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Klimawandel und Binnenmigration in Bangladesch | Bangladesch | bpb.de

Klimawandel und Binnenmigration in Bangladesch

Benjamin Etzold Bishawjit Mallick

/ 5 Minuten zu lesen

Bangladesch zählt zu den Ländern, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Plötzlich auftretende Naturkatastrophen und schleichende Umweltveränderungen gefährden die Existenzgrundlage von Menschen in Bangladesch, die überwiegend von der Landwirtschaft leben. Migration ist eine der menschlichen Anpassungsstrategien an diese Entwicklung.

Vom Fährhafen Dhakas legen Passagierschiffe in fast alle Regionen des Landes ab. Die Fahrten auf den Flüssen Ganges, Brahmaputra oder Meghna dauern oft Tage, sind aber recht günstig. (© Benjamin Etzold)

Es wird erwartet, dass es in Bangladesch in Zukunft immer häufiger Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, tropische Wirbelstürme und Dürren geben wird. Gleichzeitig werden sich schleichende Prozesse wie die Erosion von Flussufern, der Anstieg des Meeresspiegels und Bodenversalzung unvermindert fortsetzen. Während den Monsun-Monaten wird mit verstärkten Regenfällen und Abschwemmungen von Erdreich gerechnet, während die bereits geringen Regenfälle in der Trockenzeit vermutlich noch weiter zurückgehen werden. Zusammengenommen üben diese Veränderungen einen erhöhten Druck auf das Meeres- und Landökosystem aus und führen zu lokaler Wasserknappheit und Bodendegradation. Der Klimawandel hat also das Potenzial, das Leben und die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen in Bangladesch zu zerstören. Die Landbevölkerung, die entlang der großen Flüsse des Landes lebt, ist besonders von Überschwemmungen betroffen, die Küstenbewohner sind von Wirbelstürmen bedroht, während Menschen im Norden des Landes insbesondere unter Dürreperioden und Hitzewellen leiden. Kleinbauern und grundbesitzlose Arbeiter sind besonders anfällig für solche Klimarisiken, da sie bereits heute mit chronischer Armut und Ernährungsunsicherheit zu kämpfen haben.

Die auf dem Land lebende Bevölkerung arbeitet überwiegend in der Landwirtschaft. In vielen Regionen wird das Land zusätzlich bewässert, um höhere Erträge zu erzielen. Hier reparieren zwei Männer eine Grundwasserpumpe in einem Dorf im Norden des Landes. (© Benjamin Etzold)

Migration wird oft als mögliche Strategie zur Bewältigung plötzlich auftretender Naturkatastrophen und langsam verlaufender Veränderungsprozesse der natürlichen Umwelt diskutiert. Wenn Menschen ihren Wohnort verlassen, weil ihre Existenz von Naturgefahren und Umweltveränderungen negativ beeinträchtigt wird, spricht man auch von "Umweltmigranten" oder "umweltbedingter Migration". Um Interner Link: Migration im Kontext des Klimawandels zu verstehen, sollte man sich zunächst bereits existierende Mobilitätsmuster und Existenzsicherungssysteme anschauen und anschließend die zusätzliche Belastung einschätzen, die klimabezogene Risiken für die betroffenen Menschen darstellen. Anhand der oben (siehe Kapitel Interner Link: Verstädterung, Migrationssysteme in Bangladesch und translokale soziale Räume) vorgestellten Migrationsmuster können klimatische Veränderungen nicht als die Hauptursachen von (Binnen-)Migration in Bangladesch gelten. Dennoch haben Naturkatastrophen und Umweltveränderungen die Art und Weise verändert, wie die Landbevölkerung ihre Existenz zu sichern versucht, und zur Migrationsentscheidung vieler Menschen beigetragen. Der Klimawandel wirkt sich somit auf die Muster innerstaatlicher Migrationen in Bangladesch aus. Demgegenüber sind umfangreiche internationale Migrationsbewegungen aus Bangladesch aufgrund klimatischer Veränderungen nicht zu erwarten.

