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Jüdisch-Muslimischer Dialog | Jüdisches Leben in Deutschland – Vergangenheit und Gegenwart | bpb.de

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Jüdisch-Muslimischer Dialog

Saba-Nur Cheema

/ 6 Minuten zu lesen

Was braucht es für einen erfolgreichen jüdisch-muslimischen Dialog? Wie sehen die Rahmenbedingungen aus und welche gelungenen Dialog- und Kooperationsformate hat es in den letzten Jahren bereits gegeben?

Für erfolgreiche jüdisch-muslimische Projekte braucht es neben speziellen Begegnungsprojekten vor allem Begegnungen im Alltag. (© picture-alliance, Godong | Fred de Noyelle)

Jüdisch-muslimische Dialog- und Begegnungsformate gelten gemeinhin als der Funke Hoffnung im verfahrenen Interner Link: Nahost-Konflikt – insbesondere immer dann, wenn die Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina eskaliert. So ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu antisemitischen Protesten vor deutschen Synagogen gekommen, sobald es in Nahost kriegerische Handlungen gegeben hat. Gerade die letzte Externer Link: Eskalation im Mai 2021 hat erneut gezeigt, wie tief die Gräben zwischen der jüdischen und der muslimischen Community auch hierzulande sind. Ein Blick in die sozialen Medien reicht, um die divergierenden Wahrnehmungen zu beobachten: In muslimisch-migrantischen Milieus überwogen die Bilder von blutenden Kindern in Gaza, Landkarten ohne den Staat Israel und der Aufruf zur Rettung der Al-Aqsa-Moschee. In der jüdisch-israelisch geprägten Timeline sah man zerstörte Wohnhäuser in Tel Aviv, Solidaritätsbekundungen mit dem israelischen Militär und Aufrufe, den Tempelberg von Muslimen zu befreien. Vertretungsorgane beider Religionsgemeinschaften hierzulande folgten ihrerseits wiederum groben Vereinfachungen und reagierten mit reflexhafter Parteinahme. Der Koordinierungsrat der Muslime erklärte die Israelis kurzerhand zu den Schuldigen für die Eskalation, während der Interner Link: Zentralrat der Juden in Deutschland am gleichen Tag verkündete, die Verantwortung liege "ganz klar" auf Seiten der Hamas. Mit Blick auf einen jüdisch-muslimischen Dialog ist es vor diesem Hintergrund offensichtlich, dass das Sprechen über den Nahostkonflikt eine zentrale Rolle spielen sollte.

