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Die Entfaltung der Bildkultur in den Medien des 20. Jahrhunderts | Themen | bpb.de

Die Entfaltung der Bildkultur in den Medien des 20. Jahrhunderts

Werner Faulstich

/ 12 Minuten zu lesen

Ob Fernsehen, Video oder Computer: Die elektronischen Medien des 20. Jahrhunderts prägten auch seine Bilderwelt. Wo klassische Druckmedien vor allem die Wirklichkeit abbildeten, schufen sie durch Rekonstruktion ein neues Bild der Wirklichkeit.

Der Beginn des 20. Jahrhunderts markiert den Übergang von der Bebilderung der Welt zur Welt der Bilder. Insbesondere die "laufenden" Bilder kreierten eigene elektronische Wirklichkeiten, die sich zwar erst im Kopf der Betrachterinnen und Betrachter entfalten, aber doch auch reale Eigenständigkeit suggerieren. Das "visuelle Zeitalter" begann mit einer mediengeschichtlichen Revolution: An die Stelle der gesellschaftlich dominanten Druckmedien traten die elektronischen Medien; die Vermittlung von Wirklichkeit durch ihre Darstellung wurde abgelöst durch die Vermittlung von Wirklichkeit als Rekonstruktion. Dabei gebührt den neuen Bildmedien Film, Fernsehen und Video, später auch den Digitalmedien, besondere Aufmerksamkeit. Aber auch die Bildkultur in den "alten" Medien nahm explosionsartig zu und trug erheblich zur Ausprägung des neuen "Weltbildes" bei.

Fotografie, Politik und Geschichte

Die Geschichte der Fotografie nimmt sich in weiten Teilen als konzentrierte, hochverdichtete Gesellschaftsgeschichte aus. Insbesondere die "reine Fotografie" mit ihrem Stil der neuen Sachlichkeit ab den 20er Jahren, die Moment- und Alltagsaufnahmen von Personen, Situationen und Ereignissen ab den 30ern, die Dokumentar-, die Kriegsfotografie, die kritische Sozialfotografie und speziell der Fotojournalismus, der spätestens nach Ende des Zweiten Weltkriegs das gesamte Pressewesen prägte, tendierten dazu, Wirklichkeit in ihrer reproduktiven Verbilderung als solche erst auszuweisen. Zahlreiche Schlüsselszenen erhielten weltweit geradezu ikonographische Bedeutung, zum Beispiel das Aufpflanzen der Siegesfahne auf dem Brandenburger Tor durch sowjetische Soldaten (1945), die Explosion der ersten Wasserstoffbombe durch die Amerikaner (1952), die Exekution eines Vietcong durch einen südvietnamesischen General (1968) u.v.a. Das sind Bilder, die jeder schon einmal gesehen hat und kennt.

Die Fotografie wurde durch die Bildpublizistik seit der Weimarer Republik zum öffentlichen Gedächtnismedium, wozu Nachrichtenmagazine wie der "Spiegel" wesentlich beitrugen. Aber auch im privaten Bereich von Millionen von "Knipsern" feierte die Fotografie Triumphe, indem sie ichbezogene, familienbezogene Erlebniswirklichkeit und Urlaubserfahrungen festhielt. Die individuelle Geschichte, der biographische Rückblick wurde durch die eigenen Fotos im Album und später die Dias und Foto-CDs strukturiert, gespeichert und damit bearbeitet und verändert.

Der Film bis 1945

Prägende Kraft kam dem neuen Medium Film zu. Es entstand bereits Ende des 19. Jahrhunderts und kombinierte die szenische Live-Inszenierung wie sie aus dem Theater längst bekannt war mit der Vermittlung scheinbar authentischer Wirklichkeit wie die Fotografie sie lieferte und der narrativen Grundstruktur wie man sie aus dem früheren Primärmedium des Erzählers bzw. Bänkel- und Moritatensängers kannte. Als dominante Form des Films setzte sich der Spielfilm durch. Er nutzt Teile der visuellen und auditiven inszenierten Wirklichkeit und "spielt" mit ihnen, d.h. er fügt die Fragmente bedeutungsmäßig neu zusammen zu einer ganz anderen Wirklichkeit, die sich im Kopf des Zuschauers abspielt, zu einer neuen Wahrnehmung, die ästhetisch als kollektiver Traum zu verstehen ist, also auf Verdrängtes verweist. Von seiner Ästhetik her hat der Film neue latente Erlebnisbilder und Visionen entwickelt, die wir uns qua Identifikation zu Eigen machen.

