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Das Narrativ vom Wahlbetrug | Digitale Desinformation | bpb.de

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Das Narrativ vom Wahlbetrug

Karolin Schwarz

/ 5 Minuten zu lesen

Auch in Deutschland wird versucht, die Ergebnisse demokratischer Wahlen durch Fälschungsvorwürfe in Zweifel zu ziehen. Doch in den allermeisten Fällen handelt es sich um substanzlose Verdächtigungen, die zum Teil mit Fälschungen belegt werden sollen.

Zur Bundestagswahl am 26. September 2021 wird ein Rekordaufkommen der Briefwahlunterlagen erwartet. (© picture alliance / Geisler-Fotopress | Robert Schmiegelt/Geisler-Fotopr)

Zur Bundestagswahl am 26. September 2021 wird ein Rekordaufkommen der Briefwahlunterlagen erwartet. (© picture alliance / Geisler-Fotopress | Robert Schmiegelt/Geisler-Fotopr)

Im sogenannten Superwahljahr 2021 finden neben der Bundestagswahl auch mehrere Landtagswahlen und Kommunalwahlen statt. Bereits im Jahr 2016, nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und der Abstimmung über den Brexit im Vereinigten Königreich, wurde vor dem Einfluss von Desinformation auf Wahlkampf und Wahlergebnis gewarnt. Schließlich wurden im Vorfeld beider Abstimmungen ungezählte Fakes und verzerrte Fakten verbreitet. Auch vor der Bundestagswahl 2021 wurde in den USA eine Präsidentschaftswahl abgehalten. Erneut wurden Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen gestreut. Donald Trump und sein politisches Umfeld verbreiteten das Narrativ von der "gestohlenen Wahl" sowie irreführende Meldungen über die Sicherheit der Briefwahl, die er eigentlich gewonnen habe. All dies erreichte den Höhepunkt im Januar 2021, als Anhänger Trumps gewaltsam das US-Kapitol stürmten, mit dem Ziel, ihrem "rechtmäßigen" Präsidenten zurück ins Amt zu verhelfen. Erneut prägen diese Vorgänge die Debatten um die Bundestagswahl in Deutschland. Ebenso wie die Gefahr der Einmischung staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure aus dem Ausland und Aktivisten in Deutschland.

Die Sorgen vor Falschmeldungen im Vorfeld der Bundestagswahlen sind nicht unberechtigt. Schon Ende 2020 Externer Link: schürten der rechtsextreme Verein "Ein Prozent" ebenso wie mehrere Politiker der AfD Angst vor Wahlbetrug in Deutschland. So schrieb der Bundestagsabgeordneter Markus Frohnmaier auf Facebook: "2021 kann auch unsere Wahl gestohlen werden!" Und die AfD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern bewarb einen Beitrag mit der Behauptung, Werbung für mehr Briefwahl während der Pandemie bedeute, "Unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes wird das Risiko von Wahlunregelmäßigkeiten offenbar bewusst erhöht."

Dass Rechtsextreme behaupten, dass Wahlen in Deutschland im großen Stil manipuliert würden, ist allerdings keine Neuerung nach den US-Wahlen 2020. Bereits seit mindestens 2016 ruft "Ein Prozent" zusammen mit anderen Organisationen sowie Teilen der AfD zur "Wahlbeobachtung" bei der Auszählung der Ergebnisse vor Ort auf. Neben der allgemeinen Warnung vor Manipulation wird auch immer wieder angedeutet, dass die Stimmzettel von Wählern der AfD besonders von Betrugsversuchen betroffen seien. Richtig ist, dass in den vergangenen Jahren Einzelfälle von versuchtem oder tatsächlichen Wahlbetrug öffentlich wurden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Hinterleute dieser Externer Link: Vorgänge verurteilt, und die Wahl nicht beeinträchtigt wurde. Ein erfolgreicher Wahlbetrug bedürfte praktisch unmögliche Anstrengungen, da zahlreiche Eingeweihte in vielen Wahllokalen nötig wären, um das Ergebnis einer Bundestagswahl signifikant zu ändern.

Die Wahl in Sachsen-Anhalt als Testlauf für die Bundestagswahl

Im Juni 2021 gewann die CDU in Sachsen-Anhalt unter Anführung ihres Spitzenkandidaten, Ministerpräsident Reiner Haseloff, die Landtagswahl. Die CDU erzielte 37,1 Prozent der Stimmen, gefolgt von der AfD mit 20,8 Prozent. In den letzten Umfragen vor dem Urnengang zeichnete sich ein solch deutlicher Abstand allerdings nicht ab. So hatte beispielsweise eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA lediglich einen hauchdünnen Unterschied zwischen CDU und AfD vorhergesagt. Das Ergebnis lässt sich zumindest teilweise damit Externer Link: erklären, dass Wähler, die ihre Stimme eigentlich einer anderen Partei geben wollten, sich doch für die Wahl der CDU entschieden, um einen Wahlsieg der AfD zu verhindern. Die Diskrepanz zwischen den Umfragen und dem Ergebnis nahmen insbesondere aber Politiker der Partei "Die Basis", die aus dem Umfeld der "Querdenken"-Demonstrationen hervorgegangen ist, als Anlass, Externer Link: Behauptungen über erfolgten Wahlbetrug aufzustellen.