Für einen erfolgreichen jüdisch-muslimischen Dialog bedarf es zunächst eines Blickes auf dessen Rahmenbedingungen: Beide Religionsgemeinschaften gehören zwar zu religiösen Minderheiten in Deutschland – jedoch sind Muslime die größte und Juden eine der kleinsten Minderheitsgruppen. Es leben schätzungsweise 225.000 Juden und Jüdinnen und 5,3 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland. Nun stellt dieser Umstand eine Herausforderung dar, den herrschenden Narrativen in den Medien und in der (Verbands)Politik entgegenzuwirken. Denn wenn es um die Umsetzung von Projektideen geht, ist die Suche nach Dialogpartnern schon aufgrund der Zahlen auf der jüdischen Seite schwieriger als auf der muslimischen – einem in Deutschland lebenden Juden stehen etwa 23 Muslime gegenüber. Ein weiterer Unterschied betrifft die Strukturen der beiden Religionsgemeinschaften. So sind etwa die Hälfte der hier lebenden Juden und Jüdinnen Mitglied von Jüdischen Gemeinden. Insgesamt gibt es circa 130 Gemeinden, die große Mehrheit (105) ist unter dem Dach des Zentralrats der Juden organisiert, weitere 25 Gemeinden und Gruppen gehören der liberalen Union progressiver Juden in Deutschland an (von denen wiederum viele zugleich ZdJ-Mitglieder sind). Dagegen gibt es 2.350 Moscheegemeinden, und von den über fünf Millionen Muslimen ist die deutliche Mehrheit kein Mitglied in Gemeinden, fast vierzig Prozent kennen nicht einmal die hiesigen islamischen Verbände. Der Blick auf diese Zahlen ist insofern relevant, da hier eine weitere Herausforderung in der Umsetzung von jüdisch-muslimischen Dialogprojekten deutlich wird: die Zielgruppenerreichung. Der Weg über die repräsentativen Organe liegt zwar nah, er ist aber nicht immer der richtige, um mögliche Dialogpartner auf beiden Seiten zu finden. Denn für jüdische Partner fehlt oft die Übersicht, welcher muslimische Verband als Dialogpartner in Frage kommt: Den zwei jüdischen Verbänden steht eine Vielzahl von Verbänden auf muslimischer Seite gegenüber. Das ist relevant, wenn es um das Prinzip der Augenhöhe in Dialogprojekten geht: Sind beide Religionsgruppen gleichermaßen vertreten? Verfügen sie über (mehr oder weniger) die gleichen Ressourcen und Teilhabemöglichkeiten? Und inwiefern werden die bestehenden Unterschiede reflektiert? Andere relevante Kriterien sind, wie nachhaltig ein Dialogprojekt ist. Denn Einstellungsveränderungen werden erst bewirkt, wenn man regelmäßig mit denselben Gruppen arbeitet, einmalige Veranstaltungen mit unterschiedlichen Gruppen sind oft weniger nachhaltig. Des Weiteren ist es wichtig, dass beispielsweise Projektleitungen paritätisch besetzt sind und dadurch von beiden Seiten getragen werden.

Trotz dieser herausfordernden Voraussetzungen sind in den vergangenen Jahren mehrere Dialog- und Kooperationsformate entstanden. Beispielsweise der seit 2014 existierende Jüdisch-Muslimische Gesprächskreis der Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin, in dem sich Juden und Muslime aus Wissenschaft, Kultur und Politik für eine stärkere Vernetzung regelmäßig treffen. Anfang 2019 gründeten zwei Begabtenförderwerke – das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) und das muslimische Avicenna-Studienwerk – den jüdisch-muslimischen Thinkthank Karov-Qareeb, in dem junge Juden und Muslime zusammenarbeiten, ihre Lebensrealitäten erkunden und gemeinsames Empowerment ermöglichen. Diese beiden Beispiele für institutionalisierte Formate sind aufgrund ihrer regelmäßigen Zusammenkünfte nachhaltig. Ein weiteres Format ist das im Jahr 2019 von der Bundesregierung initiierte Projekt Schalom-Aleikum. Der erklärte eigene Anspruch, jüdisch-muslimischen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen, steht hier leider im Widerspruch zur Struktur des Projektes: denn die Planung und Durchführung liegt alleine auf der Seite des Zentralrats der Juden, ohne Beteiligung eines muslimischen Partners. Verständlicherweise entstehen so auf der "anderen" Seite Skepsis und Irritationen.

Neben Bildungsformaten werden Aktionen inszeniert, die insbesondere mediale Aufmerksamkeit erregen sollen. Dazu zählen die Fahrradtandem-Tour 2018 durch Berlin mit Rabbinern und Imamen, das Fußballspiel in Düsseldorf 2018 mit muslimischen und jüdischen Geistlichen und das Kochduell 2021 in Wien mit einem Imam, Rabbi und Pfarrer. Diese Aktionen sind eher Medien-Events, aus pädagogischer Perspektive haben sie weniger Bedeutung. Ein tatsächliches Kennenlernen, um eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen zu können, findet nicht statt. So kann der Wunsch nach Allianzen mit einmaligen und kulturalisierenden Aktionen auch mal am Ziel vorbeigehen. Anstatt über Reibungspunkte zu sprechen, verweilt man gerne in der Komfortzone. Fraglich bleibt, welchen Einfluss solche Aktionen auf das tägliche Miteinander von Juden und Muslimen haben sollen. Wenn die Auseinandersetzung mit den wirklich unbequemen Fragen dabei vermieden wird, bleibt der Dialog auf einer oberflächlichen Ebene.

