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Juan Bosch: Ein karibischer Lebenslauf | Lateinamerika | bpb.de

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Juan Bosch: Ein karibischer Lebenslauf Lehrer, Literat und Politiker

Klaus Jetz

/ 6 Minuten zu lesen

Kaum ein dominikanischer Politiker des 20. Jahrhunderts erfreute sich größerer Beliebtheit als Juan Bosch. "El Profesor" war zeitlebens, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Integrität, auch bei seinen politischen Gegnern hoch angesehen. Zu einer langjährigen Karriere als Staatspräsident hat es dennoch nie gereicht.

Der ehemalige Präsident der Dominikanischen Republik Juan Bosch. (© AP)

Der dominikanische Ex-Präsident Juan Bosch (1909-2001) war neben seinem langjährigen Gegenspieler Joaquín Balaguer nicht nur der bekannteste Politiker der Dominikanischen Republik. Mit über 60 Erzählungen, die in mehreren Bänden und unzähligen Auflagen erschienen und immer wieder neu aufgelegt werden, sowie mit theoretischen Schriften zur Kurzgeschichte gilt Juan Bosch auch als Altmeister des lateinamerikanischen cuento. In einigen lateinamerikanischen Literaturgeschichten wird er zu den zehn bedeutendsten Erzählern des Subkontinents gezählt, in Europa aber erfuhr er Jahrzehnte lang nicht die Aufmerksamkeit, die seinem literarischen Werk zusteht. Erst 1990 erschien ein Band mit seinen Erzählungen in deutscher Übersetzung.

Als Juan Bosch 1909 in La Vega geboren wird, befindet sich das Land in einem desolaten Zustand. Nach dem gewaltsamen Tod mehrerer Diktatoren versinkt die Dominikanische Republik in blutigen Bürgerkriegen. Diese Erlebnisse von Tod und Verwüstung wird Juan Bosch später in seinem ersten Roman La Mañosa (1936) und in mehreren Erzählungen verarbeiten. 1916 nehmen die USA das Chaos, in dem das Land zu versinken droht, zum Anlass, militärisch in der Dominikanischen Republik zu intervenieren. Bis 1924 werden die fremden Truppen die nationale Souveränität des Landes verletzen. Als nach acht Jahren die nordamerikanischen Truppen das Land räumen, hinterlassen sie eine gut ausgebildete Nationalgarde, an deren Spitze Rafael Leónidas Trujillo Molina steht. Ihm gelingt es innerhalb weniger Jahre, die Macht an sich zu reißen. 31 Jahre lang wird der Trujillo-Clan das Land terrorisieren und ausplündern.

Erste Schritte als Autor

In den 1920er-Jahren studiert Bosch einige Jahre in Santo Domingo Geschichte und Soziologie, um dann an Schulen und der staatlichen Universität zu lehren. In den Jahren bis 1938, als er ins Exil geht, erfolgt die erste Phase seines literarischen Schaffens. Am Anfang steht seine unentgeltliche Mitarbeit bei der Zeitung Listín. Er ist für die Literaturseite der Sonntagsausgabe zuständig. Seine ersten Erzählungen veröffentlicht Bosch in der Zeitschrift Bahoruco, die der Venezolaner Horacio Fombona Blanco in Santo Domingo herausgibt. Er schickt sie jedoch auch an costaricanische und kubanische Zeitschriften. Eine seiner bekanntesten Erzählungen, La Mujer, schreibt er 1932. Noch im selben Jahr sendet er sie an Carteles in La Habana, in jener Zeit die meist gelesene Zeitschrift in der Dominikanischen Republik. Ein Jahr später publiziert er in seinem Heimatort La Vega seinen ersten Erzählband, Camino Real, der ihn als Meister seiner Gattung bekannt macht.

