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Stationen der Ehe für alle in Deutschland

Anna Katharina Mangold

/ 10 Minuten zu lesen

Im Juni 2017 stimmte der Bundestag für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Anna Katharina Mangold beschreibt historische Wegmarken des Kampfes für Gleichberechtigung in Deutschland und skizziert noch offene Fragen.

Hochzeitspaare als Dekoration auf einer Hochzeitstorte. (© picture-alliance, Sven Simon)

Als die Ehe für alle im Juni 2017 bei der Abstimmung im Bundestag eine Mehrheit fand, was dies ein großer Erfolg im jahrzehntelangen Kampf für die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlich liebender Menschen. Der Weg zu dieser entscheidenden Abstimmung war lang und höchst mühsam.

Strafbarkeit männlicher Homosexualität (§ 175 StGB)

Seit der Kaiserzeit war in § 175 StGB der gleichgeschlechtliche Verkehr zwischen Männern mit Strafe bedroht. In der NS-Zeit wurde die Norm verschärft. Männer mit dem "rosa Winkel" wurden in Konzentrationslagern misshandelt und getötet. Wenn auch weniger öffentlich sichtbar, erfuhren auch lesbische Frauen Verfolgung und Mord.

Die junge Bundesrepublik distanzierte sich nicht von § 175 StGB. Auch deshalb konnte kein gesellschaftlich freies Klima für homosexuelle Menschen entstehen. Der erste Kampf für gleiche Rechte galt deswegen der Abschaffung dieser Strafnorm. Das Bundesverfassungsgericht erklärte jedoch die Strafbarkeit männlicher Homosexualität 1957 für verfassungskonform, also mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.

Die DDR behielt ebenfalls die Strafbarkeit bei. Zugleich machte die Rechtsprechung von Einstellungsmöglichkeiten bei Verfahren seit den 1950er Jahren großzügig Gebrauch. Gleichwohl blieb Homosexualität auch in der DDR ein Tabuthema. Erst in den 1980er Jahren bildeten sich in kirchlichen Kontexten erste Gruppen, die für Gleichberechtigung eintraten. Schon 1968 und damit ein Jahr vor der BRD (!) entkriminalisierte die DDR einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen erwachsenen Männern, behielt jedoch die Strafbarkeit von Verkehr mit Minderjährigen bei. Strafbar blieb der Verkehr mit unter 21-Jährigen (ab 1964: von unter 18-Jährigen) sowie die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Die Aufhebung des Totalverbots mit der Strafrechtsreform 1969 erlaubte in den 1970er Jahren dennoch die allmähliche Formierung einer offenen politischen Schwulenbewegung. Im Jahr 1994 wurde § 175 StGB im wiedervereinigten Deutschland schließlich ersatzlos gestrichen.

Entstehung der Schwulenbewegung und erste Forderungen nach Eheöffnung

Manche gleichgeschlechtliche Paare versuchten eine rechtliche Absicherung ihrer Partnerschaft auf dem Wege der Adoption herbeizuführen. In den 1980er Jahren wurde das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare zunehmend kritisiert. Nachdem Dänemark 1989 als erstes Land weltweit eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt hatte, forderte 1990 auch der Schwulenverband in Deutschland (SVD), heute Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), die Öffnung der Ehe. Der SVD entwickelte in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) einen Gesetzentwurf für die Eheschließung von Personen gleichen Geschlechts.

Im August 1992 bestellten rund 250 gleichgeschlechtliche Paare das Aufgebot, um eine Ehe einzugehen ("Aktion Standesamt"). Die Frage der Zulässigkeit einer solchen gleichgeschlechtlichen Ehe erreichte das Bundesverfassungsgericht auf dem Klageweg: Gab das Grundgesetz auch gleichgeschlechtlichen Paaren einen Anspruch, dass sie heiraten durften? Die zuständige Kammer nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an und argumentierte, dass "die Geschlechtsverschiedenheit zu den prägenden Merkmalen der Ehe" gehöre, ließ jedoch in der Begründung eine Hintertür offen, wenn es künftig "Anhaltspunkte für einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses in dem Sinne [gäbe], daß der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme". Es ging nun darum, "einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses" aktiv herbeizuführen. Mit der Streichung des § 175 StGB erfolgte 1994 ein wichtiger Schritt auf diesem Wege. In Hamburg konnten aufgrund eines Gesetzes von 1999 erstmals gleichgeschlechtliche Partnerschaften in ein "Partnerschaftsbuch" eingetragen werden. Allerdings ergaben sich aus dieser Eintragung "weder Rechte noch Pflichten".

