Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ursachen von Bildungsungleichheiten | Bildung | bpb.de

Bildung Editorial Was ist Bildung? Bildung - Begriffsbestimmungen Nachgefragt: Was ist für Sie Bildung? Bildungsideale Alltagsbildung Bildung im Wandel Geschichte des Bildungssystems Ins System kommt Bewegung Demografischer Wandel Wissensgesellschaft Akteure der Bildungspolitik Staat als Akteur Kirchen und Religionsgemeinschaften Schüler, Studierende und Eltern Politische Parteien Unternehmerverbände, Lobbyorganisationen und Think-Tanks Bildungsverbände und Gewerkschaften Wissenschaft und Forschung Forschungsüberblick Bildungsungleichheiten Was sind soziale Bildungsungleichheiten? Ungleichheiten in den Bildungsbereichen Ursachen von Bildungsungleichheiten Ansätze zur Verminderung von Bildungsungleichheiten Literatur Ethnische Bildungsungleichheiten Geschlechterungleichheiten Schule & Bildungsungleichheit Heterogenität Berufsbildung & Bildungsungleichheit Wie wir lernen Videos: Nachgefragt: Wo findet Bildung statt? Wie funktioniert Lernen? Lernen durch Erfahrung Wie der Stoff ins Gedächtnis gelangt Wie lernt unser Gehirn? Videos: Intelligenzforschung Lernen im Unterricht Geschichte des Lernens mit Lehre Guter Lehrer, guter Unterricht Interview: Lehrerfortbildung Digitalisierung verändert die Lehrerrolle Individuelle Förderung: Hintergrund und Fallstricke Individuelle Förderung: Gestaltungsmöglichkeiten Quiz: Wie wir lernen Unterricht und Lernstile Binnendifferenzierung in der Praxis Kleine Klassen - besseres Lernen? Bildung und soziale Ungleichheit Editorial zur Einführung Forschungsstand Migration, Bildung und Ungleichheit Was sind soziale Bildungsungleichheiten? Ungleichheiten in den Bildungsbereichen Ursachen von Bildungsungleichheiten Geschlechterungleichheiten Behinderung & Bildungsungleichheit Ethnische Bildungsungleichheiten Bundesländerungleichheiten Lehrkräfte & Bildungsungleichheit Eltern & Bildungsungleichheit Zugangsbarrieren in der frühkindlichen Bildung Schule & Bildungsungleichheit Berufsbildung & Bildungsungleichheit Bildungsaufstieg Ende der Aufstiegsgesellschaft? Hintergrundwissen Zweigliedrigkeit Video: Die soziale Frage der Demokratie Menschenrecht Teilhabe durch Bildung Wissensgesellschaft Ungleiche Grundschulen Alltagsbildung Bildungserträge und andere Folgen der Bildungsexpansion Volkswirtschaft und Bildung Bildung als Ressource für Gesundheit Zivilgesellschaftliches Engagement Politisches Interesse und politische Partizipation Hauptschulen = Problemschulen? Ungleichheit in der Klassengesellschaft Deutsche Migrationsgeschichte Geschichte Strategien für Chancengleichheit Schulgeschichte bis 1945 Kampf um die Schulstruktur Schulgeschichte nach 1945 Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR Bildungsgerechtigkeit – kontrovers diskutiert Das Recht auf Bildung verwirklichen. Herausforderungen für Schule und Bildungspolitik in Deutschland Bildung, Interesse, Bildungsinteresse - Essay Bildungsgerechtigkeit - Essay Gleichheit als normatives Prinzip Was tun? Ansätze zur Verminderung von Bildungsungleichheiten Chancengerechtigkeit durch Kita? "Wer kann, schickt seine Kinder auf eine bessere Schule" Brennpunktschule - ein Praxisbericht Eltern & Bildungsungleichheit Forschung Übergangsbereich Bildungsberatung Zwischenruf Für eine kluge Ungleichbehandlung Soziale Auslese und Bildungsreform Bildung und Herkunft Pro & Contra: Digitale Nachhilfe auf Knopfdruck Podcasts & Videos Grafiken: Bildungsungleichheit Bildung und Demokratie Die ungleiche Bürgergesellschaft Video: Die soziale Frage der Demokratie Demokratie lernen Demokraten fallen nicht vom Himmel! Partizipation in der Kita Servicelearning – Lernen