Die Entwicklung verlief in unterscheidbaren Abschnitten. Nach einer ersten Phase der Vor- und Frühgeschichte (1895-1900) stand in der zweiten Phase (1900-1914) bereits die Ausbildung unterschiedlicher Genres, wenn auch noch nationalspezifisch, im Vordergrund, bis sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Filmindustrie etablierte. Die neue Bilderwelt wandelte sich vom 3-Minuten-Film zum Langfilm, vom Dokumentarischen zum Phantastischen, von den Jahrmarkt- und Wanderkinos zu etablierten Filmtheatern und sie begeisterte alle Schichten gleichermaßen. Die dritte Phase (1914-1933) bestand im Schritt vom Stummfilm zum Tonfilm (Externer Link: "The 'Jazzsinger", 1927), Hollywood und das Starsystem entwickelte sich, auch der expressionistische Film und die Ufa in Deutschland. Im vierten Abschnitt (1933-1945) wurde der Film farbig (##link_Extern:<0>|"Becky Sharp"|http://www.widescreenmuseum.com/oldcolor/technicolor9.htm## 1935), aus deutscher Sicht stand die Veränderung der Filmkultur allerdings überwiegend unter den Einwirkungen des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs. [Abb. 2]

Der Film nach 1945

Filmplakat "Die Blechtrommel". (© Haus der Geschichte)

In der Nachkriegszeit (1945-1960) entwickelte sich der "Weltfilm": Zahllose künstlerisch anspruchsvolle Filme und neue Stilformen führten zur weltweiten Akzeptanz und Etablierung filmischer Bildkultur. In Konkurrenz zum aufkommenden Fernsehen (1960-1975) verlor das westdeutsche Kino zwar 75 Prozent seines Publikums, die Zahl der Kinobesuche sank von jährlich 800 Millionen auf 180 Millionen, aber damit war auch die Entstehung neuer ästhetischer Ansätze verbunden, etwa der "junge deutsche Film" nach dem Oberhausener Manifest 1962 oder die vielfach preisgekrönte Grass-Verfilmung "Die Blechtrommel" (1979).

Der Genrewandel setzte sich in großer Breite international fort als Genre-Diversifikation, Genre-Revival und Genre-Mix (1975-1990). In dieser siebten Phase entwickelten sich u.a. der neue Frauenfilm, der Vietnamfilm, der Superheldenfilm und der "Kunstfilm". Der Einfluss des neu aufkommenden Mediums Video setzte zwei Akzente, die diese Genres freilich dem breiten Kinopublikum weitgehend entzogen und in die Rezeptionssituation privater Häuslichkeit verschoben: der Hardcore-Pornofilm und der Kannibalen- und Horrorfilm. Seit 1990 werden die Filmbilder erneut durch übergreifende Faktoren beeinflusst: Im Zuge einer generellen Globalisierung entwickelten sich etwa die Cultural-Clash-Filme, die das Aufeinanderprallen von Kulturen thematisieren. Und vor allem vollzog sich eine neue Medienrevolution in Gestalt des Computers und der Digitalisierung. Der Schritt von der traditionellen Darstellung von Wirklichkeit, wie in den früheren Printmedien geschehen, zur Rekonstruktion von Wirklichkeit, wie in den elektronischen Medien, wurde damit weitergeführt zur Simulation von Wirklichkeit in Gestalt ganz neuer künstlicher Welten.

Bilder in Comics und Illustrierten

Cover des "Stern", Ausgabe Nr.7 von 1967. (© Gruner + Jahr AG & Co KG)

Das Medium Blatt als Bildmedium des 20. Jahrhunderts wurde bislang noch gar nicht erforscht, dürfte aber in Vielfalt, Reichweite und Nutzungsintensität mit an erster Stelle der Bildmedien dieser Periode stehen. Damit gemeint sind Flugblätter ebenso wie Bilder im kirchlich-sakralen Bereich (z.B. Andachtsbilder, Kommunionbilder), Poster und Wandbilder ebenso wie Sammelbilder, Spielkarten oder Ansichtskarten. Bei den Zeitungen erreichte die 1952 entstandene "Bild-Zeitung" Auflagen von über sechs Millionen und wurde zum Vorbild für viele andere Massenblätter wie etwa das "Hamburger Abendblatt" oder die "Münchener Abendzeitung".

