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Binnenmigration | Südafrika | bpb.de

Südafrika Internationale Migration in Südafrika

Binnenmigration

Rita Schmidt

/ 3 Minuten zu lesen

Die als Apartheid bekannte Politik staatlich-organisierter und gesetzlich festgelegter Rassentrennung (1948-1994) prägt die Gesellschaft Südafrikas bis heute. Zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung des Landes gibt es weiterhin ein großes sozio-ökonomisches Gefälle. Dieses hat auch Einfluss auf die Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes.

Anstehen im Morgengrauen zur Wahl im Khayelitsha Township bei Kapstadt: Das Binnenmigrationsgeschehen zwischen den peripher-ländlichen Gebieten und den urbanen Zentren verweist darauf, dass auch innerhalb des "Neuen Südafrika" ein System der Wanderarbeit fortbesteht. (© picture-alliance/dpa)

Die südafrikanische Bevölkerung ist hoch mobil und Prozesse der Binnenmigration prägen fast alle gesellschaftlichen Bereiche. Offiziellen Schätzungen zufolge haben zwischen 2001 und 2011 ca. 5,4 Millionen Menschen über administrative Grenzen hinweg ihren Wohnstandort innerhalb Südafrikas verlagert. Da die Umzüge jedoch in den meisten Fällen nicht registriert werden, ist die tatsächliche Zahl der Binnenmigranten mit Sicherheit deutlich höher. Auch die Prozesse der Binnenwanderung sind nach wie vor von der Apartheidgeschichte geprägt; die gegenwärtigen Migrationsmuster und die Ausprägungen des innerstaatlichen Migrationsgeschehens sind als Erbe der Rassentrennung, der Homelandpolitik und des Arbeitsmigrationssystems zu betrachten. Die größte Gruppe von Binnenmigranten in Südafrika sind Personen, die auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten ihren Wohnort verlassen. Zwar gibt es in der städtischen, gut ausgebildeten, (weißen) Mittel- und Oberschicht durchaus Binnenmigranten, die im gesamten Familienverbund umziehen und deren Wohnstandortverlagerung meist mit einem Statusgewinn einhergeht, jedoch bilden diese die Minderheit. Die Hauptherkunftsregionen südafrikanischer Binnenwanderung sind die strukturell immer noch am stärksten benachteiligten (ländlichen) Gebiete der ehemaligen Homelands. In diesen von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten peripheren Regionen sind viele Menschen auch nach 20 Jahren Demokratie noch mit existentiellen Unsicherheiten konfrontiert. Hauptziele der arbeitssuchenden Migranten sind die verschiedenen urban-industriellen Zentren des Landes, insbesondere in den wohlhabenderen Provinzen Western Cape und Gauteng. Diese Migration aus den ehemaligen Homelands findet nur selten dauerhaft und als Verlagerung des Wohnstandorts der gesamten Familie statt. In vielen Fällen verbleiben Angehörige aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen und um das ökonomische Risiko der Migration zu senken am ländlichen Haushaltsstandort; zirkuläre und temporäre Migrationen bestimmen das Wanderungsgeschehen.

Ein großer Teil der ärmsten Bevölkerungsgruppen in Südafrika organisiert die Existenzsicherung heute in sozialen Lebenszusammenhängen, die sich über große Distanzen hinweg ausdehnen. Diese auf raumübergreifenden informellen sozialen Netzwerken, Rücküberweisungen und multilokaler Arbeitsteilung basierenden Formen der Existenzsicherung bezeichnet man als translokale livelihoods. Dieses Migrationsgeschehen stellt die ländlichen Regionen vor demografische Probleme mit wachstumshemmender Wirkung: Ein Großteil der arbeitsfähigen Bevölkerung wandert ab, und gerade junge und innovativere Menschen erhoffen sich in den Städten günstigere Voraussetzungen für den Einsatz ihrer Arbeitskraft. Zurück bleiben vor allem Kinder, Frauen und alte Menschen. Die Folge ist ein gravierender Produktivitätsverlust in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sowie sehr umfassende Abhängigkeiten von den Rücküberweisungen, die zudem vorwiegend für den alltäglichen Konsum aufgewendet werden. Eigenständiges ökonomisches Wachstum in den Gebieten der ehemaligen Homelands wird hierdurch deutlich gehemmt, und die bestehenden sozialen wie wirtschaftlichen Ungleichheiten nicht ausgeglichen, sondern kontinuierlich reproduziert bzw. verschärft.

Das Binnenmigrationsgeschehen zwischen den peripher-ländlichen Gebieten und den urbanen Zentren verweist darauf, dass auch innerhalb des "Neuen Südafrika" ein System der Wanderarbeit fortbesteht. Lediglich die Organisation hat sich verändert: Das System basiert nicht mehr auf direkter staatlicher Einflussnahme und rassistischer Unterdrückung, aber es resultiert aus einem polit-ökonomischen Zusammenhang, innerhalb dessen sich alte Ungleichheiten reproduzieren. Das formelle System zur Rekrutierung von Arbeitskräften ist durch ein informelles System abgelöst worden, in dem Arbeitsvermittlung, Wohnraumbeschaffung und wesentliche Bereiche sozialer Absicherung informell über soziale Netzwerke der Binnenmigranten organisiert werden. An die Stelle des staatlich-institutionellen Zwangs sind die Selbstorganisation und das rationale Handeln von im juristischen Sinne freien Akteuren getreten, deren tatsächliche Handlungsmöglichkeiten jedoch vielfältig begrenzt sind.

Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung und medialen Darstellung innerhalb Südafrikas, gibt es zahlenmäßig deutlich mehr Binnenmigranten als internationale Migranten. Genaue Daten liegen jedoch nicht vor. Der starke Zuzug und auch die hohe Mobilitätsfrequenz der Binnenmigranten stellen viele Kommunen in Südafrika vor riesige Herausforderungen bei der Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur und Wohnraum. Aufgrund der mangelnden Daten haben die kommunalen Verwaltungen zudem kaum Überblick über die Lebensverhältnisse und Bedürfnisse eines großen Teils ihrer Einwohner. Ohne staatliche Hilfestellungen wird den Migranten der Zugang zu sozialen, politischen und kulturellen Institutionen erschwert; eine Situation, die immer wieder zu starkem Unmut in der Bevölkerung führt. Um die Situation zu verbessern, ist unter anderem eine regionale sowie überregionale Zusammenarbeit der Behörden notwendig.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Länderprofils Südafrika.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Statistics South Africa (2012), Anm.: Berechnung R.S. nach Tabelle 3.4, S. 26.

  2. Kok et al. (2003); Collinson et al. (2006).

  3. Steinbrink (2009).

  4. Steinbrink (2012).

  5. National Planning Commission (2011); Forced Migration Studies Programme (2010); Landau/Segatti/Misago (2013).

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Rita Schmidt ist Studentin im Masterstudiengang "Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen" an der Universität Osnabrück. E-Mail: E-Mail Link: rita.schmidt88@gmx.de