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Politik der "Austerität"

Steffen Vogel

/ 5 Minuten zu lesen

Unter "Austerität" versteht man einen politischen Kurs, der Ausgabenkürzungen und Privatisierungen verfolgt. Seit 2010 betreiben die Regierungen in Athen auf europäischen Druck eine Politik der Austerität, die vor allem die deutsche Bundesregierung bislang für unerlässlich hält. Laut Umfragen sehen eine Mehrheit der Griechinnen und Griechen darin ein brutales Spardiktat, das im Begriff ist, ihre Gesellschaft zu zerstören.

Rezession. (© picture-alliance/dpa)

Seit 2010 betreiben die Regierungen in Athen auf europäischen Druck eine Politik der Austerität. Der Begriff stammt vom lateinischen "austeritas", was "Strenge" oder "Herbheit" bedeutet, und bezeichnet einen Kurs von Ausgabenkürzungen und Privatisierungen. Damit sollen ein ausgeglichener Haushalt und die Reduzierung der griechischen Staatsschulden erreicht werden. Die deutsche Bundesregierung hält einen solchen Weg bislang für unerlässlich, um eine wirtschaftliche Erholung in der Eurozone einzuleiten, sie ist innerhalb der EU die treibende Kraft hinter dieser Politik. Hingegen sieht eine Mehrheit der Griechinnen und Griechen darin ein brutales Spardiktat, das im Begriff ist, ihre Gesellschaft zu zerstören: Laut Public Issue lehnen 76 Prozent diese Maßnahmen ab. Und 80 Prozent sagen, sie funktionierten nicht, wie eine Gallup-Umfrage ermittelte. In jedem Fall ist die Austerität zu einer ernsten Belastung für das deutsch-griechische Verhältnis geworden.

Einschneidende Maßnahmen

Eine Politik der Austerität, die derzeit in zahlreichen EU-Staaten betrieben wird, kombiniert eine Reihe von einschneidenden Maßnahmen. Im öffentlichen Dienst, der in Griechenland besonders im Fokus steht, werden in großem Umfang Mitarbeiter entlassen, während die verbliebenen Beschäftigten mit eingefrorenen oder gekürzten Löhnen leben müssen. Der Mindestlohn wurde abgesenkt, ebenso die Arbeitslosenunterstützung. Zudem wurden die Arbeitsmärkte liberalisiert: Beschäftigte können 36 statt zuvor 18 Monate mit befristeten Verträgen angestellt werden, die Probezeit wurde von zwei auf zwölf Monate verlängert und die Kündigungsfrist reduziert. Die Arbeitnehmer erhalten überdies geringere Abfindungen. Gleichzeitig wurden die Gewerkschaften empfindlich geschwächt, etwa durch die Aufwertung von Firmen- gegenüber Branchentarifverträgen. Überdies führt der Austeritätskurs zu massiven Einschnitten im Sozialstaat, beispielsweise in Form von Rentenkürzungen. Ein solcher Kurs birgt entsprechenden politischen Sprengstoff, zu dem sich Athen nur unter großem äußeren Druck verpflichten ließ. So genannte "Hilfspakete" für Griechenland

Im Herbst 2009 entdeckte die neu gewählte Regierung unter dem Sozialdemokraten Giorgios Papandreou, dass ihre Vorgängerin falsche Zahlen nach Brüssel übermittelt hatte: Das griechische Staatsdefizit war wesentlich größer als bislang bekannt. Wie hoch die Schulden Athens tatsächlich ausfielen, konnte die Regierung erst Wochen später mitteilen. Vor allem diese Ungewissheiten, und weniger das tatsächliche Ausmaß der Verbindlichkeiten, lösten bei den Anlegern auf den Finanzmärkten Unruhe aus. Mit Griechenland verlor erstmals ein Euroland die Topbewertung durch die Ratingagenturen, angesichts eines drohenden Staatsbankrotts wandte sich Athen an die Europäische Union. Doch bei den schließlich an Griechenland ausgezahlten Finanzmitteln handelt es sich nicht, wie es oft irreführend heißt, um "Hilfen", sondern um verzinste Kredite.

Für den Ökonomen Yanis Varoufakis ist Griechenland de facto längst bankrott; in einer Form von "Konkursverschleppung" werde Griechenland aber durch die Kredite zahlungsfähig gehalten, um die Forderungen seiner internationalen Gläubiger bedienen zu können. Griechenland macht neue Schulden also vor allem, um die alten bedienen zu können: Tatsächlich fließen zwei Drittel der an Athen ausgezahlten Gelder direkt an die Inhaber griechischer Staatsanleihen, darunter Banken und Versicherungsgesellschaften aus Deutschland und Frankreich, zurück.