1933 erlebt Juan Bosch auch die erste Konfrontation mit der Willkürherrschaft des Trujillo-Regimes. Wegen angeblicher anarchistischer Aktivitäten wird er verhaftet. In den ersten Jahren des trujillato arbeitet er auch mit anderen dominikanischen Schriftstellern in literarischen Zirkeln zusammen. Regelmäßig trifft er sich mit ihnen im Café Paliza in der Altstadt von Santo Domingo. Juan Bosch verlässt im Januar 1938 das Land und geht nach Puerto Rico. Ein Jahr später siedelt er nach Kuba über. In Havanna arbeitet er für den damals größten kubanischen Radiosender. Zudem reist er als Arzneiverkäufer durch die Provinzen Matanzas und Santa Clara. Er empfindet große Sympathie für die größte Antilleninsel und widmet 1955 dem Vaterland von José Martí ein Buch mit dem Titel Cuba, la isla fascinante.

Politische Arbeit

Im ersten Jahr seines kubanischen Exils gründet Bosch zusammen mit anderen vertriebenen Dominikanern den Partido Revolucionario Dominicano (PRD). 1947 organisiert er zusammen mit anderen liberalen und sozialdemokratischen Politikern der Region (Legión del Caribe) die Cayo Confites-Expedition, deren Ziel der Sturz Trujillos ist. In dieser Zeit tritt Boschs literarische Tätigkeit jedoch nicht in den Hintergrund. Er steht in Verbindung mit Pedro Henríquez Ureña und lernt Dichter wie Pablo Neruda oder Nicolás Guillén kennen. Zudem hat er Kontakt mit den kubanischen Schriftstellern der Segunda Generación Republicana, die von ihm beeinflusst werden. Viele seiner Erzählungen schreibt er in Kuba, wo er 1943 für seine Erzählung Luis Pie den Hernández Catá-Preis erhält. 1945 geht Juan Bosch als Delegierter des PRD nach Caracas, um propagandistisch gegen das Trujillo-Regime tätig zu werden. Er trifft dort Rómulo Gallegos, mit dem ihn von nun an bis zu dessen Tod eine lange Freundschaft verbindet. Als Bewunderer von Gallegos Werken schlägt Bosch den zukünftigen venezolanischen Präsidenten für den Literatur-Nobelpreis vor, der allerdings stellvertretend für Lateinamerika Gabriela Mistral zugesprochen wird.

1952 muss Bosch abermals vor einem Tyrannen fliehen. Nach dem Staatsstreich von Fulgencio Batista verlässt er Kuba und geht nach Costa Rica ins Exil, wo er eine Professur für Politikwissenschaft erhält. Zwei Jahre vor Castros Revolution kehrt er nach Kuba zurück, wo er durch das, mittlerweile in arge Bedrängnis geratene, Batista-Regime verhaftet wird. Als 1958 der venezolanische Diktator Pérez Jiménez stürzt und Boschs Freund Rómulo Betancourt Präsident wird, kann er nach Caracas ausreisen. Auf Drängen von Miguel Otero Silva, venezolanischer Schriftsteller und Leiter der Tageszeitung El Nacional, schreibt Bosch den Essay Apuntes sobre el arte de escribir cuentos. Bosch ist somit nach Horacio Quiroga der erste lateinamerikanische Autor, der sich in einem Essay theoretisch mit der Gattung cuento auseinandersetzt. Das Werk ist das Resultat einer Vorlesungsreihe an der Universidad Central de Venezuela, an der auch Gabriel García Márquez als Student teilnimmt.

Neuanfang als Präsident

Kurz bevor Bosch 1961, nach der Ermordung Trujillos, in die Dominikanische Republik zurückkehrt, um bereits ein Jahr später mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt zu werden, schreibt er La Mancha indeleble, seine letzte Erzählung. Er bezeichnet sie als ein Experiment mit politischem Inhalt. Erst 1981, kurz nach dem Tod seines Freundes Rómulo Betancourt, erklärt Bosch, dass der venezolanische Ex-Präsident die Vorlage für den Protagonisten dieser Erzählung abgegeben habe.