In den ländlichen Gebieten können die meisten Kleinbauern kaum ihre Familien ernähren. Viele sind auf Lohnarbeit für Großgrundbesitzer angewiesen. Hier gehen weibliche Tagelöhner im Norden des Landes zur Kartoffelernte. (© Benjamin Etzold)

Mobilität kann als temporäre Bewältigungsstrategie nach einer Katastrophe dienen. Die Überschwemmungen im Jahr 1987 führten beispielsweise zur vorrübergehenden Vertreibung von 45 Millionen Menschen in Bangladesch. Dennoch führt eine hohe Anfälligkeit für Naturgefahren nicht zwangsweise zu dauerhafter Migration. Die meisten Überlebenden heftiger tropischer Wirbelstürme werden nur vorrübergehend vertrieben und kehren dann wieder an ihren Wohnort zurück. Oft sind es nur Männer, die zum Arbeiten in nahegelegene Städte ziehen, während ihre Familien am Heimatort zurückbleiben und von den Rücküberweisungen der Migranten abhängig sind. Soziale Netzwerke, insbesondere gute translokale Beziehungen, erweisen sich in der Phase nach einer Katastrophe als besonders wichtig. Katastrophen können jedoch auch zu einem Rückgang der Mobilität beitragen, weil es in den betroffenen Gebieten beim Wiederaufbau einen hohen Arbeitskräftebedarf gibt oder weil die Ressourcen zerstört worden sind, die für eine Migration benötigt werden. Viele Familien, die in extremer Armut leben, haben kaum die Möglichkeit zu migrieren. Da es sich bei ihnen zumeist um Alleinerziehende oder alte Menschen handelt, haben sie weder erwachsene männliche Familienmitglieder, die als Arbeitsmigranten an einen anderen Ort gehen könnten, noch die notwendigen Ressourcen, die die Migration vereinfachen könnten, oder gar den Zugang zu Migrationsnetzwerken. Diese Bevölkerungsgruppen, die an ihrem Wohnort "gefangen" sind, darunter viele alte Menschen und Haushalte alleinerziehender Frauen, sind häufig diejenigen, die von einer Katastrophe am stärksten betroffen sind, weil sie nur auf die Ressourcen zurückgreifen können, die ihnen vor Ort zur Verfügung stehen. Sie sind weitgehend von Katastrophenhilfe, gegenseitiger Unterstützung und Solidarität in der Gemeinschaft abhängig. Ihre Immobilität erhöht ihre Verwundbarkeit.

Die Flussinseln im Norden des Landes sind nur per Boot zu erreichen. Für die Bewohner dieser Inseln sind die Wege zu Arbeitsstätten, zu höheren Schulen, oder zu Krankenhäusern lang, beschwerlich und teuer. (© Benjamin Etzold)

Neben Naturkatastrophen, die ein Gebiet plötzlich und unvorhergesehen treffen können, gibt es auch schleichende Umweltveränderungen, die Menschen dazu zwingen können, ihren Wohnort (vorrübergehend) zu verlassen. Die Erosionen von Flussufern und Küstenstreifen aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels sind zwei Beispiele für solche schleichenden Prozesse. Seit 1973 haben die großen Flüsse Bangladeschs zur Erosion von 158.780 Hektar Land geführt. Allein 2010 wurden 16.000 Menschen, die an den Ufern der Flüsse Ganges und Brahmaputra lebten, gezwungen, ihren Wohnort aufzugeben. Der Anstieg des Meeresspiegels, Küstenerosion und Bodenversalzung werden – neben den nicht zu vergessenden wirtschaftlichen und politischen Faktoren – zur Vertreibung von Menschen aus der Küstenregion und der dicht besiedelten Delta-Region führen. Die Volkszählung aus dem Jahr 2011 zeigte, dass die Bevölkerung in den ländlichen Regionen, die am stärksten von Überschwemmungen, tropischen Wirbelstürmen und Flussufer-Erosion betroffen sind, bereits schrumpft. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 26 Millionen Menschen in Bangladesch durch Sturmfluten und den Anstieg des Meeresspiegels vertrieben werden. Wenn sich das Klima nur moderat verändert, könnten jährlich 250.000 Menschen infolge klimabedingter Naturkatastrophen vertrieben werden. Solche Schätzungen müssen jedoch mit Vorsicht behandelt werden, weil die genauen Gründe, warum Menschen vertrieben werden – oder migrieren sie nicht doch freiwillig? – oft nicht hinreichend berücksichtigt werden. Zudem sind die zugrunde gelegten Annahmen oft sehr vereinfachend. Demnach werden Menschen durch die Natur für immer vertrieben: sie kehren nicht zurück, sie migrieren nicht weiter.