durch Engagement Mythos Neutralität Audio: Demokratie muss erfahrbar sein Rechtlicher Rahmen Bildungsrecht – wie die Verfassung unser Schulwesen (mit-) gestaltet Kultusministerkonferenz: Stärkung der Demokratieerziehung Schulgesetze der Bundesländer Bildung zwischen Markt und Staat Stiftungen Privatschulen Nachhilfe Studiengebühren Hochschulrankings Drittmittel aus der Wirtschaft Interview: Bildungsökonomie Volkswirtschaft und Bildung Frühkindliche Bildung Grundlagen & Reformen Rechtsgrundlagen und familienpolitische Maßnahmen Kindertagespflege Fachkräftemangel Ausbau Initativen und Reformen Bildungsinhalte Entwicklungspsychologie Schulreife Bildungspläne Interview Bildungsauftrag Qualitätssicherung Qualität Interview Qualität Interview Krippenpädagogik Chanchengerechtigkeit / Teilhabe für alle Zugangsbarrieren in der frühkindlichen Bildung Interview Ungleichheiten Chancengerechtigkeit durch Kita? Erzieher:innen Ausbildung Fachkräfteabwanderung Schule Eine Frage – viele Antworten: Was macht gute Schule aus? Corona-Pandemie und Schule Als hätte es Corona nicht gegeben Schulgestaltung Brennpunktschule - ein Praxisbericht G8 versus G9 Zeitleiste: G8 oder G9? Ganztagsschule Zweigliedrigkeit Interview: Schulbau Schulnoten Alternative Leistungsbeurteilung Klassenwiederholung Lernen und Lehren Umgang mit Heterogenität Binnendifferenzierung in der Praxis Integration in Sprachlernklassen Inklusion Inklusion – worum es geht Chancen und Hindernisse 10 Jahre Inklusion UN-Behindertenrechtskonvention Bildungsmonitoring Bessere Schulen mit Hilfe von Daten? PISA & Co. – eine kritische Bilanz Video: Die Studie Abiturnoten Ungleichheiten Bundesländerungleichheiten Bildungsungleichheiten - mögliche Ursachen Lehrkräfte & Bildungsungleichheit Geschichte Geschichte der allgemeinen Schulpflicht Datenreport 2021: Allgemeinbildende und berufliche Schulen Infografiken: Schule Kleine Klassen - besseres Lernen? Berufliche Bildung Berufsbildungsgesetz Berufsbildungsgesetz Zeitleiste: Berufsbildungsgesetz Duale & schulische Berufsausbildung Datenreport: Duale Ausbildung Duale Berufsausbildung Schulische Ausbildung Qualität dualer Ausbildung Dual und schulisch im Vergleich Bildungs-Schisma Ausbildungschancen Übergangsbereich Forschung Übergangsbereich Teilhabe durch Ausbildung Ausbildungschancen von Hauptschülern Interview: Geflüchtete Ausbildungsreife Berufswahl Interview: Berufsorientierung Berufswahl und Geschlecht Podcast: Berufswahl Grafiken zur Beruflichen Bildung Hochschule Studiengebühren? Bildungsaufstieg Interview: Powerpoint Qualitätspakt Lehre Hochschulen im Wettbewerb Hochschulen in Deutschland Interview: "Die Vergangenheit wird idealisiert" Grafiken zu Hochschule Geschichte des Bildungssystems Bildungsgeschichte im Überblick Überblick Entwicklung der Bildungsbereiche Frühkindliche Bildung Zeitleiste der frühkindlichen Bildung Schulgeschichte bis 1945 Schulgeschichte nach 1945 Abitur im Wandel Kampf um die Schulstruktur Demokratisierung der Schulkultur Strategien für Chancengleichheit Lebenslanges Lernen Bildungsexpansion Folgen der Bildungsexpansion Bildung, Erziehung und Lernen Helene Lange Bildung in der DDR Wie der sozialistische Staat die Bildungseinrichtungen prägte Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR Schulsystem der DDR Literatur Zahlen und Infografiken Grafiken: Soziale Rahmenbedingungen Grafiken: Frühkindliche Bildung Grafiken: Schule Inwieweit glauben junge Menschen an gleiche Bildungschancen? Gute Bildung – wovon hängt sie ab? Das denken junge Leute Grafiken: Berufsbildung Grafiken: Hochschule Grafiken: Private Bildung Grafiken: Bildungsungleichheit Grafiken: Erträge von Bildung Glossar Redaktion Digitalisierung und Bildung

