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Schwarze Menschen im Nationalsozialismus

Nicola Lauré al-Samarai

/ 6 Minuten zu lesen

Die Geschichte Schwarzer Menschen während des Nationalsozialismus könnte sehr einfach dargestellt werden: als Geschichte der damaligen Rassenpolitik, die physische Vernichtung zur Folge hatte. Aber diese Sichtweise ist zu einfach. Sie wird den vielschichtigen Lebenswegen von Kolonialmigranten, Rheinlandkindern oder Einzelfamilien kaum gerecht.

Die Geschichte Schwarzer Menschen während des Nationalsozialismus könnte sehr einfach dargestellt werden: als eine Geschichte, die soziale Isolierung, Sterilisation oder mögliche physische Vernichtung zur Folge haben konnte. Doch spiegelt diese Sichtweise weder die historischen Fakten wider, noch wird sie den vielschichtigen und oft verschlungenen Lebenswegen der Menschen gerecht. Die Forschungsarbeiten der letzten Jahre machen deutlich, dass nur die Einbeziehung verschiedener Perspektiven eine differenzierte Beschreibung erlaubt.

Eltern des Zeitzeugen Theodor Wonja Michael, 1914. (© Privatarchiv Paulette Reed-Anderson)

Schwarze Deutsche Geschichte besitzt – wie jede andere Gemeinschaftsgeschichte auch – eine eigene Chronologie. Daher ist es von großer Bedeutung, besondere Eckdaten freizulegen und miteinander zu verbinden. Anders als bei anderen verfolgten Gruppen weisen die deutsche Kolonialzeit 1884-1918, die Weimarer Republik 1918-33 und der Nationalsozialismus 1933-45 im Hinblick auf die zunehmende Entrechtung und Verfolgung von Schwarzen Menschen wichtige Kontinuitäten auf. Bedeutsam ist ebenfalls, dass die Erfahrungen Schwarzer Menschen sehr facettenreich und zum Teil widersprüchlich sind, da unterschiedliche Gruppen existierten. Neben dauerhaft hier lebenden Afro-Deutschen sowie afrikanischen Migrantinnen und Migranten gab es auch Afro-Europäerinnen und –Europäer, Afro-Amerikanerinnen und -Amerikaner, die sich, z.B. als Entertainer oder Studierende nur zeitweilig im Land aufhielten. Die jeweilige Herkunftsgeschichte hatte Konsequenzen für den Charakter der nationalsozialistischen Verfolgung, der sowohl von rassenpolitischen Vorgaben als auch von außenpolitischen Interessen bestimmt war.

Kolonialmigrantinnen und -migranten und ihre Angehörigen

Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und damit am längsten in Deutschland lebende Gruppe sind die Kolonialmigranten, die sich selbst "Landsleute" nennen. Ihre Anwesenheit knüpft sich an die gewaltsame Inbesitznahme deutscher Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent im Zuge der Bismarckkonferenz 1884/85 und diese initiierte eine Migrationsbewegung im Zuge derer vornehmlich afrikanische Männer ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegten, kommunale Netzwerke etablierten und Familien gründeten.

Von Beginn an wurde ihre Stellung in der Mehrheitsgesellschaft von ihrem schwierigen Status als Zuwanderer bestimmt. Das bedeutete nicht nur eine sukzessive Verschärfung der rechtlichen Situation, die für Angehörige dieser Gruppe nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge hatte. Erschwerend hinzu kam die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Eine der wenigen Nischen, in der viele Kolonialmigrantinnen und -migranten sich und ihren Angehörigen das Überleben sichern konnten, waren entwürdigende Auftritte in Völkerschauen und Kolonialfilmen.

Artisten der deutschen Afrikaschau in den 1920er Jahren. (© Privatarchiv Paulette Reed-Anderson)

Im Rahmen der aufwändigen Planungen für ein zukünftiges Kolonialreich war diese Tätigkeit für die Nazis zunächst von Interesse. Die Landsleute wurden zu "lebendem Kapital" und sollten – wie etwa in der "Deutschen Afrikaschau" oder in diversen Kinofilmen – als ehemalige koloniale Untertanen an die einstige deutsche Größe erinnern. Dieser kulturpolitische Teil der nationalsozialistischen Politik eines "Kolonialismus ohne Kolonien" erklärt zwar die abwartende Haltung der offiziellen Behörden bis zu Beginn der Vierzigerjahre, dennoch wurden – wie Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen beweisen – nicht wenige zur Zwangsarbeit verschleppt, sterilisiert und in KZs interniert.