Die Popgruppe "The Beatles" auf einem Bravo-Cover 1966. (© Heinrich Bauer Zeitschriften Verlag KG)

Auch die Zeitschrift in ihrer bebilderten Form boomte in zahlreichen Varianten, insbesondere als "Illustrierte" und vielfältig sich ausdifferenzierende Frauen- und Modezeitschrift. Große Publikumszeitschriften wie "Stern", "Bunte", "Neue Revue", "Quick", aber auch Fernsehzeitschriften wie "HörZu" oder "TV Hören und Sehen" sorgten, zumal im Medienverbund, dafür, dass die Bebilderung der Welt alltäglich und selbstverständlich wurde.

Bilder prägten von nun an lebenszyklisch die Weltperspektive – angefangen von Bilderbüchern für Kinder über die Millionen von Comic-Heften sowie Jugend- und Aufklärungszeitschriften wie "Bravo", dem langjährigen Leitmedium bundesdeutscher Jugendkultur, bis zu den dominanten elektronischen Bildmedien Film und Fernsehen.

Graffiti und andere Wandbilder

Bilder prägten aber auch fast alle Milieus und sozialen Bereiche, angefangen von den Graffiti an Häusern und Brücken, in Unterführungen und U-Bahnen, die gerne von der Kultur-, Medien- und Bildgeschichte unterschlagen werden, bis zur etablierten Werbung. Noch heute erfreut sich das traditionelle Medium Wand in vielfältigen Formen einer meist subversiven Nutzung als Instrument für Proteste der unterschiedlichsten Art. Wohlbekannt ist die Gestaltung vieler Toilettenwände mit Sprüchen und Zeichnungen häufig sexuellen, teils aber auch politischen Inhalts, ähnlich die

Protest-Graffito "Wir nehmen es den Armen & geben's den Reichen". (© New_man_13, Photocase)

Bebilderung von Gefängniswänden oder Schulbänken. Größere Öffentlichkeit erlangten Graffiti, die teils Kunstansprüche erheben, teils aufklären wollen; sie vor allem waren von Anarchie und Protest gegen das etablierte Bildverständnis geprägt.

Es gehört zum Charakter der komplexeren Graffiti ("Pieces"), dass sie in den entsprechenden Szenen der Jugend- und Alternativkultur Kultstatus erlangten, aber von den Gebäudebesitzern und Obrigkeiten als Sachbeschädigung verstanden und als Vandalismus verfolgt wurden. Freilich wurden vereinzelt nackte Betonwände explizit für legale Graffiti-Gestaltung zur Verfügung gestellt.

Die Studentenbewegung Ende der 60er Jahre, die Sponti-Szene in den 70ern und eine ausgesprochene Graffiti-Kultur in den 80er Jahren, etwa in München und Berlin, bildeten unter dem Einfluss amerikanischer Vorbilder die Schwerpunkte dieser Außenseiter- und Randgruppen-Bilder in Deutschland.

Bilder in der Werbung

Opel Record (© Historisches Archiv der Adam Opel GmbH)

Nicht mehr nur das Plakat fungierte als Werbemedium, sondern auch die Illustrierten, die Filmwerbung im Kino und die Werbesendungen im Fernsehen – in steigendem Umfang und in zunehmender Komplexität. Seit zum Beginn des 20. Jahrhunderts die nachfrageorientierte Wirtschaft von der angebotsorientierten Wirtschaft abgelöst wurde und für ihre Produkte die Nachfrage nun erst kreieren musste, boomte die Bilderwerbung. Nach der simplen Produktreklame der Vorkriegszeit und der gleichgeschalteten Werbung im NS-Regime lösten die neuen Werbestile einander immer schneller ab und passten sich internationalen Vorgaben an: Erinnerungswerbung, Emotionalisierung, Lifestyle-Werbung, Einsatz identifikationsfähiger

Opel Corsa (© Historisches Archiv der Adam Opel GmbH)

Werbefiguren, Image-Werbung, Schockwerbung, die auf Provokation abzielte, eine starke Erotisierung und Sexualisierung und vieles mehr, bis hin zu komplexen supramedialen integrativen Marketingstrategien insbesondere für Markenartikel der gehobenen Luxusklasse. Die Unterschiede hier sind enorm und spiegeln auch den jeweiligen Zeitgeist mit seinen dominanten, je unterschiedlichen Werten wider.

