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Lokaljournalismus Grundlegende Merkmale und Kennzeichen

Wiebke Möhring

/ 6 Minuten zu lesen

Was macht den Journalismus in der lokalen Sphäre aus? Wer sind die Menschen, die Macher und was ihre Ziele und Herausforderungen? Eine Einführung.

Der Lokalteil ist das Herzstück, belegen viele Studien: Die Leser interessieren sich besonders für diesen Teil. (© ergonoMedia/ Externer Link: photocase.com)

Es gibt seit vielen Jahrzehnten einen wiederkehrenden Ratschlag von Experten und Wissenschaftlern, wie insbesondere Zeitungen ihre Leser an sich binden können, wie sie interessant bleiben und sich profilieren können. Dieser Ratschlag lautet: Stärkt das Lokale. Und obwohl diese Antwort nicht neu ist, so ist sie doch immer noch sinnvoll auf die Frage, was man denn in Zeiten der Krise tun kann.

Das Lokale interessiert, ist nah am Bürger, am Leben der Stadt. Obwohl es das Internet heute leicht macht, sich jederzeit über Ereignisse der ganzen Welt zu informieren, haben Informationen aus dem direkten Umfeld eine besondere Bedeutung. Je näher das Ereignis ist, desto mehr Bedeutung hat es für den Menschen – Interner Link: und das interessiert sie auch entsprechend mehr (siehe Abbildung 1: Das Interesse an lokalen und regionalen Ereignissen). Insgesamt, so zeigen Daten des Instituts für Allensbach in der jährlichen Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA), interessieren sich 40 Prozent aller Deutschen besonders für das Lokale in den Medien, weitere gute 40 Prozent immerhin noch mäßig – und nur 13 Prozent sind kaum oder gar nicht am Lokalen interessiert. Vergleichbare Werte kann kein anderes journalistisches Ressort aufweisen. Für regionale und lokale Abonnementzeitungen ist der Lokalteil das Herzstück: Die Leser interessieren sich besonders für diesen Teil, und der lokale Anzeigenmarkt, vor allem die Kleinanzeigen und der Stellenmarkt, sind eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Verlage.

Interesse an lokalen und regionalen Ereignissen - Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/3.0/de

In lokalen Medien steht, was in der direkten Umgebung passiert, über welche Probleme im Rathaus diskutiert wird, ob die neue Schule gebaut wird, wie die Versorgung mit Krippenplätzen ist, welche Baustellen geplant sind und was man in seiner Freizeit machen kann. Diese Dinge haben die Menschen schon immer interessiert. Über viele Jahrhunderte hinweg war traditionell der Markt – neben dem Kaufmann und Gastwirt vor Ort – Austauschort für Neuigkeiten. Auch wenn immer noch Bäcker, Kneipen und Kioske Räume des lokalen Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft sein können, an die Stelle des Marktplatzes und Aushangs am Rathaus sind die in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig und umfassend berichtenden Lokalzeitungen getreten. Bis heute gibt es dabei nicht den einen Typ lokaler Zeitungsberichterstattung: So gibt es zum einen überregionale und regionale Zeitungen, die aus ökonomischen Gründen das Lokale als eigenen Zeitungsteil bündeln, der für verschiedene Verbreitungsgebiete dann entsprechend ausgetauscht werden kann. Zum anderen gibt es Zeitungen, die sich als reine Lokalzeitungen verstehen und ausschließlich ein Verbreitungsgebiet bedienen.

