Das Ministerium für Staatssicherheit war schon im Vorfeld der Invasion in Prag 1968 aktiv. Ideologisch einseitig formulierte es Begründungen für die in der DDR diktatorisch regierende SED, weshalb eine Intervention in Prag unerlässlich sei. Und mit besonderer Intensität erfasste und verhinderte es Proteste in der DDR. Dies hatte für zahleiche Bürger Konsequenzen.
Vielsagend "Genesung" hieß einer der zentralen Stasi-Operationen 1968 im Zusammenhang mit der Niederschlagung der Reformbewegung Prager Frühling. Beteiligt waren Stasi-Operativgruppen in der CSSR und zahlreiche Einsatzgruppen innerhalb der DDR, die Stimmungen und Protestaktionen erfassen sollten - und verhindern. Außerdem wurde der Postverkehr aus der CSSR und in die CSSR komplett überwacht. Tschechoslowaken, die in der DDR studierten oder arbeiteten, behielt das MfS ebenfalls im Auge und mit dem Geheimdienst der CSSR wurden Unterlagen ausgetauscht über namentlich bekannte Verfechter des Prager Frühlings. Zudem wurden Maßnahmepläne entwickelt, Reisen in Orte nahe der DDR-tschechoslowakischen Grenze vorübergehend zu verhindern.
In der Tschechoslowakei sammelte das MfS zahlreiche Theorie-Dokumente und Parteibeschlüsse aus der Zeit des Prager-Frühlings. Außerdem wurden von Reisenden an der Grenze Zeitungen und Fotos über den Prager Frühling und dessen Niederschlagung konfisziert, ebenfalls Flugblätter. Ein MfS-Ordner (BStU, MfS, ZAIG 11396) umfasst dabei über 400 Seiten, auf Blatt 437 notiert es zu einer Flugblattkopie: "Erstes, einziges positive Flugblatt".
In den Folgemonaten kamen in der DDR alle Kulturhäuser, Künstler und Universitäten auf den Prüfstand: Wer verhielt sich wie zu Prag, dokumentierte das MfS. Deutlich wird in den Unterlagen auch, dass es zwischenzeitlich erhebliche Reibungen mit Reformern im tschechoslowakischen Geheimdienst gab - bis diese im Zug der Okkupation abgesetzt wurden. Daraufhin intensivierte sich die Zusammenarbeit der Geheimpolizeien wieder.
Vom MfS erfasst wurden auch Informationen von DDR-Touristen und DDR-Reiseleitern, die in der Zeit nach dem Einmarsch 1968 feststellten, in der Tschechoslowakei plötzlich geschnitten zu werden. Als Unterstützer der Okkupation erfuhr die DDR auf diese indirekte Weise erhebliche Kritik.
Nachfolgend die ersten der bpb von der Stasi-Unterlagen-Behörde zur Verfügung gestellten Akten zum Nachlesen für politische Bildungszwecke, zusammengefasst in zunächst sieben PDF-Dateien. Das Copyright bleibt beim BStU:
Weitere MfS-Dokumente folgen im Lauf des Herbsts 2018. Eine wissenschaftliche Bewertung von Stasi-Akten zum Thema Prag 68 finden Sie unter diesem Linkin einer 148-seitigen Publikation der Stasi-Unterlagen-Behörde, die bereits 1998 entstand: Monika Tantzscher: "Maßnahme »Donau« und Einsatz »Genesung«. Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968/69 im Spiegel der MfS-Akten
Der Journalist Holger Kulick ist seit 2015 Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Sein Themenschwerpunkt ist Diktaturforschung, in diesem Zusammenhang hat er das Stasi-Dossier der bpb erstellt: www.bpb.de/geschichte/stasi. Bereits 2006 produzierte er in Kooperation von BStU, WDR und bpb die DVD "Feindbilder – Die Fotos und Videos der Stasi". Ab 1983 arbeitete er über Deutsch-deutsches für das ZDF-Magazin "Kennzeichen D", außerdem für ASPEKTE, die Kindernachrichtensendung "logo" und später für das ARD-Magazin Kontraste. Außerdem mehrere Jahre als Korrespondent für SPIEGEL ONLINE sowie als Autor für mehrere Zeitungen, Filmdokumentationen, Fachzeitschriften und Buchprojekte, darunter als Herausgeber für das "Mut-ABC für Zivilcourage", Leipzig 2008 und "Das Buch gegen Nazis", Köln 2010 gemeinsam mit Toralf Staud. Von 2011 bis 2015 arbeitete er in der Internetredaktion der Stasi-Unterlagen-Behörde, davor leitete er fünf Jahre eine Fachwebsite des Magazins "stern" und der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung über Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland.
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