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Menschenrechtliche Bewertung des Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei | Türkei | bpb.de

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Menschenrechtliche Bewertung des Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei

Hendrik Cremer

/ 4 Minuten zu lesen

Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei über die Flüchtlingsaufnahme ist umstritten. Was spricht dafür, was dagegen? Eine Bewertung aus menschenrechtlicher Sicht.

Syrische Flüchtlingsfrauen sitzen vor einem Schulgebäude im Flüchtlingslager Nizip in der Türkei. (© picture-alliance/dpa)

Die zwischen der Interner Link: Europäischen Union (EU) und der Interner Link: Türkei getroffene Interner Link: Vereinbarung erfährt insgesamt große Zustimmung. Die Befürworter der Vereinbarung verweisen insbesondere auf die deutlich gesunkene Anzahl von Menschen, die von der Türkei aus auf den Interner Link: griechischen Inseln ankommen. Nach Angaben der Interner Link: EU-Kommission kommen dort täglich deutlich weniger Menschen an, als es vor der Umsetzung der Vereinbarung vom März 2016 der Fall war. Waren es davor noch etwa 1.740, so lagen die Zahlen danach in den Monaten bis Mitte Juni 2016 bei etwa 50 und zwischen Mitte Juni und Ende September 2016 bei etwa 80 Personen täglich. Es kann aus menschenrechtlicher Sicht allerdings stark bezweifelt werden, ob die Vereinbarung und ihre Umsetzung mit den flüchtlings- und menschenrechtlichen Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten vereinbar ist.

So ist etwa zweifelhaft, ob die pauschale Inhaftierung der Schutz suchenden Menschen nach ihrer Ankunft auf den griechischen Inseln in den so genannten "Hot Spots" mit dem menschenrechtlich verbrieften Recht auf Freiheit vereinbar ist. Die Freiheit der Person ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Im Rahmen des internationalen und europäischen Menschenrechtsschutzsystems wird zwar angenommen, dass den Staaten – unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Einzelfall – das Mittel der Inhaftierung zur Durchsetzung einer Ausreisepflicht einzuräumen ist. Auch Inhaftierung zum Zweck der Einwanderungskontrolle wird nicht als per se unzulässig erachtet; sie kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls Externer Link: zulässig sein. Auf den griechischen Inseln werden hingegen Asylsuchende direkt nach ihrer Ankunft pauschal inhaftiert. Darüber hinaus Externer Link: verstößt die Inhaftierung unbegleiteter Minderjähriger, die auf sich allein gestellt ohne elterliche Begleitung Schutz suchen, gegen Garantien der Interner Link: UN-Kinderrechtskonvention, die für diese Minderjährigen ein Recht auf den besonderen Schutz und Beistand der Staaten enthält. Das Interner Link: Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat die Praxis der Inhaftierung bereits scharf Externer Link: kritisiert, Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen haben sich deswegen aus den "Hot Spots" zurückgezogen.

Vor dem Hintergrund der rechtlichen und tatsächlichen Situation in der Türkei ist zudem fraglich, wie die griechischen Behörden Abschiebungen in die Türkei begründen und durchführen könnten, ohne dabei gegen die Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention und weitere menschenrechtliche Verträge zu verstoßen. Die Türkei kann eben Interner Link: nicht als "sicher" eingestuft werden. Problematisch an der türkischen Rechtsordnung ist bereits, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in der Türkei nur für europäische Flüchtlinge gilt. Insbesondere ist der Schutz der Menschen vor weiteren Abschiebungen aus der Türkei, etwa nach Interner Link: Syrien oder Afghanistan, nicht ausreichend gesichert. Hinzu kommt, dass die Aufnahmebedingungen in der Türkei für Schutz suchende Menschen aus menschenrechtlicher Sicht gravierende und systematische Defizite aufweisen, etwa beim Zugang für Kinder zur Schule, beim Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Sozialleistungen oder zur Gesundheitsversorgung. Es gibt zahlreiche Berichte, die das dokumentieren, etwa von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch oder auch seitens der türkischen Asyl- und Migrationsforschung .

Vor dem Hintergrund der Menschenrechte sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die menschenrechtswidrige Situation der Schutz suchenden Menschen auf den griechischen Inseln beendet wird. Abschiebungen in die Türkei sollten nicht stattfinden. Stattdessen sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten funktionierende und solidarische Mechanismen zur Aufnahme Schutz suchender Menschen entwickeln, die der gegenwärtigen Situation von kriegerischen Auseinandersetzungen vor den Toren Europas gerecht werden. Staaten mit EU-Außengrenzen wie Interner Link: Griechenland und Interner Link: Italien, die aufgrund des sogenannten Interner Link: Dublin-Systems in erster Linie für die Aufnahme der Asylsuchenden zuständig sind, fordern hier schon lange mehr Solidarität von den anderen Mitgliedstaaten. Die Situation, in der Griechenland in Folge des Dublin-Systems und der Externer Link: Schließung der "Balkanroute" gezwungen ist, quasi alle über die Türkei fliehenden Menschen aufzunehmen, ist nicht haltbar – zumal sich die Situation der Schutz suchenden Menschen in ganz Griechenland weiter zuspitzt.

Ein Element der Interner Link: Vereinbarung der EU mit der Türkei besteht darin, dass Projekte, die die Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen in der Türkei verbessern, von der EU finanziell unterstützt werden. Diesbezüglich sollte die EU darauf achten, dass die Mittel für Maßnahmen zur Unterstützung der in die Türkei geflohenen Menschen auch tatsächlich bei diesen ankommen. Dies ließe sich beispielsweise dadurch sicherstellen, dass Mittel direkt dort agierenden Organisationen wie dem UNHCR zugewiesen werden.

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Dr. jur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte, Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem das Recht auf Asyl und Rechte in der Migration.