Die Werbebilder wurden immer stärker von ausgeklügelten psychologischen Erkenntnissen geprägt und dementsprechend subtiler und technisch perfekter. Neben die traditionellen Medien Zeitung und Zeitschrift, Plakat, Kinofilm und Fernsehen traten ab den 80er Jahren neue technische Möglichkeiten wie etwa die mobile Bandenwerbung in Fußballstadien oder das Citylight-Poster und vor allem das World Wide Web. Werbebilder erschienen zunehmend als genuiner Teil einer legitimen Bildkultur. Charakteristisch für dieses Crossover sind etwa die erstaunlichen Einflüsse, die frühere Werbefilmer als Regisseure von erfolgreichen Mainstream-Kinofilmen ausübten, wobei umgekehrt gelegentlich auch klassische Filmregisseure einen Werbe-Promotionfilm oder Videoclip gedreht haben.

Stationen der TV-Bilderwelt

Bildkultur präsentierte sich im 20. Jahrhundert in einem Medienverbund, der die Verführung übers Auge praktisch erzwungen hat. Leitmedium dieses geballten Angriffs auf Wahrnehmung und Handeln war das Fernsehen. Nach den Mühen der technischen Erfindungen seit 1884 und den ersten Versuchen des NS-Fernsehens nach der Machtübernahme 1933 begann die Geschichte des bundesdeutschen Fernsehens im Dezember 1952, zunächst geprägt vom Monopol des NWDR bzw. der ARD, dann von der Konkurrenz zwischen ARD und ZDF (1963-1983), von der Einführung des dualen Rundfunksystems (1984) mit dem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern und schließlich der Ausdehnung auf die neuen Bundesländer (ab 1991). In Funktionen ausgedrückt: ursprünglich "Fenster zur Welt" und Bildungsmedium, dann Informationskanal, Lebenshilfe, dann auch politische Aufklärung und Show als "Kitzel fürs Auge", schließlich Kommerzialisierung und Unterhaltung total.

Das Fernsehen präsentiert heute seine Bilder nach Programmschemata in drei großen Gruppen von Fernsehgenres (abgesehen vom Werbeprogramm, das etwa beachtliche 15 Prozent der täglichen Sendezeit ausmacht): Unterhaltungssendungen und Zielgruppenprogramme (Shows, Sportsendungen, Kinderfernsehen usw.), Informations- und Dokumentarsendungen (Nachrichten-, Magazinsendungen u.a.), fiktionale Sendungen (Serien, Fernseh- und Spielfilme u.a.). Sie sind ihrerseits jeweils spezifiziert; die Fernsehmagazine etwa in Politische Magazine, Kulturmagazine, Sportmagazine, Gesundheitsmagazine, Wirtschaftsmagazine, Frauenmagazine, Erotikmagazine und andere.

Übergreifend gilt neben der Programmformatierung jedoch dreierlei: das Grundprinzip des Programmkontinuums, mittlerweile mit einem 24-Stundenprogramm; die große Angebotsfülle eines Warenhauses oder riesigen Magazins, aus dem sich jeder nach seinem Geschmack bedienen kann; und die Dominanz der Unterhaltung oder Zerstreuung, die auch Informationssendungen ("infotainment") oder Bildungssendungen ("edutainment") prägt und Affektfernsehen unterschiedlichster Dimensionen erlaubt. Dass inzwischen Spartensender jeweils nur einem Sendungstypus bzw. einem Fernsehgenre verschrieben sind, unterstreicht nur noch das Prinzip der Ausdifferenzierung als Verbreiterung der Angebotspalette.

Der Einfluss der Fernsehbilder

Am Fernsehen und seiner Geschichte lässt sich gut verfolgen, wie die elektronischen Bilderwelten – bei entsprechendem Konsumumfang – Wirklichkeit zu substituieren drohen. Das Medium erreicht täglich etwa drei Viertel aller Erwachsenen ab 14 Jahren. Die tägliche Sehzeit hat sich seit Jahren erhöht, von täglich 113 Minuten im Wochendurchschnitt (1970) auf mittlerweile 202 Minuten (2004). Am Wochenende, in den neuen Bundesländern und bei Vielsehern liegen die Zahlen aber noch sehr viel höher. Zu den Vielsehern rechnen in Deutschland mehr als 50% der Bevölkerung ab 14 Jahren, mit einem durchschnittlichen Fernsehkonsum in dieser Gruppe von deutlich über vier Stunden täglich. Kein anderes Bildmedium im 20. Jahrhundert hatte eine derart durchschlagende Steuerungs- und Orientierungsfunktion, auch wenn durch zeitversetztes Fernsehen, durch Zapping und Switching und Nebenbei-Sehen individuelle Nutzungsmuster längst durchgesetzt sind.

