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Vorreiter EU? Die europäische Klimapolitik

Christiane Beuermann

/ 5 Minuten zu lesen

Die Europäische Union setzt in ihrer Klimapolitik auf EU-weite Klimaschutzziele und -Maßnahmen sowie verbindliche nationale Klimaziele der Mitgliedstaaten. Mit dem Europäischen Grünen Deal will die EU bis zum Jahr 2050 als erster Kontinent klimaneutral werden.

Mitglieder des Europäischen Parlaments stimmen in Straßburg über das "Fit for 55"-Paket ab (08. Juni 2022). Mit den darin enthaltenen Richtlinien und Verordnungen sollen in der EU die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren werden. (© picture-alliance, EPA | JULIEN WARNAND)

Kontinuierlich entwickelt die Europäische Union ihre Klimapolitik weiter und passt sie den internationalen Verpflichtungen an. Dabei setzt sie EU-weite Interner Link: Klimaschutzziele und -Maßnahmen sowie verbindliche nationale Klimaziele der Mitgliedstaaten. Im Rahmen des Interner Link: Kyoto-Protokolls verpflichtete sich die EU auf eine Reduktion der Treibhausgasmissionen um 8 % im Zeitraum 2008-2012. Um dies umzusetzen, wurde im Jahr 2000 das Europäische Klimaschutzprogramm verabschiedet. Im Rahmen des Europäischen Klima- und Energiepaketes von 2007 wurden die 20-20-20 Ziele festgelegt: das Reduktionsziel für die EU-Treibhausgasemissionen wurde auf 20 % (Basis 1990) bis zum Jahr 2020 festgelegt. Darüber hinaus wurde festgelegt, 20 % der Energie in der EU aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen und die Energieeffizienz um 20 % zu verbessern. In weiteren Strategien und Paketen wurden lang- und mittelfristige Zielsetzungen nach oben angepasst.

EU-Emissionshandel

Die Zielsetzungen der EU stehen immer auch im Spannungsfeld zu den in den Mitgliedstaaten umgesetzten Klimapolitiken. Ein wichtiges Aktionsfeld ist daher der EU-Emissionshandel (EU-EHS), der 2005 in Kraft trat. Das Interner Link: EU-EHS umfasst ca. 11.000 energieintensive Anlagen in der Stromerzeugung sowie in einigen Industriesektoren. Seit 2012 nimmt der innereuropäische Luftverkehr am EU-EHS teil. Über die 27 EU-Mitgliedsstaaten hinaus haben sich Liechtenstein, Island und Norwegen dem EU-EHS angeschlossen. Seit 2020 ist das Emissionshandelssystem der Schweiz mit dem EU-EHS verknüpft. Großbritannien ist im Zuge des Brexit zum 31.12.2020 ausgetreten und hat sofort zum 01.01.2021 ein eigenes Emissionshandelssystem in Kraft gesetzt. Ursprünglich für die Senkung der Kohlendioxidemissionen aus energieintensiven Anlagen eingeführt, werden seit 2013 auch Lachgas (Distickstoffmonoxid) aus der Adipin- und Salpeterherstellung und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFC) aus der Primäraluminiumherstellung einbezogen.

Funktionsweise des EU-Emissionshandel (EU-EHS) (© bpb)

Das EU-EHS funktioniert nach dem Prinzip Cap-and-Trade: Anlagenbetreiber müssen für jede emittierte Tonne Kohlendioxid-Äquivalent ein Emissionszertifikat vorlegen. Die jährlich zur Verfügung stehende Menge an Zertifikaten hat eine Obergrenze (Cap), die im Laufe der Zeit verringert wird. Ein Teil der jährlichen Zertifikate wird kostenlos von der EU-Kommission zugeteilt und ein Teil versteigert. Die Zertifikate können außerdem in den mehrjährigen Zuteilungsperioden gehandelt werden (Trade). Durch den Handel etabliert sich ein Zertifikatspreis und es entsteht ein Anreiz, die Emissionen der Anlagen zu reduzieren, da dann Zertifikate verkauft werden können. Das EU-EHS deckt ungefähr 40 % der Treibhausgasemissionen der EU ab.