Das Lebenspartnerschaftsgesetz 2001

Vor allem auf Betreiben der Partei Bündnis 90/Die Grünen gelang es unter der rotgrünen Bundesregierung 2001, das sogenannte Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) zu verabschieden. Dieses Gesetzesvorhaben umfasste ursprünglich zwei Teile: Das LPartG verlieh das Recht, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, ohne jedoch alle Rechte der Eheschließung zu gewähren (so fehlte jedes gemeinsame Adoptionsrecht). Der wichtige zweite Teil, das Ergänzungsgesetz (LPartErgG), sah weitreichende Anpassungen etwa im Steuer- und Beamtenrecht vor. Die Unionsparteien blockierten das im Bundesrat zustimmungspflichtige LPartErgG, sodass gleichgeschlechtlichen Paaren bestimmte Folgerechte zunächst vorenthalten blieben. Mit dem LPartG war erstmals überhaupt ein rechtliches Institut für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt.

Die drei unionsgeführten Bundesländer Bayern, Sachsen und Thüringen klagten gegen das LPartG. Dabei stützten sie sich auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 GG. Dieser stellt Ehe und Familie "unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung". Darin sei, so die drei klagenden Bundesländer, zugleich ein Abstandsgebot gegenüber allen anderen Formen rechtlich verfasster Partnerschaft enthalten. Deswegen dürfe kein Rechtsinstitut eingeführt werden, das so ähnlich wie eine Ehe sei. In seiner grundlegenden Externer Link: Entscheidung von 2002 trat das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung entgegen, denkbar knapp mit 5:3 Stimmen. Die Lebenspartnerschaft, so die Senatsmehrheit, sei ein "Aliud" zur Ehe, also etwas gänzlich anderes. Deswegen sei die Lebenspartnerschaft auch keine Gefahr für verschiedengeschlechtliche Ehen: "Das Ausmaß des rechtlichen Schutzes und der Förderung der Ehe wird in keinerlei Hinsicht verringert, wenn die Rechtsordnung auch andere Lebensformen anerkennt, die mit der Ehe als Gemeinschaft verschiedengeschlechtlicher Partner nicht in Konkurrenz treten können. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass solche anderen Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind."

Damit war der Weg geebnet, das Lebenspartnerschaftsgesetz war verfassungsgemäß, und schwule und lesbische Paare konnten sich "verpartnern", wie das Äquivalent zu "heiraten" daraufhin hieß.

Die Rechtsprechung des BVerfG zur Ungleichbehandlung von Lebenspartnerschaft und Ehe

In den Jahren nach 2002 brachten gleichgeschlechtliche Paare zahlreiche fortbestehende Ungleichbehandlungen vor die Gerichte, die vor allem aus der unterbliebenen Anpassung anderer Gesetze resultierten, weil das LPartErgG nicht verabschiedet worden war. Mehrere Kammern des Bundesverfassungsgerichts verweigerten jedoch eine Angleichung der rechtlichen Situation für gleichgeschlechtliche Paare. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG darf niemand "wegen seines Geschlechtes … benachteiligt oder bevorzugt werden". 2015 formulierte Chief Justice Roberts prägnant in der mündlichen Verhandlung des US Supreme Court zur Eheöffnung in der US-amerikanischen Rechtsordnung, dass es nahe liege, eine Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung als Benachteiligung "wegen des Geschlechts“ zu verstehen:

"I mean, if Sue loves Joe and Tom loves Joe, Sue can marry him and Tom can't. And the difference is based upon their different sex. Why isn't that a straightforward question of sexual discrimination?"

Nach Einführung des LPartG war zunächst eine konservative formalistische Lesart verbreitet. Diese besagte, nicht die sexuelle Orientierung von Menschen sei der Grund dafür, dass Lebenspartner und Ehegatten verschiedene Rechte hatten, sondern allein der unterschiedliche Personenstand: "verpartnert" bzw. "verheiratet". Deswegen handele es sich nicht um Benachteiligungen wegen des Geschlechts des Partners oder der sexuellen Orientierung der Partner. So argumentierte wiederholt die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, so etwa zum beamtenrechtlichen Familienzuschlag im Externer Link: Sept. 2007, in drei gleichlautenden Beschlüssen im Externer Link: Nov. 2007 und im Externer Link: Mai 2008. Diese Rechtsprechungslinie behauptete mit anderen Worten also, dass Schwule und Lesben durchaus heiraten könnten; aus Sicht der Lesben und Schwulen hatte diese Sicht nur den Haken, dass der potenzielle Ehegatte nach wie vor ein anderes Geschlecht haben musste als sie selbst.

