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Ungleiche Schwestern – Frauenbewegung seit 1989

Melanie Stitz

/ 7 Minuten zu lesen

Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1989 stellte auch die Frauenbewegungen in West und Ost vor die Aufgabe, zusammenwachsen zu müssen. Dabei waren die Ausgangsbedingungen denkbar unterschiedlich.

Ein flächendeckendes System von Krippen und Kindergärten ermöglichte in der DDR die Berufstätigkeit beider Elternteile. (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-0710-025, Fotograf: Jürgen Ludwig)

Feminismus versus Gleichberechtigung?

Als es 1989 zur deutschen Vereinigung kam, waren die Ausgangsbedingungen der ost- und westdeutschen Frauenbewegungen denkbar unterschiedlich. Während die westdeutsche Frauenbewegung nach dem 2. Weltkrieg vor allem Impulse aus der US-Frauenbewegung aufgriff, standen Frauen im Osten in der sozialistischen Tradition mit Vorbildern wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Im Westen prägten theoretische Reflexionen z. B. von Simone de Beauvoir und Kate Millett den feministischen Diskurs, im Osten wurden feministische Ideen stärker über fiktionale Literatur z. B. von Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Maxi Wander oder Brigitte Reimann vermittelt.

Im Westen kämpften Frauen, die sich auch mit Kind beruflich realisieren wollten, gegen den Vorwurf, eine "Rabenmutter" zu sein. Dagegen war die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt in der Verfassung der DDR verankert. Ein flächendeckendes System von Krippen und Kindergärten ermöglichte es Eltern, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Trotz einer auch im Osten tendenziell traditionellen Aufteilung der Hausarbeit war die ökonomische Selbstständigkeit ein "massenhaft erlebter individueller Fortschritt, der wesentlich das Selbstverständnis von Frauen prägte."(Christine Eifler) Während im Westen Feminismus oft mit einem Mutter-Tochter-Konflikt assoziiert war, verspürten Frauen in Ostdeutschland weniger das Bedürfnis, sich von ihren Müttern und dem Rollenmodell, das sie repräsentierten, abzusetzen.

Die Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache traf bei Frauen aus der DDR eher auf Unverständnis. Frauen, die gelernt hatten, selbstverständlich zu sagen: "Ich bin Ingenieur", sahen keinen Nutzen darin, sich Ingenieurin zu nennen, und das Unbewusste der Kultur interessierte sie weniger als politische Teilhabe. Die Formel für diesen Konflikt war "Feminismus versus Gleichberechtigung".

Vielerorts engagierten sich Frauen für eine geschlechtergerechte, frauenfreundliche Verfassung, seien es die Pauluskirchenversammlung mit ihrem Frankfurter Frauenmanifest, Initiativen wie Frauen in bester Verfassung oder Frauen für eine neue Verfassung sowie das so genannte Powerfrauen-Bündnis prominenter Frauen aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Journalismus. In der Verfassungskommission waren neben 53 Männern 11 Frauen vertreten. Durchgesetzt wurde lediglich die Neufassung des Artikels 3, in dem sich der Staat zu einer aktiven Gleichstellungspolitik verpflichtete. Die in der DDR praktizierte Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch ging bei der Einigung verloren. Es blieb als Kompromiss eine ambivalente Gesetzeslage, laut derer – außer bei medizinischer oder kriminologischer Indikation – der Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig galt, aber straffrei blieb. Das in der DDR-Verfassung verbriefte Recht auf Arbeit wurde aufgegeben, die Gleichbehandlung aller dauerhaften Lebensgemeinschaften, mit und ohne Trauschein, hetero- wie homosexuell, konnte ebenfalls nicht durchgesetzt werden.

Auf dem Weg in die Institutionen

In den 1990er Jahren institutionalisierte sich die Frauenbewegung zunehmend. Das Verhältnis zwischen den Staats- bzw. Berufsfeministinnen und den Bewegungsfrauen war mitunter gespannt, es ging oft um den Spagat zwischen dem, was möglich ist, und dem, was nötig wäre, um die Verhältnisse zu ändern. In der Gesetzgebung gab es aber auch Erfolge zu verzeichnen: Seit 1994 müssen sich Stellenangebote explizit auch an Frauen richten, 1996 wurde nach jahrelanger Aufklärungsarbeit das Gesetz zur Gewalt in der Ehe verabschiedet, auf dessen Grundlage seit 1997 Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe steht. 2002 trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft.

Die Frauenquotierung im öffentlichen Dienst, in einigen Parteien und anderen Organisationen erwies sich trotz aller Kritik als alternativlos, wenn es darum ging, die gleichberechtigte Partizipation von Frauen in Strukturen zumindest zu ermöglichen. Die Verpflichtung, der vereinbarten Quote zu entsprechen, führte vielerorts dazu, den Blick für kompetente Frauen zu schärfen und den weiblichen Führungsnachwuchs – so wie seit jeher die männlichen Kandidaten – gezielt aufzubauen und zu fördern.

