Die österreichische Filmemacherin Tina Leisch stellt uns in dem vorliegenden Text ihren Film "Gangster Girls" vor. Der Film erzählt von Frauenschicksalen in einer Haftanstalt und zieht gleichzeitig die Institution des Gefängnisses als einer "Besserungsanstalt" in Zweifel. Ausgehend von einer Theaterinszenierung schafft sie einen kunstvollen und vielschichtigen Dokumentarfilm.
Kunstvoll geschminkte Gesichter, Perücken, Gesang, Spiel und
Tanz - ein Theaterworkshop im Frauengefängnis Schwarzau.
Erzählt wird das Drama der Lebensgeschichten der inhaftierten
Frauen, ein Stück um Betrug, Verrat und Mord. Die Frauen
spielen ihren Alltag nach. In inszenierten Gesprächssituationen
(in Küche, Wäscherei, Näherei) schildern sie außerdem, wie sie
ins Gefängnis kamen und welche Erfahrungen sie hinter Gittern
machen. Sie erzählen von ihrem früheren Leben und wie sie jetzt
zu ihrer Tat stehen. Auch in diesen Szenen bleiben ihre Gesichter
maskiert, was sie ein Stück weit zu Kunstfiguren macht. Sie stellen
sich selbst dar. In der Brechung von Spiel und Bekenntnis,
von szenischer Reflexion und authentischer Erfahrung entsteht
ein vielschichtiges und widersprüchliches Bild der Institution
Gefängnis und der Gesellschaft, die diese hervorbringt.
Weit verbreitet ist die Illusion, die wirkliche Wirklichkeit würde sich zeigen, wenn
man entweder frech mit der Kamera draufhält oder etwas nur behutsam genug
begleitet. Eine naive Illusion. Nicht nur, weil nach der kinematografischen Unschärferelation
der Kamerablick das Gefilmte immer schon beeinflusst, sondern
weil ihr die noch naivere Illusion zugrunde liegt, die gesellschaftlichen Verhältnisse
seien sichtbar oder sichtbar zu machen. Vielleicht zeigen sie sich ja manchmal,
als mysteriöse Epiphanie in einer Einstellung, normalerweise ist aber Montage
notwendig, um Dialektik herzustellen. Ohne Dialektik keine Gesellschaftsanalyse,
anders gesagt: Erkenntnis ist kein Effekt des Hinschauens, sondern des Nachdenkens.
Weil politisch engagiertes Dokumentieren also nicht so sehr sichtbar
machen, als denkbar machen heißt, können manche Filme, die ihr Objekt offensichtlich
"konstruieren", realistischer, dokumentarischer sein, als die nur genau beobachtenden.
Es reicht aber nicht, Erkenntnisse zu produzieren, plus etwas Empathie, die dazu
führt, dass das Publikum denen, in die es sich hineingefühlt hat, aus Rührung
nachher ein paar Rechte mehr zugesteht als zuvor. Wohlmeinende Mitleidsdokus
erniedrigen ihre ProtagonistInnen, deren Partei sie zu ergreifen vorgeben genauso,
wie sie die angeklagten Ungerechtigkeiten zementieren, wenn sie sich nicht
darüber im Klaren sind, in welchem Maße filmische Bilder Begehren produzieren,
lenken und kodieren und es ihnen nicht gelingt, im Inneren der Bilder eine Umwertung
der Werte vorzunehmen.
Die Grenzen eines Bildes müssen nicht den Rändern der Begriffe folgen, die Architektur
eines filmischen Zusammenhanges muss nicht die Architektur eines
theoretischen Gebäudes nachzeichnen, im Gegenteil. Gerade weil die Bilder ständig
über die Ränder der Begriffe schwappen, die man sich von ihnen zu machen
geneigt ist, gerade weil der durch Montage hergestellte filmische Zusammenhang
eine Transversale zu den von der Theorie behaupteten Machtverhältnissen darzustellen
vermag, können politische Dokumentarfilme Röntgenbilder der Sollbruchstellen
von Herrschaftsverhältnissen sein. Indem sie zum Beispiel offenbaren,
dass Herrschaft im selben Maße eine Konstruktion ist, eine Konvention, wie die
filmische Sprache selbst.
Text: Tina Leisch
Szenenfoto aus "Gangster Girls", Österreich 2008, 79 min,
Tina Leisch, geb. 1964, lebt in Wien. Filme: Dagegen muss ich etwas tun. Portrait der Widerstandskämpferin Hilde Zimmermann (2009), Gangster Girls (2008), Riefenstahl-Remix (2003), Vergiss Europa. Ein Weiß-Schwarzfilm (1999)
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