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11.9.2012
Hamburg: Verträge mit Muslimen und Aleviten
Nach langen Verhandlungen hat die Stadt Hamburg im August Verträge mit drei muslimischen
Verbänden und den Aleviten vorgestellt. Diese
sollen das Verhältnis der Stadt zu den Religionsgemeinschaften regeln. Eingeräumt werden
u. a. religiöse Feiertage, die Mitgestaltung des
Religionsunterrichts und der Bau von Gebetshäusern.
Mitte August präsentierte Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit Vertretern des
DITIB-Landesverbandes Hamburg, der Schura – Rat
der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg, des
Verbandes der Islamischen Kulturzentren sowie der
Alevitischen Gemeinde Deutschland die Vertragsentwürfe. Es sind die ersten Verträge, die eine staatliche Institution mit muslimischen Organisationen zur
Regelung des gegenseitigen Verhältnisses schließt.
Die meisten der darin behandelten Fragen sind bereits durch geltendes Recht geregelt, die Verträge haben daher weitgehend Symbolcharakter. Sie müssen
noch von der Hamburger Bürgerschaft verabschiedet
werden, bevor sie in Kraft treten können. Mit den
Aleviten wurde ein separater Vertrag geschlossen,
da diese als gesonderte Religionsgemeinschaft anerkannt sind.
Gemeinsame Wertebasis
Die Vertragspartner bekennen sich zu den Werten des Grundgesetzes.
Hamburgs Muslime und Aleviten verpflichten sich
somit auch, für die vollständige Gleichberechtigung
der Geschlechter einzutreten. Ein generelles Kopftuchverbot ist wie bisher nicht vorgesehen (vgl. MuB
3/09,
9/08,
4/08 3/08).
Rechtsstatus
Mit den Verträgen werden die
muslimischen Verbände erstmalig als Religionsgemeinschaften anerkannt. Eine finanzielle Förderung
ist nicht vorgesehen. Die Anerkennung der Verbände
als Religionsgemeinschaften ist von nachhaltiger
Bedeutung, weil dieser Status unabdingbar ist, um
sogenannte Staatskirchenverträge zu schließen.
Diese regeln etwa die finanzielle Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durch
den Staat oder den Religionsunterricht. Damit eine
religiöse Vereinigung als Religionsgemeinschaft anerkannt werden kann, muss sie für gewöhnlich bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie muss etwa Jugend- und Sozialarbeit betreiben, einen bestimmten
Organisationsgrad nachweisen und eine ausreichend
große Anzahl von Gläubigen repräsentieren. Diese
Bedingungen passen aber nicht zur Organisationsstruktur des Islams, weil es keine einheitliche Vertretung aller Muslime gibt. Dass die Verbände dennoch als Religionsgemeinschaften anerkannt worden sind,
sei eine "Geste“, heißt es in den Verträgen.
Bildung
Die Stadt Hamburg bestätigt das Recht
der Muslime und Aleviten, einen eigenen Religionsunterricht zu gestalten. Diese wollen den bestehenden
gemischtkonfessionellen Religionsunterricht aber
beibehalten. Dieser "Religionsunterricht für alle" soll
in den nächsten fünf Jahren unter Federführung der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
weiterentwickelt werden. Anschließend sollen sich
die evangelische Kirche und die Muslime die Verantwortungen für das Fach gleichberechtigt teilen.
Zur Ausbildung von Lehrkräften stellt Hamburg die
Einrichtung eines Lehrstuhls für islamische Theologie
und Religionspädagogik in Aussicht.
i
NRW: Religionsunterricht
In Nordrhein-Westfalen (NRW) wird in diesem Schuljahr ein einheitlicher islamischer Religionsunterricht
als bekenntnisorientiertes Pflichtfach an Grundschulen eingeführt. Dies ist deutschlandweit einmalig
(vgl. MuB
6/09,
3/08). Bislang gab es in NRW lediglich das weltanschaulich neutrale Fach Islamkunde.
Nur 2.500 der 320.000 muslimischen Schüler in NRW
werden im ersten Jahr den Unterricht besuchen. In
der Kritik steht, dass momentan weder Lehrplan
noch ausreichend ausgebildete Lehrkräfte vorhanden
sind. Mit grundständig ausgebildeten Lehrern rechnet
man nicht vor 2017. Bereits im Frühjahr 2008 hatte
die Deutsche Islamkonferenz beschlossen, dass es
einen islamischen Religionsunterricht als ordentliches
Unterrichtsfach an deutschen Schulen geben solle
(vgl. MuB
3/08).
www.schulministerium.nrw.de
Religiöse Betreuung
In Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Gefängnissen sollen Hamburgs Muslime
und Aleviten künftig religiöse Seelsorge anbieten dürfen. Nach Möglichkeit soll auch sichergestellt werden,
dass in solchen Einrichtungen religiöse Speisevorschriften eingehalten werden können. Auf Friedhöfen
sollen Muslime und Aleviten ohne Sarg bestattet
werden können, wie es in ihren Kulturen üblich ist.
Feiertage:In den Vertragsentwürfen erhalten die
drei höchsten islamischen und alevitischen Feiertage
den Status kirchlicher Feiertage, vergleichbar mit
dem Buß- und Bettag, der in Hamburg zwar Feiertag,
aber nicht arbeitsfrei ist. Wenn es die betrieblichen
Abläufe erlauben, können Arbeitnehmer Urlaub nehmen oder sich vom Dienst befreien lassen, müssen
den Arbeitsausfall aber nachholen. Muslimische und
alevitische Schüler können sich an den Tagen von
der Schule befreien lassen.
Gesellschaftliche Repräsentanz
Den Muslimen und Aleviten wird garantiert, dass sie Gemeinde- und
Versammlungsräume errichten und betreiben dürfen.
Dazu gehört auch der Bau von Moscheen "mit Kuppeln und Minaretten".
Reaktionen:
Als "integrationspolitischen Fortschritt" und als "Signal der Bereitschaft zu einem
kooperativen Miteinander" bewertete Hamburgs
Oberbürgermeister Olaf Scholz den Vertrag. Zekeriya Altug von DITIB Hamburg kommentierte, dass
der Vertrag als "staatliches Bekenntnis zur Akzeptanz der Hamburger Muslime als gleichberechtigte,
gleichwertige Mitbürger" sowie als "muslimisches
Bekenntnis zur Verfassung unseres Landes, zu
unserer Wertegemeinschaft" zu interpretieren sei.
SPD, Linke und Grüne in Hamburg bewerteten den
Vertrag als positives Signal. Die Hamburger FDP hält
den Vertrag für unnötig, weil die Lebensumstände
der Hamburger muslimischen Glaubens und deren
Verhältnis zu Stadt und Staat längst geregelt seien.
Hamburgs CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich bemängelte, dass der Vertrag kein Kopftuchverbot für
Lehrerinnen und Polizistinnen enthält.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung
Maria Böhmer (CDU) bewertete die geplanten Verträge
als positives Zeichen im Sinne einer Willkommenskultur. Die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Aydan Özoguz sagte, sie hoffe, dass "andere
Landesregierungen nachziehen". In Bremen stehen
die Verhandlungen über einen ähnlichen Vertrag kurz
vor dem Abschluss. Auch im Saarland gibt es Überlegungen, einen solchen Vertrag abzuschließen.
Weitere Informationen:
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