Vom Unbehagen der Geschlechter

Anfang der 1990er erregte das Buch "Backlash – die Männer schlagen zurück" von Susan Faludi über die Frauenbewegung hinaus Aufsehen. Zu dieser Zeit wurde in zahlreichen Publikationen der Untergang des Mannes verkündet, er sei das eigentlich "unterdrückte Geschlecht", dem Trinkwasser beigesetzte Hormone reduzierten seine Spermien und ließen ihm gar Brüste wachsen. Zudem sorgte 1990 das Buch "Das Unbehagen der Geschlechter" der US-Amerikanerin Judith Butler an den Universitäten für Furore. Butler stellte das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit fundamental in Frage. Eine ihrer Kernthesen ist, dass es auch aus medizinisch-biologischer Perspektive mehr als zwei Geschlechter gibt. Zudem sei die Grenze zwischen Mann und Frau nicht eindeutig. Jede Definition, was ein Mann oder eine Frau sei, lasse sich durch Ausnahmen widerlegen. Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen sei also die grobe Vereinfachung einer viel komplexeren Wirklichkeit.

Unter anderem inspiriert durch Butlers Ideen, entwickelten sich die Queer bzw. Gender Studies zur akademischen Disziplin.

Wider den heterosexuellen Mainstream

Plakat: Queer-Feministische Tage in Marburg (© Miriam Wohlfahrt)

Die von Butler inspirierte queer-Bewegung setzte sich die Dekonstruktion der Geschlechter zum Ziel. Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgenders, Intersexuelle und Asexuelle nannten sich so, wie sie von der Gesellschaft wahrgenommen wurden: queer, sprich seltsam.

Dass die Anerkennung gleichgeschlechtlicher und queerer Lebensweisen in den 1990er Jahren noch auf sehr wackeligen Beinen stand, verdeutlicht auch die Tatsache, dass Cornelia Scheel ihren Job bei der Deutschen Krebshilfe verlor, als sie und Hella von Sinnen 1991 ihren Heiratswunsch publik machten.

Das eigene Outing sowie das umstrittene Outing durch andere zielten auf Sichtbarmachung, kontinuierliches Engagement und vielfältige Aktionen – von den GayGames bis zum Christopher-Street-Day – stärkten das Selbstbewusstsein von Schwulen und Lesben und förderten Akzeptanz und Respekt. Die erste rotgrüne Landesregierung in NRW installierte 1995 ein ministerielles Referat für gleichgeschlechtliche Lebensformen, NRW bekam so eine staatlich geförderte Schwulen-und-Lesben-Politik. Seit 2001 können sich gleichgeschlechtliche Paare als eingetragene Lebensgemeinschaften einen rechtlichen Rahmen geben. Dieses Gesetz ist in der schwul-lesbischen Bewegung umstritten. Die einen fordern, das Gesetz zu überarbeiten und gleichgeschlechtliche Partnerschaften z. B. auch steuerlich der Ehe gleichzusetzen. Andere bewerten das Gesetz als Anbiederung an bürgerlich-heterosexuelle Normen. Nach wie vor aktuell ist die Frage, ob und wie angesichts zunehmender Integrationsangebote das queere, subversive Potenzial schwul-lesbischer Lebens- und Liebesweisen bewahrt bleiben kann.

Der Streit ums Kopftuch

Der Streit ums Kopftuch beschäftigte 2003 auch das Bundesverfassungsgericht. (© AP)

In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends entzündete sich an der Frage, ob muslimische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen dürfen, die Kopftuchdebatte. In ihr verhandelten unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte Selbstbestimmungsrechte von Frauen, Religionsfreiheit, das Selbstverständnis der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft, Kriterien gelungener Integration und die Furcht vor dem Islam. Mitunter nahm die Debatte kulturchauvinistische Züge an, z. B. dann, wenn die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft als durchweg emanzipiert und fortschrittlich, Musliminnen und Muslime dagegen als per se rückständig imaginiert wurden.

Die Gründe, aus denen Frauen ein Kopftuch tragen, und die Kontexte, in denen sie handeln, sind vielfältig. Die Frage reduzierte sich jedoch bald auf ein Dafür oder Dagegen und spaltete auch die Frauenbewegung. Corinna Trogisch bilanzierte den Diskurs 2005: "Komplexe gesellschaftliche Phänomene und Problematiken (...) wurden auf eine einzige, dieser Komplexität unangemessene Frage reduziert. Ein ultimatives Bekenntnis in dieser Frage wurde sowohl gefordert als auch geleistet." Auf diese Weise sei kritisch-feministisches Potenzial ungenutzt geblieben bzw. für andere Zielsetzungen instrumentalisiert worden.

"Wenn wir ohne Prüfung der individuellen Motive generell Frauen mit Kopftuch vom öffentlichen Schulleben ausschließen, treffen wir gerade die Frauen, die mit ihrem Streben nach Berufstätigkeit einen emanzipatorischen Weg beschreiten wollen", hieß es im "Aufruf wider eine Lex Kopftuch und für religiöse Vielfalt", den die damalige Integrationsbeauftragte Marieluise Beck initiierte. In der "Backlash"-Erklärung Helke Sanders wurde die Kopftuchfrage mit Menschenhandel, Beschneidung, Zwangsprostitution und -heirat verwoben. Wer gegen das Gleichheitsgebot verstoße, solle das Aufenthaltsrecht verlieren, hieß es. Wohin genuin Deutsche auszuweisen seien, die das Gleichheitsgebot missachten, blieb offen.