Am 24. April 1965 kommt es in Santo Domingo zu einem Aufstand junger Offiziere, der bald in eine allgemeine Volkserhebung mündet. Diese Aprilrevolution hat die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung zum Ziel. Die war durch den Militärputsch vom 25. September 1963, der Juan Bosch nach nur sechs Monaten aus dem Präsidentenamt vertrieb, über den Haufen geschossen worden. Der gestürzte Präsident soll wieder eingesetzt und die erst im Frühjahr 1963 verabschiedete fortschrittliche Verfassung erneut in Kraft gesetzt werden. Einem Sieg der zunächst erfolgreichen Konstitutionalisten über die reaktionären Militärs und der Rückkehr von Juan Bosch aus dem puertoricanischen Exil kommen Zehntausende von Marines mit einer Militärintervention zuvor. Sie begraben die Hoffnung der Dominikaner auf Selbstbestimmung, nicht zuletzt indem sie dem ehemaligen Vertrauten Trujillos, Joaquín Balaguer, zur erneuten Präsidentschaft verhelfen.

Desillusioniert durch die Interventionspolitik der auch in Indochina engagierten USA kommt Juan Bosch zu dem Schluss, dass nur eine sozialistische Revolution die lateinamerikanischen Länder aus ihrer Abhängigkeit befreien kann. In mehreren Essays legt er sein neues Credo eloquent dar. In dem Buch "Der Pentagonismus oder die Ablösung des Imperialismus" (1967) rechnet er mit der us-amerikanischen Außenpolitik ab. Der Pentagonismus diene nicht mehr der Eroberung von Kolonien (Imperialismus), sondern vielmehr der Profitsteigerung durch Ankurbelung der Rüstungsindustrie. Es komme zu einer Interessenverflechtung von wirtschaftlicher und militärischer Macht, die Bosch als Pentagonismus verurteilt.

"Diktatur mit Rückhalt des Volkes"

In den folgenden Jahren entwickelt Bosch das Konzept einer "Dictadura con respaldo popular" (Diktatur mit Rückhalt des Volkes) als dritter Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, mit dem er der parlamentarischen Demokratie eine Absage erteilte. Er entgeht 1971, auf dem Höhepunkt der Repressionswelle des restaurativen Balaguer-Regimes, nur knapp einem Attentat. Boschs Partei, der Partido de Revolución Dominicana (PRD), ist bald nicht mehr bereit, den radikalen Kurswechsel des Parteigründers mitzutragen. Folglich gründet dieser 1973 eine neue Partei, den Partido de Liberación Dominicana (PLD), als dessen Kandidat er in der Folge aller vier Jahre mit wachsendem Erfolg an den Präsidentschaftswahlen teilnimmt. Doch nie gelingt es ihm, über seinen langjährigen Gegenspieler Balaguer zu triumphieren, der ihn mehrmals, wohl auch durch Wahlbetrug, um die Präsidentschaft bringt. 1990 gibt Bosch entnervt auf und verabschiedet sich aus der Tagespolitik.

In den Folgejahren macht er immer wieder durch Veröffentlichungen und Interviews von sich reden, mischt als Elder Statesman weiterhin in der zweiten Reihe politisch mit. Doch Romane oder Erzählungen hat er nie wieder geschrieben. Eine letzte Ehrung erfährt er 1999 zu seinem 90. Geburtstag, eine Neuauflage seiner gesammelten Werke wird der Öffentlichkeit übergeben, eine Stiftung trägt seither seinen Namen. Nach längerer Krankheit stirbt Juan Bosch 92-jährig am 1. November 2001 in Santo Domingo.

Kaum ein dominikanischer Politiker des 20. Jahrhunderts erfreute sich größerer Beliebtheit als Juan Bosch. Er war zeitlebens, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Integrität, auch bei seinen politischen Gegnern hoch angesehen. Viele nannten ihn respektvoll "El Profesor", doch für seine zahlreichen Anhänger aus dem Volk war er einfach nur "Juan Bo", ihr Caudillo und ewiger Präsidentschaftskandidat, in dem sie nach den langen Jahrzehnten der Diktatur Trujillos und dem autoritären Regime Balaguers einen Hoffnungsträger auf den so notwendigen politischen und sozialen Wandel im Land sahen.

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Klaus Jetz, geboren 1963 in Montabaur (Westerwald), hat Romanistik und Geschichte an den Universitäten Köln, Sevilla und Santo Domingo studiert. Er ist Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland. Seit vielen Jahren arbeitet er journalistisch zu lateinamerikanischen Themen sowie als literarischer Übersetzer. Er lebt in Köln.