Ursachen von Bildungsungleichheiten

Kai Maaz

/ 6 Minuten zu lesen

Wie kommen die Bildungsvorteile von Kindern aus begünstigten sozialen Verhältnissen zustande? Die wichtigsten Ursachen und Erklärungsansätze.

Kaputte Kinderschuhe: Bildungsungleichheiten können auch außerhalb von Bildungseinrichtungen in der Familie, der Nachbarschaft oder der Region entstehen. (© picture-alliance, photothek | Ute Grabowsky)

Dies ist der dritte Beitrag einer vierteiligen Artikelserie, die zentrale Forschungsbefunde zum Thema Bildungsungleichheit im Überblick behandelt. Die weiteren Beiträge finden sich hier:


Worin aber liegen die Ursachen für die soeben dargestellten Ungleichheiten? Wie kommen die Vorteile von Kindern aus begünstigten sozialen Verhältnissen zustande? In der erziehungswissenschaftlichen, soziologischen und psychologischen Forschung werden insbesondere drei Bereiche ausgemacht, die für die Entstehung bzw. Veränderung von Bildungsungleichheiten relevant sind (vgl. Maaz, Baumert, Trautwein, 2009):

  • Bildungsübergänge. Vor allem die soziologische Ungleichheitsforschung konzentrierte sich bislang auf die "Gelenkstellen" zwischen Bildungsinstitutionen, etwa den Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen oder den Übergang von der Schule in das Berufsbildungssystem oder die Hochschule. Hier können soziale Ungleichheiten der Bildungsbeteiligung einerseits dadurch entstehen oder verstärkt werden, dass das Beratungs- und Empfehlungsverhalten von Erzieherinnen/Erziehern und Lehrkräften soziale Verzerrungen in dem Sinne aufweist, dass Kindern aus sozial begünstigen Familien allgemein mehr zugetraut und im Zweifel eher eine höhere, mit den Erwartungen der Eltern konforme Empfehlung ausgesprochen wird. Anderseits unterscheidet sich auch das Entscheidungsverhalten von Eltern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach der sozialen Herkunft. So wird in sozial privilegierten Familien im Zweifel eher der prestigereichere Bildungsgang gewählt, während statusniedrige Familien eine gewisse Distanz zur höheren Bildung aufweisen und sich selbst bei ausreichenden Leistungen mitunter gegen entsprechende Bildungsgänge entscheiden (siehe die Ausführungen zu "sekundären Herkunftseffekten" weiter unten).