Ergänzt wird die lokale Berichterstattung der Zeitungen in vielen Orten durch kostenlos verteilte Anzeigenblätter, durch Amts- und Gemeindeblätter, lokale Wochenblätter und Stadtmagazine. Und in den Bundesländern, in welchen es die Gesetzgeber erlauben, auch durch kommerzielle und nicht-kommerzielle lokale Hörfunk- und Fernsehsender. Diese verschiedenen Arten lokaler Medien sind gekennzeichnet durch eine Reihe gemeinsamer Merkmale: Sie sind allgemein zugänglich, dienen der universellen Information und sind nicht an eine begrenzte Empfängerschaft gerichtet – also nicht an ein Fachpublikum – und die Informationsvermittlung erfolgt überwiegend nach professionellen journalistischen Standards. Darüber hinaus sind lokale Nachrichten und Neuigkeiten auch im Internet zu finden. Neben Angeboten der klassischen Medienunternehmen stehen dabei auch Inhalte von Bürgern und Unternehmen, also von nicht journalistisch professionellen Anbietern. Dies klingt nach Vielfalt, in der Realität jedoch dominiert immer noch die Zeitung den lokalen Nachrichtenmarkt und ist die Hauptinformationsquelle. Dabei haben die Menschen oftmals keine Wahl, welche Zeitung sie lesen möchten, in 58 Prozent der Städte erscheint nur eine lokale Zeitung, betroffen sind davon 42 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Dies kann insbesondere im Hinblick auf die Ausübung gesellschaftlicher Funktionen wie Information, Meinungsbildung, Kritik und Kontrolle, Integration und Orientierung bedenklich sein, zu denen auch die Lokalberichterstattung demokratietheoretisch beitragen soll.

Qualitätsfrage im Querschnittsressort

Doch was ist überhaupt Interner Link: "das Lokale"? Obwohl seit Jahrzehnten lokale Medien wissenschaftlich untersucht werden, ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Einerseits sind lokale Räume soziokulturelle Räume, in denen sich die Menschen zuhause fühlen, die sie als ihre Heimat bezeichnen. Aus politischer Perspektive strukturieren Verwaltungseinheiten lokale Räume. Wenn Rezipienten und Journalisten ihre Umwelt bestimmen, wählen sie in erster Linie die Gemeinde als Abgrenzungskriterium, als zusätzliche konstituierende Kriterien eines Kommunikationsraumes gelten aber auch Verwaltungsgrenzen, das soziokulturelle Leben und – gerade aus der Perspektive der Kommunikatoren – das Verbreitungsgebiet. Das Verbreitungsgebiet der Lokalteile bedient damit einen lokalen Kommunikationsraum, den es gleichzeitig mit begrenzt. Eine klare Abgrenzung von sublokalen, lokalen und regionalen Inhalten und Räumen ist somit bis heute schwierig.

Wenn über die Qualität der Lokalberichterstattung Aussagen getroffen werden, liegt als Maßstab häufig zugrunde, wie stark die oben aufgeführten publizistischen Funktionen erfüllt werden. Ein Weg, Qualität zu prüfen, ist es, die Inhalte zu analysieren. Aus den zurückliegenden Jahrzehnten der Lokalkommunikationsforschung kristallisiert sich dabei eine deutliche wissenschaftliche Kritik heraus: Der Lokalteil ist unter anderem zu stark ereignisbezogen und zu wenig kontinuierlich ("Terminjournalismus"), beinhaltet zu wenig Hintergrundinformationen, zu wenig Politisches, er ist zu wenig reflektierend ("Verlautbarungsjournalismus"), die lokale Elite ist überrepräsentiert und insbesondere gegenüber dieser wird zu wenig Kritik geübt ("Hofberichterstattung"). Dieser Mängelkatalog hat auch etwas mit den besonderen Arbeitsweisen und -strukturen einer Lokalredaktion zu tun. Das Lokalressort ist ein so genanntes "Querschnittsressort". Während sich die anderen Ressorts über einen Sachgegenstand, also über Themen wie Kultur, Wirtschaft oder Politik, definieren lassen, ist es hier ein räumlicher Bezug. Aus diesem Grund liegt eine größtmögliche Themenvielfalt vor, die durch dieses Ressort bearbeitet wird. Innerhalb der Lokalredaktionen gibt es oftmals feste Zuständigkeiten für lokale Themenbereiche: Der eine Redakteur ist für die Vereinsberichterstattung zuständig, der andere für Wirtschaft, der nächste für Schulen und Kultur. Lokalredaktionen sind zudem besonderen Einflussfaktoren ausgesetzt, zentrales Merkmal ist die soziale Nähe der Lokaljournalisten zu den Themen und Akteuren ihres Verbreitungsgebiets. Zusätzlich zu den sich beruflich ergebenden Kontakten treten noch persönliche hinzu, die dennoch den gleichen Akteurskreis betreffen (können). Die lokale Zeitungsredaktion ist somit eingebettet in ein funktionales Zusammenspiel von verschiedenen Interessensgruppen und Akteuren, mit denen sie gemeinsam das lokale Umfeld bilden (Abbildung 2: Die Umwelt einer Lokalredaktion).