Die Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfall und kleine Industrieanlagen sind nicht in das EU-EHS einbezogen. Für diese legte die Verordnung zur Lastenteilung (Effort Sharing Regulation) in 2018 verbindliche Treibhausgasemissionsziele für die Mitgliedsstaaten für den Zeitraum 2021-2030 fest. So sollten die Gesamtemissionen der EU aus diesen Sektoren bis 2030 etwa um 30 % gegenüber dem Stand von 2005 sinken.

Europäischer Grüner Deal

Am letzten Tag der Vertragsstaatenkonferenz der Externer Link: UNFCCC in Madrid in 2019 stellte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Europäischen Grünen Deal vor, der zentraler Bestandteil der EU-Klimapolitik werden sollte. Der Europäische Grüne Deal zielt darauf ab, im Rahmen einer Wachstumsstrategie für eine klimaneutrale und ressourcenschonende Wirtschaft die Netto-Treibhausgasemissionen der Europäischen Union bis 2050 auf Null zu reduzieren. Darüber hinaus soll Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden und niemand, weder Menschen noch Regionen, im Stich gelassen werden ("leave no-one behind").

Die Ankündigung, als erster Kontinent bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden zu wollen, sorgte international für Aufsehen. Hierfür sollen alle Sektoren auf Klimaschutz ausgerichtet werden, insbesondere in den Bereichen Finanzmarktregulierung, Energieversorgung, Verkehr, Handel, Industrie sowie Land- und Forstwirtschaft.

Die EU Kommission (2021) beschreibt die Vorteile des Europäischen Grünen Deal wie folgt:

  • saubere Luft, sauberes Wasser, einen gesunden Boden und Biodiversität,

  • sanierte, energieeffiziente Gebäude,

  • gesundes und bezahlbares Essen,

  • mehr öffentliche Verkehrsmittel,

  • sauberere Energie und modernste saubere Technologien,

  • langlebigere Produkte, die repariert, wiederverwertet und wiederverwendet werden können,

  • zukunftsfähige Arbeitsplätze und Vermittlung der für den Übergang notwendigen Kompetenzen,

  • weltweit wettbewerbsfähige und krisenfeste Industrie.

Im Kontext der Zielsetzungen des Europäischen Grünen Deal wurden auch verschärfte Klimaziele politisch verhandelt. Im April 2021 wurde das Langzeitziel der Klimaneutralität um ein Zwischenziel bis 2030 ergänzt. Bis dahin sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % gesenkt werden (gegenüber dem Stand von 1990), der Anteil erneuerbarer Energiequellen auf mindestens 27 % erhöht und die Energieeffizienz um mindestens 27 % gesteigert werden.

EU Green-Deal

Zeitstrahl Europäischer Grüner Deal (EU-Kommission 2021, eigene Anpassung)
Dezember 2019 Komission stellt europäischen Grünen Deal vor
März 2020 Kommission schlägt europäisches Klimagesetz vor (Klimaneutralität bis 2050 verbindliche Rechtsvorschriften)
September 2020 Kommission schlägt neues EU-Ziel vor, Netto-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu verringern, dies in das europäische Klimagesetz aufzunehmen
Dezember 2020 Bildung des 55 % Ziel durch Staats- und Regierungschefs
April 2021 Politische Einigung des Europäischen Parlaments über das europäische Klimagesetz
Juni 2021 Inkrafttreten des europäischen Klimagesetzes
Juli 2021 Kommission legt Vorschlagspaket zur Umgestaltung der Wirtschaft vor. Verhandlung und Annahme des Legislativpakets durch das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele 2030
2030 EU soll Emissionen um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 verringern
2050 EU soll klimaneutral sein

Im Juli 2021 legte die EU-Kommission Vorschläge vor, wie die Kommission die EU-Klimaziele im Rahmen des Europäischen Grünen Deal erreichen will. Damit wurde der Europäischen Grüne Deal durch das Externer Link: Aktionsprogramm "Fit for 55" um ein konkretes Handlungsprogramm ergänzt. Geltende EU-Rechtsvorschriften, darunter das EU-Emissionshandelssystem, die Verordnung über die Lastenteilung, die Verkehrs- und die Flächennutzungsvorschriften müssen hinsichtlich der neuen Zielsetzungen überarbeitet werden. Als Teil des Programms hat das EU-Parlament Mitte Februar 2023 mit 340 von 640 Stimmen dafür gestimmt, ab 2035 keine Interner Link: Neuwagen mit Verbrenner-Motoren mehr zuzulassen.