Die Rheinlandkinder

Während die Behandlung der Kolonialmigranten sich aufgrund der widersprüchlichen behördlichen Interessenlage uneinheitlich gestaltete, erlitten die auf 600 bis 800 geschätzten afro- und asiatisch-deutschen Kinder der Rheinlandbesetzung ein gänzlich anderes Schicksal. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und seiner im Versailler Vertrag beschlossenen vollständigen Dekolonialisierung wurden 1919 das linke Rheinufer sowie Teile des Saarlandes und Frankfurt von französischen Truppen besetzt. Unter ihnen befanden sich etwa 10.000 Kolonialsoldaten nord- und ostafrikanischer sowie asiatischer Herkunft.

In den folgenden Jahren entlud sich gegen die als "Schwarze Schmach" bezeichneten Kolonialregimenter eine beispiellose Hetzkampagne, die auch ihre Nachkommen traf. Die als "Rheinlandbastarde" diffamierten Schwarzen Deutschen Kinder stellten nicht nur das sichtbare Ergebnis der Kriegsniederlage dar, sondern waren als Deutsche mit allen staatsbürgerlichen Rechten – in völkischer Logik – bis ins Innerste des "gesunden Volkskörpers" vorgedrungen. Bereits 1923 begannen Regierungsstellen mit der Erfassung der Rheinlandkinder, 1933 ordnete Hermann Göring eine Überprüfung und Erweiterung der entsprechenden Listen an. Da eine legale Sterilisierung der Rheinlandkinder auf der Basis des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" nicht möglich war, wurde im Frühjahr 1937 mit ihrer illegalen Sterilisierung begonnen. Koordiniert wurde die Aktion durch die neu gebildete "Sonderkommission 3" im Gestapo-Hauptquartier. Ihr Überfallcharakter gab den betroffenen Jugendlichen keine Chance, sich zu wehren oder juristische Schritte einzuleiten. Bei 436 enden die in den Aktenkopien enthaltenen "laufenden Nummern" der Schwarzen Deutschen Sterilisationsopfer. Die Zahl der tatsächlich sterilisierten Schwarzen Deutschen ist allerdings weit höher anzusetzen. Wie die Aussagen von Zeitzeugen belegen, war die Zwangsmaßnahme weder auf die Kinder französischer Kolonialsoldaten noch auf das Jahr 1937 beschränkt.

Andere Opfer

KZ Dachau, Jean Voste aus Kongo wurde 1945 befreit. (© Holocaust Museum Washington)

Es ist auffallend, dass Schwarze Deutsche Überlebende von Einzelpersonen wissen, die in Konzentrationslager verschleppt wurden. Doch ist dieser Aspekt nationalsozialistischer Verfolgung aufgrund der Quellenlage sehr schwer rekonstruierbar. Aus bislang gesichteten Häftlingslisten ist z.B. bekannt, dass der Einweisungsgrund nicht immer angegeben wurde. Insbesondere bei Männern und Frauen mit deutschen Namen ist es also im Nachhinein unmöglich, ihre Schwarze Deutsche Identität nachzuweisen. Die Einweisung ins KZ traf unterschiedlichste Individuen afrikanischer Herkunft: Kolonialmigrantinnen und -migranten sowie ihre Kinder, afro-deutsche Einzelpersonen, Schwarze aus Amerika, Europa und Afrika – die meisten bis heute namenlos.

In der historischen Forschung schätzt man die Zahl der in KZs ermordeten Menschen afrikanischer Herkunft auf 2.000. Sie berücksichtigt jedoch nicht die zahlreichen Opfer der in Kriegsgefangenlagern inhaftierten Afro-Amerikaner sowie der afrikanischen Soldaten der französischen, belgischen und britischen Kolonialtruppen.