Die Umwelt einer Lokalredaktion - Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/3.0/de

Ein Viertel aller Journalisten arbeiten fürs Lokale und Regionale

Von den in einer Studie von Weischenberg, Malik und Scholl 2005 geschätzten 48.000 deutschen Journalisten, die hauptberuflich oder als feste oder freie Mitarbeiter in deutschen Medienunternehmen arbeiten, ist über ein Viertel in erster Linie im Bereich Lokales und Regionales tätig. Dies ist gegenüber der vorherigen Untersuchung im Jahr 1993 eine Verstärkung - doch in den letzten Jahren ist wieder eine Tendenz zu redaktionellen Einsparungen zu verzeichnen: Lokalredaktionen werden zusammengelegt, Inhalte weiter verwertet und ganze redaktionelle Bereiche organisatorisch ausgelagert. Betrachtet man die Verteilung in Bezug auf die verschiedenen Medientypen, so arbeiten die meisten der Lokaljournalisten bei Zeitungen (59 %) und Anzeigenblättern (44 %), nur etwa zehn Prozent arbeiten im Rundfunkbereich. Sie sind in der Regel gut ausgebildet: Sie haben relativ oft volontiert, immerhin zwei Fünftel von ihnen haben eine abgeschlossene akademische Journalistenausbildung oder eine Journalistenschule besucht. Tendenziell arbeiten mehr Männer im Lokalen, der Altersdurchschnitt entspricht mit gut vierzig Jahren dem aller Journalisten. Auch wenn viele Journalisten ihren beruflichen Einstieg im Lokalteil machen, zeigen die Zahlen, dass es nicht nur das Ressort der Berufsanfänger ist, die Zusammensetzung einer durchschnittlichen Lokalredaktion entspricht der einer deutschen Redaktion insgesamt.

Das Lokale ist wichtig, darüber sind sich alle einig. Es ist wichtiger Arbeitgeber, bindet Leser, erfüllt gesellschaftliche Teilhabe. Dennoch steht das Lokale, insbesondere die lokale Tageszeitung, vor deutlichen Herausforderungen, die diese Bedeutung konterkarieren. Die Reichweiten und Werbeeinnahmen von Zeitungen sinken seit Jahren kontinuierlich, dies führt zu Reaktionen bei Verlegern, die insbesondere die Leistungsfähigkeit von Lokalredaktionen betreffen. Damit steigen die Anforderungen an den Lokaljournalisten und die Arbeitsbelastung, bedingt durch redaktionelle Umstrukturierungen, durch neue Konkurrenz im Netz und durch den zunehmenden Einsatz verschiedener crossmedialer Verbreitungskanäle. Denn gerade das Internet erfordert eine neue crossmediale Arbeitsweise, bei der es die Besonderheiten der Rezeption und textualen Strukturen des Mediums auch im Lokalen zu beachten gilt. Genauso wie sich die Erwartungen der Leser an ihre Zeitung verändern.

Weiterführende Literatur

Friedrichsen, Mike (Hrsg.) (2010): Medienzukunft und regionale Zeitungen. Der lokale Raum in der digitalen und mobilen Medienwelt. Baden-Baden.

Haller, Michael (2003): Lokale Kommunikation. In: Bentele;Günter; Brosius, Hans-Bernd und Ottfried Jarren (Hrsg.), Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft. Opladen, S. 576–589

Kretzschmar, Sabine, Möhring, Wiebke und Lutz Timmermann (2009): Lokaljournalismus. Wiesbaden (Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung)

Wolf, Fritz (2010): Salto Lokale. Das Chancenpotential lokaler Öffentlichkeit. Zur Lage des Lokaljournalismus. 15. Mainzer Medien Disput. Als Download erhältlich unter Externer Link: http://www.mainzermediendisput.de/.

Prof. Dr. Wiebke Möhring lehrt und forscht an der Hochschule Hannover in der Fakultät für Medien, Information und Design. Ihre Forschungsaktivitäten liegen im Bereich der Methoden der empirischen Sozialforschung und der öffentlichen Kommunikation. Hier arbeitet sie unter anderem zu dem Schwerpunkt der Lokalkommunikation.