Rainer Fuellmich, der als Spitzenkandidat dieser Partei in Sachsen-Anhalt angetreten war, verbreitete in einem Video außerdem die Behauptung, ein Anstieg der Wahlbeteiligung zwischen 16 und 18 Uhr von 40 auf 60 Prozent sei verdächtig. Auch Fuellmichs Parteikollege, der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Wodarg, spricht im Video davon, dass die Wahlen "gefälscht" worden seien. Tatsächlich war die Wahlbeteiligung um 18 Uhr um 20 Prozent höher angegeben als noch zwei Stunden zuvor. Und die Basis-Politiker schlussfolgern richtig, dass dahinter die Briefwahlstimmen steckten. Einen Anlass dafür, hieraus einen Beleg für einen Wahlbetrug abzuleiten, so wie dies Basis-Politiker oder der Verschwörungsideologe Oliver Janich kurz nach der Wahl taten, ist es allerdings nicht.

Eine weitere Externer Link: Falschmeldung machte bereits am Tag des Urnengangs die Runde. Ein Twitter-Account hatte sich als der Partei der "Grünen" zugeneigter Wahlhelfer ausgegeben und schrieb: "Macht euch keine Sorge, unser ganzes Team ist darauf vorbereitet der #fckafd keine Chance zu lassen und gegebenenfalls die Stimmen zu entwerten". Bereits ein Blick auf das Twitter-Konto lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Tweet eine sogenannte False-Flag-Aktion war, also ein Versuch, unter falscher Flagge Stimmung zu machen und Zweifel an der Legitimität der Wahlen zu schüren. Auch das angehängte Foto war ein Fake: Es zeigte die Stimmauszählung bei der US-Wahl im November 2020. Diese Art der Falschmeldung ist nicht neu. Auch wenige Tage vor der Bundestagswahl 2017 wurden ähnliche Tweets Externer Link: verbreitet.

Bundestagswahlkampf 2021: Herausforderungen und Gegenmaßnahmen

Im Wahlkampf des Jahres 2021 werden viele Falschmeldungen verbreitet, die auch 2017 schon die Runde machten. Neben den bereits erwähnten Beispielen werden Wähler immer wieder aufgefordert, eigene Stifte zur Wahl mitzubringen, weil in den Wahlkabinen entweder nur Bleistifte oder andere radierbare Stifte ausgelegt würden, um bei der Auszählung Stimmzettel zu manipulieren. Dazu gesellen sich neue Narrative, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. Insbesondere aus den Reihen der Corona-Leugner und -Verharmloser stammt die Behauptung, die Pandemie würde genutzt oder sei sogar erfunden worden, um die Bundestagswahl zu einer reinen Briefwahl zu machen oder kurz vor dem Wahltermin abzusagen. Impfgegner behaupten, dass Ungeimpfte vom Wahlgang an die Urne ausgeschlossen werden sollen, indem in Wahllokalen die 3G-Regel eingeführt werden soll, nach der nur Getestete, Geimpfte oder Genesene Zugang erhalten. Bis Ende August 2021 ist eine solche Externer Link: Regel aber weder eingeführt worden, noch ist es wahrscheinlich, dass sie eingeführt wird.

Neben den Behauptungen über die Sicherheit der Wahlen sind Fakes und Lügen, die auf Politiker und Parteien abzielen eine weitere Kategorie der Falschmeldungen im Wahlkampf,. Die Firma Conservare Communications GmbH hat im August 2021 eine große Plakat- und Online-Kampagne gegen die Grünen gestartet. Nach Recherchen von Externer Link: Correctiv dürften allein die Plakate zwischen 550.000 und 750.000 Euro gekostet haben. Hinzu kommen mehr als 20 Werbeanzeigen auf Facebook und Instagram. Im Rahmen der Kampagne werden Falschmeldungen über die Grünen oder grüne Politik verbreitet. Etwa über die Zahl der Vögel, die durch Externer Link: Windräder sterben oder eine angeblich nach chinesischem Vorbild geplante Externer Link: Ein-Kind-Politik. Die zur Kampagne gehörenden Videos wurden in den ersten Wochen nach ihrer Veröffentlichung durchschnittlich mehr als 10.000 mal angesehen, wie eine Untersuchung der European New School of Digital Studies zeigt. Hinter der Conservare Communications GmbH steckt David Bendels, der auch Chefredakteur des Deutschland Kuriers ist. Das medienaktivistische Projekt führt mehr als 30 AfD-Abgeordnete und -Mitglieder als Teil der Redaktion auf.

Um die Bundestagswahl vor einer Einflussnahme durch Desinformation zu schützen, wurden im Vorfeld der Wahl verschiedene Maßnahmen ergriffen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat einen Externer Link: Sicherheitsleitfaden für Kandidierende und Mandatstragende herausgegeben, um den Schutz vor Hackerangriffen zu erhöhen. Der Bundeswahlleiter und sein Team haben sich auf Falschmeldungen vorbereitet. Auf einer eigens eingerichteten Externer Link: Seite werden populäre Falschmeldungen und Irrtümer über die Wahl und ihren Ablauf widerlegt. Schon im Jahr 2017 reagierte das Büro des Bundeswahlleiters auf Falschmeldungen und nutzte soziale Medien, um sie zu widerlegen und sogar Externer Link: proaktiv nach Lügen und irreführenden Behauptungen zu suchen. Selbst bei TikTok, einer besonders bei Jüngeren beliebten Social-Media-Plattform, können sich Interessierte mit eigens von der ARD produzierten kurzen Videoclips über die Wahl und ihren Ablauf informieren. Es mangelt also nicht an einem ausdifferenzierten Angebot um die eigene Widerstandsfähigkeit gegen Falschmeldungen zu stärken.

Weitere Inhalte

ist freie Journalistin, Faktencheckerin und Trainerin. Sie arbeitet für Print- und Onlinemedien und für das Fernsehen. Im Februar 2016 gründete sie das Projekt Hoaxmap.org, über das Falschmeldungen über Geflüchtete und nicht-weiße Personen zusammen getragen werden.