Politik der "Troika"

Besagt Kredite sind überdies an strenge Bedingungen geknüpft, über deren Einhaltung die so genannte Troika wacht. Ihr gehören neben EU-Kommission und EZB auch der Internationale Währungsfonds (IWF) an, der auf Drängen Deutschlands ins Boot geholt wurde. Zwischen Troika und griechischer Regierung wurden dann jene Vereinbarungen geschlossen, in denen sich Athen zur Austerität verpflichtet – wobei dem Parlament in Athen nur die Alternative bleibt, die entsprechenden Gesetze zu beschließen oder einen möglichen Staatsbankrott in Kauf zu nehmen. Die Vereinbarungen legen teilweise bis aufs Quartal genau fest, wann welche Sparmaßnahmen umgesetzt werden sollen. Die Regierung in Athen wiederum muss sich gegenüber den technischen Beratern der Troika regelmäßig dafür verantworten. Fällt deren Urteil negativ aus, droht der Stopp weiterer Kredittranchen, ohne die der Staat mittelbar zahlungsunfähig würde.

Abwärtsspirale

(© picture-alliance, zumapress.com)

Die Austeritäts-Befürworter setzen auf eine Zunahme an Investitionen, aber erst, sobald durch den strikten Sparkurs das Vertrauen der Anleger zurückgewonnen sei. Auch argumentieren sie, mit sinkenden Löhnen und Sozialabgaben steigere sich die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. So soll ein Aufschwung erreicht werden, der nicht zuletzt höhere Staatseinnahmen bewirkt und dadurch einen Schuldenabbau ermöglicht. Die vermeintlichen Hilfen haben Griechenland jedoch ökonomisch bislang nicht genutzt, im Gegenteil: Das Land steckt tief in der Rezession, die 2013 bereits das sechste Jahr in Folge andauert. Inzwischen hat sogar der IWF wiederholt Selbstkritik geäußert. So erklärt der Währungsfonds, er habe unterschätzt, wie stark die Arbeitslosigkeit anwachsen werde; auch seien die Wachstumsprognosen zu optimistisch ausgefallen. Kritische Wirtschaftswissenschaftler wie Nobelpreisträger Paul Krugman hatten schon frühzeitig vor dieser Entwicklung gewarnt und auf einen grundsätzlichen Zusammenhang verwiesen: In der Krise agieren viele Unternehmen vorsichtig und schieben Investitionen auf. Wenn nun auch noch der Staat seine Ausgaben kürzt und die Bürger aufgrund von deutlichen Einkommensverlusten ihren Konsum massiv einschränken, fehlt es endgültig an wirtschaftlicher Stimulanz: Öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und private Nachfrage, die Wachstum erzeugen könnten, fallen geringer aus oder unterbleiben ganz, und der Abwärtstrend verschärft sich. Für die griechische Gesellschaft hat dieser durch die Austerität massiv verstärkte wirtschaftliche Niedergang gravierende Folgen. Die Arbeitslosigkeit erreicht immer neue Rekordmarken, immer mehr Menschen fehlt der Zugang zu medizinischer Versorgung. Teilweise kommt es zu einer regelrechten Verelendung. Die Hilfsorganisation Oxfam warnt, bei einer Fortsetzung der Austeritätspolitik könnten bis 2025 weitere 15 bis 25 Millionen Europäer in die Armut stürzen.

Gravierende Folgen hat die Sparpolitik auch in politischer Hinsicht. Die etablierten Parteien haben massiv an Legitimität eingebüßt. Drei Viertel der Griechen sind unzufrieden mit der Krisenpolitik ihrer Regierung, so eine Untersuchung des Pew Research Centers von 2013. Und 95 Prozent von ihnen sagen, das Wirtschaftssystem bevorzuge die Reichen. Ministerpräsident Papandreou trat über den Austeritätskurs zurück, seine Sozialdemokraten verloren bei den Parlamentswahlen im Mai und Juni 2012 in historischem Ausmaß und erzielen in jüngsten Umfragen nur noch einstellige Ergebnisse. Gleichzeitig erstarkte die neofaschistische "Goldene Morgenröte" von einer unbedeutenden Splitterpartei zur aktuell fünftstärksten Kraft im Parlament. Ganz abgesehen von der Frage der Verantwortung: Politisch wie sozial steht die griechische Gesellschaft vor der Zerreißprobe.

Literatur

Liz Alderman, Jack Ewing: Most Aid To Greece Circles Back, New York Times, 30.05.2012

Klaus Busch: Scheitert der Euro? Strukturprobleme und Politikversagen bringen Europa an den Abgrund. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2012

European Commission/Directorate-General for Economic and Financial Affairs: The Economic Adjustment Programme for Greece, Occasional Papers No. 61, Brüssel 2010

Gallup: Debating Europe Poll: Austerity Policies, 2013

IMF: Greece. Ex Post Evaluation of Exceptional Access under the 2010 Stand-By-Arrangement. Washington 2013

Lawrence King, Michael Kitson, Sue Konzelmann, Frank Wilkinson: Making the same mistake again—or is this time different?, Cambridge Journal of Economics 36 (1), Januar 2012, S. 1-15

Matsaganis, Manos: The Greek Crisis: Social Impact and Policy Responses. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2013

Externer Link: Paul Krugmans Kolumnen in der New York Times

Oxfam: A Cautionary Tale. The true cost of austerity and inequality in Europe. Oxford 2013Pew Research Center: The New Sick Man of Europe: the European Union. Washington 2013

Externer Link: Yanis Varoufakis’ Blog

geb. 1978 in Siegen, lebt als freier Autor in Berlin und promoviert an der Humboldt-Universität. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Europas Revolution von oben" (Hamburg, 2013).