  • Unterschiedliche Lernzuwächse in Bildungsinstitutionen. Insbesondere die Gliederung des Sekundarschulbereichs in lehrplanmäßig unterschiedlich anspruchsvolle Bildungsgänge, die für den weiteren Bildungsweg unterschiedliche Anschlussoptionen eröffnen, kann den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Schulleistungen verschärfen. Ausschlaggebend dafür ist vornehmlich das Zusammenwirken zweier Mechanismen (vgl. Maaz, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2008): Erstens ist der Übergang in die verschiedenen Schulformen bzw. Bildungsgänge des Sekundarschulbereichs mit dem sozialen Hintergrund assoziiert: je bildungsnäher die Eltern, desto größer ist die Chance der Kinder, auf ein Gymnasium zu wechseln – auch wenn man nur Kinder betrachtet, die gemessen etwa an der kognitiven Grundfähigkeit und/oder der Lesekompetenz leistungsmäßig gleichauf liegen. Zweitens entstehen durch die Aufteilung der Schülerschaft im Sekundarschulbereich relativ homogene Entwicklungsmilieus, d. h. in den Klassen der verschiedenen Bildungsgänge lernen jeweils Schülerinnen und Schüler mit ähnlichem sozialem Hintergrund und ähnlicher Leistungsfähigkeit. Gepaart mit den unterschiedlich anspruchsvollen Lehrplänen führt dies zu unterschiedlichen Lernzuwächsen in den einzelnen Bildungsgängen: Im gymnasialen Bildungsgang sind die Lernzuwächse der Schülerinnen und Schüler am stärksten, in der Hauptschule fallen sie am geringsten aus – und dies gilt auch für Kinder, die mit den gleichen kognitiven Voraussetzungen in die Sekundarstufe I eingetreten sind. In der Forschung spricht man in diesem Zusammenhang von sogenannten Schereneffekten (vgl. Abbildung 10).

  • Außerhalb des Bildungssystems. Schließlich können Bildungsungleichheiten auch außerhalb von Bildungseinrichtungen in der Familie, der Nachbarschaft oder der Region entstehen und wiederum dazu führen, dass sich die Ungleichheiten innerhalb von Bildungsinstitutionen intensivieren. Zu solchen außerschulischen Faktoren zählt beispielsweise die unterschiedliche Kompetenzentwicklung in der schulfreien Zeit, in der Kinder aus sozial begünstigten Familien von einem kognitiv anregenden häuslichen Umfeld profitieren. Auch das regionale Umfeld der Schule kann Bildungsungleichheiten verschärfen: Wohnen etwa in einem Stadtviertel viele sozial benachteiligte Familien, konzentrieren sich womöglich auch in den Schulklassen der örtlichen Grundschule soziale Problemlagen. In der Folge kann die Leistungsentwicklung einzelner Schülerinnen und Schüler ungünstiger verlaufen als es in einer sozial stärker durchmischten Schulklasse der Fall wäre.

Abbildung 10: Schereneffekte im viergliedrigen Sekundarschulsystem (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Primäre und sekundäre Ungleichheiten – Der Übergang von der Grundschule als Schlüsselübergang

Wie bereits angesprochen, spielen bei der Entstehung von sozialen Bildungsungleichheiten die Übergänge zwischen Bildungsinstitutionen eine wichtige Rolle. In Deutschland ist der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I besonders bedeutsam, da die Schülerinnen und Schüler hier auf unterschiedliche Schulformen bzw. Bildungsgänge verteilt werden, an denen unterschiedliche Abschlüsse erworben werden. Dass dieser Übergang Schülerinnen und Schüler aus höheren sozialen Schichten weit häufiger auf das Gymnasium führt als jene aus weniger privilegierten Verhältnissen, wurde oben bereits gezeigt (Interner Link: Abbildung 4). Doch worauf genau sind diese schichtspezifischen Ungleichheiten der Bildungsbeteiligung zurückzuführen?

In Anlehnung an den Soziologen Raymond Boudon (1974) kann zwischen zwei Faktoren unterschieden werden, die beim Übergang zwischen Bildungsinstitutionen zusammenspielen:

  • Primäre Herkunftseffekte: Soziale Unterschiede der Bildungsbeteiligung, die auf unterschiedlichen Leistungen und Fähigkeiten der Lernenden beruhen, werden als primäre Herkunftseffekte bezeichnet. Sie beziehen sich auf den Erwerb der für einen bestimmten Bildungsübergang vorausgesetzten Kompetenzen, die sich beispielsweise in den erreichten Schulnoten ausdrücken. Kompetenzunterschiede zugunsten von Kindern aus privilegierten sozialen Verhältnissen kommen vor allem dadurch zustande, dass sie in der Familie und Nachbarschaft, aber auch in der von ihnen besuchten Schule häufig ein lernförderliches Anregungs- und Unterstützungsmilieu vorfinden. Über die Frage, ob Unterschiede in der Bildungsbeteiligung, die daraus resultieren, dass Kinder je nach Elternhaus ungleiche Entwicklungsbedingungen vorfinden, "gerecht" sind, lässt sich streiten – müsste die Schule solchen herkunftsbedingten Nachteilen nicht stärker Rechnung tragen? Sie etwa durch gezielte Förderprogramme zu kompensieren versuchen oder sie gar in der Leistungsbewertung berücksichtigen? Festzuhalten bleibt, dass die genannten Unterschiede in der Bildungsbeteiligung durchaus mit gängigen Vorstellungen der leistungsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit vereinbar sind, wie sie sich gerade auch in den schulrechtlichen Bestimmungen bezüglich des Zugangs zu den einzelnen Bildungsgängen widerspiegeln: Ausschlaggebend dafür, welcher Bildungsgang einem Schüler oder einer Schülerin nach der Grundschule offen steht, sind die bisherigen Schulleistungen, allen voran die in einzelnen Fächern erreichten Noten.

  • Sekundäre Herkunftseffekte: Darüber hinaus entstehen aber beim Übergang in die weiterführenden Schulen neue und zusätzliche Unterschiede der Bildungsbeteiligung, die nicht auf Begabung, Kompetenzen und Schulnoten zurückzuführen sind, sondern darauf, dass sich je nach Sozialschicht das Entscheidungsverhalten der Eltern hinsichtlich der Wahl der weiterführenden Schule unterscheidet. Soziale Unterschiede der Bildungsbeteiligung, die durch Unterschiede im Entscheidungsverhalten von Eltern bedingt sind, werden als sekundäre Herkunftseffekte bezeichnet. Sie kommen zustande, weil Eltern bei der Bildungsgangwahl in Abhängigkeit von der eigenen sozialen Schicht unterschiedliche Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen. Demnach wägen Eltern bei der Übergangsentscheidung in die Sekundarstufe I ab, welcher Nutzen sich aus dem Besuch einer bestimmten Schulform ergibt (im Fall des Gymnasiums z. B. viele Anschlussmöglichkeiten und ein hohes soziales Prestige) und welche Kosten damit verbunden sind (im Fall des Gymnasiums z. B. eine längere finanzielle Abhängigkeit des Kindes wegen der längeren Dauer des Bildungsgangs), um dann für ihr Kind diejenige Schulform zu wählen, die den größten Nutzen verspricht, deren Kosten sie tragen können und die eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit auf Erfolg erwarten lässt. In diese Erwägungen fließt insbesondere auch das Motiv des sozialen Statuserhalts ein, wonach Eltern für ihre Kinder in der Regel mindestens das Bildungsniveau anstreben, über das sie selbst verfügen. Die hieraus resultierenden sozialen Ungleichheiten der Bildungsbeteiligung verletzen in besonderer Weise das Gerechtigkeitsempfinden. Denn anders als die aus primären Herkunftseffekten resultierenden Ungleichheiten sind sie nicht das Ergebnis von Leistungsunterschieden zwischen den Schülerinnen und Schülern.

In Erweiterung des Boudonschen Modells lässt sich ferner die institutionelle und rechtliche Rahmung des Bildungssystems mit berücksichtigen (vgl. Maaz et al., 2010). So wird das Übergangsverhalten nicht nur durch die Schulleistungen und das aktive Entscheidungsverhalten der Eltern bestimmt, sondern auch durch Merkmale des Bildungssystems selbst. So zeigt sich z. B., dass das Ausmaß sozialer Ungleichheiten in der Sekundarschulbeteiligung auch davon abhängt, ob die Schullaufbahnempfehlung (wie z. B. in Bayern) einen bindenden oder (wie z. B. in Berlin) einen nicht-bindenden Charakter hat. Dabei tritt der Einfluss der sozialen Herkunft in der Bildungsbeteiligung stärker zutage, wenn die Übergangsentscheidung den Eltern überantwortet wird. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, ist aber mit Blick auf die Wirkung sekundärer Herkunftseffekte ganz logisch. Denn unter diesen Bedingungen können sozial begünstigte Familien ihre höheren Bildungsaspirationen mehr oder weniger unabhängig von Leistungsstand des Kindes realisieren, während eine feste Notenbindung diesbezüglich klare Grenzen setzt.