Es ist zu hoffen, dass sich die historische Forschung in den kommenden Jahren diesen unterschiedlichen Geschichten annehmen wird, um ihnen ihren Platz in einem gemeinschaftlichen Gedächtnis zurückzugeben.

Literatur

Ayim, May: "Die afrodeutsche Minderheit", in: Cornelia Schmalz-Jacobsen/Georg Hansen (Hg.): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland: Ein Lexikon, München 1995, aktualisierte Fassung in: May Ayim: Grenzenlos und unverschämt, Berlin 1997.

Bechhaus-Gerst, Marianne: "Afrikaner in Deutschland 1933-45", in: 1999, Zeitschrift für das 21. Jahrhundert, 12/1997, Nr. 4, S. 10-31.

Breiter, Bastian: "Der Weg des 'treuen Askari' ins Konzentrationslager – Die Lebensgeschichte des Mohamed Husen", in: Ulrich Van der Heyden/Joachim Zeller: Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche, Berlin 2002. S. 215-220

Campt, Tina: Other Germans: Black Germans and the Politics of Race, Gender and Memory in the Third Reich, Ann Arbor 2003.

Dies./Pascal Grosse/Yara Lemke-Muniz de Faria: "Blacks, Germans, and the Politics of Imperial Imagination, 1920-60", in: Sara Friedrichsmeyer u.a.: The Imperialist Imagination: German Colonialism and Its Legacy, Ann Arbor 1998, S. 205-229.

El-Tayeb, Fatima: Schwarze Deutsche: Der Diskurs um 'Rasse' und nationale Identität 1890-1933, Frankfurt/M.; New York 2001.

Grosse, Pascal: "Koloniale Lebenswelten in Berlin 1885-1945", in: Ulrich Van der Heyden/Joachim Zeller: Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 195-200.

Ders.: "Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: Kolonialmigration in Deutschland, 1900-1940", in: Birthe Kundrus (Hg.): Phantasiereiche: Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt/M.; New York 2003, S. 91-109.

Kundrus, Birthe: "Von Windhoek nach Nürnberg? Koloniale 'Mischehenverbote' und die nationalsozialistische Rassengesetzgebung", in: Dies. (Hg.): Phantasiereiche: Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt/M.; New York 2003, S. 110-131.

Lusane, Clarence: Hitler´s Black Victims: The Historical Experiences of Afro-Germans, European Blacks, Africans, and African Americans in the Nazi Era, New York; London 2002.

Nagl, Tobias: "Von Kamerun nach Babelsberg – Louis Brody und die schwarze Präsenz im deutschsprachigen Kino vor 1945", in: Ulrich Van der Heyden/Joachim Zeller: Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 220-225.

Oguntoye, Katharina: Eine afro-deutsche Geschichte: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997.

Dies./May Opitz/Dagmar Schultz (Hg.): Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin 1986.

Pommerin, Reiner: Die Sterilisierung der Rheinlandbastarde: Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918-37, Düsseldorf 1979.

Reed-Anderson, Paulette: Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren: Die Anfänge der afrikanischen Diaspora in Berlin. Berlin 1995.

Rosenhaft, Eve: "Afrikaner und 'Afrikaner' im Deutschland der Weimarer Republik: Antikolonialismus und Antirassismus zwischen Doppelbewusstsein und Selbsterfindung", in: Birthe Kundrus (Hg.): Phantasiereiche: Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt/M.; New York 2003, S. 282-301.

Samples, Susann: "African Germans in the Third Reich", in: Aisha Belay-Blackshire (Hg.): The African German Experience: Critical Essays, Westport; Connecticut; London 1996, S. 53-70.

Star, Henrik: "Der 'preußische' Afrikaner Bonifacius Folli – Eine Fotoreportage von 1933", in: Ulrich Van der Heyden/Joachim Zeller: Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 225-228.

Fussnoten

Nicola Lauré al-Samarai, geb. 1969. Die Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin promoviert derzeit am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin zum Thema "Schwarze Deutsche in der ehemaligen DDR". Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zählt auch die Buchpublikation "Die Macht der Darstellung" (2001).