Neben und innerhalb der Genres gibt es vielfältige Idole, Helden, Stars, Prominente, Werbeträger, Moderatoren und sonstige so genannte Anchormen/-women, die zur Identifikation einladen und das erlauben, was als "parasoziale Interaktion" bezeichnet wird. So ließe sich die Geschichte des deutschen Fernsehens gut auch als Geschichte seiner Stars beschreiben: als Abfolge rollentypisierter visueller Ikonen.

Die Schlüsselbilder des Fernsehens erhalten ihre Bedeutung aber nicht nur von Personen wie bei den Serien- und Unterhaltungsstars (und nur in ganz großen Ausnahmefällen von einmaligen Szenen ähnlich der Fotografie als Zeitgeschichte), sondern deren Bedeutung liegt umgekehrt zugleich auch in ihrer gesichtslosen Typologie: das Vorfahren der Staatslimousine und der immer gleich sich öffnende Wagenschlag mit dem aussteigenden Politiker bei internationalen Staatsbesuchen; das lange Händeschütteln der Staatsmänner und -frauen für die Pressefotografen; die beiden Stehpulte und Mikrophone für die Abschluss-Statements usw. Das sind emotionale Schemabilder, die nicht nur den Bebilderungszwängen des Mediums Fernsehen als Nachrichtenmedium nachkommen, sondern auch dem Bedarf des Fernsehpublikums an komplexitätsreduzierenden Ordnungsrastern entsprechen. Diese Bilder sind im Grunde austauschbar, stellen eine Art Bildgrammatik dar, die nur noch durch den Sprecher im Off verbal aktualisiert wird.

Video: "Schmuddelkram" und Überwachung

Bildhistorisch waren die 80er Jahre geprägt vom Aufstieg des neuen Mediums Video. Nach einem Krieg um die technischen Standards zwischen VHS, Betamax und Video 2000 setzte sich das VHS-System marktstrategisch durch und bot vor allem zweierlei an: erstens Leerkassetten zum Mitschneiden von Fernsehprogrammen und zum Kopieren bereits bespielter Kassetten – wodurch der Bilderkonsum der Normalbürger um ein Weiteres markant zunahm –, und zweitens Kaufkassetten mit Spielfilmen für den Genuss zu Hause.

Bereits 1989 waren 45 Prozent aller deutschen Haushalte mit Videorecordern ausgestattet. Es dominierten neben Actionfilmen, Abenteuerstreifen, Thrillern und Komödien auch Hardcore-Pornos, die dem Medium sein "Schmuddelimage" bescherten. Videotheken, die überall aus dem Boden schossen, durften bald nur noch von Personen über 18 Jahren genutzt werden. Mithilfe von Videokassetten eröffnete sich im privaten Zuhause die Möglichkeit, eine erotische Bildkultur ausführlich zu genießen, für die ganz offensichtlich ein riesiger Bedarf bestand, der in den Abspielstätten in Sexshops, Bordellen und diversen Herrenclubs nur unzureichend hatte bedient werden können.

Ein zweiter Genreschwerpunkt wurde ebenfalls verstärkt über Video bedient: Horror und Gewalt ("Splatterfilme"). Eine Vielzahl von Spielfilmen, die in Mainstream-Kinos (infolge der Altersbeschränkung von 18 Jahren) kein ausreichendes Publikum fanden, wurden nun über den neuen Vertriebsweg eines neuen Mediums an die Verbraucher gebracht, durchaus auch an Jüngere, was wiederum einen Impuls für ein größeres Angebot darstellte und die Produktion stimulierte. Horrorfilme wie zum Beispiel "Halloween - Die Nacht des Grauens" (1978), "Freitag der 13." (1979) und "Nightmare - Mörderische Träume" (1984) fanden entsprechend viele Fortsetzungen, ganz zu schweigen von den wirklich harten Filmen, die teils auf dem Index landeten.