Direkte und indirekte Wirkung von Herkunftseffekten

Theoretisches Modell zum Einfluss der familiären Herkunft auf den Übergang in die weiterführende Schule (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die primären und sekundären Effekte wirken sich sowohl direkt als auch indirekt auf die Übergangsentscheidung aus (siehe dazu Abb. B, vgl. Dumont, Neumann, Becker, Maaz & Baumert, 2013, S: 134 ff.; sowie Maaz & Nagy, 2009, S. 162).

Der direkte Effekt ist die unmittelbare Wirkung eines Merkmals auf eine abhängige (zu erklärende) Variable. Dies betrifft Merkmale der familiären Herkunft ebenso wie Leistungsmerkmale. Indirekte Effekte auf einen Übergang wirken "versteckt". So kann zum Beispiel die familiäre Herkunft einen direkten Effekt auf die erbrachten Leistungen der Schülerinnen und Schüler haben, gemessen etwa anhand eines Kompetenztests wie PISA. Diese Leistungen wiederum wirken direkt auf die Noten. Als indirekten Effekt der familiären Herkunft auf die Noten würde man Unterschiede in den Leistungen (die wiederum auf die Noten wirken) bezeichnen, die auf die familiäre Herkunft zurückzuführen sind (vgl. Abb.).

Eine Vielzahl empirischer Arbeiten hat die Bedeutsamkeit des Herkunftseffektes beim Übergang am Ende der Grundschule untersucht und nachgewiesen (vgl. Maaz & Nagy, 2009). Zusammenfassend kann die aktuelle Forschungslage so resümiert werden, dass Kinder aus sozial weniger begünstigten Familien im Vergleich zu Kindern aus sozial privilegierten Elternhäusern

  1. über niedrigere schulische Kompetenzen verfügen,

  2. bei gleichen Leistungen von den Lehrkräften schlechter bewertet werden,

  3. auch bei gleichen Schulleistungen und Noten geringere Chancen auf den Erhalt einer Gymnasialempfehlung haben und

  4. bei gleichen Leistungen seltener auf ein Gymnasium wechseln (Dumont, Maaz, Neumann & Becker, 2014; Maaz & Nagy, 2009).

Quellen / Literatur

Boudon, R. (1974). Education, opportunity, and social inequality: Changing prospects in Western society. New York: Wiley.

Dumont, H., Maaz, K., Neumann, M. & Becker, M. (2014). Soziale Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I: Theorie, Forschungsstand, Interventions- und Fördermöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 24-2014 (Herkunft und Bildungserfolg von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter: Forschungsstand und Interventionsmöglichkeiten aus interdisziplinärer Perspektive), 141-165.

Maaz, K., Baumert, J. & Trautwein, U. (2009). Genese sozialer Ungleichheit im institutionellen Kontext der Schule: Wo entsteht und vergrößert sich soziale Ungleichheit? Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 12-2009 (Bildungsentscheidungen), 11-46.

Maaz, K. & Nagy, G. (2009). Der Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen des Sekundarschulsystems: Definition, Spezifikation und Quantifizierung primärer und sekundärer Herkunftseffekte. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 12-2009 (Bildungsentscheidungen), 153-182.

Fussnoten

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Kai Maaz für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Kai Maaz, geb. 1972 in Rathenow, ist Geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und dort Direktor der Abteilung "Struktur und Steuerung des Bildungswesens". Zugleich ist er Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildungssystem und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Schwerpunkte seiner Forschung sind u.a. soziale Disparitäten des Bildungserwerbs über den Lebens- und Bildungsverlauf, Bildungsmonitoring und -steuerung, Evaluation von Schulstrukturen, Bildungsprogrammen und Schulen sowie Schulentwicklung unter besonderer Berücksichtigung von Transformationsprozessen im Bildungssystem.