Übergang zu klimafreundlicheren Wirtschaftszweigen

Der Europäische Grüne Deal hat darüber hinaus die Zielsetzung, in den dadurch angestoßenen sektoralen Transformationsprozessen "niemanden zurückzulassen". Der Mechanismus für einen gerechten Übergang (Just Transition Mechanism) soll sicherstellen, dass Regionen mit einer überdurchschnittlichen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen (z.B. Kohleregionen) in ihren Strukturwandelprozessen unterstützt werden, um einen Übergang zu klimafreundlicheren Wirtschaftszweigen mit Anreizen zum Aufbau einer Grünen Wirtschaft zu schaffen. Dabei sollen insbesondere auch die Bedarfe der Bevölkerungen in den Anpassungsprozessen berücksichtigt werden, beispielsweise durch Weiterbildung und Qualifizierung oder die Vermeidung von Energiearmut, etc. 150 Milliarden Euro sollen von 2021 bis 2027 in die am stärksten betroffenen Regionen fließen. Die Konzeption einer Just Transition wird zunehmend auch in anderen Ländern im Rahmen ihrer Externer Link: NDCs als Bestandteil ihrer Klimapolitik aufgenommen. Dabei werden insbesondere in den Ländern des Globalen Südens auch weitere Schwerpunkte über einen Kohleausstieg hinaus gesetzt, z.B. im Bereich Verkehr oder informeller Beschäftigung.

Informelle Beschäftigung

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass 60 Prozent der globalen Erwerbstätigen informell beschäftigt sind. Informelle Beschäftigung ist oft mit schlechteren Arbeitsbedingungen sowie fehlenden Absicherungen verbunden (keine Sozialversicherung). Kennzeichen sind, dass für Arbeitsverhältnisse nicht das nationale Arbeitsrecht, die nationale Arbeitsgesetzgebung, die Einkommensbesteuerung, der Sozialschutz oder ein Anspruch auf bestimmte Leistungen (Vorankündigung, Kündigungsfrist, Abfindung, bezahlter Jahres- oder Krankheitsurlaub, usw.) gelten.

Die Auswirkungen der Bewirtschaftung von Wäldern und Böden auf das Klima werden seit 2021 erstmals in die Europäische Klimapolitik einbezogen. Dabei werden Emissionen im Kontext Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) betrachtet. Die Externer Link: LULUCF-Verordnung legt fest, wie der Ausstoß und die Speicherung von Kohlendioxid (Emissionen und Senken) von Wäldern und Böden in die Treibhausgasbilanz eingehen. Sie schafft Anreize, die Klimawirkung des Sektors zu verbessern. Da es im Landnutzungssektor natürliche Schwankungen gibt und die Verrechnung der Emissionen und Senken Unsicherheiten unterliegt, wird die Treibhausgasbilanz nicht unmittelbar auf die EU-Klimaschutzziele angerechnet, sondern gesondert ausgewiesen.

Subventionen für den Klimaschutz

US-Präsident Joe Biden hat im August 2022 ein Subventionspaket für den Klimaschutz präsentiert. Dies ist Teil des Externer Link: Inflation Reducation Act (IRA, dt. Inflationsbekämpfungsgesetz). Rund 370 Milliarden Dollar sollen aus dem IRA in Klimaschutz und Energiesicherheit fließen. Dabei handelt es sich um die größte klimapolitische Investition in der US-Geschichte. Weitere Gelder sind unter anderem für soziale Maßnahmen im Gesundheitswesen vorgesehen.

Kritik am milliardenschweren Subventionspaket gibt es von der Europäischen Union (EU). Denn der IRA sieht neben Investitionen in erneuerbare Energien auch Steuererleichterungen für Unternehmen vor, die US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren. Externer Link: Die EU wertet dies als diskriminierend und als Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation.