Die großen Flüsse verlagern ständig ihren Lauf. Flussufer werden von den Fluten abgetragen, anderenorts wird das Material abgelagert. Boote sind für die Flussinselbewohner das wichtigste Transportmittel. (© Benjamin Etzold)

Migration wird somit als ein einmaliger und linearer Prozess betrachtet. Dies ist nicht nur sehr von der Natur determiniert gedacht, da alle anderen sozialen, kulturellen, politischen und räumlichen Faktoren, die die Migrationsentscheidung beeinflussen können, nicht berücksichtigt werden. Es spricht Menschen auch die Fähigkeit ab, existenzbedrohende Situationen zu bewältigen und sich an Umweltveränderungen und andere strukturelle Veränderungen anzupassen. Und schließlich scheint im Vergleich zu den 500.000 Arbeitsmigranten, die Bangladesch jährlich verlassen (und größtenteils wieder dorthin zurückkehren) eine Zahl von 250.000 Menschen, die innerhalb des Landes mobil sind und sich in Städten niederlassen oder als Saisonarbeiter in andere Landesteile ziehen, eine handhabbare Herausforderung für die Menschen in Bangladesch zu sein. Stattdessen könnten eine zunehmende Binnenmobilität und der Ausbau translokaler Systeme der Existenzsicherung den Weg für die zukünftige Entwicklung des Landes ebnen und die Widerstandsfähigkeit der Menschen im Umgang mit Naturkatastrophen verbessern.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Länderprofils Bangladesch.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jüngste Berichte der Regierung von Bangladesch (The Government of Bangladesh 2008), des Expertengremiums für Klimaveränderungen (Intergouvernmental Panel on Climate Change, IPCC 2014) und der Weltbank (World Bank 2010) illustrieren die bereits erlebten und erwarteten Auswirkungen des Klimawandels in Bangladesch.

  2. Vgl. McLeman/Smit (2006), Warner et al. (2010), IOM (2010), Black et al. (2011) oder Piguet et al. (2011) für eine Einführung in die Debatte um Klimawandel und Migration und in diesem Kontext verwendete umstrittene Begriffe.

  3. IOM (2010), Poncolet et al. (2010), Findlay/Geddes (2011), Gray/Mueller (2012), Mallick/Vogt (2012), Mallick/Etzold (2015).

  4. Vgl. Poncolet et al. (2010), Black et al. (2013), Etzold et al. (2014) zur Diskussion um die nicht mobile Bevölkerung ("trapped population"), die von Naturkatastrophen oft am schwersten betroffen ist.

  5. IOM (2010), Poncolet et al. (2010), Penning-Rowsell et al. (2013), Etzold et al. (2014).

  6. BBS (2012).

  7. Siehe zum Beispiel, Biermann et al. (2010), Ahmed et al. (2012), Siddiqui (2015).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Benjamin Etzold, Bishawjit Mallick für bpb.de

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Weitere Inhalte

Dr. Benjamin Etzold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Bonn. Er hat über den Straßenhandel in der Megastadt Dhaka promoviert und war an einem Forschungsprojekt zu Klimawandel, Hunger und Migration in Bangladesch beteiligt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die geographische Migrations- und Entwicklungsforschung mit Fokus auf soziale Verwundbarkeit und Arbeitsverhältnisse. E-Mail: E-Mail Link: etzold@giub.uni-bonn.de

Dr. Bishawjit Mallick ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regionalwissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Im Rahmen seiner Promotion hat er den gesellschaftlichen Umgang mit Klimarisiken in Bangladeschs Küstengebieten untersucht. Derzeit beschäftigt er sich mit risikoorientierter Raumplanung und klimabedingten Migrationsprozessen in Bangladesch. E-Mail: E-Mail Link: bishawjit.mallick@kit.edu