Video-Werbefilme, Video-Bildungsprogramme oder Videokunst fanden dagegen nur sehr kleine Interessentengruppen. Zwar wurde Videokunst bereits Ende der 70er Jahre ausführlich in das Angebot der "documenta" in Kassel aufgenommen und hat sich bis heute dort gehalten, aber der künstlerisch anspruchsvolle Einsatz elektronischer Bildgestaltung blieb letztlich doch der Avantgarde vorbehalten.

Ganz anders als in der Funktion des Speichermediums für Spielfilme, heute von der DVD abgelöst, und als künstlerisches Gestaltungsmedium etablierte sich das Video im Kontext von Rasterfahndung und Überwachungskameras. Diese Funktionalisierung wurde inzwischen nicht nur in sensiblen Bereichen wie Banken, Juweliergeschäften oder Museen selbstverständlich, sondern hat auch weite Teile des öffentlichen Raums erfasst. Videoüberwachungsbilder werden heute wie selbstverständlich von Supermärkten und Geschäften jeglicher Art, von Bahnhöfen, Autobahnen, Verkehrskreuzungen und großen Plätzen kontinuierlich aufgenommen, für begrenzte Zeit gespeichert und teilweise auch systematisch in Zentralen von Polizei und Überwachungsdiensten ausgewertet. Nicht mehr selten sind inzwischen sogar einzelne Bürger dazu übergangen, die Auffahrt, den Hof, den Eingangsbereich zu ihren Häusern und Wohnungen per Video zu überwachen. Videobilder dieser Art künden weniger von fiktionaler Spannung, Genuss und kreativer Gestaltung als vielmehr von Gefühlen der Bedrohung und Verlustängsten.

Der Computer und die Digitalisierung des Bildes

Bereits in den letzten zwei Jahrzehnten des "visuellen Zeitalters" kündigte sich wieder eine neue Medienrevolution an, die ebenfalls einen tiefgreifenden Wandel der Bildkultur zur Folge hatte: der Computer als Basismedium für zahlreiche neue Einzelmedien, als Schlüsselmedium einer ganz neuen digitalen Kultur.

Im Computerspiel "Deus Ex" schlüft der Spieler in die Rolle eines Anti-Terror-Agenten. (© eidos interactive)

Das betrifft zuallererst die Spiele im Netz, CD-ROM- und Netzspiele (MUDs). Tausende von Computerspielen mit einer immer realistischeren Graphik erlauben die unterschiedlichsten Rollen-, Kampf-, Sport- oder Strategiespiele. Insbesondere so genannte Ego-Shooter, bei denen der Spieler selbst zum Protagonisten der Handlung wird, die er selbst auch beeinflussen kann, verwischen Fiktion und Realität in der Suggestion des "willing suspension of disbelief", aber nicht mehr in der Phantasie wie bei verbaler, gedruckter Literatur und nicht mehr im Mitleben des fiktionalen Realismus wie bei Kinofilmen und Fernsehsendungen, sondern als kreative Selbstinszenierung nach dem Vorbild des klassischen Bühnentheaters.

Die neue Wirklichkeitsinszenierung gilt aber prinzipiell für jede Art von Bild im World Wide Web, speziell bei E-Commerce (z.B. in Gestalt der diversen Erotikangebote, der Warenangebote im Versandhandel oder bei Kauf und Verkauf als Versteigerungsbühne für alle). Seit Multimedia, verstanden als Integration der unterschiedlichsten Medien im Verbund bildlicher, auditiver und sonstiger Elemente, haben sich dem Bild in seiner digitalen Gestalt ganz neue Dimensionen erschlossen. Hypertext-Bilder sind räumlich, multidimensional, vernetzt, erlauben Interaktivität und ermöglichen letztendlich komplette virtuelle Welten. Das Bild als Abbildung (Printmedien) und das Bild als Rekonstruktion (elektronische Medien) werden ergänzt und tendenziell abgelöst vom Bild als Simulation von Wirklichkeit.

Fussnoten

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Univ. Prof. Dr. Werner Faulstich, Jg. 1946; Promotion 1973 an der Universität Frankfurt; Habilitation 1981 in Tübingen, danach apl-Prof. Universität Siegen ab 1986; Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der Universität Lüneburg seit 1989; Leiter des IfAM-Instituts für Angewandte Medienforschung seit 1990.