Als Reaktion auf den IRA wurde im Januar 2023 der Externer Link: Green Deal Industrial Plan ("grüner Industrieplan") im Europäischen Parlament präsentiert. Dieser zielt auf mehr Wettbewerbsfähigkeit der CO2-neutralen Industrie ab und gründet auf Externer Link: vier Säulen: "ein günstiges Regelungsumfeld für die Netto-Null-Industrie, ein schnellerer Zugang zu Finanzmitteln, die richtigen Kompetenzen für Arbeitskräfte und ein offener Handel für widerstandsfähige Lieferketten."

Europäische Klimaziele

Mit dem Europäischen Grünen Deal, der Annahme eines Klimaziels für 2030 und dem damit verbundenen Aktionsprogramm Fit for 55 hat die EU ihre Klimaziele weiter konkretisiert und verschärft. Die Ankündigung, bis 2050 als Kontinent Klimaneutralität zu erreichen, ist bislang einmalig.

Es wird aber auch Kritik an den Zielen und Maßnahmen geäußert. Das Europäische Parlament hatte ein Zwischenziel für 2030 von 60 % gefordert, da die EU ohnehin auf dem Weg sei, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 46 % zu senken. EU-Parlamentarier*innen streben deshalb an, das Ziel weiter zu erhöhen. Wichtig ist ihrer Auffassung nach, dass jeder EU-Mitgliedsstaat klimaneutral wird. Umweltorganisationen bemängeln die Anrechnung von Senken. Dadurch müsse weniger als die beschlossenen 55 % reduziert werden, es handle sich also um ein Netto-Reduktionsziel und die EU rechne sich das Reduktionsziel "schöner als es sei".

Aktuelle Debatte: Wann gilt Wasserstoff als grün?

In der EU wird über die Förderung erneuerbarer Energien diskutiert. Teil der Debatte ist erneuerbarer Wasserstoff. Die Externer Link: EU-Kommission hat festgelegt: Wasserstoff gilt als grün (bzw. erneuerbar), "[…] wenn er aus Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird".

Nun fordern Frankreich und acht weitere EU-Staaten aus Atomstrom erzeugten Wasserstoff als "grün" einzustufen. Deutschland und neun weitere Mitgliedsstaaten wollen dagegen erneuerbare Quellen auf Wind- und Solarenergie beschränken. Frankreich selbst setzt in der Stromproduktion auf Atomkraft, so wurde 2021 69 % des Stroms aus Atomkraft erzeugt. Die Verhandlungen laufen derzeit noch.

Dem geht der Taxonomie-Streit voraus: Die im Februar 2022 gebilligte Externer Link: EU-Taxonomie soll Investitionen in klimafreundliche Wirtschaftsbereiche fördern, um Externer Link: die EU-Klimaziele zu erreichen. In dem Zuge stufte die EU-Kommission Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich ein. Dies wurde stark kritisiert, unter anderem wegen möglichen Greenwashings. Österreich etwa klagte gegen die Taxonomie-Verordnung. Das Externer Link: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) warnte unter anderem vor nuklearen Unfällen.

Mit den europäischen Klimazielen waren und sind auch zukünftig vielfältige nationale Interessen zu verhandeln, etwa Fragen der Finanzierung des Kohlausstiegs und von Modernisierungsstrategien. So flammt immer wieder die Diskussion auf, ob die Klimaziele durch stärkeren Einsatz von Atomkraft erreicht werden sollten. Insgesamt gilt es jedoch - wie in den Mitgliedstaaten auch - schnell und umfassend in die Umsetzung der beschlossenen Ziele und des Aktionsprogramms einzusteigen.

Weitere Inhalte

Christiane Beuermann, geb. 1968; Studium der Volkswirtschaftlehre, Dipl.-Volkswirtin; derzeit stellvertretende Leiterin in der Abteilung "Energie, Verkehrs- und Klimapolitik" am Wuppertal Institut. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Klimapolitik, Ökonomische Instrumente, Nachhaltigkeitspolitik.