Der entscheidende Perspektivwechsel des Bundesverfassungsgerichts

Erst 2009 änderte sich etwas an dieser formalistischen Deutung. Das Bundesverfassungsgericht stellte die Weichen neu. Hatte das Gericht, wie dargestellt, zunächst die Verschiedenheit von Lebenspartnerschaft und Ehe zum Ausgangspunkt genommen, wählte es jetzt in der Entscheidung über die Hinterbliebenenversorgung für Lebenspartner eine andere Perspektive. Das LPartG erfasse nämlich typischerweise gleichgeschlechtliche Personen. Diese würden gegenüber verschiedengeschlechtlichen Menschen benachteiligt, weil nur diese eine rechtlich bessergestellte Ehe eingehen könnten. Das Bundesverfassungsgericht gelangte nun zu der Einsicht, dass die "Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Lebenspartnern eine Anknüpfung an die sexuelle Orientierung beinhalte". Deswegen seien "erhebliche Unterschiede" zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft erforderlich, "um die konkrete Ungleichbehandlung rechtfertigen zu können". Denn sowohl Ehe als auch Partnerschaft seien "auf Dauer angelegte, rechtlich verfestigte Formen von Partnerschaft".

Das Gericht veränderte damit die Ausgangsfrage völlig. Lautete zuvor die Frage: Gibt es Gründe, die es erlauben, die Lebenspartnerschaft ein bisschen wie die Ehe auszugestalten?, hieß es nun: Gibt es Gründe, die eine Schlechterbehandlung der Lebenspartnerschaft rechtfertigen können? Mussten sich vorher jene rechtfertigen, die die Lebenspartnerschaft befürworteten, forderte das Gericht nun eine Erklärung von jenen, die der Lebenspartnerschaft die gleichen Rechte wie der Ehe verwehren wollten. Das Gericht zog den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG heran und forderte: Wer ungleich behandeln will, der muss das mit sachlichen Gründen rechtfertigen.

Im Anschluss an diese weichenstellende Entscheidung führte das Bundesverfassungsgericht seine neue Argumentation in einer Vielzahl von Einzelentscheidungen fort: im Externer Link: Erbschaftssteuerrecht, beim Externer Link: beamtenrechtlichen Familienzuschlag, bei der Externer Link: sogenannten Sukzessivadoption und beim Externer Link: Ehegattensplitting. Die klagenden Paare hatten also in den teils jahrelangen Rechtsstreits unter großen persönlichen und finanziellen Opfern viel erreicht.

Dennoch: Wo das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden hatte, bestanden weiterhin Unterschiede zwischen Lebenspartnerschaft und Ehe. So war eine gemeinschaftliche Adoption der Verpartnerten weiterhin unzulässig. Die ausgebliebene Anpassung der Rechtsordnung an die Lebenspartnerschaft zeigte aber auch an anderen Stellen rechtliche Konsequenzen: So sollten beispielsweise die Eltern statt des Lebenspartners über das Begräbnis des Sohnes entscheiden dürfen, wenn eine Gleichstellung mit Eheleuten in der kommunalen Friedhofssatzung nicht erfolgt war. In allerhand Alltagssituationen wirkte sich die unterbliebene Gleichstellung so rechtlich und tatsächlich aus.

Die Eheöffnung 2017: Fünf Tage im Juni

Im Laufe der 18. Legislaturperiode gab es Gesetzgebungsvorschläge für eine Eheöffnung, von den Oppositionsparteien sowie vom Bundesrat. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD vertagte die Vorschläge in den Ausschüssen mit dem Argument, es bestünde noch Beratungsbedarf. Insgesamt vertagte der Rechtsausschuss die Beratung rund dreißig Mal. Mittels einer Organklage, also einer verfassungsrechtlichen Klage zwischen Verfassungsorganen, versuchte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Frühjahr 2017, die Mehrheit des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht dazu zu verpflichten, sich inhaltlich mit den Gesetzgebungsvorschlägen zu befassen. Auch wenn das Gericht mit diesem Vorstoß kurzen Prozess machte und ihn für unzulässig erklärte, gelang es nicht zuletzt mit dieser Initiative, die Eheöffnung zu einem wichtigen Wahlkampfthema zu machen, auch weil zahlreiche anderen Staaten (etwa das katholisch geprägte Irland) zwischenzeitlich die Ehe geöffnet hatten.

Im Laufe des Juni 2017 stimmten alle potenziellen Koalitionspartner der Unionsparteien, also Bündnis 90/Die Grünen, FDP und SPD, auf ihren jeweiligen Parteitagen dafür, die Eheöffnung zu einer Bedingung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu machen. In dieser Situation gerieten die Unionsparteien und die Kanzlerkandidatin Angela Merkel unter Zugzwang.