Gender Mainstreaming oder Frauenförderung?

Seit Ende der 1990er Jahre ist Gender Mainstreaming (GM) Leitlinie der EU-Politik und konkretisiert die in der Verfassung verankerte aktive Gleichstellungspolitik. GM zielt darauf ab, Benachteiligung nicht nur abzuschaffen, sondern auch die Prozesse und Strukturen zu identifizieren, die Benachteiligung herstellen. Mittels des GM konnte umfangreiches Datenmaterial zur Situation des Geschlechterverhältnisses gewonnen und der Blick in vielen Bereichen geschärft werden. Frauenpolitisch Engagierte kritisieren jedoch mangelnde Konsequenz und das Fehlen von Sanktionen, wenn GM gar nicht oder missbräuchlich verwendet wird. Als problematisch erweist sich GM auch dort, wo unter seinem Label Männern und Frauen essentiell unterschiedliche Interessen unterstellt werden. Fraglich ist z. B., ob Halbtagsstellen tatsächlich besonders frauenfreundlich sind. Dass sich vor allem Frauen für halbe Stellen interessieren, die nur selten existenzsichernd sind, liegt sicher auch daran, dass sie sich nach wie vor dafür verantwortlich fühlen – und dafür verantwortlich gemacht werden –, Lohn-, Haus- und Familienarbeit zu vereinbaren. Mitunter wird GM dazu benutzt, die gezielte Frauenförderung auszusetzen. Zudem, so die Kritik, würden relevante Politikfelder vom GM ausgespart, wie z. B. die Hartz-IV-Gesetzgebung.

Der Opfer gedenken – aber wie?

Der Künstler Ingar Dragset (inks) und Michael Elmgreen vor dem von ihnen entworfenen Denkmal für die in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen. Im August 2008 wurde ein Anschhlag auf das Denkmal verübt. (© AP)

Diskussionspunkt der jüngeren Vergangenheit war unter anderem der Entwurf zum Mahnmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Berlin. In einem Betonkubus ist ein Video mit zwei sich küssenden Männern zu sehen. Nach intensiven Auseinandersetzungen wurde vereinbart, alle zwei Jahre wechselnd unterschiedliche Darstellungen homosexueller Paare zu zeigen. Eine Jury wird über das nächste Video entscheiden. Dass beim nächsten Mal ein lesbisches Paar zu sehen sein wird, ist also keineswegs ausgemacht.

Trotz aller Erfolge auf den Gebieten der politischen und kulturellen Repräsentationen sind homophobe Ressentiments in der Gesellschaft noch immer tief verwurzelt. Gegen diese anzugehen ist und bleibt eine wichtige Zielsetzung auch der modernen FrauenLesbenbewegung.

Der antifeministische Gegenschlag und seine neuen-alten Mythen

Seit der Jahrtausendwende konzentrieren sich antifeministische Angriffe vor allem auf das Konzept des Gender Mainstreaming und pädagogische Ansätze, welche die vielseitige Entfaltung jenseits geschlechtsstereotypischer Zuschreibungen fördern wollen.

Mit den Geburtsjahrgängen um 1970 startete die Generation "Selbstoptimierung" mit großem Selbstvertrauen in Studium und Job. Erfolg wie Misserfolg, Machtgefälle und Kommunikationsprobleme vor dem Hintergrund von Geschlechterverhältnissen zu erklären, kam aus der Mode. Ließ sich dann doch eine kollektive Erfahrung, die über die Einzelnen hinauswies, erahnen, dann griffen Erklärungen aus der Soziobiologie, die z. B. bürgerliche Familienmodelle in die Steinzeit projizierten und von dort aus die Gegenwart als unveränderlich interpretierten.

Nach wie vor fließt viel Energie der Frauenbewegung in die Aufgabe, Backlash-Mythen in Frage zu stellen, die gesellschaftliche Diskussion an den aktuellen Forschungsstand anzubinden und Lebensrealitäten wie Kompetenzen von Frauen in den Medien adäquat darzustellen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Christine Eifler: An verschiedenen Orten. Aus: Gudrun Axeli-Knapp, Ursula Müller (Hg.): Ein Deutschland – zwei Patriarchate? Dokumentation der Jahrestagung der Sektion "Frauenforschung in den Sozialwissenschaften" in Hannover, 21.–23. Juni 1991. Bielefeld, Hannover 1992, S. 5.

  2. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991, S. 206.

  3. Corinna Trogisch: Bekenntnishaft. Von neuen Zudringlichkeiten und feministischem Selbstverständnis in der Kopftuchdebatte. In: beiträge zur feministischen theorie und praxis 66/67, Köln 2005, S. 205.

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geb. 1971, Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Sozialpsychologie; arbeitet u.a. als Kommunikationstrainerin, Mediencoach und Texterin; Redakteurin der feministischen Zeitschrift WIR FRAUEN.