesprochen. Meine Mutter war auch immer jemand, die in der Türkei zu politischen Themen geflüstert hat. Immer Angstgetrieben. 81 war ja der letzte Militärputsch, das war also wirklich eine Zeit, wo das System schnell kippen konnte. Deshalb hat man solche Dinge auch nicht so thematisiert."

Marc Sinan

Interview

Marc Sinan

Marc Sinan erzählt von seiner Familiengeschichte.

In eine scheinbar heile Welt des Osmanischen Reiches brach die Gewalt ein. Man rang, zumal in der Türkei, häufig unter Herausbildung einer doppelten Identität um die Anpassung an die Normalität und den Aufbau einer materiellen Existenz. Doch der Frieden alltäglicher Routine war trügerisch, und der Boden, auf dem die Überlebenden standen, blieb zerbrechlich wie Eis. Die Familien bildeten dabei eine Art "Festung der Verletzlichkeit". Überdies fingen die Kinder und Kindeskinder der Überlebenden häufig an, ihre Verfolgungsträume zu teilen, die sie anhand aufgeschnappter Gesprächsfetzen und dunkler Ahnungen zusammenphantasierten Die Überlebenden konnten nicht stolz sein auf ihr Überleben. Konnten sich nicht frei machen von der Angst ihrer Vorfahren. Es war wie nach dem Holocaust, und für Marc Sinan ist es noch heute so: "Ich denk dann drüber nach, im Flugzeug, da fragt man sich doch, wenn sozusagen die türkische Behauptung, es hätte keinen Genozid gegeben, wenn da ein Funken Wahrheit dran sein würde, dann würden doch die Menschen diese Angst nicht haben. Das Problem ist, dass das immer esoterisch klingt. Aber wenn man selber Teil dieser Geschichte ist, dann weiß man, dass das Trauma, der Enkel einer Armenierin zu sein, ein ganz tatsächliches, physisches ist. Es ist eben nicht so dass man sagen könnte: Das ist hundert Jahre her, das betrifft uns nicht. Sondern das ist etwas, was unsere Familien zutiefst prägt."

"Sprich nicht darüber, das ist Sünde", hatte die armenische Großmutter Vahide Akman dem Komponisten Marc Sinan in Kindertagen befohlen. Im Jahre 2015, anlässlich des hundertsten Jahrestages des Völkermords, hat Sinan seiner Großmutter das Konzertprojekt "Aghet" gewidmet, das er gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern im Gedenken an den Genozid an den Armeniern initierte. Den heißen Kern dieses musikalischen Erinnerungsprojekts bilden Kompositionen und Auftragswerke aus der Türkei (Zeynep Gedizlioğlu), Armenien (Vache Sharafian) und Deutschland (Helmut Oehring), nach seiner Uraufführung in Berlin soll es auf Tournee gehen: nach Belgrad, in die armenische Hauptstadt Eriwan, und nach Istanbul. Mit dem politisch höchst brisanten Gastspiel in der kulturellen Hauptstadt der Türkei kehrt das Konzertprojekt "Aghet" damit an den point of departure des ersten Völkermords der Geschichte zurück.

Ausblick: Wir sind alle Armenier

Am 19. Januar 2007 verurteilte der türkische Ministerpräsident Erdogan noch den Anschlag auf Hrant Dink als "abscheuliches Verbrechen"; doch nahm er an der Beerdigung nicht teil, ein Autobahntunnel war zu eröffnen. Tausende Türken protestierten am Abend bei spontanen Kundgebungen in Istanbul und Ankara gegen den Mord, immer wieder Sprechchöre skandierend, wie: "Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier." Doch bleibt es ein schwieriges Unterfangen, ein Land zu befrieden, das bis heute ein Vielvölkerstaat ist, so lange Erdogan den kurdisch geprägten Südosten Anatoliens mit Krieg überzieht und bei verschiedenen Gelegenheiten auch immer wieder von "Armeniern und anderen Abscheulichkeiten" spricht. Marc Sinan: "Aber das ist eben auf der Täterseite genau das gleiche. Die Nachkommen der Täter haben ja auch Symptome. Und in der Türkei ist das ziemlich offensichtlich, allgegenwärtig. Dass wir hier ein System haben, wo man der Wahrheit nicht vertrauen kann. Den Menschen ist völlig klar, dass ihnen nicht der reine Wein eingeschenkt wird. Die Türkei ist ein Land, wo man nicht davon ausgeht, die Wahrheit vorgesetzt zu bekommen, sondern wo man immer versuchen muss, die versteckte Botschaft dahinter zu verstehen."

Im April 2015, anlässlich des hundertsten Jahrestages des Gedenkens, wurden die Verbrechen an den Armeniern 1914-1918 von Bundespräsident Joachim Gauck wie von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) als "Völkermord" bezeichnet und die deutsche Bundesregierung einigte sich auf eine entsprechende Resolution. Seitdem die Türkei allerdings im Zuge der Flüchtlingskrise als unverzichtbarer Partner zur Lösung der Flüchtlingskrise gilt, wurde die Verabschiedung der Völkermord-Resolution bis auf Weiteres verschoben oder möglicherweise ganz auf Eis gelegt. Denn die Türkei gilt als Schlüssel, um die Einreise Hunderttausender Flüchtlinge nach Europa zu stoppen. Dafür wird der Türkei sogar die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union in Aussicht gestellt. Dabei wäre die Anerkennung der eigenen multikulturellen Geschichte und zumal des Völkermords an den Armeniern vielleicht die wichtigste Bedingung, um endlich die Geister der Vergangenheit zu bannen und die immer wieder angespannte Situation in der heutigen Türkei nachhaltig zu befrieden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Jacques Hassoun, „Schmuggelpfade der Erinnerung. Muttersprache, Vaterwort und die Frage der kulturellen Überlieferung“, aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Anna Katharina Ulrich, 130 Seiten, Stroemfeld Verlag 2003.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Manuel Gogos für bpb.de

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Dr. phil, geb. 1970 in Gummersbach, ist freier Autor und Ausstellungsmacher. Seine "Agentur für geistige Gastarbeit" firmiert in Bonn. Externer Link: www.geistige-gastarbeit.de