Dabei gibt es genügend Gründe für die Thematisierung umstrittener Themen, auch abseits vom Nahostkonflikt, denn Vorurteile hegen beide Gruppen: Während antisemitische Stereotype und Vorurteile in der muslimischen Community öffentlich wiederkehrend thematisiert werden, bleiben antimuslimische Ressentiments in der jüdischen Community in der Regel unbeleuchtet. Die einen gelten als rückständig und im Zweifel als Terroristen, die anderen als reich und Drahtzieher hinter allem Übel in der Welt. In einer bisher unveröffentlichten Studie gaben knapp die Hälfte der befragten Juden an, Muslimen gegenüber misstrauisch zu sein, fast zwei Drittel empfindet Muslime als bedrohlich und ein Drittel hätte ungern Muslime als Nachbarn. Und andersherum? Laut einer Studie der Anti-Defamation League 2019 glauben 57 Prozent der Muslime, dass Juden zu viel Macht im internationalen Finanzwesen hätten; und fast 40 Prozent machen Juden für alle Kriege auf der Welt verantwortlich. Derartige Vorurteilsstrukturen wirken sich natürlich auch auf der zwischenmenschlichen Ebene aus: so ist beispielsweise das Einheiraten des einen in die Familie des anderen in beiden Communities mehrheitlich negativ konnotiert.

Um der herrschenden sozialen Distanz entgegenzuwirken, braucht es neben speziellen Begegnungsprojekten vor allem Begegnungen im Alltag. Etwa in der Schule oder in Sportvereinen. Beim deutsch-jüdischen Interner Link: Sportverband Makkabi beispielsweise ist es Normalität, dass Juden und Muslime (und nicht nur die) miteinander Sport treiben, gemeinsam gewinnen und verlieren. Das verbindende und stärkende ist der Sport, Religion und Herkunft sind zweitrangig – so entsteht ein natürliches Kennenlernen, das fern von (einmaligen) Inszenierungen ist.

In Zeiten, in denen religiöse und andere Minderheiten Ziel von rechten Angriffen sind, erhält der Zusammenhalt von Juden und Muslimen eine besondere gesellschaftliche Relevanz. Spätestens seit der Interner Link: Beschneidungsdebatte 2012 und den Interner Link: rechtsextremen Anschlägen der vergangenen Jahre ist deutlich geworden, dass beide Minderheiten gemeinsame Interessen haben und vor ähnlichen Bedrohungen stehen. Das Erleben von Ausgrenzung und Diskriminierung ist eine Tatsache für beide Gruppen: Die Zahlen der antisemitischen und antimuslimischen/rassistischen Vorfälle steigen seit Jahren. Die Attentäter von Interner Link: Halle, Christchurch und Pittsburgh zeigten durch ihre Ideologie des "Großen Austauschs", wie sehr sie unterschiedliche Opfergruppen zusammendenken. Vor diesem Hintergrund ist es lebensnotwendig innerhalb der jüdischen und muslimischen Communities, trotz der vielen Herausforderungen, die gemeinsamen Interessen sichtbar zu machen und Kräfte im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zu bündeln. Auch hierbei könnten Dialog- und Begegnungsprojekte einen wichtigen Beitrag leisten.

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Saba-Nur Cheema (Dipl.-Pol.) ist pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank – Zentrum für politische Bildung und Beratung Hessen und Dozentin in der Sozialen Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences. Sie entwickelt Angebote in der Jugend- und Erwachsenenbildung zum Umgang mit rechten Ideologien und Rassismus sowie den Themenbereichen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit – auch und insbesondere an Schulen.