Dann entwickelte eine Bemerkung von Angela Merkel in einem Gespräch mit der Zeitschrift BRIGITTE am 26. Juni 2017 ein solches Eigenleben, dass der Bundestag innerhalb von nur fünf Tagen den Weg zur Eheöffnung im Geschwindschritt ging: In dem moderierten Gespräch sprach Merkel auf eine Zuschauerfrage hin davon, bei der Eheöffnung solle es "eher in eine Richtung Gewissensentscheidung" gehen. Diese Formulierung verweist nach den parlamentarischen Gepflogenheiten normalerweise darauf, dass der sogenannte Fraktionszwang aufgehoben wird und die Abgeordneten des Bundestages bei einer Abstimmung nicht mehr nach Vorgabe ihrer Fraktion, sondern frei "nach ihrem Gewissen" entscheiden dürfen.

Der Koalitionspartner SPD, Bündnis 90/Die Grünen und zahlreiche Medien griffen die Formulierung von Merkel öffentlichkeitswirksam auf. Die SPD-Führung sah sich nach Merkels Äußerung nicht mehr an den alten Koalitionsvertrag gebunden, sondern wollte noch in derselben Woche – der letzten Sitzungswoche der Legislaturperiode – den bereits existierenden, zuvor immer wieder vertagten Gesetzentwurf des Bundesrates aufgreifen und endgültig über ihn entscheiden. CDU und CSU machten die Entscheidung über die Eheöffnung einen Tag später zu einer "Gewissensfrage".

Am Mittwoch befasste sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit dem Bundesratsentwurf für die Eheöffnung und empfahl dem Plenum dessen Annahme. Am Freitagmorgen, 30. Juni 2017, um 8.00h fand gleich als erstes nach einer Änderung der Tagesordnung eine emotionale Debatte über die Eheöffnung statt. In der anschließenden namentlichen Abstimmung erhielt der Gesetzentwurf 393 Ja-Stimmen, 226 Nein-Stimmen, 4 Enthaltungen, 7 Stimmen wurden nicht abgegeben. Damit erreichte das Gesetz die erforderliche Mehrheit. Neben allen Abgeordneten der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken haben auch 75 Unionsabgeordnete für das Gesetz gestimmt. Die Eheöffnung war erreicht, es flog Konfetti im Hohen Hause.

Externer Link: § 1353 Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) definiert nun wie folgt: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen."

Bayern verzichtet am Ende auf den Gang nach Karlsruhe

Nach der Feierstimmung im Juni 2017 erwog vor allem die CSU gegen die Eheöffnung vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das Gericht hatte in seiner älteren Rechtsprechung wiederholt die Ehe als "Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft" bezeichnet, was als Strukturprinzip der Ehe der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers entzogen sei. Auch in jüngeren Entscheidungen zur Lebenspartnerschaft hatte das Gericht diese Definition noch wiederholt. Der Friede zwischen den christlichen Schwesterparteien mag dazu beigetragen haben, nicht während des Wahlkampfes zu klagen. Als Zwischenlösung beauftragte die CSU zwei Professor*innen mit einem verfassungsrechtlichen und einem rechtsvergleichenden Gutachten. Insbesondere die verfassungsrechtliche Expertise vom Januar 2018 gelangte zu dem Schluss, dass mehr dafür spreche, der demokratisch legitimierte Gesetzgeber dürfe die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnen, ohne gegen Art. 6 Abs. 1 GG zu verstoßen. Im Lichte dieses Gutachtens nahm die CSU als bayerische Staatsregierung davon Abstand, gegen das Gesetz zur Eheöffnung nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Offene Frage: Personen ohne rechtlichen Geschlechtseintrag

In der geschilderten Eile des Gesetzgebungsverfahrens ist offen geblieben, was für Personen gilt, die weder weiblichen noch männlichen Geschlechts sind, bei denen also der Geschlechtseintrag offengelassen ist. Das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Externer Link: Dritten Option verlangt für Inter*Personen im Personenstandsrecht, dass nun entweder der Geschlechtseintrag offengelassen oder eine dritte Bezeichnung außer männlich und weiblich gewählt werden darf. Die neue Ehedefinition stellt explizit klar, dass Personen jedweden Geschlechts einander heiraten dürfen.

Notwendige Anpassungen im Abstammungsrecht stehen noch aus. Hier sind höchst umstrittene Fragen politisch zu klären: Soll etwa die Co-Mutter neben der Gebärenden automatisch ebenfalls als "Mutter" des Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen werden? Sollen zwei schwule Männer, die im Ausland von einer Leihmutter ein Kind haben austragen lassen, in Deutschland als "Väter" in der Geburtsurkunde eingetragen werden? Der Wandel in der Reproduktionsmedizin und sozial gelebten Familienverhältnissen macht es notwendig, für diese Fragen tragfähige und praktikable rechtliche Lösungen zu finden.

PD Dr. Anna Katharina Mangold forscht und lehrt zu Öffentlichem Recht, Europarecht und Rechtsphilosophie an der Universität Frankfurt. Zu ihren Schwerpunkten gehört u.a. das Antidiskriminierungsrecht.